Definition und rechtlicher Rahmen der Ankaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB)
Ankaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB) bezeichnen Maßnahmen, bei denen die EZB und das Eurosystem in großem Umfang Vermögenswerte – insbesondere Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und andere Wertpapiere – am Sekundärmarkt erwerben. Diese Programme sind geldpolitische Instrumente in außergewöhnlichen Situationen zur Stärkung der Transmission der Geldpolitik, Sicherung von Preisstabilität oder Bekämpfung von Finanzmarktstörungen. Die rechtliche Grundlage dieser Maßnahmen ist im Unionsrecht, insbesondere im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), dem Statut des Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB sowie in einschlägigen Verordnungen und Leitlinien der EZB geregelt.
Vertragliche Grundlagen nach dem AEUV und dem ESZB-Statut
Die rechtlichen Befugnisse der EZB zu Ankaufprogrammen leiten sich vor allem aus Art. 127 und 128 AEUV sowie dem Protokoll Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ESZB-Statut) ab.
Art. 127 AEUV
- Aufgaben der EZB: Nach Art. 127 Abs. 1 AEUV besteht das vorrangige Ziel des ESZB in der Sicherung der Preisstabilität. Unter Beachtung dieses Zieles unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU.
- Instrumente: Art. 127 Abs. 2 AEUV ermächtigt die EZB, Offenmarktgeschäfte durchzuführen und geldpolitische Operationen zu implementieren.
Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung
- Nach Art. 123 AEUV ist die unmittelbare Finanzierung von Staaten und öffentlichen Stellen durch Notenbanken untersagt („Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung“).
- Ankaufprogramme müssen daher so ausgestaltet sein, dass lediglich Käufe am Sekundärmarkt und keine Käufe direkt von öffentlichen Stellen erfolgen.
Rechtliche Rahmenbedingungen im ESZB-Statut
Das ESZB-Statut konkretisiert in Art. 18 ESZB-Statut die Möglichkeit der Zentralbanken, auf den Märkten für Zahlungsmittel kapitalmarktmäßige Aktien und Wertpapiere zu kaufen oder zu verkaufen.
Umsetzung in Richtlinien und Beschlüssen der EZB
Die konkreten Programme der EZB werden durch EZB-Verordnungen, Beschlüsse und Leitlinien ausgestaltet. Diese regeln unter anderem:
- Art und Umfang der zu kaufenden Wertpapiere
- Auswahl- und Ausschlusskriterien (etwa Bonitätsanforderungen)
- Transparenz- und Berichtspflichten gegenüber der Öffentlichkeit und EU-Institutionen
- Begrenzungen in Bezug auf Emittenten und einzelne Länder
Typische Ankaufprogramme – Überblick und rechtliche Besonderheiten
Securities Markets Programme (SMP)
Das 2010 eingeführte Securities Markets Programme erlaubte der EZB erstmals in großem Stil Käufe von Staatsanleihen bestimmer Eurostaaten am Sekundärmarkt. Ziel war die Stabilisierung der Staatsanleihenmärkte während der Eurokrise.
Rechtliche Besonderheiten:
- Rückgriff auf Art. 18 ESZB-Statut und Umsetzung durch Beschluss der EZB
- Strikte Orientierung am Verbot der monetären Finanzhilfe (Art. 123 AEUV)
Outright Monetary Transactions (OMT)
Das 2012 angekündigte OMT-Programm sollte unbegrenzte Käufe von Anleihen krisenbetroffener Staaten ermöglichen, war allerdings an strenge Konditionalität gebunden (bspw. Einhaltung von Hilfsprogrammen der ESM).
Rechtliche Merkmale:
- Beschränkungen: Nur Käufe am Sekundärmarkt, keine direkte Finanzierung von Staatshaushalten
- Kontrolle durch nationale und europäische Gerichte
- Integration in die allgemeine geldpolitische Kompetenz und Sicherung der Preisstabilität
Public Sector Purchase Programme (PSPP)
Das 2015 gestartete PSPP diente ebenfalls dem Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt.
Zentrale Regelungen:
- Klare Definition der Auswahlkriterien für Anleihen
- Festlegung von Emittenten- und Emissionslimiten zur Wahrung marktwirtschaftlicher Grundsätze und Vermeidung von Überdominanz einzelner Staaten
- Expliziter Ausschluss des unmittelbaren Schuldenerwerbs
Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP)
Als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie beschloss die EZB 2020 das PEPP.
Rechtlicher Rahmen:
- Begründung der Maßnahmen mit außergewöhnlichen und unerwarteten makroökonomischen Störungen gemäß Art. 127 und 282 AEUV
- Flexibilität bei der Verteilung der Käufe auf verschiedene Asset-Klassen und Länder
Gerichtliche Kontrolle und Rechtsprechung
EuGH-Entscheidungen
Die Rechtmäßigkeit der Ankaufprogramme der EZB wurde mehrfach vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüft, insbesondere in den Rechtssachen „Gauweiler“ (C-62/14, OMT) sowie „Weiss“ (C-493/17, PSPP).
