Überblick über die Entscheidung des Landgerichts München zur Online-Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel
Mit Beschluss vom 29. Mai 2024 (Az. 37 O 2040/24) hat das Landgericht München I der Online-Werbung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Gewichtsreduktion erheblich enge Grenzen gesetzt. Gegenstand des Verfahrens war die öffentliche Anpreisung von Semaglutid, besser bekannt unter dem Handelsnamen „Ozempic”, auf Internetseiten eines Versandunternehmens. Die Entscheidung unterstreicht die hohe Relevanz des Heilmittelwerberechts im digitalen Vertriebskontext und weist auf die erheblichen Risiken einer inadäquaten Produktbewerbung hin. Nachfolgend werden die Hintergründe sowie die rechtlichen Kernaspekte der Entscheidung vertieft betrachtet.
Heilmittelwerbegesetz und verschreibungspflichtige Arzneimittel
Anwendungsbereich und Zielsetzung des HWG
Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) normiert strikte Vorgaben für die öffentliche Werbung mit Arzneimitteln. Insbesondere bei verschreibungspflichtigen Präparaten wie Semaglutid wird der Werberahmen durch § 10 Abs. 1 HWG sowie § 12 HWG substantiell beschränkt. Der Gesetzgeber intendiert mit den restriktiven Vorgaben einen besonderen Schutz sensibler Verbraucherinteressen – hierunter fällt der Schutz vor irreführenden, verharmlosenden oder zur Selbstmedikation animierenden Aussagen, gerade bei Präparaten mit erheblichen Nebenwirkungs- und Missbrauchspotenzialen.
Grenzen der Online-Werbung
Im Fokus des Münchner Verfahrens stand die konkrete Gestaltung der Webseiteninhalte. Die Darstellungen waren nach Prüfung des Gerichts evident geeignet, einen medizinisch nicht indizierten Gebrauch bei einem breiten Adressatenkreis zu begünstigen. Neben der Produktpräsentation wurde insbesondere die Bestellung und Versorgung am klassischen Verschreibungsprozess vorbei hervorgehoben. Nach Ansicht der Kammer verlagert dieses Vorgehen bewusste Risiken, die der Gesetzgeber ausdrücklich durch das Zwei-Wege-System (Arzt und Apotheke) adressieren wollte, in den Online-Bereich.
Rechtliche Erwägungen und maßgebliche Wertungen des Gerichts
Irreführungspotenzial und Verbraucherschutz
Für das Landgericht München I stand besonders das erhebliche Potenzial der Irreführung im Vordergrund – sowohl im Hinblick auf die Einsatzgebiete des Präparats als auch im Kontext der niedrigen Zugangshürden. Die Kammer wies in ihrer Entscheidungsbegründung darauf hin, dass bei einer derart präsentierten Bewerbung die Differenzierung zwischen ärztlicher Indikation und Lifestyle-Motivation verwischt werde.
Darüber hinaus lehnte das Gericht die Annahme ab, es handele sich um bloße Sachinformationen zum Arzneimittel. Vielmehr ergebe sich aus der werblichen Aufmachung der Seiten ein einziger Fokus: die Steigerung der Absatzchancen durch gezielte Verbraucherlenkung.
Wettbewerbsrechtliche Konsequenzen
Der Beschluss verdeutlicht zugleich die fortlaufende Relevanz der lauterkeitsrechtlichen Flankierung der heilmittelwerblichen Vorschriften. Wettbewerber und Verbraucherverbände können im Wege des Unterlassungsanspruchs nach §§ 8, 3, 3a UWG gegen einschlägige Verstöße vorgehen. Die Besonderheit des Verfahrens lag unter anderem darin, dass die angesprochene Werbeeinschaltung nicht durch eine klassische Apotheke, sondern durch ein Versandunternehmen erfolgte – dies verdeutlicht die anwachsende Bedeutung des E-Commerce im Arzneimittelmarkt.
Übertragung der Entscheidung auf andere Konstellationen
Zwar betrifft die aktuelle Entscheidung primär das Präparat Semaglutid, doch lassen sich die Erwägungen generalisieren: Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb des zulässigen Rahmens bleibt mit erheblichen Haftungs- und Sanktionsrisiken belegt. Die zunehmende Verlagerung von Vertriebsmodellen und Marketingaktivitäten ins Digitale zwingt Unternehmen zur konsequenten Beachtung der heilmittelwerberechtlichen Vorgaben und zu einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung jeglicher Kommunikationsinhalte.
Ausblick und weiterführende Erwägungen
Bedeutung für Unternehmen und Werbetreibende
Die Entscheidung markiert einen weiteren Meilenstein in der Rechtsprechung zum Heilmittelwerberecht und verdeutlicht, dass die gesetzlichen Werbebeschränkungen auch und gerade im digitalen Kontext uneingeschränkt Anwendung finden. Unternehmen, die Produkte im pharmazeutischen Bereich vertreiben oder bewerben, sollten sich der engen Grenzen bewusst sein – insbesondere, da der Bereich weiterhin im Fokus der Aufsichtsbehörden, Verbraucherorganisationen und Mitbewerber steht.
Hinweis auf laufende Verfahren und Einzelfallbetrachtung
Vor dem Hintergrund laufender Verfahren sowie möglicher weiterer Entwicklungen im Spannungsfeld Arzneimittelvertrieb und Werbung bleibt auf die Unschuldsvermutung, den begrenzten Blickwinkel einer Einzelfallentscheidung und die dynamische Auslegungspraxis hinzuweisen. Die vorliegenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf der veröffentlichten Pressemitteilung des Landgerichts München I (vgl. www.juraforum.de/news/landgericht-muenchen-verbietet-online-werbung-fuer-abnehmspritze_262776).
Abschließend sei angemerkt, dass die vielschichtigen Fragestellungen rund um die rechtlich einwandfreie Produktbewerbung und den digitalen Arzneimittelvertrieb künftige Verfahren und Gesetzesinitiativen prägen werden. Für Unternehmen, Investoren und Privatpersonen, die mit diesen oder vergleichbaren Sachverhalten konfrontiert sind, gewinnt die fundierte rechtliche Einschätzung an Bedeutung. Weitere Informationen und eine individuelle Einschätzung erhalten Sie im Bereich Rechtsberatung im IP-Recht von MTR Legal.