Begriff und Grundlagen der Anspruchskonkurrenz
Der Begriff Anspruchskonkurrenz beschreibt eine wesentliche Konstellation im Zivilrecht, bei der ein und derselbe Lebenssachverhalt dazu führt, dass mehrere rechtliche Ansprüche nebeneinander bestehen können. Anspruchskonkurrenz ist insbesondere im deutschen Recht, aber auch in anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen von großer Bedeutung. Sie betrifft sowohl das Schuld- als auch das Sachenrecht und kann erhebliche Auswirkungen auf die Anspruchsdurchsetzung sowie auf die Rechtsfortbildung haben.
Definition und Abgrenzung
Anspruchskonkurrenz liegt vor, wenn eine Person aus demselben Sachverhalt heraus gegen eine andere Person mehrere, voneinander unabhängige Ansprüche geltend machen kann. Diese Ansprüche können auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen („Klagegründe“) beruhen. Sie ist zu unterscheiden von der sogenannten Anspruchshäufung, bei der mehrere unterschiedliche Lebenssachverhalte zu mehreren Ansprüchen führen, sowie von der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz, bei welcher mehrere Anspruchsgrundlagen denselben Anspruch stützen.
Ein klassisches Beispiel für Anspruchskonkurrenz ist, wenn durch eine unerlaubte Handlung zugleich ein vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz (etwa aus einem Werkvertrag) sowie ein deliktischer Anspruch (§ 823 BGB) entstehen.
Arten der Anspruchskonkurrenz
Im Zivilrecht werden verschiedene Formen der Anspruchskonkurrenz unterschieden. Zu den wichtigsten gehören die echten und die unechten Anspruchskonkurrenzen.
Echte Anspruchskonkurrenz
Von echter Anspruchskonkurrenz spricht man, wenn der Anspruchsteller tatsächlich kumulativ aus mehreren Anspruchsgrundlagen vorgehen kann. Es steht ihm frei, welchen Anspruch er durchsetzt oder auch mehrere Ansprüche nebeneinander geltend zu machen.
Beispiel: Kauf- und Deliktsrecht
Ein Käufer wird durch die mangelhafte Sache auch in sonstigen Rechten verletzt. Er kann sowohl Mängelgewährleistungsrechte aus dem Kaufvertrag (§§ 437 ff. BGB) als auch deliktische Schadensersatzansprüche (§ 823 BGB) geltend machen.
Unechte Anspruchskonkurrenz (Exklusivität)
Im Rahmen unechter Anspruchskonkurrenz ist der Vorrang oder Ausschluss einzelner Ansprüche geregelt („Sperrwirkung“). Das bedeutet, dass derjenige, dem mehrere Ansprüche zustehen könnten, in der Rechtsfolge beschränkt ist.
Beispiel: Vorrang des Vertragsrechts
Im Besonderen Schuldrecht des BGB ist es häufig so, dass vertragliche Regelungen deliktische Ansprüche ausschließen. Beispiel: Gemäß § 823 Abs. 2 BGB werden bei Verletzungen, die schon vom Vertragsrecht erfasst sind, Deliktsansprüche beschränkt oder ganz ausgeschlossen.
Anspruchskonkurrenz im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
Das BGB enthält zahlreiche Konstellationen, in denen Anspruchskonkurrenzen relevant werden. Dies betrifft sowohl das allgemeine Schuldrecht als auch spezielle Konstellationen im Bereich des Sachenrechts und Familienrechts.
Anspruchskonkurrenz im Schuldrecht
Im Schuldrecht treten Anspruchskonkurrenzen hauptsächlich zwischen folgenden Anspruchsgrundlagen auf:
- Vertragliche und deliktische Ansprüche: Beispielsweise kann bei einem Unfall, der während der Ausführung eines Werkvertrags geschieht, neben Werkvertragsrecht auch Deliktsrecht einschlägig sein.
- Bereicherungsrecht und Deliktsrecht: Werden etwa Sachen durch unberechtigte Eingriffe herausverlangt, können sowohl Rückgabeansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) als auch aus Deliktsrecht (§ 823 BGB) bestehen.
