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Allgemeines Leistungsstörungsrecht


Allgemeines Leistungsstörungsrecht – Begriff, Grundlagen und Systematik

Das Allgemeine Leistungsstörungsrecht bildet einen zentralen Bestandteil des Schuldrechts im deutschen Zivilrecht. Es stellt die rechtlichen Regelungen für Fälle bereit, in denen die Erfüllung eines Schuldverhältnisses beeinträchtigt, verspätet oder unmöglich ist. Die maßgeblichen Vorschriften finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), insbesondere in den §§ 280 ff. BGB. Das Leistungsstörungsrecht gilt grundsätzlich für vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse, wobei das Allgemeine Leistungsstörungsrecht von den besonderen Leistungsstörungsregeln, etwa im Kaufrecht oder Werkvertragsrecht, zu unterscheiden ist.

Systematische Einordnung des Leistungsstörungsrechts

Das Leistungsstörungsrecht ist ein Oberbegriff für diejenigen Rechtsnormen, die sich mit Störungen der Leistungspflicht innerhalb eines Schuldverhältnisses befassen. Es greift ein, wenn die ordnungsgemäße Erfüllung des Schuldverhältnisses ausbleibt oder beeinträchtigt wird. Das Allgemeine Leistungsstörungsrecht wird vom Besonderen Leistungsstörungsrecht, das bestimmte Vertragstypen betrifft (zum Beispiel Gewährleistungsrecht beim Kauf), abgegrenzt.

Die hauptsächlichen Tatbestände des Leistungsstörungsrechts sind:

  • Unmöglichkeit der Leistung (§§ 275, 326 BGB)
  • Verzug des Schuldners oder des Gläubigers (§§ 286 ff., 293 ff. BGB)
  • Schlechtleistung (Positive Vertragsverletzung, §§ 280 ff. BGB)
  • Verletzung von Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB)
  • Annahmeverzug des Gläubigers (§§ 293 ff. BGB)

Unmöglichkeit der Leistung

Begriff und Arten der Unmöglichkeit

Eine Leistung ist unmöglich, wenn der Schuldner sie dauerhaft nicht erbringen kann (§ 275 Abs. 1 BGB). Dabei unterscheidet das Recht zwischen:

  • Objektiver Unmöglichkeit: Die Leistung kann von niemandem erbracht werden (z.B. ein zerstörtes Einzelstück).
  • Subjektiver Unmöglichkeit: Nur der konkrete Schuldner kann die Leistung nicht erbringen, andere könnten es theoretisch.

Zu unterscheiden ist weiterhin zwischen der anfänglichen Unmöglichkeit (bereits bei Vertragsschluss) und der nachträglichen Unmöglichkeit (tritt erst nach Vertragsschluss ein).

Rechtsfolgen der Unmöglichkeit

Kann die Leistung nicht mehr erbracht werden, entfällt die Leistungspflicht gem. § 275 BGB. Der Gläubiger verliert grundsätzlich seinen Anspruch, der Schuldner wird von der Leistungspflicht befreit. Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere wenn der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat, entstehen jedoch Schadensersatzansprüche des Gläubigers (§§ 280, 283 BGB). Bereits erbrachte Gegenleistungen können nach Maßgabe der §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zurückverlangt werden.

Verzug

Schuldnerverzug

Der Schuldnerverzug ist in § 286 BGB geregelt. Er tritt ein, wenn der Schuldner die Leistung nicht zur fälligen Zeit erbringt, obwohl der Gläubiger die Leistung verlangt und keine rechtliche Einrede besteht.

  • Voraussetzung: Fällige und durchsetzbare Forderung, Mahnung, Leistungsverzug.
  • Rechtsfolgen: Haftungsverschärfung, Ersatz von Verzugsschäden und ggf. Rücktrittsrecht des Gläubigers (§§ 280, 286, 323 BGB).

Gläubigerverzug (Annahmeverzug)

Der Gläubigerverzug ist in den §§ 293 ff. BGB geregelt und liegt vor, wenn der Gläubiger die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht annimmt. Der Schuldner wird dadurch in gewissen Risiken und Pflichten entlastet (Beispiel: Wegfall der Haftung für leichte Fahrlässigkeit, § 300 BGB).

Schlechtleistung und Positive Vertragsverletzung

Grundsatz

Unter Schlechtleistung versteht man die nicht vertragsgemäße Erfüllung der Leistungspflicht, auch bezeichnet als Positive Vertragsverletzung. Dazu zählen unter anderem die Lieferung einer mangelhaften Sache oder eine unsachgemäße Erfüllung der Verpflichtung.