Kernpunkte der Rechtsprechung:
- Die Programme unterliegen nicht dem Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung, wenn sie auf Sekundärmarktkäufe und eine indirekte Wirkungsweise beschränkt bleiben.
- Die EZB muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen und die Auswirkungen der Ankäufe auf die Wirtschaft und die Mitgliedstaaten berücksichtigen.
Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht
Betreffend das PSPP-Programm erklärte das Bundesverfassungsgericht 2020, der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung hätten nicht ausreichend geprüft, ob die EZB im Rahmen ihres Mandats handelte. Gleichwohl bestätigte auch das höchste deutsche Gericht die grundsätzliche Rechtmäßigkeit unter der Maßgabe ausreichender Kontrolle und Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Transparenz und Rechenschaftspflichten
Die EZB ist verpflichtet, die Kriterien, Ablauf und Wirkungsweise der Ankaufprogramme transparent zu kommunizieren. Hierzu dienen regelmäßige Veröffentlichungen, öffentliche Anhörungen im Europäischen Parlament sowie die jährlichen EZB-Berichte.
Rechtlich verbindliche Maßnahmen gewährleisten die angemessene Information anderer Unionsorgane und der Öffentlichkeit, während operationale Details (etwa Auswahlkriterien und -vorgänge) in einschlägigen EZB-Beschlüssen und Verordnungen geregelt werden.
Fazit
Ankaufprogramme der EZB sind komplexe geldpolitische Instrumente mit weitreichenden wirtschafts- und rechtspolitischen Implikationen. Ihre rechtliche Gestaltung steht im Mittelpunkt unionsrechtlicher sowie nationalrechtlicher Prüfungen. Die Programme erfordern eine sorgfältige Abwägung zwischen geldpolitischen Erfordernissen, dem Schutz vor unzulässiger Staatsfinanzierung und der Gewährleistung demokratischer Kontrolle und Transparenz. Die Ausgestaltung erfolgt im Rahmen des AEUV, des ESZB-Statuts und unter fortlaufender gerichtlicher Kontrolle durch den EuGH und nationale Gerichte.
Häufig gestellte Fragen
In welchem rechtlichen Rahmen erfolgen die Ankaufprogramme der EZB?
Die Ankaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB) bewegen sich innerhalb eines komplexen rechtlichen Rahmens, der durch das Primärrecht der Europäischen Union, insbesondere die Verträge über die Europäische Union (EUV) und die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), vorgegeben ist. Zentrale Grundlage ist Artikel 127 AEUV, wonach die EZB vorrangig die Preisstabilität sicherstellen muss. Zugleich regelt Artikel 123 AEUV das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, was bedeutet, dass die EZB weder unmittelbar noch mittelbar Staatsanleihen direkt von Mitgliedstaaten erwerben darf. Die Ankaufprogramme müssen daher so ausgestaltet sein, dass sie diesem Verbot nicht widersprechen – insbesondere indem Käufe im Sekundärmarkt erfolgen und sich die Programme klar von quantitativer Staatsfinanzierung abgrenzen. Angemessenheit, Transparenz sowie ein Rahmenwerk für die Auswahl der zu erwerbenden Wertpapiere werden in entsprechenden Beschlüssen des EZB-Rates sowie in Richtlinien und technischen Regulierungsstandards detailliert festgelegt. Die Programme unterliegen zudem einer gerichtlichen Kontrolle, insbesondere durch den Europäischen Gerichtshof, welcher die Vereinbarkeit mit EU-Recht bei Beschwerden prüft (z.B. Rechtssache Weiss zum PSPP).
Welche gerichtlichen Überprüfungen erfahren die EZB-Ankaufprogramme?
Vor allem nach der Einführung größerer Ankaufprogramme stand deren Rechtmäßigkeit vielfach vor nationalen und europäischen Gerichten zur Prüfung, insbesondere was die Einhaltung von Art. 123 und 125 AEUV betrifft. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zentrale Programme – wie das Public Sector Purchase Programme (PSPP) – im Jahr 2018 als mit Unionsrecht vereinbar eingestuft, sofern die EZB die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit beachtet und eine strikte Marktneutralität wahrt. Nationale Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht, überprüfen daneben aus dem Blickwinkel der Wahrung der Kompetenzordnung im Verhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten, ob durch die Maßnahmen Ultra-vires-Handlungen vorliegen, das heißt, ob die EZB mit einem Programm ihre Befugnisse überschreitet oder das Verbot der monetären Staatsfinanzierung umgeht. Die gerichtlichen Prüfungen beziehen sich regelmäßig auf Transparenz, Zweckbindung, Auswahlmechanismen und die Wirkungen der Programme.
Welche gesetzlichen Einschränkungen gelten für die Auswahl der erworbenen Vermögenswerte?
