Begriff und Rechtsgrundlage der Änderung der Geschäftsgrundlage
Die Änderung der Geschäftsgrundlage ist ein zentrales Institut des deutschen Zivilrechts und beschreibt Umstände, unter denen die Parteien eines Vertrages mit wesentlichen, ungeahnten Veränderungen im Rahmen ihres Vertragsverhältnisses konfrontiert werden. Die rechtliche Handhabung der Änderung der Geschäftsgrundlage ist in § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt und betrifft insbesondere die Anpassung oder gegebenenfalls die Auflösung eines Vertrags, wenn das ursprüngliche Gleichgewicht der beiderseitigen Leistung und Gegenleistung durch nicht vorhersehbare Ereignisse erheblich gestört wird.
Geschichtliche Entwicklung und Systematik
Historischer Hintergrund
Das Konzept der Änderung der Geschäftsgrundlage wurde ursprünglich von der Rechtsprechung entwickelt, bevor es im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 in das BGB aufgenommen wurde. Ursprünglich diente es dazu, im Interesse der Gerechtigkeit und Billigkeit Korrekturen an Verträgen zu ermöglichen, deren Basis durch unvorhergesehene Ereignisse weggefallen oder schwerwiegend gestört war.
Systematische Einordnung
Die Regelung der Änderung der Geschäftsgrundlage findet sich in den §§ 313 ff. BGB und stellt eine Ausnahme zum Grundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) dar. Sie ist im Abschnitt über die Leistungsstörungen angesiedelt und steht damit im Zusammenhang mit weiteren Vorschriften zur Vertragsanpassung und Vertragsaufhebung, insbesondere beim Wegfall der Geschäftsgrundlage (früher auch als „clausula rebus sic stantibus“ bekannt).
Tatbestand und Voraussetzungen
Geschäftsgrundlage
Unter der Geschäftsgrundlage versteht man die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien über bestimmte, für das Vertragsverhältnis wesentliche Umstände. Diese Umstände müssen von den Parteien bei Vertragsschluss vorausgesetzt worden sein. Die Geschäftsgrundlage kann sowohl tatsächliche als auch rechtliche Verhältnisse oder Erwartungen umfassen.
Änderung und Wegfall der Geschäftsgrundlage
Eine Änderung der Geschäftsgrundlage liegt vor, wenn sich Umstände, die Grundlage des Vertrags geworden sind, nachträglich schwerwiegend verändern oder sich herausstellt, dass wesentliche Vorstellungen der Parteien von vornherein fehlten. Dabei muss die Änderung so gravierend sein, dass die Parteien – hätten sie die Änderung bei Vertragsschluss vorhergesehen – den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen hätten.
Zu den typischen Beispielen zählen außergewöhnliche wirtschaftliche Schwankungen, politische Veränderungen, Naturkatastrophen oder auch unerwartete rechtliche Veränderungen, die das Wertgefüge eines Vertrages grundlegend erschüttern.
Unzumutbarkeit der unveränderten Vertragsfortsetzung
Ein weiterer notwendiger Bestandteil des Tatbestandes ist, dass es einer Vertragspartei nach den Gesamtumständen und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht zugemutet werden kann, am Vertrag festzuhalten. Die bloße Änderung der Geschäftsgrundlage reicht nicht aus; entscheidend ist vielmehr, dass das Festhalten am Vertrag für eine Partei unter Berücksichtigung aller Interessen untragbar wäre.
Kein Vorrang anderer Regelungen
Die Regelung des § 313 BGB kommt nur zur Anwendung, wenn nicht bereits spezifische, auf den Einzelfall anwendbare gesetzliche Vorschriften zur Lösung des Problems existieren. Daher dürfen keine spezielleren gesetzlichen Regelungen entgegenstehen (zum Beispiel bestimmte Rücktrittsrechte).
Rechtsfolgen der Änderung der Geschäftsgrundlage
Anpassung des Vertrags
Sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine Vertragsanpassung verlangt werden. Ziel ist es, das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Äquivalenzverhältnis wiederherzustellen. Die Anpassung kann sämtliche Modalitäten des Vertrags betreffen – etwa Preis, Leistung oder Fristen.