Anspruchskonkurrenz im Sachenrecht
Auch im Sachenrecht können mehrere Herausgabe- oder Schadensersatzansprüche aus unterschiedlichen Grundlagen nebeneinander bestehen, z.B.:
- Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) vs. Herausgabe aus GoA (§ 687 ff. BGB) oder bereicherungsrechtlicher Herausgabeanspruch (§ 812 BGB).
Anspruchskonkurrenz im öffentlichen Recht und Strafrecht
Öffentliche Anspruchskonkurrenz
Auch im öffentlichen Recht existiert die Anspruchskonkurrenz, etwa wenn mehrere öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen auf denselben Sachverhalt anwendbar sind. Hier ist eine Konkurrenz verschiedener Rechtsgrundlagen etwa bei der Einziehung von Vorteilen aus unrechtmäßigen Handlungen denkbar.
Anspruchskonkurrenz im Strafrecht
Im Strafrecht wird der Begriff Anspruchskonkurrenz regelmäßig durch die Begriffe Tateinheit und Tatmehrheit konkretisiert, jedoch existieren auch hier Konstellationen, in denen beispielsweise Opfer von Straftaten sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich Schadensersatz verlangen können.
Anspruchskonkurrenz und prozessuale Auswirkungen
Anspruchskonkurrenz spielt nicht nur im materiellen Recht, sondern auch prozessual eine Rolle. Sie kann sich etwa auf die Klagehäufung und die Entscheidungsbefugnis des Gerichts, aber auch auf Verjährungsfragen auswirken. Das Gericht muss insbesondere bei zusammentreffenden Anspruchsgrundlagen entscheiden, ob und inwieweit Ansprüche nebeneinander bestehen, sich ausschließen oder gegenseitig beeinflussen.
Anspruchskonkurrenz und Ausschlussgründe
Nicht jede Anspruchskonkurrenz führt dazu, dass Ansprüche beliebig kumuliert werden können. Das Recht kennt zahlreiche Ausschlussgründe, beispielsweise:
- Vorrang speziellerer Anspruchsgrundlagen
- Ausschluss von Bereicherungsansprüchen bei Leistungsbeziehung
- Sperrwirkung einzelner Vorschriften (z.B. § 993 Abs. 1 Satz 2 BGB „EBV-Sperre“)
- Ausschluss deliktischer Ansprüche bei vorrangigem Vertragsrecht
Anspruchskonkurrenz im Internationalen Privatrecht
Im internationalen Kontext stellt sich häufig die Frage, welches Recht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwenden ist, wenn mehrere Anspruchsgrundlagen aus verschiedenen Rechtsordnungen in Betracht kommen. Das Kollisionsrecht, insbesondere die Rom-I- und Rom-II-Verordnung, trifft dazu Regelungen zur Bestimmung des anwendbaren Rechts für vertragliche und außervertragliche Ansprüche. Hier können Anspruchskonkurrenzen ebenfalls auftreten, etwa wenn aus einem Vertragsverhältnis und einer unerlaubten Handlung Ansprüche bestehen, die verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen.
Literaturhinweise
- BGHZ 37, 258 (Grundsatzurteil zum Thema Anspruchskonkurrenz)
- Heinz-Jürgen Bruck: „Grundzüge des Schuldrechts“, Heidelberg 2022, S. 245 ff.
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflage, § 823 Rn. 1 ff., § 812 BGB Rn. 2 ff.
Zusammenfassung
Anspruchskonkurrenz bezeichnet das Zusammentreffen mehrerer Ansprüche aus unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen im Rahmen eines einheitlichen Lebenssachverhalts. Sie ist ein zentrales Element des deutschen Zivilrechts und findet sich auch in anderen Rechtsgebieten wie dem öffentlichen Recht und dem Internationalen Privatrecht. Die genaue Einordnung und Dogmatik der Anspruchskonkurrenz ist essentiell, um die richtige Anspruchsgrundlage zu wählen und Ansprüche wirksam durchzusetzen. Zahlreiche gesetzliche und richterrechtliche Regelungen steuern, in welchem Umfang mehrere Ansprüche nebeneinander bestehen oder sich gegenseitig ausschließen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Arten der Anspruchskonkurrenz gibt es und wie unterscheiden sie sich voneinander?
