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Wucherisches Rechtsgeschäft


Begriff und Definition des wucherischen Rechtsgeschäfts

Das wucherische Rechtsgeschäft ist ein zivilrechtlicher Begriff, der sich im deutschen Recht mit der Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften beschäftigt, bei denen eine Partei auf sittenwidrige Weise einen auffälligen Missbrauch ihrer Überlegenheit zum Nachteil der anderen Partei betreibt. Diese Geschäftsform unterliegt nach den einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einer besonderen rechtlichen Kontrolle und ist regelmäßig nach § 138 Absatz 2 BGB nichtig.

Gesetzliche Grundlage

§ 138 BGB – Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher

Die Regelung über das wucherische Rechtsgeschäft ist in § 138 Absatz 2 BGB geregelt. Dort heißt es:

Ein Rechtsgeschäft ist insbesondere nichtig, wenn jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Die Vorschrift dient dem Schutz schwächerer Vertragsparteien vor Ausnutzung durch überlegenere Vertragspartner. Über § 138 Absatz 1 BGB kann ein wucherähnliches, also ein möglicherweise nicht alle Tatbestandsmerkmale des § 138 Absatz 2 BGB erfüllendes Geschäft, ebenfalls für nichtig erklärt werden, sofern eine Sittenwidrigkeit vorliegt.

Tatbestandsmerkmale des wucherischen Rechtsgeschäfts

1. Zwei korrespondierende Leistungen

Das wucherische Rechtsgeschäft setzt zunächst ein synallagmatisches Austauschverhältnis voraus, in dem beiden Parteien eine Leistung und eine Gegenleistung schulden.

2. Auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung

Kernbestandteil eines wucherischen Rechtsgeschäfts ist das „auffällige Missverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wird ein solches Missverhältnis regelmäßig dann angenommen, wenn der Wert der versprochenen oder gewährten Leistung den Wert der Gegenleistung um etwa 100 % übersteigt, d.h. doppelt so hoch ist.

3. Persönliche Schwächesituation des Benachteiligten

Das Ausnutzen einer besonderen Schwächesituation des Benachteiligten ist konstitutiv. Als auszunutzende Schwächen werden im Gesetz folgende aufgezählt: Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen sowie erhebliche Willensschwäche.

a) Zwangslage

Eine Zwangslage liegt vor, wenn der Betroffene durch äußere oder innere Umstände an seiner freien Willensbildung und Entschließung gehindert wird (z. B. existenzielle finanzielle Not).

b) Unerfahrenheit

Unerfahrenheit bedeutet das Fehlen von Kenntnissen oder Erfahrungen auf dem betreffenden Gebiet, sodass die betroffene Person die Tragweite der Geschäftsbedingungen nicht richtig abschätzen kann.

c) Mangel an Urteilsvermögen

Gemeint ist die eingeschränkte Fähigkeit, die Tragweite und Bedeutung des Geschäfts zu begreifen, ohne dass eine Geschäftsunfähigkeit nach § 104 BGB angenommen werden muss.

d) Erhebliche Willensschwäche

Diese setzt eine weitgehende Labilität oder Entscheidungsunfähigkeit voraus, die nicht alters- und gewöhnungsgemäß erklärbar ist, sondern pathologisch sein oder auf außergewöhnlichen Umständen beruhen kann.

4. Kenntnis und Ausbeutung durch den Begünstigten

Der Begünstigte muss die Schwächesituation des anderen erkennen und diese bewusst zu seinem Vorteil nutzen. Eine bloße Kenntnis reicht nicht, vielmehr muss zielgerichtet ausgenutzt werden.

Rechtsfolgen des wucherischen Rechtsgeschäfts

Nichtigkeit

Die unmittelbare Rechtsfolge eines wucherischen Rechtsgeschäfts ist gemäß § 138 Absatz 2 BGB die absolute Nichtigkeit. Dies bedeutet, dass das Geschäft von Anfang an unwirksam ist und keine vertraglichen Pflichten entstehen.

Rückabwicklung

Im Rahmen der Rückabwicklung nichtiger Rechtsgeschäfte finden in der Regel die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) Anwendung. Derjenige, der auf Grundlage des nichtigen Geschäfts Leistungen empfangen hat, muss diese zurückgewähren.

Anpassung des Vertrags („Teilnichtigkeit“)

Kommt es bei einem Vertrag nur zu einer Teilnichtigkeit, weil nur einzelne Klauseln wucherisch sind, kann nach § 139 BGB der gesamte Vertrag nichtig sein, sofern nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre.

Abgrenzung: Wucherähnliche und sittenwidrige Rechtsgeschäfte

Nicht jeder Fall eines eklatanten Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung stellt einen Wucher dar. Fehlt das subjektive Ausbeutungselement oder eine persönliche Schwächesituation, kann dennoch eine Nichtigkeit aus § 138 Absatz 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit gegeben sein (so genannter „wucherähnlicher Tatbestand“).

Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB

Ein Geschäft kann auch dann sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn es ohne persönliche Ausbeutungssituation und ohne subjektives Element allein wegen eines besonders groben Missverhältnisses, in Verbindung mit weiteren Umständen, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.

Anwendungsbeispiele und Praxisrelevanz

Typische Anwendungsfälle

Wucherische Rechtsgeschäfte kommen insbesondere vor bei:

  • Verbraucherkrediten mit überhöhten Zinsen
  • Mietverträgen, deren Mietzins das ortsübliche Maß weit übersteigt
  • Kaufverträgen, beispielsweise im Zusammenhang mit unseriösen Haustürgeschäften oder strukturschwachen Märkten

Rechtsprechung und Beweislast

Die Rechtsprechung verlangt grundsätzlich einen substantiierten Vortrag zur Schwächesituation und zur Kenntnis des Begünstigten. Die Beweislast liegt beim Anfechtenden, die Kenntnis der Ausbeutung muss in der Regel bewiesen werden.

