Begriff und rechtliche Einordnung des Anfangsvermögens
Das Anfangsvermögen bezeichnet das Vermögen einer verheirateten Person zu Beginn der Ehe, vermindert um bestehende Schulden. Es hat zentrale Bedeutung im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, weil es als Ausgangswert für die spätere Berechnung des Zugewinns dient. Vereinfacht gesagt: Es wird festgehalten, womit eine Person in die Ehe startet, um später den während der Ehe erzielten Vermögenszuwachs nachvollziehbar abzugrenzen.
Kernfunktion im Güterrecht
Der Zugewinnausgleich vergleicht Anfangs- und Endvermögen der Ehegatten. Der Unterschied (Zugewinn) wird zwischen den Ehegatten ausgeglichen. Das Anfangsvermögen ist dabei der persönliche Startwert jedes Ehegatten, der sicherstellt, dass bereits vor der Ehe vorhandene Vermögenswerte nicht als während der Ehe erzielter Zuwachs gewertet werden.
Abgrenzung zu Endvermögen und Zugewinn
Das Endvermögen ist das Vermögen zum maßgeblichen Stichtag am Ende der Ehezeit, wiederum vermindert um Schulden. Der Zugewinn ist die positive Differenz zwischen End- und Anfangsvermögen. Ein negatives Anfangsvermögen (z. B. wegen hoher Schulden) ist möglich und wird berücksichtigt; dies kann den rechnerischen Zugewinn erhöhen.
Was gehört zum Anfangsvermögen?
Einbezogene Vermögenswerte
Zum Anfangsvermögen zählen grundsätzlich alle wirtschaftlich verwertbaren Positionen, die einer Person am Tag der Eheschließung gehören, unter anderem:
- Immobilien und Grundstücke
- Bankguthaben, Sparanlagen, Wertpapiere und Fonds
- Unternehmensbeteiligungen, Gesellschaftsanteile und Betriebsvermögen
- Fahrzeuge, wertvolle Gegenstände und Sammlungen
- Forderungen und sonstige Rechte mit Vermögenswert
Haushaltsgegenstände und persönliche Gegenstände sind, soweit sie einen Marktwert besitzen, ebenfalls als Vermögenswerte zu betrachten.
Schulden und negatives Anfangsvermögen
Schulden werden vom Vermögensbestand abgezogen. Dazu gehören etwa Darlehen, Überziehungskredite, Bürgschaften mit werthaltiger Inanspruchnahmewahrscheinlichkeit sowie sonstige Verbindlichkeiten. Übersteigen die Schulden das Vermögen, kann das Anfangsvermögen negativ sein. Ein negatives Anfangsvermögen ist rechtlich zulässig und wirkt sich auf den späteren Vergleich mit dem Endvermögen aus.
Erbschaften und Schenkungen als privilegierte Erwerbe
Besondere Bedeutung haben Zuwendungen, die ein Ehegatte während der Ehe von Dritten erhält, insbesondere Erbschaften und Schenkungen. Diese gelten als dem Anfangsvermögen hinzugerechnete Werte, obwohl sie während der Ehe zufließen. Dadurch werden sie nicht als Zugewinn gewertet. Maßgeblich ist der Wert zum Zeitpunkt des Erwerbs. Spätere Wertsteigerungen dieser privilegierten Positionen gehören hingegen grundsätzlich zum Zugewinn.
Surrogation und Umschichtungen
Wird ein privilegiert erworbener Gegenstand später veräußert und der Erlös in einen anderen Gegenstand investiert, setzt sich die privilegierte Behandlung fort, sofern die Umschichtung nachvollziehbar und wertmäßig zuordenbar ist. Diese Wertersatzkette wird als Surrogation verstanden. Voraussetzung ist die hinreichende Nachverfolgbarkeit des Werteflusses.
Bewertung und Stichtage
Bewertungsmaßstab
Vermögensgegenstände werden mit ihrem wirtschaftlichen Wert am Stichtag angesetzt, üblicherweise nach dem Verkehrswert. Bei Forderungen ist der realisierbare Wert maßgeblich. Schulden werden mit ihrem zum Stichtag bestehenden Saldo berücksichtigt.
Stichtage
- Anfangsvermögen: Tag der Eheschließung.
- Privilegierte Erwerbe (z. B. Erbschaften, Schenkungen von Dritten): Tag des Zuflusses.
- Endvermögen (für den Vergleich): der gesetzlich bestimmte Endstichtag am Ende der Ehezeit.
Kaufkraftanpassung (Inflationsbereinigung)
Zur gerechten Vergleichbarkeit von Anfangs- und Endvermögen wird das Anfangsvermögen auf den Preisstand des Endstichtags umgerechnet. Die Anpassung erfolgt anhand anerkannter Preisindizes. Dadurch wird nicht ein nominaler, sondern ein inflationsbereinigter Vergleich ermöglicht, damit reine Geldentwertung den Zugewinn nicht verzerrt.
Nachweis und Darlegung
Beweislast und Dokumentation
Wer sich auf das Vorhandensein bestimmter Vermögenswerte oder Schulden zum Stichtag beruft, muss dies nachweisen. Gleiches gilt für privilegierte Erwerbe sowie für Surrogationsketten. Können Informationen nicht belegt werden, können Werte unberücksichtigt bleiben oder anders angesetzt werden. Typische Nachweise sind unter anderem Konto- und Depotauszüge, Grundbuchunterlagen, Verträge, Inventarlisten und Bewertungsunterlagen.
