Begriff und rechtliche Einordnung der Agrargenossenschaft
Eine Agrargenossenschaft ist eine genossenschaftlich organisierte Gesellschaftsform im Agrarbereich, deren Zweck die Förderung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit ihrer Mitglieder auf der Grundlage gemeinschaftlichen Wirtschaftens ist. Agrargenossenschaften werden in Deutschland und anderen mitteleuropäischen Staaten vorwiegend in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG) geführt und unterliegen spezifischen gesetzlichen Regelungen. Ihr Ursprung geht auf kooperative Bewegungen in der Landwirtschaft zurück und sie spielen insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern eine bedeutende Rolle.
Rechtsgrundlagen der Agrargenossenschaft
Genossenschaftsgesetz (GenG)
Die zentrale Rechtsgrundlage für Agrargenossenschaften in Deutschland stellt das Genossenschaftsgesetz (GenG) dar. Dieses Gesetz regelt die Gründung, den Betrieb, die Verwaltung und Auflösung von Genossenschaften. Gemäß § 1 GenG ist der Zweck einer Genossenschaft die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb.
Landwirtschaftsrechtliche Vorschriften
Ergänzend zum GenG finden zahlreiche besondere Regelungen des Landwirtschaftsrechts Anwendung. Darunter fallen beispielsweise das landwirtschaftliche Grundstücksverkehrsgesetz, das Flurbereinigungsgesetz und einschlägige Fördergesetze der Agrarpolitik. Hierdurch werden die Strukturen, Eigentumsverhältnisse und förderrechtlichen Aspekte der Agrargenossenschaften teilweise umfassend mitreguliert.
Gründung einer Agrargenossenschaft
Voraussetzungen
Die Gründung einer Agrargenossenschaft setzt mindestens drei Gründungsmitglieder voraus (§ 4 GenG). Die Satzung der Genossenschaft muss notariell beurkundet und beim Genossenschaftsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen werden. Neben landwirtschaftlichen Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben sind auch andere natürliche und juristische Personen als Mitglieder zulässig.
Inhalt der Satzung
Die Satzung muss nach § 6 GenG insbesondere folgende Punkte regeln:
- Firma (Name) und Sitz der Genossenschaft
- Gegenstand des Unternehmens (Zweck, Tätigkeitsschwerpunkte)
- Bestimmungen über Mitgliedschaft und Beiträge
- Organisationsstruktur und Rechte der Mitglieder
- Regelungen zur Gewinn- und Verlustverteilung
Eintragung ins Genossenschaftsregister
Vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit ist die Eintragung ins Genossenschaftsregister erforderlich. Die Eintragung begründet die Rechtspersönlichkeit der Agrargenossenschaft als eingetragene Genossenschaft (eG).
Mitgliedschaft
Arten der Mitgliedschaft
Die Mitgliedschaft in einer Agrargenossenschaft ist freiwillig und durch den Erwerb von Geschäftsanteilen (Pflichtanteilen) charakterisiert. Es sind aktive Mitglieder (landwirtschaftliche Betriebe, die Leistungen in Anspruch nehmen) und passive Mitglieder (ohne aktive landwirtschaftliche Tätigkeit, z. B. Fördermitglieder) zu unterscheiden.
Rechte und Pflichten der Mitglieder
Stimmrecht
In der Regel gilt das Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“, unabhängig von der Anzahl der Geschäftsanteile (§ 43 GenG). In bestimmten satzungsmäßig geregelten Fällen (z. B. bei größeren Genossenschaften) kann von dieser Grundregel abgewichen werden.
Geschäftsanteile und Haftung
Mitglieder sind zur Übernahme von Geschäftsanteilen und ggf. zur Leistung weiterer Einzahlungen (Nachschusspflicht) verpflichtet. Die Haftung der Mitglieder beschränkt sich zumeist auf den Geschäftsanteil, kann satzungsmäßig aber auch erweitert werden.
Beteiligung am Geschäftserfolg
Mitglieder partizipieren am Gewinn der Genossenschaft, vorrangig durch Dividenden, Rückvergütungen oder sonstige Mitgliederförderungen.
