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Zivilsachen


Begriffsbestimmung und Einordnung von Zivilsachen

Zivilsachen bezeichnen im deutschen Recht sämtliche Verfahren, die vor den Zivilgerichten nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) geführt werden und privatrechtliche Streitigkeiten zwischen natürlichen oder juristischen Personen betreffen. Sie bilden einen grundlegenden Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit, deren Hauptaufgabe die Entscheidung über Rechte und Pflichten im Bereich des Privatrechts ist.

Abgrenzung zu anderen Rechtssachen

Zivilsachen unterscheiden sich eindeutig von Strafsachen, welche strafrechtliche Verfehlungen zum Gegenstand haben und von Strafgerichten behandelt werden. Zudem werden sie von öffentlich-rechtlichen Verfahren (Verwaltungs-, Finanz- und Sozialrechtssachen) abgegrenzt. Die maßgebliche Abgrenzung erfolgt nach dem Charakter des streitigen Rechtsverhältnisses: Es handelt sich um eine Zivilsache, wenn das geltend gemachte Recht auf privatrechtlichen Normen, insbesondere Vorschriften aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), Handelsgesetzbuch (HGB) oder anderen Nebengesetzen des Zivilrechts beruht.

Gesetzliche Grundlagen

Zivilprozessordnung (ZPO)

Die maßgeblichen Vorschriften zur Durchführung von Zivilsachen finden sich überwiegend in der Zivilprozessordnung (ZPO). Sie regelt das gerichtliche Verfahren bei Streitigkeiten aus dem Zivilrecht sowie die Zuständigkeit und Organisation der Zivilgerichte.

Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)

Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) definiert in § 13 den Begriff der Zivilsachen, indem es alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Angelegenheiten als Zivilsachen klassifiziert, für die nicht eine andere Gerichtsbarkeit (wie zum Beispiel das Verwaltungsgericht, Sozialgericht oder Finanzgericht) zuständig ist.

Arten und Anwendungsbereiche

Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten

Zivilsachen erfassen sämtliche bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, darunter:

  • Vertragsrecht: Streitigkeiten aus Kauf-, Miet-, Werk-, Dienst- und Leasingverträgen
  • Sachenrecht: Auseinandersetzungen über Eigentum, Besitz oder Nutzungsrechte an Sachen
  • Deliktsrecht: Schadenersatzansprüche bei unerlaubten Handlungen
  • Familienrecht: Verfahren zu Ehesachen, Scheidung, Unterhalt, Sorgerecht (vorwiegend vor den Familiengerichten)
  • Erbrecht: Streitigkeiten über Erbfolge, Pflichtteilsansprüche, Testamentsauslegung

Handelssachen

Ein besonderer Bereich der Zivilsachen betrifft Handelssachen (§ 95 GVG). Hierzu zählen Streitigkeiten zwischen Kaufleuten, welche durch spezielle Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten behandelt werden.

Arbeitsrechtliche Zivilsachen

Obwohl arbeitsrechtliche Streitigkeiten materiell unter das Privatrecht fallen, werden diese in gesonderten Verfahren vor den Arbeitsgerichten nach dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) behandelt. Rechtstechnisch gelten sie als Zivilsachen im weiteren Sinne, werden aber institutionell von der Arbeitsgerichtsbarkeit bearbeitet.

Prozessuale Besonderheiten

Klagearten und Anträge

Im Zivilprozess werden unterschiedliche Klagearten unterschieden, insbesondere:

  • Leistungsklage (z.B. auf Zahlung)
  • Feststellungsklage (Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses)
  • Gestaltungsklage (z.B. Anfechtung einer Willenserklärung)

Jeder Zivilprozess ist grundsätzlich auf die Verwirklichung oder Durchsetzung privater Rechte ausgerichtet. Die Parteien sind im Zivilprozess gleichberechtigt und tragen die Verantwortung für die Darstellung und Substantiierung ihres Vorbringens.

Verfahrensgang

Das Verfahren in einer Zivilsache beginnt regelmäßig mit Erhebung der Klage vor dem sachlich und örtlich zuständigen Gericht. Es schließt sich ein strukturiertes schriftliches und mündliches Verfahren an, das mit einem Urteil, einem Vergleich oder einer sonstigen Erledigung endet. Das Verfahren ist durch die Verhandlungsmaxime, den Grundsatz der Parteiendisposition und das Prinzip der Gleichstellung der Beteiligten geprägt.