Das AEUV und ergänzende Sekundärrechtsakte setzen dem Erwerb von Vermögenswerten spezifische Grenzen. So dürfen insbesondere Staatsanleihen nur am Sekundärmarkt und nach klar festgelegten Kriterien erworben werden, damit kein direkter Ankauf von Mitgliedstaatsschulden erfolgt. Zudem werden Beschränkungen hinsichtlich der Emittentenqualifikation (z.B. Investment-Grade-Rating), Restlaufzeiten, Emissionsvolumina und Höchstanteilen (Emittenten- und Emissionsgrenzen, sog. Issue und Issuer Limits) rechtlich vorgegeben. Die Durchführungsbestimmungen der EZB regeln im Detail, welche Assetklassen und Schuldnerkategorien infrage kommen, um eine Einhaltung unionsrechtlicher Vorgaben sicherzustellen. Bestimmte Wertpapiere, wie solche von Unternehmen mit nachhaltigen Kapitalströmen, können bevorzugt werden, solange dies nicht gegen das Gleichheitsprinzip oder das Wettbewerbsrecht verstößt.
Wie ist die Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht der EZB bei Ankaufprogrammen ausgestaltet?
Die Rechtsetzung der EU sieht insbesondere durch Art. 284 AEUV eine erhöhte Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament vor. Die EZB ist verpflichtet, ausführliche Berichte und Analysen vorzulegen sowie regelmäßige Anhörungen und Fragerunden zu absolvieren. Die rechtliche Verantwortlichkeit der EZB bei Ankaufprogrammen erstreckt sich zudem auf die Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, wobei Kontrollinstanzen wie Rechnungshof oder auch der Gerichtshof der Europäischen Union bei Verdacht auf Kompetenzüberschreitungen oder Verletzungen von Transparenz- und Sorgfaltspflichten angerufen werden können. Darüber hinaus greifen interne Kontrollmechanismen sowie eine umfassende Veröffentlichungspraxis (Reports, Pressemeldungen, technische Hintergrundinformationen).
Wie wirken sich die Grundsätze des AEUV (insb. Vertragstreue und Souveränität) auf die Ausgestaltung von EZB-Ankaufprogrammen aus?
Die Prinzipien der Vertragstreue (Pacta sunt servanda) und der Souveränität der Mitgliedstaaten begrenzen den Handlungsspielraum der EZB maßgeblich. Die Programme müssen gesetzesgetreu ausgestaltet sein und jederzeit den geistigen und formalen Rahmen der Verträge wahren. Eine Verletzung könnte die rechtliche Integrität der EU-Institutionen unterminieren und politische sowie juristische Reaktionen einzelner Staaten hervorrufen. Aus diesem Grund achtet die EZB darauf, dass ihre Ankäufe transparent, marktkonform und nach klaren Regelwerken erfolgen, die zudem regelmäßig justiert und angepasst werden, um einen Missbrauch oder eine Zweckentfremdung in Richtung nationaler Fiskalpolitik zu verhindern.
Welchen Einfluss haben nationale Haushaltsrechte aus verfassungsrechtlicher Sicht auf die Programme?
Insbesondere in Deutschland wurden die Ankaufprogramme im Zusammenhang mit dem Schutz der nationalen Haushaltsautonomie debattiert. Das deutsche Bundesverfassungsgericht stellte in seinem PSPP-Urteil 2020 heraus, dass Maßnahmen der EZB nicht die grundlegende Haushaltsverantwortung des Bundestages unterlaufen dürfen und folglich – sofern Auswirkungen auf nationale Haushalte zu erwarten sind – eine besonders sorgfältige Begründungspflicht sowie eine Ermessensüberprüfung notwendig sind. Die Berücksichtigung nationaler Verfassungsvorgaben bildet somit, ergänzend zum EU-Recht, einen kritischen rechtlichen Prüfstein der Programme, wenngleich das Unionsrecht grundsätzlich Anwendungsvorrang genießt.
Sind Haftungsfragen und etwaige Gläubigerschutzrechte Gegenstand der rechtlichen Betrachtung bei Ankäufen?
Mit jedem Erwerb von Wertpapieren im Rahmen der EZB-Programme werden Haftungsfragen relevant, etwa im Hinblick auf mögliche Verluste aus den Anleihebeständen. Das rechtliche Risiko ist dabei in der Regel durch die Eigentumsübertragung und vertragliche Ausgestaltung begrenzt – die Anleihen werden im eigenen Namen und auf eigenes Risiko der einzelnen nationalen Zentralbanken oder des Eurosystems gehalten. Zudem greift das Prinzip der Nichtbevorzugung: Die EZB besitzt keine vorrangigen Gläubigerrechte gegenüber anderen Investoren (Prinzip der Pari Passu). Die rechtlichen Bestimmungen sehen auch vor, wie in Restrukturierungs- oder Ausfallfällen vorzugehen ist, und schreiben eine angemessene Risikodiversifikation vor, um systemische Schieflagen zu vermeiden.