Organe der Agrargenossenschaft
Generalversammlung
Die Generalversammlung ist das oberste Willensbildungsorgan der Agrargenossenschaft. Sie entscheidet über Satzungsänderungen, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Verwendung des Jahresüberschusses.
Vorstand
Der Vorstand führt die Geschäfte und vertritt die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich. Seine Bestellung und Abberufung erfolgen durch den Aufsichtsrat.
Aufsichtsrat
Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung des Vorstands und nimmt Kontroll- und Beratungsaufgaben wahr. Die Ausgestaltung der Kompetenzen ist gesetzlich und satzungsmäßig geregelt.
Agrargenossenschaft im Gesellschaftsrecht
Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsformen
Im Unterschied zur Kapitalgesellschaft (wie GmbH oder AG) und zur Personengesellschaft (wie GbR oder KG) steht bei der Agrargenossenschaft die Förderung ihrer Mitglieder im Vordergrund. Sie ist weder auf die Erzielung von Gewinnen für außenstehende Anteilseigner noch für eine Zusammenarbeit bloßer Einzelunternehmer ausgerichtet.
Vermögensordnung
Das Unternehmensvermögen gehört der Genossenschaft als selbstständige Rechtsperson. Im Fall der Liquidation wird das verbleibende Vermögen, vorbehaltlich anderweitiger Satzungsbestimmungen, nach Abzug der Gläubiger an die Mitglieder verteilt.
Steuer-, Förder- und arbeitsrechtliche Aspekte
Steuerrechtliche Behandlung
Agrargenossenschaften gelten grundsätzlich als Körperschaften und unterliegen daher der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer. Besondere Regelungen können für bestimmte landwirtschaftliche Tätigkeiten im Einkommensteuerrecht Anwendung finden.
Förderrecht und Subventionsfragen
Als Zusammenschlüsse landwirtschaftlicher Betriebe profitieren Agrargenossenschaften häufig von öffentlichen Förderprogrammen, etwa aus dem Bereich der EU-Agrarförderung oder Landesförderprogrammen. Die Details richten sich nach jeweils geltenden Subventionsbedingungen und können beispielsweise Umschichtungen von Eigentum oder Bestimmungen zur Produktion und Verarbeitung von Agrarerzeugnissen umfassen.
Arbeitsrechtliche Besonderheiten
Bei Agrargenossenschaften, die als größere Unternehmen fungieren, finden arbeitsrechtliche Vorschriften (u. a. Arbeitszeitgesetz, Mitbestimmungsgesetze) umfassend Anwendung. Die Einbeziehung landwirtschaftlicher Saisonarbeitskräfte oder Leiharbeitnehmer ist gesetzlichen Rahmenbedingungen unterworfen.
Historische Entwicklung und aktuelle Bedeutung
Entstanden sind Agrargenossenschaften aus kooperativen Strukturen zur Stärkung landwirtschaftlicher Produktion. In Ostdeutschland entstanden sie in ihrer heutigen Form insbesondere nach der Wiedervereinigung durch Umwandlung ehemaliger Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG).
Heute sind Agrargenossenschaften ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. Sie tragen zur Sicherung der Nahrungsmittelproduktion, Landschaftspflege und ländlichen Entwicklung bei und spielen auch im Bereich der erneuerbaren Energien eine zunehmende Rolle.
Auflösung und Nachfolge
Die Auflösung einer Agrargenossenschaft unterliegt den Regelungen des Genossenschaftsgesetzes. Gründe können der Verlust des Förderzwecks, wirtschaftliche Notlagen oder die Verschmelzung mit anderen Organisationen sein. Im Auflösungsfall wird ein Liquidator bestellt, der das Vermögen verwertet und nach Begleichung der Verbindlichkeiten an die Mitglieder verteilt.
Literatur und Rechtsprechung
Zur rechtlichen Einordnung und praktischen Umsetzung der Vorschriften existiert eine umfangreiche Fachliteratur. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte bildet eine wichtige Ergänzung zur konsistenten Auslegung der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere bei Streitigkeiten im Bereich der Mitgliederrechte und der Auseinandersetzung im Auflösungsfall.
Hinweis: Der Begriff der Agrargenossenschaft unterliegt einer fortlaufenden Anpassung durch gesetzliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Eine regelmäßige Überprüfung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen ist daher für ein rechtssicheres Handeln im Bereich der Agrargenossenschaften unerlässlich.
