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Abgabe einer Willenserklärung

 

Begriff und Bedeutung der Abgabe einer Willenserklärung

Die Abgabe einer Willenserklärung ist ein zentrales Element des deutschen Zivilrechts und bezeichnet den Vorgang, durch den der Erklärende seine rechtsverbindliche Willenserklärung so in den Verkehr bringt, dass der Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge eintritt. Insbesondere ist die Abgabe das verbindliche Äußern des Willens, wodurch eine Rechtsfolge – in der Regel ein Vertrag – ausgelöst werden kann. Die Abgabe ist Vorstufe und notwendige Bedingung für das Wirksamwerden einer Willenserklärung.

Systematische Einordnung und Grundlagen

Willenserklärung im Zivilrecht

Im deutschen Zivilrecht ist die Willenserklärung das fundamentale Element für die Begründung, Änderung oder Beendigung von Rechtsverhältnissen, insbesondere bei Verträgen (§§ 104 ff. BGB). Eine Willenserklärung besteht aus dem inneren Willen und der äußeren Erklärung (objektiver Erklärungstatbestand).

Bedeutung der Abgabe

Die Erklärung allein, etwa im Gedanken, ist noch nicht abgaberelevant. Erst mit der Abgabe beginnt die rechtliche Wirksamkeit. Die Abgabe ist daher von der bloßen Willensbildung und der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Erklärungsempfänger zu unterscheiden.

Voraussetzungen der Abgabe

Abschluss der Willensbildung

Vor Abgabe der Erklärung muss der Erklärende einen auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichteten Entschluss (Handlungswille) gefasst haben.

Äußerung der Erklärung

Die Abgabe erfolgt durch Äußerung gegenüber einer bestimmten oder bestimmbaren Person oder in anderer gesetzlich anerkannter Weise. Die Art der Äußerung hängt von der Form der Erklärung ab.

1. Mündliche Abgabe

Hierbei handelt es sich um die unmittelbare Erklärung gegenüber dem Empfänger, zum Beispiel durch ein Gespräch. Die Abgabe ist vollendet, sobald die Worte geäußert werden und für den Empfänger bestimmt sind.

2. Schriftliche Abgabe

Bei schriftlicher Erklärung ist die Abgabe vollzogen, sobald das Schriftstück mit dem erklärten Willen so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann (sog. Zugang). Dies betrifft insbesondere den Zugang von Willenserklärungen im Sinne von § 130 BGB.

3. Elektronische Abgabe

Im Zeitalter der Digitalisierung gewinnt die elektronische Übermittlung an Bedeutung (z.B. E-Mail, Fax). Auch hier ist die Abgabe mit Absenden der Erklärung und deren gezieltes In-den-Verkehr-Bringen zur Kenntnis des Empfängers abgeschlossen.

Adressierte und nichtadressierte Willenserklärungen

Empfangsbedürftige Willenserklärungen

Empfangsbedürftige Willenserklärungen (§ 130 BGB) werden erst wirksam, wenn sie dem Empfänger zugehen. Klassische Beispiele sind das Angebot oder die Annahme eines Vertrags.

Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen

Eine Ausnahme bilden nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, etwa das Testament (§ 2247 BGB). Hier genügt für die Wirksamkeit die Abgabe – ein Zugang beim Empfänger ist nicht erforderlich.

Zeitpunkt der Abgabe

Die Abgabe ist grundsätzlich erfolgt, wenn der Erklärende alles seinerseits Erforderliche getan hat, sodass unter gewöhnlichen Umständen mit dem Zugang beim Empfänger zu rechnen ist. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines objektiven Dritten der Erklärende seinen Willen so geäußert hat, dass der Erklärungsvorgang als abgeschlossen gilt.

Sonderfälle der Abgabe

Minderjährige und nicht geschäftsfähige Personen

Bei beschränkt geschäftsfähigen Personen (§§ 104 ff. BGB) richten sich Abgabe und Wirksamkeit nach besonderen Normen, etwa der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters.

Stellvertretung

Wird eine Willenserklärung durch eine vertretungsberechtigte Person abgegeben, so gelten dieselben Regeln über Zugang und Abgabe, allerdings mit Wirkung für oder gegen den Vertretenen (§§ 164 ff. BGB).

Wideruf und Rücknahme

Vor oder spätestens gleichzeitig mit dem Zugang beim Empfänger kann die Erklärung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufen werden. Die Abgabe bleibt dennoch Voraussetzung für einen rechtswirksamen Widerruf.

