Verhältnis von Probezeit und Befristungsdauer: Dogmatische Klärung im Licht aktueller Rechtsprechung
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 20. März 2024 – 2 AZR 160/24, Quelle: https://urteile.news/BAG_2-AZR-16024_Es-gibt-keinen-Regelwert-hinsichtlich-der-Verhaeltnismaessigkeit-der-Laenge-der-Probezeit-in-Bezug-auf-die-Laenge-eines-befristeten-Arbeitsverhaeltnis~N35526) hat sich erneut mit der Verhältnismäßigkeit der Probezeiten in befristeten Arbeitsverhältnissen auseinandergesetzt und festgestellt, dass kein allgemeingültiger Regelwert für die Länge der Probezeit im Verhältnis zur Dauer eines befristeten Arbeitsvertrags existiert. Die Entscheidung befasst sich mit der rechtsdogmatischen Einordnung der Probezeitvereinbarung innerhalb befristeter Arbeitsverhältnisse und insbesondere mit dem Schutzzweck des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sowie der Befristungskontrolle nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).
Gesetzliche Vorgaben zur Probezeit in befristeten Arbeitsverhältnissen
Regelungssystematik im Arbeitsrecht
Im deutschen Arbeitsrecht bestehen keine spezialgesetzlichen Vorschriften, die die maximale oder minimale Länge einer Probezeit für befristete Arbeitsverhältnisse verbindlich normieren. Gemäß § 622 Abs. 3 BGB kann während einer vereinbarten Probezeit, die längstens sechs Monate dauern darf, das Arbeitsverhältnis mit einer verkürzten Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Diese Vorschrift findet grundsätzlich auch auf befristete Vertragsverhältnisse Anwendung, setzt aber voraus, dass das Kündigungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen wurde.
Schutz der Arbeitnehmenden und das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im Arbeitsrecht verlangt, dass durch einzelvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten – wie in Gestalt der Vereinbarung einer Probezeit – die Rechte von Arbeitnehmenden nicht unangemessen eingeschränkt werden dürfen. Im Kontext befristeter Arbeitsverhältnisse besteht die besondere Gefahr, dass die kombinierte Unsicherheit aus Befristung und verkürzter Kündigungsfrist die soziale Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers beeinträchtigt. Dennoch betont das Bundesarbeitsgericht, dass die Probezeit insoweit kein eigenständiges Übermaßverbot kennt, sondern stets eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall zu erfolgen hat.
Wesentliche Aspekte der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Keine rechtsverbindlichen Maßstäbe zur Verhältnismäßigkeit der Probezeit
Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass kein abstrakt-genereller Prozentsatz oder Regelwert als Obergrenze für das Verhältnis von Probezeit zu Gesamtdauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses existiert. Eine schematische Begrenzung, nach der beispielsweise die Probezeit nur einen bestimmten Bruchteil der Vertragslaufzeit ausmachen darf, wäre mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Vielmehr ist der konkrete Einzelfall entscheidungsleitend.
Maßgebliche Kriterien für die Probezeitbemessung
Das Gericht macht deutlich, dass dem Arbeitgeber grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, wenn er die Eignung des Arbeitnehmers für die Arbeitsstelle bewerten möchte. Bei der Bemessung der Probezeit innerhalb eines befristeten Arbeitsverhältnisses sind insbesondere folgende Faktoren zu berücksichtigen:
- Die Komplexität und Anforderungen der Arbeitsaufgabe
- Die geplante Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses
- Eine etwaig bestehende branchenspezifische Übung
- Die individuellen Interessen der Vertragsparteien
Der Abgleich dieser Parameter muss unter Berücksichtigung der Schutzzwecke von KSchG und TzBfG erfolgen, ohne jedoch zu einem Automatismus in der Beurteilung der Probezeitlänge zu führen.
Befristungskontrolle und Probezeitkündigung
Während die Befristung eines Arbeitsverhältnisses eigenständigen, durch das TzBfG geregelten Wirksamkeitsvoraussetzungen unterliegt, bleibt die Zulässigkeit von Probezeitkündigungen in befristeten Verträgen grundsätzlich unberührt – vorausgesetzt eine Kündigung während der Vertragslaufzeit ist nicht durch tarifliche oder einzelvertragliche Abreden ausgeschlossen. Die Probezeit und das Recht zur Probezeitkündigung stehen daher nebeneinander, ohne sich gegenseitig auszuschließen.
Bedeutung für Unternehmen und Beschäftigte
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkt die Vertragsfreiheit von Unternehmen, unterstreicht jedoch zugleich die Notwendigkeit, bei der Gestaltung von befristeten Arbeitsverträgen und der Vereinbarung von Probezeiten eine sorgfältige Abwägung der Interessen beider Parteien im Blick zu behalten. Für die betriebliche Praxis impliziert dies, dass starre, schematische Regelungen zur Probezeitdauer nicht mit arbeitsrechtlichen Wertungen vereinbar sind und die Angemessenheit stets unter Berücksichtigung der konkreten Vertragsumstände bewertet werden muss.
Einzelfallentscheidungen und Unsicherheiten im Lichte laufender Entwicklungen
Es bleibt deshalb zu erwarten, dass die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Probezeiten und Gesamtdauer befristeter Arbeitsverhältnisse weiterhin einer Einzelfallprüfung unterliegt. Laufende Gerichtsverfahren zu verwandten Sachverhalten können auch künftig zu einer Präzisierung der Maßstäbe führen (es gilt die Unschuldsvermutung; weitere Informationen unter urteile.news). Arbeitgeber und Beschäftigte sollten sich der bestehenden Unsicherheiten bewusst sein und bei der Vertragsgestaltung auf die Vereinbarkeit mit aktueller Rechtsprechung achten.
Für Unternehmen, Investoren und vermögende Privatpersonen, die vertiefende Fragen zur rechtssicheren Gestaltung oder Überprüfung von Befristungen und Probezeiten beschäftigen, steht unter Rechtsberatung im Arbeitsrecht weiteres Informations- und Beratungsangebot zur Verfügung.