Häufig gestellte Fragen
Wie erfolgt die Gründung einer Agrargenossenschaft aus rechtlicher Sicht?
Die Gründung einer Agrargenossenschaft ist im Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelt und erfordert die Zusammenarbeit von mindestens drei Gründungsmitgliedern, die natürliche oder juristische Personen sein können. Zunächst müssen die Gründungsmitglieder eine Satzung erarbeiten, die alle gesetzlich vorgeschriebenen Angaben enthalten muss, darunter den Namen der Genossenschaft, den Sitz, den Gegenstand des Unternehmens, die Art der Mitgliedschaft und wesentliche Bestimmungen zur Geschäftsführung und zur Kontrolle. Die Genossenschaft muss eine Generalversammlung abhalten, in der die Satzung beschlossen und der Vorstand sowie der Aufsichtsrat gewählt werden. Anschließend ist die Genossenschaft in das Genossenschaftsregister beim zuständigen Amtsgericht einzutragen, was ihr erst die volle Rechtsfähigkeit verleiht. Darüber hinaus ist im Genossenschaftsgesetz die Pflicht zur Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch einen genossenschaftlichen Prüfungsverband zu beachten. Für landwirtschaftliche Genossenschaften, die in Form der eingetragenen Genossenschaft (eG) geführt werden, gelten zudem spezielle Vorschriften aus dem landwirtschaftlichen Sonderrecht, wie zum Beispiel dem Gesetz über die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften.
Welche Rechte und Pflichten haben Mitglieder einer Agrargenossenschaft nach deutschem Recht?
Mitglieder einer Agrargenossenschaft genießen umfassende Mitwirkungsrechte, insbesondere das Stimmrecht in der Generalversammlung, das Recht auf Information und Einsichtnahme in Unterlagen sowie das Recht auf Teilnahme an der Gewinnausschüttung nach Maßgabe der Satzung. Die genaue Ausgestaltung der Rechte ergibt sich aus dem Genossenschaftsgesetz sowie der jeweiligen Satzung der Agrargenossenschaft. Zu den wesentlichen Pflichten zählen die Zahlung des Geschäftsanteils, die Erfüllung der eigenverantwortlichen Mitwirkung am Geschäftsbetrieb sowie die Einhaltung der satzungsmäßigen und gesetzlichen Vorgaben. Oft bestehen Pflichtbeiträge, sogenannte Nachschusspflichten, oder die Verpflichtung, sich an Betriebsleistungen in einem definierten Umfang zu beteiligen. Im Falle von Pflichtverletzungen können Mitglieder durch Beschluss der Generalversammlung ausgeschlossen werden, wobei hier strenge formale und inhaltliche Anforderungen an das Verfahren zu beachten sind.
Wie wird die Haftung bei einer Agrargenossenschaft geregelt?
Die Haftung innerhalb einer Agrargenossenschaft richtet sich im Wesentlichen nach den Bestimmungen der Satzung und dem Genossenschaftsgesetz. Grundsätzlich haften die Mitglieder einer eingetragenen Genossenschaft nicht persönlich für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, sondern lediglich mit ihrer Einlage bzw. den in der Satzung vorgesehenen Nachschusspflichten. Die Genossenschaft selbst haftet als juristische Person mit ihrem gesamten Vermögen für ihre Verbindlichkeiten. Für Vorstand und Aufsichtsrat bestehen darüber hinaus besondere Haftungsregelungen: Mitglieder dieser Organe haften bei Pflichtverletzungen, insbesondere bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Fehlverhalten, persönlich gegenüber der Genossenschaft oder Dritten. Die Satzung kann Haftungserleichterungen oder – bei gesetzlicher Beschränkung – zusätzliche Sicherheiten festlegen, soweit dies mit dem Gesetz vereinbar ist.
Welche gesetzlichen Kontroll- und Prüfungsinstanzen gibt es für Agrargenossenschaften?