Rechtsmittel

Gegen Entscheidungen der Zivilgerichte stehen unterschiedliche Rechtsmittel zur Verfügung, etwa Berufung und Revision. Die Voraussetzungen und die Zulässigkeit der Rechtsmittel ergeben sich aus der ZPO und den jeweiligen Instanzenregelungen.

Zuständigkeit und Gerichtsorganisation

Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht

Zivilsachen werden, abhängig vom Streitwert und der Art des Verfahrens, vor verschiedenen Instanzen der ordentlichen Gerichte ausgetragen:

  • Amtsgericht: Streitigkeiten mit einem Wert bis zu 5.000 Euro, bestimmte Familiensachen, Wohnraummiete
  • Landgericht: Zivilstreitigkeiten mit einem Wert über 5.000 Euro, spezielle Handelssachen, Berufungsinstanz gegen erstinstanzliche Urteile der Amtsgerichte
  • Oberlandesgericht: Berufung und Revision gegen Urteile der Landgerichte

Spezielle Zivilkammern

Bei den Landgerichten bestehen besondere Kammern für Handelssachen sowie Spezialzuständigkeiten für bestimmte Rechtsgebiete, etwa im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes oder Kartellrechts.

Internationale und grenzüberschreitende Zivilsachen

Im Zeitalter internationaler Handelsbeziehungen spielen grenzüberschreitende Zivilsachen eine zunehmende Rolle. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Zivilgerichte richtet sich nach europarechtlichen und völkerrechtlichen Normen, etwa der Brüssel Ia-Verordnung und dem Lugano-Übereinkommen. Bei solchen Fällen sind auch Fragen der internationalen Rechtshilfe, der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile relevant.

Bedeutung von Zivilsachen in der Rechtspraxis

Zivilsachen bilden den größten Teil der Rechtsprechung im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Sie gewährleisten die Durchsetzung privater Rechte, tragen zur Rechtssicherheit bei und sind ein unabdingbarer Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Durch die gerichtliche Klärung privatrechtlicher Streitigkeiten wird ein geordneter Interessenausgleich im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben ermöglicht.

Fazit

Zivilsachen umfassen sämtliche privatrechtlichen Streitigkeiten, die in einem gerichtlichen Verfahren vor den Zivilgerichten ausgetragen werden. Ihre Regelungen sind zentral für das Funktionieren eines effektiven Rechtsschutzes im Zivilrecht, sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext. Das Verständnis der Struktur, der prozessualen Abläufe und der rechtlichen Einordnung von Zivilsachen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Anwendung und Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche.

Häufig gestellte Fragen

Wann kann vor deutschen Zivilgerichten geklagt werden?

Vor deutschen Zivilgerichten kann grundsätzlich immer dann geklagt werden, wenn zwischen Privatpersonen, Unternehmen oder sonstigen nicht-staatlichen Rechtsträgern Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche bestehen. Zivilsachen umfassen insbesondere Streitigkeiten aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), wie beispielsweise Vertragsrecht, Deliktsrecht, Sachenrecht sowie Familien- und Erbrecht (mit Ausnahme von notariellen Angelegenheiten). Klagebefugt sind dabei alle natürlichen oder juristischen Personen, die eine Verletzung oder Gefährdung von ihnen zustehenden Rechten geltend machen wollen. Für eine erfolgreiche Klage muss eine sogenannte Klagebefugnis sowie ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Voraussetzung ist auch, dass der Fall keiner ausschließlichen Zuständigkeit der Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- oder Finanzgerichte unterfällt. In den meisten Fällen ist zudem vor Einleitung der Klage ein erfolgloser Versuch erforderlich, den Streit außergerichtlich – etwa mittels Mahnverfahren oder Schlichtung – zu klären.

Welche Gerichte sind in erster Instanz für Zivilsachen zuständig und wie wird die Zuständigkeit bestimmt?

Die Zuständigkeit der Gerichte in Zivilsachen richtet sich nach dem Streitwert und dem Streitgegenstand. Für die meisten zivilrechtlichen Verfahren mit einem Streitwert bis zu 5.000 Euro sind die Amtsgerichte (§ 23 GVG) zuständig. Unabhängig vom Streitwert entscheiden sie außerdem über Mietstreitigkeiten bezüglich Wohnraum, Familiensachen (insbesondere Ehescheidung, Unterhalt, Sorgerecht) und bestimmte andere Rechtsgebiete (zum Beispiel Ehewohnung und Hausrat). Liegt der Streitwert über 5.000 Euro oder handelt es sich um spezielle Fälle wie Streitigkeiten zwischen Kaufleuten aus Handelsgeschäften, ist das Landgericht erste Instanz. Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof sind für Berufungen, Revisionen oder Spezialmaterien wie Kartellrecht zuständig. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in der Regel nach dem Wohnsitz des Beklagten (§§ 12 ff. ZPO).

