Legal Lexikon

Akzidentalien


Begriff und Definition der Akzidentalien

Als Akzidentalien (von lateinisch „accidentalia“ = zufällige Umstände) wird im Recht die Gesamtheit aller vertraglichen Nebenpunkte bezeichnet, die über die gesetzlichen oder wesentlichen Vertragsbestandteile (Essentialia negotii) hinausgehen. Sie sind im deutschen Recht insbesondere im Zivilrecht und Vertragsrecht von Relevanz. Akzidentalien bestimmen die individuellen, von den Parteien vereinbarten Besonderheiten eines Rechtsgeschäfts, ohne jedoch für dessen Zustandekommen zwingend erforderlich zu sein.

Systematische Einordnung der Akzidentalien im Vertragsrecht

Akzidentalien im Verhältnis zu Essentialia Negotii

Ein Vertrag kommt regelmäßig-etwa im Kaufrecht, Mietrecht oder Werkvertragsrecht-durch Einigung über die sogenannten Essentialia negotii zustande. Hierbei handelt es sich um die unabdingbaren Mindestinhalte, etwa Vertragsparteien, Vertragsgegenstand und den Preis. Akzidentalien betreffen ergänzende Modalitäten wie etwa Lieferfristen, Zahlungsmodalitäten, Vertragsstrafen oder Gerichtsstandsvereinbarungen. Das Fehlen oder die Unbestimmtheit von Akzidentalien berührt im Regelfall nicht die Wirksamkeit des Vertrages, sofern die Essentialia negotii feststehen.

Bedeutung für das Zustandekommen und die Auslegung von Verträgen

Akzidentalien wirken sich primär auf die Ausgestaltung und Durchführung eines Vertrages aus. Kommt es zu Streitigkeiten über Inhalt und Reichweite eines Vertrages, können vertraglich bestimmte Akzidentalien maßgeblich für die rechtliche Einordnung und Auslegung (§§ 133, 157 BGB) sein. Insbesondere individuelle Vereinbarungen erhalten dabei Vorrang gegenüber dispositiven gesetzlichen Regelungen. Fehlen vertragliche Regelungen, greifen die gesetzlichen Vorschriften ein, soweit vorhanden und nicht zwingend ausgeschlossen.

Rechtliche Bedeutung und Auswirkungen von Akzidentalien

Vertragsfreiheit und Akzidentalien

Im Rahmen der Privatautonomie steht es den Vertragsparteien offen, die Akzidentalien nach eigenen Interessen zu gestalten. Einschränkungen können sich aus gesetzlichen Verboten, sittenwidrigen Inhalten (§ 138 BGB) oder dem AGB-Recht ergeben. Besonders bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sind Akzidentalien häufig Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen.

Akzidentalien und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Werden Akzidentalien nicht einzeln ausgehandelt, sondern durch vorformulierte Vertragsbedingungen (AGB) festgelegt, unterliegen diese der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Hierbei prüft das Gericht, ob die Akzidentalien wirksam in den Vertrag einbezogen und inhaltlich zulässig sind. Regelungen, die überraschend (§ 305c BGB) oder unangemessen benachteiligend (§ 307 BGB) sind, können für unwirksam erklärt werden.

Akzidentalien im internationalen Privatrecht

Im Kontext grenzüberschreitender Verträge (z.B. UN-Kaufrecht, CISG) können Akzidentalien ebenfalls vereinbart werden. Hier ist besondere Sorgfalt angebracht, da unterschiedliche nationale Rechtsordnungen unterschiedliche Vorgaben zu Auslegung, Erfordernissen und Wirksamkeit von Akzidentalien machen können.

Typische Beispiele für Akzidentalien

Liefer- und Leistungsmodalitäten

Zu den gängigen Akzidentalien zählen:

  • Lieferfrist und -ort
  • Zahlungsbedingungen (z.B. Fälligkeit, Skonto)
  • Eigentumsvorbehalt
  • Vertragsstrafen (Pönalen)
  • Wahl der Erfüllungs- und Zahlungswährung

Sicherheiten und Garantien

Auch die Vereinbarung von Sicherheiten, Bürgschaften und Garantien fallen unter Akzidentalien, sofern sie nicht das Wesen des Vertrages bestimmen.

Gerichtsstand und anwendbares Recht

Ebenfalls werden Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahlklauseln als Akzidentalien verstanden, da diese die gerichtliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Gegenstand haben.

