Maßgeblichkeit des E-Mail-Zugangs im Geschäftsverkehr: Neue Weichenstellung durch den Bundesgerichtshof
Die Bedeutung des elektronischen Kommunikationsverkehrs hat in den vergangenen Jahren in sämtlichen Wirtschaftsbereichen stetig zugenommen. Vor diesem Hintergrund kommt der Frage, wann eine per E-Mail übersandte Erklärung als dem Empfänger im Geschäftsverkehr zugegangen gilt, eine erhebliche rechtliche Tragweite zu. Mit Beschluss vom 27. Juni 2024 hat der Bundesgerichtshof (Az.: VII ZR 89/21) zentrale Grundsätze zum Zugangszeitpunkt von E-Mails im Unternehmenskontext klargestellt und damit die Rechtssicherheit für handelnde Akteure gestärkt. Diese neue Rechtsprechung verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie Einfluss auf die Strukturierung alltäglicher Geschäftsabläufe und den Risikohorizont bei der Übermittlung rechtserheblicher Erklärungen ausübt.
Grundsätze des Zugangs: Definition und Voraussetzungen
Rechtlicher Rahmen für Erklärungen mittels elektronischer Post
Nach ständiger Rechtsprechung benötigt eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die über elektronische Kommunikationswege übermittelt wird, für ihren Zugang beim Empfänger das Vorhandensein der Erklärung im Machtbereich des Empfängers. Dies bedeutet, dass der Empfänger unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme haben muss. Im Anwendungsbereich von E-Mails als Kommunikationsmittel sind hierunter insbesondere die Fälle zu verstehen, in denen eine E-Mail auf dem Mailserver des Empfängers gespeichert und für diesen abrufbereit ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt bei E-Mails
Der BGH präzisiert in seiner Entscheidung, dass der Zugang einer E-Mail im Geschäftsverkehr jedenfalls dann angenommen werden kann, wenn die betreffende E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem vom Empfänger genutzten Mailserver zur Verfügung gestellt wird. Die bloße Übertragung auf den Server außerhalb der Geschäftszeiten genügt hingegen nicht, um einen unmittelbaren Zugang zu bewirken. Erst mit Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs, also zu Beginn der nächsten Geschäftszeiten, tritt der Zugang rechtlich ein.
Elektronischer Geschäftsverkehr: Auswirkungen auf Vertragsschlüsse und Fristen
Praktische Auswirkungen für Unternehmen
Die Klarstellung des Zugangszeitpunkts hat für Unternehmen erhebliche Konsequenzen im Hinblick auf die Fristenberechnung und den rechtssicheren Versand zeitkritischer Erklärungen. Die dispositive Wirkung dieser Rechtsprechung erstreckt sich etwa auf Kündigungen, Rücktrittserklärungen, Fristsetzungen, aber auch auf den Zugang von Vertragsangeboten oder Annahmebeurkundungen. Das Risiko verspäteter Zugänge, etwa durch technische Störungen, verbleibt dabei grundsätzlich beim Empfänger, sofern die E-Mail in dessen digitalen Machtbereich gelangt ist.
Schutz der Interessen beider Parteien
Der BGH stellt mit seiner Entscheidung eine faire Ausbalancierung der Interessen von Absender und Empfänger sicher. Während der Absender nicht dafür einzustehen hat, ob und wann der Empfänger die E-Mail tatsächlich abruft, wird dem Empfänger zeitlich begrenzt – nämlich während der Geschäftszeiten – die Möglichkeit verschafft, die Erklärung zu Kenntnis zu nehmen. Außerhalb dieser Zeiträume verschiebt sich der Zugang auf den nächstmöglichen Zeitpunkt, was das Risiko einer „Überrumpelung“ des Empfängers reduziert.
Technische Rahmenbedingungen und Risiken
Bedeutung des Empfangsbereitschaft für Unternehmen
Mit der Auslegung des Zugangs knüpft der BGH an den objektiven Maßstab der Empfangsbereitschaft eines gewöhnlichen Geschäftsbetriebs an. Unternehmen sind daher gut beraten, den dauerhaften und zuverlässigen Betrieb ihrer Mailserver sicherzustellen und Störungen, die zu verzögerten Zugängen führen könnten, zu minimieren. Auf individuelle Arbeitszeiten oder Abwesenheiten kommt es hingegen für die Zugangsfiktion nicht maßgeblich an.
Berücksichtigung technischer Übermittlungswege
Die Entscheidung verdeutlicht, dass für die Zugangsbestimmung die technische Verfügbarkeit auf dem Empfänger-Mailserver ausschlaggebend ist, nicht jedoch beispielsweise die Benachrichtigung auf Endgeräten oder das tatsächliche Lesen der Nachricht. Dies unterstreicht die Verpflichtung zur regelmäßigen Überwachung des geschäftlichen E-Mail-Verkehrs sowie die Bedeutung klar definierter Geschäftszeiten.
Einordnung und Ausblick
Diese Entscheidung des BGH schafft neuen Maßstab für Unternehmen hinsichtlich der Planung und Dokumentation von Kommunikation über E-Mail im Geschäftsverkehr. Die Übermittlung rechtserheblicher Erklärungen erlangt damit eine erhöhte Vorhersehbarkeit und erlaubt die Anpassung interner Prozesse an den aktuellen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Quellenangabe: Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2024, Az.: VII ZR 89/21, abrufbar unter https://urteile.news/BGH_VII-ZR-89521_Zugang-einer-E-Mail-im-Geschaeftsverkehr-mit-abrufbereiter-Zurverfuegungstellung-auf-Mailserver-des-Empfaengers-innerhalb-der-Geschaeftszeiten~N34117.
Für Unternehmen, Investoren und vermögende Privatpersonen kann angesichts der Komplexität elektronischer Kommunikation eine rechtssichere Gestaltung von Erklärungsübermittlungen sowie das proaktive Risikomanagement im Hinblick auf den Zugang von E-Mails von hoher Bedeutung sein. Wer zu diesem Thema Unterstützungsbedarf hat oder sich zu den Implikationen der Entscheidung einen individuellen Überblick verschaffen möchte, kann mit MTR Legal Rechtsanwälte einen geeigneten Ansprechpartner finden.