Lückenhafte Nachweise und typische Streitpunkte
Häufige Konfliktfelder sind fehlende Stichtagsnachweise, nicht mehr rekonstruierbare Umschichtungen, die Frage der Wertermittlung bei nicht börsennotierten Beteiligungen und die Abgrenzung von Zuwendungen Dritter zu ehebedingten Vermögensverschiebungen. Auch die Bewertung von Nutzungsrechten und die Berücksichtigung strittiger Schulden führen immer wieder zu Auseinandersetzungen.
Besondere Konstellationen
Unternehmensvermögen
Bei Unternehmensanteilen und Betrieben ist regelmäßig eine gesonderte Bewertung erforderlich, die Ertragsaussichten und Marktrisiken berücksichtigt. Stichtagsbezogene Bewertung und spätere Wertentwicklungen sind strikt zu trennen.
Auslandsvermögen und Fremdwährungen
Vermögen im Ausland und in Fremdwährung gehört ebenfalls zum Anfangsvermögen. Es ist zum Stichtag in die inländische Währung umzurechnen und nach den jeweiligen Bewertungsgrundsätzen anzusetzen.
Zuwendungen zwischen Ehegatten
Zuwendungen, die ein Ehegatte dem anderen während der Ehe macht, gelten nicht als privilegierte Erwerbe. Sie erhöhen grundsätzlich das Endvermögen des Empfängers und wirken sich damit auf den Zugewinnausgleich aus, ohne das Anfangsvermögen zu erhöhen.
Vermögensverschiebungen kurz vor der Ehe
Übertragungen oder Verfügungen in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Eheschließung können im Rahmen der Bewertung und bei der Frage der Zuordnung besonders geprüft werden, insbesondere wenn sie ungewöhnlich oder nicht marktüblich erscheinen.
Beispielhafte Einordnung und Berechnung
Eine Person besitzt am Tag der Eheschließung ein Bankguthaben von 20.000 Euro und ein Auto im Wert von 10.000 Euro; es bestehen Darlehensschulden von 5.000 Euro. Das Anfangsvermögen beträgt 25.000 Euro. Erhält dieselbe Person während der Ehe eine Erbschaft von 50.000 Euro, wird dieser Betrag dem Anfangsvermögen als privilegierter Erwerb zugerechnet (Wert zum Zuflusszeitpunkt). Zum Endstichtag werden die Anfangswerte auf den aktuellen Preisstand umgerechnet. Der Zugewinn berechnet sich dann aus dem Vergleich des inflationsbereinigten Anfangsvermögens mit dem Endvermögen; Wertsteigerungen der ererbten Mittel zwischen Zufluss und Endstichtag zählen zum Zugewinn.
Häufig gestellte Fragen zum Anfangsvermögen
Gehören persönliche Gegenstände und Hausrat zum Anfangsvermögen?
Ja. Soweit persönliche Gegenstände und Hausrat einen wirtschaftlichen Wert haben, zählen sie grundsätzlich zum Anfangsvermögen. Sie werden mit ihrem Wert am Tag der Eheschließung angesetzt.
Kann das Anfangsvermögen negativ sein?
Ja. Übersteigen die Schulden am Tag der Eheschließung das vorhandene Vermögen, ist ein negatives Anfangsvermögen möglich. Dies wird bei der späteren Berechnung des Zugewinns berücksichtigt.
Wie werden Erbschaften und Schenkungen während der Ehe behandelt?
Erbschaften und Schenkungen von Dritten, die während der Ehe zufließen, werden dem Anfangsvermögen zugerechnet, und zwar mit dem Wert zum Zeitpunkt des Erwerbs. Spätere Wertzuwächse gehören grundsätzlich zum Zugewinn.
Welche Stichtage sind maßgeblich?
Für das Anfangsvermögen ist der Tag der Eheschließung maßgeblich. Bei privilegierten Erwerben zählt der Tag des Zuflusses. Für den Vergleich mit dem Endvermögen gilt der gesetzliche Endstichtag am Ende der Ehezeit.
Wie erfolgt die Inflationsbereinigung des Anfangsvermögens?
Das Anfangsvermögen wird auf den Preisstand des Endstichtags umgerechnet. Dazu werden anerkannte Preisindizes herangezogen, um die Kaufkraftentwicklung zwischen Beginn und Ende der Ehezeit zu berücksichtigen.
Sind Zuwendungen zwischen den Ehegatten privilegiert?
Nein. Zuwendungen zwischen den Ehegatten während der Ehe erhöhen grundsätzlich das Endvermögen des Empfängers, ohne das Anfangsvermögen zu erhöhen. Sie werden nicht wie Erbschaften oder Schenkungen von Dritten behandelt.
Wie wird ein Unternehmen im Anfangsvermögen bewertet?
Unternehmenswerte werden stichtagsbezogen nach anerkannten Bewertungsgrundsätzen ermittelt. Maßgeblich sind wirtschaftliche Faktoren wie Ertragskraft und Risikoprofil; spätere Wertentwicklungen betreffen den Zugewinn.