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Zusammentreffen mehrerer Straftaten


Begriff und Grundlagen des Zusammentreffens mehrerer Straftaten

Unter dem Zusammentreffen mehrerer Straftaten wird im deutschen Strafrecht das Vorliegen mehrerer rechtlich selbstständiger Straftaten verstanden, die durch eine oder mehrere Handlungen eines Täters verwirklicht werden. Die rechtliche Behandlung dieses Zusammentreffens ist in den §§ 52 bis 55 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt und stellt ein zentrales Thema im Bereich der Strafzumessung und der Strukturen strafbaren Verhaltens dar. Ziel der Regelungen ist, eine sachgerechte und verhältnismäßige Sanktionierung bei mehrfach qualifiziertem strafrechtlichem Unrecht zu gewährleisten.

Das Zusammentreffen mehrerer Straftaten ist insbesondere für die Bildung der Strafe, die sogenannte „Strafenkonkurrenz“, von Bedeutung. Unterschieden wird hierbei grundsätzlich zwischen der Tatmehrheit (Realkonkurrenz) und der Tateinheit (Idealkonkurrenz).

Arten des Zusammentreffens mehrerer Straftaten

Tateinheit (§ 52 StGB)

Tateinheit, auch als Idealkonkurrenz bezeichnet, liegt vor, wenn der Täter durch eine Handlung mehrere unterschiedliche Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Beispiel hierfür wäre das gleichzeitige Beleidigen und Körperverletzen einer Person in einem Handlungsakt. Die Tateinheit ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Unrechtsgehalte und Rechtsverletzungen verschiedener Straftatbestände überschneiden.

Strafzumessung bei Tateinheit:
In Fällen idealkonkurrierender Straftaten verhängt das Gericht für die begangenen Delikte eine Einzelstrafe. Anschließend wird aus den infrage kommenden Strafrahmen die Strafe dem Maß der Gesamtstraftat entsprechend bestimmt (§ 52 Abs. 2 StGB). Das Gericht orientiert sich dabei jeweils am Strafrahmen des schwersten Gesetzes, erhöht jedoch die Strafe unter Berücksichtigung der gesamtstrafrechtlichen Bewertung.

Tatmehrheit (§ 53 StGB)

Tatmehrheit, auch Realkonkurrenz genannt, liegt vor, wenn mehrere rechtlich selbständige Handlungen mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzen. Ein Beispiel ist das Begehen mehrerer Diebstähle an verschiedenen Tagen. Für jedes Delikt liegt eine eigene Handlung vor, jedoch werden diese Taten in einem Verfahren bewertet.

Strafzumessung bei Tatmehrheit:
Bei Tatmehrheit werden für jede Tat Einzelfreiheits- oder Geldstrafen gebildet. Das Gericht bestimmt dann gemäß § 53 Abs. 2 StGB eine Gesamtfreiheitsstrafe oder eine Gesamtgeldstrafe durch Zusammenziehung der Einzelstrafen nach den Grundsätzen der sogenannten Gesamtstrafenbildung.

Gesetzeskonkurrenz

Neben Tateinheit und Tatmehrheit existiert die Gesetzeskonkurrenz. Hier liegt eine Sonderkonstellation vor: Beispielsweise verdrängt ein Tatbestand den anderen (sogenannte Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion), sodass insoweit nur nach einer Vorschrift bestraft wird. Gesetzeskonkurrenz führt dazu, dass nur auf eine Strafe erkannt wird, selbst wenn mehrere Sachverhaltsaspekte von mehreren Tatbeständen erfasst werden.

Arten der Gesetzeskonkurrenz

  • Spezialität: Der speziellere Tatbestand verdrängt den allgemeineren.
  • Subsidiarität: Der subsidiäre Tatbestand tritt zurück, solange ein Haupttatbestand erfüllt ist.
  • Konsumtion: Ein umfassender Tatbestand „konsumiert“ die mitvollzogenen Begleitdelikte.

Rechtsfolgen des Zusammentreffens mehrerer Straftaten

Gesamtstrafenbildung

Die zentrale prozessuale Konsequenz ist die Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 54, 55 StGB). Hierbei werden die Strafen der einzelnen Taten unter Berücksichtigung von Schuld, Unrecht und Gesamtwürdigung zu einer angemessenen Strafe zusammengezogen. Dabei bildet die höchste Einzelstrafe die Untergrenze; die Gesamtstrafe darf das höchste Maß nicht um mehr als das Angemessene übersteigen.

Rechtswirkung für das Strafverfahren

Im Strafverfahren müssen sämtliche Delikte, die bis zur letzten Tatsacheninstanz festgestellt werden, in die Gesamtstrafenbildung einfließen. Wird nach Rechtskraft für eine vorher nicht abgeurteilte Tat nochmals verurteilt, erfolgt in der Regel eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB).