Wie läuft ein Zivilprozess in Deutschland typischerweise ab?

Ein Zivilprozess in Deutschland gliedert sich in verschiedene Verfahrensabschnitte: Zunächst wird die Klage beim zuständigen Gericht eingereicht, in der die Forderung sowie der zugrunde liegende Sachverhalt dargelegt werden. Anschließend wird die Klage dem Gegner (Beklagten) zugestellt. Es folgt oft ein schriftliches Vorverfahren, in dem der Beklagte zur Klage Stellung nehmen kann. In einem frühen Termin zur mündlichen Verhandlung oder nach richterlicher Anordnung versucht das Gericht regelmäßig, einen Vergleich zwischen den Parteien herbeizuführen. Scheitert dies, wird der Sachverhalt durch Beweisaufnahme, etwa durch Zeugenvernehmung oder Sachverständigengutachten, geklärt. Am Ende steht das Urteil, das auf Antrag mit einer Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann. Das Verfahren ist grundsätzlich geprägt vom Beibringungsgrundsatz, d.h. die Parteien müssen die für ihren Anspruch erheblichen Tatsachen und Beweise vortragen.

Welche Kosten entstehen in Zivilsachen und wer trägt diese?

Im Zivilprozess fallen mehrere Kostenarten an: Gerichtskosten, Anwaltskosten und gegebenenfalls Kosten für Sachverständige oder Zeugen. Die Gerichtskosten richten sich nach dem Streitwert und werden durch das Gerichtskostengesetz (GKG) berechnet. Die Anwaltskosten richten sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Grundsätzlich gilt der Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten des gesamten Verfahrens trägt (§ 91 ZPO), einschließlich der Anwaltskosten der Gegenseite und der Gerichtskosten. Bei Teilunterliegen werden die Kosten entsprechend anteilig verteilt. Parteien mit geringem Einkommen können unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe beantragen.

Welche Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes gibt es im Zivilprozess?

Im Zivilrecht existieren verschiedene Formen des einstweiligen Rechtsschutzes. Am wichtigsten sind die einstweilige Verfügung und der Arrest. Der Arrest dient der Sicherung von Geldforderungen, während die einstweilige Verfügung in allen anderen Fällen ergeht, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§§ 935, 940 ZPO). Der Antragsteller muss sowohl einen Verfügungsanspruch (die materielle Rechtsposition) als auch einen Verfügungsgrund (Eilbedürftigkeit, Gefahr im Verzug) glaubhaft machen. Ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung läuft in der Regel verkürzt ab; das Gericht trifft schneller eine Entscheidung und kann in dringenden Fällen auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der Gegenseite entscheiden.

Wann ist ein Urteil in Zivilsachen rechtskräftig und was bedeutet das?

Ein Urteil wird rechtskräftig, wenn es nicht mehr durch ordentliche Rechtsmittel (Berufung oder Revision) angefochten werden kann oder eine Anfechtung ausgeschlossen ist (§ 705 ZPO). Die Rechtskraft bedeutet, dass der Streitgegenstand des Urteils zwischen den Parteien endgültig verbindlich entschieden ist und aus dem Urteil vollstreckt werden kann. Bis zur Rechtskraft bleibt die Möglichkeit bestehen, gegen das Urteil Berufung oder – in bestimmten Konstellationen – Revision einzulegen. Mit Eintritt der Rechtskraft ist das Verfahren beendet und eine erneute Klage mit demselben Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien unzulässig (ne bis in idem im Zivilrecht).

Welche Pflichten haben die Parteien im Zivilprozess?

Im Zivilprozess trifft die Parteien insbesondere die Pflicht, ihren Vortrag vollständig und wahrheitsgemäß zu machen (Wahrheitspflicht, § 138 ZPO) und auf gerichtliche Hinweise oder Anordnungen ordnungsgemäß zu reagieren (Mitwirkungspflichten). Sie müssen alle maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel vorbringen, da das Gericht im Zivilprozess nicht verpflichtet ist, von Amts wegen Nachforschungen anzustellen (Beibringungsgrundsatz). Unterlassene oder verspätete Angaben und Beweismittel können von der Berücksichtigung ausgeschlossen werden (Präklusion). Die Parteien tragen darüber hinaus das Risiko, dass sie für ihre Behauptungen Beweise liefern können (Beweislastregelungen).