Rechtsfolgen bei Streitigkeiten über Akzidentalien

Ergänzende Vertragsauslegung

Sind Akzidentalien unbestimmt oder fehlen sie, erfolgt eine ergänzende Auslegung nach §§ 133, 157 BGB unter Rückbezug auf den gemeinsamen Parteiwillen. Kommt keine Einigung zustande, tritt hilfsweise die gesetzliche Regelung an deren Stelle.

Unwirksamkeit einzelner Akzidentalien

Sollten einzelne Akzidentalien, etwa durch Verstoß gegen zwingende gesetzliche Vorgaben, unwirksam sein, bleibt grundsätzlich der Restvertrag bestehen (§ 306 BGB). Nur ausnahmsweise kann die Unwirksamkeit zur Gesamtnichtigkeit führen, wenn der Vertrag ohne die betreffende Regelung nicht aufrechterhalten werden kann.

Bedeutung von Akzidentalien im Rechtsalltag

Akzidentalien spielen sowohl beim Abschluss komplexer Verträge – beispielsweise in Handelsverträgen oder im Immobilienrecht – als auch bei alltäglichen Rechtsgeschäften eine zentrale Rolle. Durch individuell angepasste Regelungen können Unsicherheiten und Streitigkeiten vermieden und die jeweiligen Interessenlagen effektiv abgesichert werden.


Dieser Artikel liefert einen umfassenden Überblick über den Begriff der Akzidentalien und deren rechtliche Bedeutung. Die Akzidentalien sind ein zentraler Bestandteil der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeit und gewinnen in der Vertragsauslegung und Streitbeilegung besondere praktische Relevanz.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt ein Akzidentalienstreit im rechtlichen Kontext vor?

Ein Akzidentalienstreit liegt im rechtlichen Kontext vor, wenn sich die Parteien einer juristischen Auseinandersetzung nicht über Akzidenzien, also nebensächliche Umstände oder Begleitumstände eines Rechtsverhältnisses, zwingend einigen können und dieser Streit eine rechtliche Bewertung erfordert. Akzidentalien werden dabei von wesentlichen Merkmalen (Essenzialien) abgegrenzt, etwa im Vertragsrecht von den sogen. essentialia negotii, also den notwendigen Vertragsbestandteilen. Ein Streit über Akzidentalien betrifft somit meist Randbedingungen eines Vertrages, wie etwa Zahlungsmodalitäten, Lieferfristen oder Ausführungsbestimmungen, soweit diese nicht den Kern (das Wesen) des Rechtsgeschäfts berühren. Die Gerichte müssen im Rahmen eines Akzidentalienstreits ermitteln, ob und inwieweit über die streitigen Punkte bereits eine Einigung besteht oder ob eine ergänzende Vertragsauslegung oder Vertragsanpassung erforderlich ist. Für die rechtliche Bewertung ist auch maßgeblich, wie die Parteien den strittigen Sachverhalt nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu verstehen haben.

Welcher rechtliche Maßstab wird zur Beurteilung von Akzidentalienstreitigkeiten herangezogen?

Die Beurteilung, ob es sich bei einer Klausel oder einem Sachverhalt um eine Akzidentalie oder eine Essenzialie handelt, erfolgt anhand des objektiven Empfängerhorizonts, wie er im allgemeinen Vertragsrecht (§§ 133, 157 BGB) entwickelt wurde. Maßgeblich ist dabei, wie eine verständige Partei unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, des Branchenstandards und des Gesamtzusammenhangs des Rechtsgeschäfts die betreffende Nebenabrede verstehen durfte. Dabei wird insbesondere geprüft, ob die Regelung für das Zustandekommen oder die Wirksamkeit des Vertrages unabdingbar ist (Essenzialie) oder ob sie lediglich die Ausgestaltung ohne Auswirkungen auf das Grundverhältnis betrifft (Akzidentalie). Bei Unsicherheiten erfolgt eine ergänzende Auslegung des Vertrages, mit dem Ziel, den hypothetischen Parteiwillen zu ermitteln und Lücken sachgerecht zu schließen.

Welche Rechtsfolgen hat die uneinheitliche Regelung von Akzidentalien im Vertragsschluss?

Wenn Akzidentalien im Rahmen von Vertragsverhandlungen nicht abschließend geregelt oder gar unterschiedlich ausgelegt werden, kann dies rechtlich unterschiedliche Konsequenzen haben. Im Regelfall bleibt der Vertrag als solcher wirksam, sofern Einigkeit über die Essenzialien hergestellt werden konnte. Im Falle eines Streits über Akzidentalien wird die Lücke entweder durch ergänzende Vertragsauslegung gefüllt oder, falls dies nicht möglich ist, durch dispositive Gesetzesregelungen ersetzt. Erst wenn die Parteien auch hinsichtlich der tragenden Vertragsbestandteile (Essenzialia) keine Einigung erzielen, scheitert der Vertragsschluss insgesamt. Die mangelhafte Regelung von Akzidentalien kann insbesondere bei Leistungsstörungen, Schadensersatzansprüchen oder Anpassungen nach § 313 BGB („Wegfall der Geschäftsgrundlage“) relevant werden.