Besonderheiten bei der Strafzumessung

Verhältnis zu verfahrensrechtlichen Prinzipien

Die zutreffende rechtliche Bewertung des Zusammentreffens mehrerer Straftaten hat erhebliche Bedeutung:

  • Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem): Für dasselbe Verhalten darf keine Strafverfolgung bzw. Bestrafung mehrfach erfolgen.
  • Akkumulationsprinzip vs. Asperationsprinzip: Im deutschen Strafrecht wird das Asperationsprinzip angewendet; das bedeutet, die schwerste Strafe wird unter Erhöhung durch die weiteren Taten zu einer Gesamtstrafe ausgestaltet.

Auswirkungen auf Nebenfolgen

Nebenstrafen und Nebenfolgen (z.B. Entziehung der Fahrerlaubnis, Berufsverbote) können im Falle mehrerer zusammentreffender Straftaten kumulativ angeordnet werden, sofern die Voraussetzungen für jede einzelne Tat erfüllt sind.

Abgrenzungsfragen und praktische Bedeutung

Die korrekte Einordnung als Tatmehrheit, Tateinheit oder Gesetzeskonkurrenz ist häufig komplex und von der Interpretation des Einzelfalles abhängig. Insbesondere in Fällen von Dauerdelikten, Unterlassungsdelikten oder fortgesetzten Handlungen sind genaue Abgrenzungen erforderlich.

Die Behandlung des Zusammentreffens mehrerer Straftaten ist praktisch wichtig, um sowohl dem Schuldgrundsatz als auch dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung zu tragen und die gleichmäßige Anwendung des Strafrechts zu sichern.

Internationale Vergleiche

Auch in anderen Rechtssystemen ist das Problem des Zusammentreffens mehrerer Straftaten präsent, wird jedoch teils abweichend geregelt. Während im angloamerikanischen Recht häufig das Kumulative („Accumulation of Sentences“) Prinzip gilt, folgt das deutsche Recht der Gesamtstrafenbildung.

Literatur und weiterführende Informationen

Für Vertiefungen zum Thema Zusammentreffen mehrerer Straftaten werden die Kommentierungen zu §§ 52-55 StGB sowie Handbücher zum Strafrecht empfohlen, um die Einzelheiten und Besonderheiten der konkurrierenden Strafbestände und -folgen detailliert nachzuvollziehen.


Dieser Beitrag bietet eine umfassende Darstellung der rechtlichen Behandlung des Zusammentreffens mehrerer Straftaten im deutschen Strafrecht und dient als vertiefende Informationsquelle für die Einordnung und die praktische Anwendung einschlägiger Normen.

Häufig gestellte Fragen

Wie werden im deutschen Strafrecht mehrere gleichzeitig verwirklichte Straftaten rechtlich behandelt?

Im deutschen Strafrecht ist geregelt, wie mehrere Straftaten, die von einer Person begangen werden, behandelt werden. Dabei ist maßgeblich zwischen Tateinheit (§ 52 StGB) und Tatmehrheit (§ 53 StGB) zu unterscheiden. Tateinheit liegt vor, wenn durch eine Handlung oder durch eine Handlungseinheit mehrere Straftatbestände verwirklicht werden. In diesem Fall wird auf eine Gesamtstrafe erkannt, die sich nach dem schwersten Strafrahmen richtet, der verwirklichten Delikte, welcher dann jedoch angemessen erhöht werden kann. Tatmehrheit hingegen besteht, wenn eine Person mehrere selbstständige Straftaten durch mehrere Handlungen begeht. Hierbei werden ebenfalls die einzelnen Strafen zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen, diese darf jedoch die Summe der Einzelstrafen nicht übersteigen und darf eine bestimmte Obergrenze nicht überschreiten. Die Bildung der Gesamtstrafe nach beiden Prinzipien richtet sich nach komplexen Regeln des Strafgesetzbuches, wobei der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten angemessen berücksichtigt wird.

Welche Auswirkung hat das Zusammentreffen mehrerer Straftaten auf die Strafzumessung?

Das Zusammentreffen mehrerer Straftaten beeinflusst die Strafzumessung im Rahmen der Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 52, 53 StGB. Die Gerichte müssen ermitteln, welches Delikt die höchste Strafandrohung vorsieht und diesen Strafrahmen zur Basis nehmen. Danach wird bei Tateinheit eine angemessene Erhöhung vorgenommen, während bei Tatmehrheit eine Gesamtstrafe durch Zusammenziehen der Einzelstrafen gebildet wird. Entscheidend ist, dass der Schuldgehalt und die Schwere jeder einzelnen Tat gewürdigt und das Gesamtbild des Täterverhaltens berücksichtigt wird. Straferhöhungen oder Milderungen sind in Ausnahmefällen möglich, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (z.B. besonders schwere Fälle). Darüber hinaus muss das Gericht sicherstellen, dass die Strafe insgesamt schuldangemessen ist und sowohl den Unrechtsgehalt der Taten als auch ihre Wechselwirkungen beachtet werden.