Rücktritt oder Kündigung
Sollte eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder unzumutbar sein, kann die benachteiligte Partei gemäß § 313 Abs. 3 BGB vom Vertrag zurücktreten, während bei Dauerschuldverhältnissen das Recht zur außerordentlichen Kündigung besteht.
Rückabwicklung
Im Falle des Rücktritts oder der Kündigung wird der Vertrag rückabgewickelt, das heißt empfangene Leistungen müssen zurückgegeben oder Wertersatz geleistet werden.
Anwendungsbeispiele und Praxistipps
Typische Fallgestaltungen
- Mietverhältnisse: Unerwartete behördliche Nutzungsuntersagung einer Immobilie.
- Lieferverträge: Explodierende Rohstoffpreise infolge unvorhersehbarer Krisen.
- Dienstleistungsverträge: Massive gesetzliche Änderungen, die die Vertragserfüllung unmöglich oder unzumutbar machen.
Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten
Die Änderung der Geschäftsgrundlage ist von der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) und dem Wegfall einer Willensgrundlage abzugrenzen. Insbesondere entfällt bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit die Leistungspflicht unmittelbar, während bei der Änderung der Geschäftsgrundlage das Hauptaugenmerk auf der gravierenden Verschiebung des Gleichgewichts liegt.
Bedeutung in der Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen
Die Anforderungen an die Anwendung von § 313 BGB werden von der Rechtsprechung restriktiv gehandhabt. Insbesondere in Zeiten von Wirtschaftskrisen – wie etwa während der COVID-19-Pandemie oder bei außergewöhnlich starken Kostensteigerungen – findet das Institut verstärkt Anwendung und wird sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum kontrovers diskutiert.
Zusammenfassung
Die Änderung der Geschäftsgrundlage stellt ein maßgebliches Korrektiv im deutschen Vertragsrecht dar, das in Ausnahmefällen den Ausgleich nachträglicher gravierender Störungen im Vertragsgefüge ermöglicht. Die Vorschrift ist geprägt von hohen Anwendungsanforderungen, dient aber dem Ausgleich unvorhersehbarer und nicht von den Parteien zu vertretender Umstände und trägt damit maßgeblich zur Fairness im Vertragsverhältnis bei.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt eine Änderung der Geschäftsgrundlage im rechtlichen Sinn vor?
Eine Änderung der Geschäftsgrundlage liegt im rechtlichen Sinne vor, wenn sich Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend verändern, die für beide Parteien zur Grundlage des Vertrags geworden sind, ohne dass die Parteien diese Änderung vorhergesehen haben oder voraussehen mussten. Die Geschäftsgrundlage setzt sich aus tatsächlichen oder auch normativen Voraussetzungen zusammen, die für den Geschäftswillen beider Parteien ausschlaggebend waren. Solch eine Änderung muss dazu führen, dass das Festhalten am unveränderten Vertrag für eine Partei nach Treu und Glauben unzumutbar wäre. Dies ist beispielsweise bei politischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Veränderungen, die nicht Vertragsinhalt sind, möglich. Die in § 313 BGB geregelte Störung der Geschäftsgrundlage ist dabei von enger Auslegung, sodass nicht jede nachträgliche Erschwernis oder Wertänderung eine Anpassung rechtfertigt.
Welche rechtlichen Folgen resultieren aus einer Änderung der Geschäftsgrundlage?
Rechtlich führt eine Änderung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB dazu, dass der benachteiligten Partei ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags zusteht. Vorrangig muss versucht werden, durch eine Vertragsanpassung die ursprüngliche Äquivalenz des Vertrages wiederherzustellen und die Interessen beider Parteien auszugleichen. Nur wenn eine Anpassung nicht möglich oder für eine Partei unzumutbar ist, kommt in Ausnahmefällen ein Rücktritt vom Vertrag oder ggf. eine Kündigung in Betracht. Die Gerichte prüfen hierbei stets einzelfallbezogen, ob die Voraussetzungen von § 313 BGB erfüllt sind, und wägen die Interessen der Parteien sorgfältig ab.