Im deutschen Zivilrecht wird zwischen verschiedenen Arten der Anspruchskonkurrenz unterschieden. Die wichtigsten Formen sind die echte Anspruchskonkurrenz, die unechte Anspruchskonkurrenz (auch Anspruchskumulation genannt) und die Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. Bei der echten Anspruchskonkurrenz stehen dem Gläubiger hinsichtlich desselben Lebenssachverhalts mehrere Ansprüche zu, von denen er im Prozess einen auswählen und geltend machen kann. Typisch ist dies etwa bei vertraglichen und deliktischen Ansprüchen auf Schadensersatz. Im Falle der unechten Anspruchskonkurrenz können die verschiedenen Ansprüche durch den Gläubiger kumulativ geltend gemacht werden, sofern sie nebeneinander bestehen, etwa Ansprüche auf Erfüllung, Schadensersatz und Nutzungsherausgabe. Die Anspruchsgrundlagenkonkurrenz liegt vor, wenn sich für denselben Sachverhalt mehrere Anspruchsgrundlagen aus derselben Anspruchsart ergeben, wie etwa bei vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen. Die genaue Differenzierung ist insbesondere für die richtige Anspruchsbearbeitung in der juristischen Fallbearbeitung und im gerichtlichen Verfahren von Bedeutung.
Welche Rolle spielt die Anspruchskonkurrenz im Zivilprozess?
Die Anspruchskonkurrenz ist im Zivilprozess von zentraler Bedeutung, da sie maßgeblich bestimmt, wie ein Kläger seine Klage begründen und welche Anspruchsgrundlagen er auswählen oder kombinieren kann. Durch die Existenz verschiedener konkurrierender Ansprüche ist der Kläger nicht auf eine Anspruchsgrundlage beschränkt, sondern kann seine Klage auf mehrere rechtliche Grundlagen stützen oder zwischen diesen wählen. Das Gericht ist gemäß § 308 Abs. 1 ZPO an den Klageantrag gebunden, aber nicht an die vom Kläger gewählte Anspruchsgrundlage, sodass es im Einzelfall auch auf eine andere Grundlage als die vom Kläger angeführte den Anspruch zusprechen kann (sog. „iura novit curia“). Die Fähigkeit, aus mehreren konkurrierenden Ansprüchen zu wählen, erhöht somit die prozessuale Flexibilität und Chance auf Durchsetzung des Begehrens.
Wie bestimmt man im Gutachtenstil, ob eine und welche Anspruchskonkurrenz besteht?
Bei der juristischen Fallbearbeitung im Gutachtenstil wird im Rahmen der Anspruchsprüfung zunächst ermittelt, welche einzelnen Ansprüche aus dem vorliegenden Sachverhalt abgeleitet werden können. Dies erfordert eine sorgfältige Prüfung aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, insbesondere vertraglicher, deliktischer, bereicherungsrechtlicher und sonstiger gesetzlicher Ansprüche. Konkurrenzen werden sodann systematisch dargestellt: Zumeist wird nach Bereicherungsansprüchen gefragt, die neben vertraglichen oder deliktischen Ansprüchen bestehen können, aber ggf. durch diese ausgeschlossen werden (Subsidiaritätsprinzip, z.B. Herausgabeanspruch § 812 BGB neben Schadensersatz oder Rücktrittsrecht). Es ist wichtig, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der einzelnen konkurrierenden Ansprüche genau gegeneinander abzugrenzen und zu benennen, ob und inwiefern der Gläubiger zwischen den konkurrierenden Ansprüchen wählen oder diese nebeneinander geltend machen kann.
Welche Bedeutung hat das Auswahlrecht des Gläubigers bei Anspruchskonkurrenzen?