Rechtsfolgen

Für Schlechtleistungen sieht das Allgemeine Leistungsstörungsrecht in § 280 BGB Schadensersatzansprüche vor. Diese setzen grundsätzlich ein Verschulden des Schuldners voraus. Besonderheiten und weitergehende Rechte bestehen im Besonderen Leistungsstörungsrecht einzelner Vertragsarten, wie etwa im Kaufrecht.

Nebenpflichtverletzungen

Neben den Hauptleistungspflichten regelt das Allgemeine Leistungsstörungsrecht auch die Verletzung von Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Hierunter fallen Pflichten zum Schutz, zur Rücksichtnahme und zur Fürsorge. Wird eine Nebenpflicht verletzt, kann ebenfalls ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB entstehen.

Rücktritt, Minderung, Schadensersatz und Aufwendungsersatz

Das Leistungsstörungsrecht stellt dem Gläubiger verschiedene sekundäre Rechte zur Verfügung, um auf die Störung des Schuldverhältnisses zu reagieren:

  • Rücktritt vom Vertrag (§§ 323 ff. BGB): Bei nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung nach Fristsetzung.
  • Minderung (§ 441 BGB): Einschränkung des Leistungsaustauschs bei Dauerschuldverhältnissen oder Kaufverträgen.
  • Schadensersatz (§§ 280 ff. BGB): Bei Verschulden des Schuldners.
  • Aufwendungsersatz (§ 284 BGB): Für vereitelte Aufwendungen im Vertrauen auf den Vertrag.

Verhältnis zum Besonderen Leistungsstörungsrecht

Das Allgemeine Leistungsstörungsrecht gilt subsidiär, wenn kein Besonderes Leistungsstörungsrecht einschlägig ist. Besondere Regelungen finden sich beispielsweise im Kaufrecht (§§ 437 ff. BGB) oder Werkvertragsrecht (§§ 634 ff. BGB) und gehen dann den allgemeinen Vorschriften vor.

Bedeutung und Anwendungsbereich

Das Allgemeine Leistungsstörungsrecht hat eine grundsätzliche Bedeutung für sämtliche Schuldverhältnisse im deutschen Zivilrecht. Durch seine Regelungen werden die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien in Fällen gestörter Vertragsdurchführung umfassend geklärt. Die Vorschriften sollen einen gerechten Interessenausgleich zwischen Gläubiger und Schuldner herstellen und zugleich dazu beitragen, dass Verträge auch unter besonderen Umständen rechtssicher abgewickelt werden können.


Literaturhinweis

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §§ 241, 275-304
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflage
  • Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, aktuelle Auflage

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte stehen dem Gläubiger bei einer Leistungsstörung grundsätzlich zu?

Im deutschen Zivilrecht stehen dem Gläubiger im Falle einer Leistungsstörung, also bei Ausbleiben, Verzögerung oder mangelhafter Erfüllung der geschuldeten Leistung, verschiedene Rechte zu. Zunächst kann der Gläubiger auf der Erfüllung des Vertrages bestehen (§ 241 BGB). Bleibt die Leistung weiterhin aus oder ist mangelhaft, kommen je nach Art der Leistungsstörung spezifische Sekundärrechte in Betracht: Im Falle des Verzugs kann der Gläubiger gemäß § 286 ff. BGB Schadensersatz verlangen, sofern ein Verschulden vorliegt. Bei Unmöglichkeit der Leistung gem. § 275 BGB kann nach § 280, § 283 BGB Schadenersatz statt der Leistung verlangt werden, soweit der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Der Gläubiger kann zudem vom Vertrag zurücktreten (§ 323 BGB), wenn die Voraussetzungen vorliegen, wie etwa eine erfolglose Fristsetzung zur Leistung. Im Falle der Schlechtleistung (mangelhafte Leistung) gelten die Rechte aus § 437 BGB (Nacherfüllung, Rücktritt, Minderung sowie Schadensersatz). Insgesamt kann der Gläubiger also je nach Ausprägung der Leistungsstörung unter anderem auf Erfüllung, Schadensersatz, Rücktritt oder Minderung zurückgreifen, wobei stets die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen zu prüfen sind.

Wann braucht der Gläubiger vor Geltendmachung seiner Rechte eine Fristsetzung, und wie ist diese auszugestalten?