Was passiert, wenn einzelne Delikte eine Sonderregelung für das Zusammentreffen mit anderen Straftaten vorsehen?

Einzelne Straftatbestände enthalten Sonderregelungen für das Zusammentreffen mit anderen Delikten, sogenannte Qualifikationen oder Strafschärfungen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das Gesetz selbst auf eine spezielle Konkurrenz abstellt (wie bei Raub mit Todesfolge oder beim besonders schweren Diebstahl). In solchen Konstellationen regeln Spezialvorschriften, wie das Zusammentreffen rechtlich zu bewerten ist, z. B. ob der Qualifikationstatbestand hinter dem Grunddelikt zurücktritt oder eine kumulative Bestrafung erfolgt. Ferner kann es sein, dass bei bestimmten Delikten eine Gesetzeskonkurrenz eintritt und somit nur das schwerste Delikt geahndet wird. Im Ergebnis verdrängen diese Sonderregelungen teilweise die allgemeinen Konkurrenzregeln der §§ 52, 53 StGB.

Wie bestimmt das Gericht, ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt?

Die Abgrenzung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit erfolgt anhand der strafrechtlichen Handlungseinheit bzw. Handlungmehrheit. Maßgeblich ist, ob die Handlungen des Täters eine natürliche oder rechtliche Handlungseinheit bilden. Natürliche Handlungseinheit liegt vor, wenn mehrere Handlungen so zusammenhängen, dass sie als ein einheitlich zusammengefasstes Geschehen erscheinen (z.B. mehrere Schläge in einem fortlaufenden Streit). Rechtliche Handlungseinheit setzt meist voraus, dass durch die Handlung mehrere Schutzgesetze gleichzeitig verletzt werden (klassisches Beispiel: Eine Handlung verwirklicht Körperverletzung und Sachbeschädigung zugleich). Liegen dagegen mehrere, voneinander unabhängige Handlungen vor – z. B. ein Diebstahl am Montag und eine Körperverletzung am Dienstag -, liegt Tatmehrheit vor. Das Gericht nimmt diese rechtlich bedeutsame Abgrenzung für jede Einzeltat gesondert vor.

Gibt es Fälle, in denen eine Straftat bei Zusammentreffen mit anderen Delikten zurücktritt oder nicht mehr eigenständig bestraft wird?

Ja, dies ist im Rahmen der sogenannten Gesetzeskonkurrenz möglich. In manchen Fällen enthält das Gesetz speziellere Tatbestände, die als lex specialis Anwendung finden. Das bedeutet, dass ein speziellerer Straftatbestand den allgemeinen verdrängt („Spezialität“), oder mehrere Straftatbestände in einem Delikt vollständig aufgehen und daher nur das schwerwiegendere Delikt geahndet wird („Konsumtion“). Ebenso kann von einer Straflosigkeit einzelner Taten ausgegangen werden, wenn diese mitbestraft sind („mitbestrafte Vortat oder Nachtat“). Solche Bewertungskategorien werden insbesondere dann herangezogen, wenn die sachliche Besonderheit eines Deliktes durch einen umfassenderen Tatbestand abgebildet wird.

Wie wirkt sich das Zusammentreffen mehrerer Straftaten auf Nebenstrafen oder Nebenfolgen aus?

Beim Zusammentreffen mehrerer Straftaten erstreckt sich die Entscheidung über Nebenstrafen (zum Beispiel Fahrverbot (§ 44 StGB), Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB)) sowie Nebenfolgen (wie Verfall oder Einziehung) auf alle betroffenen Delikte. Die Nebenstrafen können grundsätzlich für jede einzelne Tat verhängt werden. Das Gericht ist gehalten, bei der Gesamtstrafenbildung auch die Verhängung und den Umfang von Nebenstrafen und Nebenfolgen zu prüfen und im Urteil nachvollziehbar zu begründen. Es ist möglich, dass mehrere Nebenstrafen zu einer einzelnen zusammengefasst werden oder nebeneinander Bestand haben, je nach Art und Schwere der abgeurteilten Straftaten.

Kann eine bereits rechtskräftig abgeurteilte Tat noch Teil einer Gesamtstrafe für weitere Straftaten werden?

Dies ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ist eine Tat bereits rechtskräftig abgeurteilt, kann sie nicht mehr in eine neue Gesamtstrafe einbezogen werden („Verbot der Nachtragsgesamtsstrafenbildung“). Jedoch gibt es das Institut der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 460 StPO), durch die Taten, über die in verschiedenen Verfahren entschieden wurde, zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen werden können, solange keiner der Urteile in Rechtskraft erwachsen ist oder im Rahmen eines Nachtragsverfahrens eine Verbindung möglich ist. Die Einzelheiten sind dabei streng gesetzlich geregelt, um die Rechtssicherheit und das Vertrauensschutzprinzip des Beschuldigten zu wahren.