Wie unterscheidet sich die Änderung der Geschäftsgrundlage von anderen Leistungsstörungen?
Die Änderung der Geschäftsgrundlage unterscheidet sich von anderen Leistungsstörungen dadurch, dass sie weder eine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB noch eine Störung der Gegenleistung nach § 326 BGB darstellt. Während beispielsweise bei Unmöglichkeit die Leistung an sich faktisch oder rechtlich nicht mehr erbracht werden kann, ist bei der Änderung der Geschäftsgrundlage weiterhin eine Leistung möglich, jedoch unter geänderten Voraussetzungen, deren Akzeptanz nicht mehr zumutbar wäre. Typisch für eine Änderung der Geschäftsgrundlage ist, dass die ursprüngliche Kalkulations- oder Risikoverteilung durch unvorhersehbare Entwicklungen gestört wird, die nicht vom Risikobereich einer Partei getragen werden müssen.
Welche Voraussetzungen müssen für einen Anspruch auf Vertragsanpassung vorliegen?
Für einen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Änderung der Geschäftsgrundlage müssen nach ständiger Rechtsprechung folgende drei Voraussetzungen kumulativ gegeben sein: Erstens muss eine tatsächliche oder normative Geschäftsgrundlage bestanden haben, auf deren Fortbestand zumindest eine Partei vertraut hat. Zweitens muss sich diese Grundlage nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben. Drittens darf der betroffenen Partei das Festhalten am unveränderten Vertrag unter Berücksichtigung aller Umstände und insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung nicht zumutbar sein. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann eine Vertragsanpassung oder in Ausnahmefällen die Auflösung des Vertrags verlangt werden.
In welchen Rechtsgebieten findet das Konzept der Änderung der Geschäftsgrundlage Anwendung?
Das Konzept der Änderung der Geschäftsgrundlage findet insbesondere im Vertragsrecht Anwendung und kann sich auf sämtliche Vertragstypen – etwa Kauf-, Miet-, Werk- oder Dienstverträge – erstrecken. Besonders relevant wurde die Vorschrift in der Rechtsprechung zur Bewältigung außergewöhnlicher Situationen wie beispielsweise Währungsreformen, gravierenden Marktveränderungen oder auch während der Corona-Pandemie. Dennoch ist zu beachten, dass die Anwendung stets subsidiär erfolgt, d. h. sie greift immer nur dann, wenn nicht etwaige abweichende Vereinbarungen der Parteien oder spezielle gesetzliche Regelungen vorrangig sind.
Wie ist die Darlegungs- und Beweislast bei Geltendmachung einer Änderung der Geschäftsgrundlage verteilt?
Die Partei, die sich auf eine Änderung der Geschäftsgrundlage beruft, trägt die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die entsprechenden Voraussetzungen – also Bestehen einer Geschäftsgrundlage, deren nachträgliche Änderung sowie deren konkrete Auswirkungen – tatsächlich vorliegen. Sie muss substantiiert vortragen, welche Umstände Grundlage des Vertrags waren, wie und warum sich diese nachträglich und unvorhersehbar geändert haben und weshalb ihr das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Das Gericht prüft diese Angaben eingehend und nimmt eine umfassende Interessenabwägung beider Vertragsparteien vor.
Welche Unterschiede bestehen zwischen der Änderung der Geschäftsgrundlage und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage vor der Schuldrechtsreform?
Vor der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 wurde der „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ primär durch richterliche Rechtsfortbildung auf Basis des § 242 BGB anerkannt. Erst mit der Einführung des § 313 BGB im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurde das Rechtsinstitut gesetzlich normiert und klar strukturiert. Inhaltlich ist die „Änderung“ weiter als der „Wegfall“ gefasst, da sie nicht nur Fälle vollständigen Entfallens, sondern auch schwerwiegende Veränderungen der Grundlage erfasst. Die Norm kodifiziert zudem präzisere Voraussetzungen und Rechtsfolgen, was zu mehr Rechtssicherheit geführt hat.