Eine Fristsetzung ist im Leistungsstörungsrecht in der Regel Voraussetzung, bevor der Gläubiger von weiteren Rechten wie Rücktritt oder Schadensersatz statt der Leistung Gebrauch machen kann (§ 323 Abs. 1, § 281 Abs. 1 BGB). Die Frist muss angemessen sein und dem Schuldner unmissverständlich deutlich machen, dass innerhalb dieser Frist die Leistung zu erbringen ist. Die konkrete Dauer hängt von der jeweiligen Art und Schwierigkeit der Leistung sowie den individuellen Umständen ab; der Gesetzgeber macht hierzu keine starren Vorgaben. Die Fristsetzung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, muss aber inhaltlich unzweideutig sein. Ausnahmsweise ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung endgültig und ernsthaft verweigert (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB), bei besonderen Umständen nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB oder wenn eine Frist nach Art des Verpflichtungsgeschäfts entbehrlich ist. Fehlt eine erforderliche Fristsetzung, sind Rücktritt und Schadensersatz (statt der Leistung) regelmäßig ausgeschlossen.

Welche Unterschiede bestehen zwischen Unmöglichkeit und Verzug im Leistungsstörungsrecht?

Die Unmöglichkeit (§ 275 BGB) betrifft die dauerhafte Nichterbringbarkeit einer Leistung, sei es physisch, rechtlich oder faktisch. Sie führt in der Regel dazu, dass die Leistungspflicht des Schuldners entfällt. Der Gläubiger kann dann ggf. Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 1, 3, § 283 BGB) verlangen, sofern der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Der Verzug (§ 286 BGB) hingegen liegt vor, wenn der Schuldner eine eigentlich noch mögliche Leistung nicht rechtzeitig erbringt, obwohl die Leistung grundsätzlich noch erbracht werden könnte. Im Verzugsfall kann der Gläubiger neben Erfüllung auch Ersatz des Verzögerungsschadens verlangen. Es ist zu beachten, dass beim Verzug die Leistungspflicht fortbesteht, während sie bei Unmöglichkeit grundsätzlich erlischt.

Welche Rolle spielt das Verschulden des Schuldners im Leistungsstörungsrecht?

Das Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit, ist im Leistungsstörungsrecht eine zentrale Voraussetzung für Schadensersatzansprüche (§ 280 Abs. 1 BGB). Der Schuldner haftet grundsätzlich, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat; ist also verantwortlich für das Ausbleiben oder die mangelhafte Erbringung der geschuldeten Leistung. Allerdings sieht das Gesetz auch eine Beweislastumkehr vor: Der Schuldner muss im Streitfall gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB darlegen und beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Für Ansprüche auf Erfüllung, Rücktritt oder Minderung bedarf es hingegen grds. keines Verschuldens, wohl aber für Schadensersatz oder den Ersatz vergeblicher Aufwendungen. Das Verschulden kann gemäß vertraglicher oder gesetzlicher Regeln eingeschränkt oder auch ausgeschlossen sein.

Welche Bedeutung kommt dem Annahmeverzug (Gläubigerverzug) im Leistungsstörungsrecht zu?

Der Annahmeverzug des Gläubigers (§§ 293 ff. BGB), auch Gläubigerverzug genannt, hat primär zwei Rechtsfolgen: Einerseits geht die Gefahr des zufälligen Untergangs (§ 300 Abs. 2 BGB) und der Verschlechterung der Leistung auf den Gläubiger über, andererseits entfällt die Haftung des Schuldners für leichte Fahrlässigkeit (§ 300 Abs. 1 BGB). Zudem werden dem Schuldner zusätzliche Rechte eingeräumt, z. B. kann er Ersatz der Mehraufwendungen verlangen, die ihm durch den Annahmeverzug entstehen (§ 304 BGB). Der Schuldner bleibt in diesem Fall zwar weiter leistungspflichtig, die genannten Privilegierungen dienen aber seinem Schutz vor weiteren Nachteilen durch das ausbleibende Mitwirken des Gläubigers.

Inwiefern beeinflusst das Recht zur Selbstvornahme das allgemeine Leistungsstörungsrecht?

Das Recht zur Selbstvornahme (§ 637 BGB) stellt einen wichtigen Sonderfall dar, ist grundsätzlich aber nur bei Werkverträgen normiert. Bei einer mangelhaften Leistung kann der Gläubiger nach erfolgloser Fristsetzung zur Nacherfüllung den Mangel selbst beseitigen (lassen) und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen vom Schuldner verlangen. Im allgemeinen Leistungsstörungsrecht außerhalb des Werkvertragsrechts ergibt sich kein umfassendes Recht zur Selbstvornahme; Abweichendes kann jedoch vertraglich vereinbart werden oder spezialgesetzlich gelten (z. B. Kaufrecht: § 439 Abs. 2 BGB im Kontext der Nacherfüllung). Im Regelfall ist der Gläubiger ansonsten darauf angewiesen, die Leistung zu fordern oder Sekundärrechte geltend zu machen.