Folgen nicht ordnungsgemäßer Abgabe

Eine nicht ordnungsgemäß abgegebene Willenserklärung entfaltet keine Rechtswirkungen. Fehler bei der Abgabe, etwa durch fehlende Geschäftsfähigkeit, Irrtum oder Täuschung, führen zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit der Erklärung.

Zusammenfassung

Die Abgabe einer Willenserklärung ist ein rechtswirksamer Vorgang, der das äußere In-den-Verkehr-Bringen eines auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichteten Willens bezeichnet. Die Abgabe bildet die Grundlage für das Wirksamwerden vieler Rechtsgeschäfte und unterliegt spezifischen Anforderungen in Bezug auf Form, Zugang und ggf. Empfangsbedürftigkeit. Fehler bei der Abgabe können zu erheblichen rechtlichen Folgen führen und beeinflussen maßgeblich die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften im deutschen Zivilrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche Formvorschriften müssen bei der Abgabe einer Willenserklärung beachtet werden?

Die Formvorschriften für die Abgabe einer Willenserklärung richten sich grundsätzlich nach den jeweils anwendbaren gesetzlichen Regelungen. Im deutschen Zivilrecht gilt der Grundsatz der Formfreiheit, das heißt, Willenserklärungen können grundsätzlich mündlich, schriftlich, konkludent (durch schlüssiges Verhalten) oder sogar durch Schweigen (in Ausnahmefällen) abgegeben werden. Allerdings können gesetzliche Vorschriften, wie etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), oder individuell vereinbarte Formvorschriften abweichende Regelungen vorsehen. So ist für bestimmte Rechtsgeschäfte, wie etwa Grundstückskaufverträge (§ 311b BGB), die notarielle Beurkundung zwingend vorgeschrieben. Auch im Bereich der Bürgschaft ist die Schriftform vorgeschrieben (§ 766 BGB). Wird die vorgeschriebene Form nicht eingehalten, ist die Willenserklärung im Regelfall nichtig. In der Praxis empfiehlt es sich, Willenserklärungen zumindest in Textform (z.B. E-Mail) festzuhalten, um Nachweisprobleme zu vermeiden.

Kann eine Willenserklärung widerrufen werden und unter welchen Bedingungen?

Ein Widerruf einer Willenserklärung ist grundsätzlich möglich, aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Der Widerruf muss dem Erklärungsempfänger spätestens gleichzeitig mit der Willenserklärung zugehen, um Wirksamkeit zu entfalten (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Trifft der Widerruf später ein oder erst nach Zugang der Willenserklärung, bleibt diese zunächst wirksam, es sei denn, es besteht ein gesetzliches Widerrufsrecht, beispielsweise bei Verbraucherverträgen (§§ 355 ff. BGB). Darüber hinaus gibt es gesetzlich verankerte Anfechtungsrechte, etwa bei Irrtum oder Täuschung (§§ 119 ff. BGB). Dabei wird die Willenserklärung rückwirkend (ex tunc) unwirksam. Ein bloß vorsorglich erklärter Widerruf ist unwirksam, soweit schon ein bindender Vertrag zustande gekommen ist.

Welche rechtlichen Folgen hat eine fehlerhafte oder nicht zugegangene Willenserklärung?

Für die Wirksamkeit einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist es erforderlich, dass sie dem Empfänger tatsächlich zugeht (§ 130 BGB). Eine nicht zugegangene Willenserklärung entfaltet keine rechtlichen Wirkungen. Ist die Willenserklärung fehlerhaft, etwa weil sie an einen unzuständigen Empfänger gerichtet wird oder wesentliche Bestandteile fehlen, so gilt sie entweder als gar nicht abgegeben oder ist mangels Bestimmtheit oder Ernsthaftigkeit unwirksam. Weiterhin können Willenserklärungen wegen Formmangels (§ 125 BGB), Geschäftsunfähigkeit des Erklärenden (§ 104 BGB) oder mangelnden Rechtsbindungswillens unwirksam sein. In der Praxis ist der Zugang vor allem dann relevant, wenn Fristen einzuhalten sind oder bei Meinungsverschiedenheiten über den Vertragsabschluss.

Kann die Abgabe einer Willenserklärung durch einen Stellvertreter erfolgen?