Im Fall einer echten Anspruchskonkurrenz hat der Gläubiger ein Wahlrecht, welchen der bestehenden Ansprüche er geltend machen möchte. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn sich der Inhalt oder Umfang der jeweiligen Ansprüche – beispielsweise hinsichtlich Verjährung, Umfang des Schadensersatzes oder zu ersetzenden Schadenspositionen – unterscheidet. In vielen Fällen kann es für den Gläubiger strategisch vorteilhaft sein, den für ihn günstigeren Rechtsweg oder diejenige Anspruchsgrundlage zu wählen, bei der die Voraussetzungen leichter nachzuweisen oder die Rechtsfolgen für ihn vorteilhafter sind. Eine Kumulation (geltend machen mehrerer Ansprüche auf die gleiche Leistung) ist in aller Regel ausgeschlossen, es sei denn, das Gesetz sieht dies ausdrücklich vor.
Können konkurrierende Ansprüche im selben Verfahren geltend gemacht werden?
Ja, konkurrierende Ansprüche können grundsätzlich im selben Zivilverfahren, beispielsweise im Wege der Klagehäufung gemäß § 260 ZPO, geltend gemacht werden, solange sie sich gegen denselben Beklagten richten und im sachlichen Zusammenhang stehen. Das Gericht wird dann prüfen, ob und inwieweit die Ansprüche tatsächlich nebeneinander bestehen können oder ob lediglich eine Alternative (Alternativität, Wahlrecht) oder Subsidiarität (Vorrang eines Anspruchs) besteht. Es ist dabei zu beachten, dass die Rechtskraft des Urteils und die Gefahr der Doppelverurteilung zu berücksichtigen sind, sodass eine Kumulation identischer Leistungsansprüche nur in Ausnahmefällen möglich ist.
Wie wirkt sich Anspruchskonkurrenz auf die Verjährung der Ansprüche aus?
Die Anspruchskonkurrenz hat erhebliche Auswirkungen auf die Verjährung, da konkurrierende Ansprüche unterschiedlichen Verjährungsfristen unterliegen können. So beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für die meisten vertraglichen und deliktischen Ansprüche drei Jahre (§ 195 BGB), für bereicherungsrechtliche Ansprüche gelten teilweise Sonderregelungen. Bei mehreren konkurrierenden Ansprüchen muss daher für jeden Anspruch gesondert die Verjährungsfrist berechnet werden. Der Gläubiger kann unter Umständen durch die Wahl einer Anspruchsgrundlage mit längerer Verjährungsfrist seinen Anspruch noch durchsetzen, auch wenn die kürzere Frist eines anderen Anspruchs bereits abgelaufen ist. Es ist deshalb für die Anspruchssicherung und Rechtsverfolgung unerlässlich, die Verjährungsregelungen für jede Anspruchsgrundlage sorgfältig zu prüfen.
Gibt es gesetzliche Vorschriften, die einen Vorrang oder Ausschluss bestimmter Ansprüche bei Anspruchskonkurrenz anordnen?
Ja, das Gesetz kennt verschiedene Vorschriften, die entweder den Vorrang bestimmter Ansprüche regeln oder den Ausschluss konkurrierender Ansprüche vorschreiben. Bekannteste Beispiele sind § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB, der den Bereicherungsanspruch ausschließt, sofern der Empfänger aus einem anderen Rechtsgrund zur Behaltensberechtigung legitimiert ist (sog. Vorrang der Leistungsbeziehungen oder Subsidiaritätsprinzip), oder § 823 Abs. 2 BGB, der speziellen Schutzgesetzen ein Primat gegenüber allgemeinen deliktischen Ansprüchen zuteilen kann. Zudem gibt es für vertragliche und quasivertragliche Ansprüche, insbesondere im Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) und im Bereicherungsrecht, zahlreiche Spezialregelungen zur Anspruchskonkurrenz. Daher ist bei jeder Anspruchsprüfung die Existenz entsprechender Vorrang- oder Ausschlussnormen zu beachten.