Agrargenossenschaften unterliegen einer strengen Kontrolle und Prüfung gemäß Genossenschaftsgesetz. Zentrale Kontrollinstanzen sind der Aufsichtsrat, der die Geschäftsführung des Vorstands regelmäßig zu überwachen hat, sowie die Generalversammlung, die jährlich über die Entlastung der Organe beschließt. Zusätzlich besteht die Pflichtmitgliedschaft in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband, welcher in regelmäßigen Abständen (zumindest alle zwei Jahre) gesetzliche Prüfungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und der Vermögenslage vornimmt (§ 53 GenG). Diese Prüfberichte müssen dem Vorstand, dem Aufsichtsrat sowie der Generalversammlung vorgelegt werden und sind eine wichtige Voraussetzung für ein ordnungsgemäßes Funktionieren und die Transparenz der Genossenschaft.
Wie gestaltet sich die Besteuerung von Agrargenossenschaften aus rechtlicher Perspektive?
Agrargenossenschaften sind grundsätzlich körperschaftsteuerpflichtig, wobei sie als eigenständige juristische Personen gelten und mit ihrem gesamten Einkommen der Körperschaftsteuer unterliegen. Unter bestimmten Voraussetzungen können jedoch Sonderregelungen in Anspruch genommen werden, wenn es sich um eine sogenannte „landwirtschaftliche Genossenschaft“ im Sinne der steuerlichen Fördergesetze handelt. Auch Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerpflichten bestehen grundsätzlich, es sei denn, die Genossenschaft erfüllt spezifische Anforderungen für bestehende Ausnahmeregelungen, etwa hinsichtlich des Umfangs der landwirtschaftlichen Urproduktion oder der Veredelung. Besondere Sorgfalt ist bei der steuerlichen Behandlung von Gewinnausschüttungen an Mitglieder geboten, die zum Teil spezifischen Besteuerungsmodalitäten unterliegen, insbesondere im Hinblick auf die körperschaftsteuerliche Erfassung und mögliche Freistellungen gemäß § 8b KStG oder bei Anwendung des genossenschaftlichen Rückvergütungsprinzips.
Wie können Mitglieder aus einer Agrargenossenschaft austreten und welche rechtlichen Folgen hat dies?
Der Austritt eines Mitglieds aus einer Agrargenossenschaft ist im Genossenschaftsgesetz sowie in der Satzung der Genossenschaft geregelt. In der Regel ist eine Kündigung der Mitgliedschaft unter Einhaltung einer satzungsgemäßen Frist zum Ende des Geschäftsjahres möglich; für bestimmte Mitgliedergruppen oder in Einzelfällen können Sonderregelungen vorgesehen werden. Mit dem Austritt erlöschen die Mitgliedschaftsrechte und -pflichten, gleichzeitig besteht Anspruch auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens, das auf Basis des Bilanzwerts nach Abzug von Verlustanteilen berechnet wird. Durch den Austritt entfällt die Nachschusspflicht für neue Verbindlichkeiten, es besteht jedoch eine Nachhaftung für Altverbindlichkeiten bis zu zwei Jahre nach dem Austritt gemäß § 22 GenG. Die genaue Abwicklung ist häufig komplex und unterliegt strengen formalen Anforderungen.
Was passiert bei der Auflösung und Liquidation einer Agrargenossenschaft rechtlich?
Die Auflösung einer Agrargenossenschaft kann durch Beschluss der Generalversammlung, Zeitablauf, Erreichen oder Unmöglichkeit des Erreichens des Genossenschaftszwecks oder durch gerichtliche Entscheidung erfolgen. Nach der Auflösung ist die Genossenschaft in Liquidation, das heißt, sie wird abgewickelt. Die Liquidatoren – in der Regel der Vorstand, sofern nicht anders bestimmt – übernehmen die Abwicklung der laufenden Geschäfte, die Beitreibung von Forderungen und die Begleichung von Verbindlichkeiten. Erst nach vollständiger Befriedigung der Gläubiger wird das verbliebene Vermögen gemäß den Vorschriften der Satzung an die Mitglieder verteilt. Die Liquidation ist im Genossenschaftsregister anzumelden und öffentlich bekannt zu machen. Nach Abschluss der Liquidation wird die Genossenschaft aus dem Register gelöscht. Für Verbindlichkeiten vor der Löschung besteht eine Nachhaftung für ehemalige Mitglieder sowie Vorstände/Aufsichtsräte gemäß den gesetzlichen Vorschriften.