Die Abgabe einer Willenserklärung kann grundsätzlich auch durch einen Stellvertreter erfolgen (§ 164 ff. BGB). Voraussetzung ist, dass der Stellvertreter im Namen des Vertretenen handelt (Offenkundigkeit) und im Rahmen einer wirksamen Vertretungsmacht agiert. Die Willenserklärung entfaltet dann unmittelbar Wirkung für und gegen den Vertretenen. Liegt keine Vertretungsmacht vor, so ist die Willenserklärung schwebend unwirksam, bis der Vertretene sie genehmigt (§ 177 BGB). Bei Fehlen der Offenkundigkeit oder bei Eigengeschäften des Vertreters tritt keine Vertretungswirkung ein, sodass nur der Vertreter selbst verpflichtet wird.

Welche Bedeutung hat der Zugang einer Willenserklärung im rechtlichen Kontext?

Der Zugang einer Willenserklärung ist insbesondere bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen von entscheidender Bedeutung. Erst mit Zugang beim Empfänger wird die Willenserklärung wirksam (§ 130 BGB). Zugang bedeutet, dass die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Umständen mit deren Kenntnisnahme zu rechnen ist. Bei Abwesenheit des Empfängers, beispielsweise durch Einwurf in den Hausbriefkasten, gilt die Erklärung als zugegangen, sobald unter normalen Umständen mit deren Kenntnisnahme zu rechnen ist. Der Zugang schützt den Erklärenden und den Empfänger gleichermaßen, da ab diesem Zeitpunkt rechtliche Bindungen entstehen, Fristen zu laufen beginnen und die Erklärung nicht mehr frei widerrufen werden kann.

Unter welchen Umständen kann eine Willenserklärung anfechtbar sein?

Eine Willenserklärung ist anfechtbar, wenn sie bei ihrer Abgabe durch den Erklärenden unter einem erheblichen Irrtum, durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung erfolgt ist (§§ 119, 123 BGB). Ist eine Anfechtung erfolgreich, wird die Willenserklärung rückwirkend (ex tunc) als von Anfang an nichtig betrachtet. Der Anfechtende muss die Anfechtung dem Anfechtungsgegner unverzüglich erklären (§ 121 BGB), sobald er vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Zu unterscheiden sind der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 BGB), bei dem über den Inhalt der Erklärung geirrt wurde, und der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB), bei dem der Erklärende etwas anderes erklärt, als er erklären wollte. Für die versehentliche Übermittlung, etwa durch einen Boten, gilt der Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB). Bei erfolgreicher Anfechtung können im Einzelfall Schadensersatzansprüche des anderen Vertragsteils entstehen, sofern diesem durch die Anfechtung ein Schaden entstanden ist (§ 122 BGB).

Welche Unterschiede gibt es zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen?

Empfangsbedürftige Willenserklärungen werden erst mit Zugang beim Empfänger wirksam, beispielsweise bei einem Vertragsangebot oder einer Kündigung (§ 130 BGB). Deren Wirksamkeit hängt vom Zeitpunkt des Zugangs ab. Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen hingegen werden bereits mit Abgabe wirksam, ohne dass ein Zugang beim Empfänger erforderlich wäre; ein Beispiel hierfür ist das Testament (§ 2247 BGB). Die Unterscheidung ist rechtlich bedeutsam, da die jeweiligen Fristen und Widerrufsmöglichkeiten unterschiedlich geregelt sind und der Erklärende bei empfangsbedürftigen Erklärungen auf den Zugang der Erklärung achten muss.

Welche Rolle spielt der Geschäftswille bei der Abgabe einer Willenserklärung?

Der Geschäftswille, also der Wille, mit der Erklärung tatsächlich eine rechtlich bindende Wirkung herbeizuführen, ist ein zentraler Bestandteil einer wirksamen Willenserklärung. Fehlt dieser, wie etwa bei Scherzerklärungen (§ 118 BGB) oder Absichtserklärungen ohne Rechtsfolgewillen (z.B. Einladungen zu unverbindlichen Verhandlungen), liegt keine rechtlich bindende Willenserklärung vor. In bestimmten Konstellationen, etwa bei der Abgabe im Zustand der Bewusstlosigkeit oder bei Vorliegen einer Willensmängelerklärung, kann die Erklärung unwirksam sein; alternativ besteht ein Anfechtungsrecht. In der Rechtsprechung wird regelmäßig darauf abgestellt, wie die Erklärung aus Sicht eines objektiven Empfängers zu verstehen ist (Empfängerhorizont).