Wie gehen Gerichte typischerweise bei einem Akzidentalienstreit vor?

Gerichte prüfen zunächst, ob im vorliegenden Fall tatsächlich ein Streit über bloße Akzidentalien oder nicht doch über essenzielle Vertragsbestandteile besteht. Sie analysieren hierfür die Korrespondenz, das Verhalten der Parteien und den objektiven Zweck des Rechtsgeschäfts. Es folgt meist eine ergänzende Vertragsauslegung, bei der das Gericht prüft, welchen hypothetischen Willen die Parteien gehabt hätten, wenn sie den Akzidentalien-Umstand bedacht hätten. Maßgeblich sind §§ 133, 157 BGB für den Zivilrechtsbereich, dazu können Hilfskriterien wie Branchenbräuche, Musterverträge und frühere Geschäftsabschlüsse herangezogen werden. Je nach Ergebnis wird die Lücke sachgerecht geschlossen oder die Anwendbarkeit von gesetzlichen dispositiven Vorschriften herangezogen. Nur im Ausnahmefall, etwa bei unüberwindbaren Auslegungshindernissen, kann eine Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des gesamten Geschäfts in Betracht kommen.

Welche Bedeutung haben Akzidentalien im Zusammenhang mit der salvatorischen Klausel?

Die sogenannte salvatorische Klausel dient im deutschen Vertragsrecht häufig dazu, die Wirksamkeit des Vertrages auch bei Nichtigkeit oder Unwirksamkeit einzelner, meist akzidentieller, Bestimmungen zu sichern. Eine solche Klausel bewirkt, dass der übrige Vertrag fortbesteht und die Parteien verpflichten sich grundsätzlich, die betreffende Lücke im Sinne des mutmaßlichen Parteiwillens auszufüllen. Im Kontext von Akzidentalien ist diese Klausel von besonderer Bedeutung, da Streitigkeiten über nebensächliche Bedingungen damit gezielt auf eine ergänzende Regelung oder Durchführung unter Heranziehung branchenüblicher oder gesetzlicher Vorschriften verwiesen werden können. Allerdings kann auch eine salvatorische Klausel nicht helfen, wenn es um die Unwirksamkeit von Essenzialien geht – in solchen Fällen ist der Vertrag in Gänze nichtig.

Wie beeinflussen Akzidentalien die Prüfungsreihenfolge im juristischen Gutachtenstil?

Im Rahmen des Gutachtenstils erfolgt nach der Feststellung des rechtlichen Prüfungsmaßstabs die Unterscheidung zwischen essenziellen und akzidentiellen Vertragspunkten. Akzidentalien finden erst nach der Feststellung des rechtsgeschäftlichen Grundtatbestandes (also der Essenzialien) Beachtung. Im Rahmen der weiteren Ausführung werden sie bei der Prüfung von Wirksamkeitsvoraussetzungen, ergänzender Vertragsauslegung und ggf. im Zusammenhang mit Einwänden wie Störung der Geschäftsgrundlage oder Ansprüchen aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) berücksichtigt. Die explizite Darstellung und Unterscheidung von Akzidentalien ist somit für einen stringent strukturierten Gutachtenstil und die richtige Zuordnung rechtlicher Folgen unerlässlich.

Können Akzidentalien im Nachhinein einseitig geändert werden?

Im Grundsatz können Akzidentalien, weil sie bloße Nebenbedingungen darstellen, nicht ohne Zustimmung aller Parteien einseitig verändert werden. Sie unterliegen, wie sämtliche Vertragsbestandteile, dem Konsensprinzip des Zivilrechts – das heißt, Änderungen bedürfen einer neuen Vereinbarung (modifizierender Konsens). Ausnahmen existieren allenfalls bei gesetzlichen Regelungen, Betriebsvereinbarungen oder Rahmenverträgen mit Änderungsbefugnis. Ebenso können dynamische Verweisungsklauseln oder Anpassungsvorbehalte im Vertrag enthalten sein, die eine einseitige Anpassung unter bestimmten (meist engen) Bedingungen ermöglichen. Liegt eine solche Befugnis nicht vor, führt ein einseitiger Änderungsversuch im Streitfall zur Unwirksamkeit und der ursprüngliche Zustand bleibt verbindlich.