Internationaler Vergleich

Der Begriff und die Ausgestaltung des wucherischen Rechtsgeschäfts ist nicht auf das deutsche Recht beschränkt. In anderen Ländern existieren vergleichbare Institute, wie etwa das usury im anglo-amerikanischen Recht, welches vor allem im Kreditrecht zu finden ist. Die deutsche Regelung zeichnet sich durch die besondere Betonung des Ausbeutungsmerkmals aus.

Verhältnis zu anderen Vorschriften

Verbraucherschutzrecht

Wucherische Rechtsgeschäfte überschneiden sich häufig mit dem Bereich des Verbraucherschutzrechts (z. B. Preiswucher, verbotene Klauseln nach AGB-Recht).

Strafrechtlicher Wucher (§ 291 StGB)

Ergänzend zur zivilrechtlichen Nichtigkeit eines wucherischen Rechtsgeschäftes kann der Tatbestand des strafrechtlichen Wuchers gemäß § 291 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt sein, sofern der Ausnutzer vorsätzlich handelt.

Zusammenfassung

Das wucherische Rechtsgeschäft stellt einen Schutzmechanismus des deutschen Zivilrechts dar, der es ermöglicht, Verträge, die unter Ausnutzung persönlicher oder wirtschaftlicher Schwächesituationen und in krassem Leistungsgefälle zustande gekommen sind, für nichtig zu erklären. Es dient dem Ausgleich der sozialen Gerechtigkeit im Privatrecht und findet in der Praxis häufige Anwendung vor allem im Bereich finanzieller und wirtschaftlicher Transaktionen. Die klare Definition und konsequente Durchsetzung dieser Norm tragen zur Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs und zum Schutz schutzbedürftiger Parteien im Wirtschaftsleben bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsfolgen hat ein wucherisches Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 2 BGB?

Ein wucherisches Rechtsgeschäft ist gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig. Dies bedeutet, dass das Rechtsgeschäft von Anfang an (ex tunc) keine rechtlichen Wirkungen entfaltet. Die Nichtigkeit tritt kraft Gesetzes und automatisch ein, sodass keine gesonderte Anfechtung erforderlich ist. Wer sich auf die Nichtigkeit beruft, kann verlangen, dass empfangene Leistungen nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) herausgegeben werden. Dabei ist zu beachten, dass neben Rückabwicklung des Geschäfts auch das Rückgewährschuldverhältnis entsteht. Zudem können unter Umständen weitere zivilrechtliche oder sogar strafrechtliche Folgen drohen, etwa wenn der Wucher als Straftat nach § 291 StGB eingestuft werden kann.

Wie wird das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung festgestellt?

Die Feststellung eines wucherischen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung erfolgt nach objektiven Maßstäben. Zunächst wird der objektive Verkehrswert der gegenseitigen Leistungen festgestellt, etwa durch Vergleich mit marktüblichen Preisen oder Konditionen. Ein Wucher liegt in der Regel vor, wenn der Wert der Gegenleistung mindestens um 100 Prozent (also doppelt so hoch) über dem der eigenen Leistung liegt, wobei die Gerichte in der Praxis bereits erhebliche Missverhältnisse ab etwa 50 Prozent als Indiz einbeziehen. Ein bloßes Ungleichgewicht genügt jedoch nicht; es muss eine Auffälligkeit vorliegen, die nach der Verkehrsauffassung als sittenwidrig erachtet wird. Für die Bewertung sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich.

Welche subjektiven Voraussetzungen erfordert der Tatbestand des Wuchers?

Neben dem objektiven Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung verlangt § 138 Abs. 2 BGB auch subjektive Voraussetzungen. Der Begünstigte muss sich eine Zwangslage, Unerfahrenheit, erhebliche Willensschwäche oder eine erhebliche geistige Beeinträchtigung des Benachteiligten zunutze machen. Es reicht dabei nicht aus, dass solche Umstände lediglich vorgelegen haben; der Begünstigte muss diese erkannt und bewusst zur eigenen Vorteilsausnutzung ausgenutzt haben (sog. Ausbeutungselement). Das subjektive Element unterscheidet den Wucher von anderen Fällen der Sittenwidrigkeit, in denen es allein auf ein besonders grobes Missverhältnis ankommt, wie beispielsweise bei sog. „wucherähnlichen“ Geschäften gemäß § 138 Abs. 1 BGB.

Besteht ein Anspruch auf Rückzahlung erbrachter Leistungen bei Nichtigkeit wegen Wuchers?

Wird ein Rechtsgeschäft wegen Wuchers für nichtig erklärt, sind beiderseits bereits erbrachte Leistungen gemäß den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückzugewähren. Der Geschädigte kann verlangen, dass erbrachte Zahlungen zurückgezahlt oder herausgegeben werden. In bestimmten Konstellationen, etwa bei Dauerschuldverhältnissen wie Kreditverträgen, ist die Rückabwicklung besonders komplex; hier werden typischerweise Nutzungen und gezogene Zinsen mit in die Berechnung einbezogen. Besonderheiten gelten zudem, wenn das empfangene Gut oder die erbrachte Leistung nicht mehr herausgegeben werden kann; dann tritt Wertersatz gemäß § 818 BGB ein.

Können auch Verträge zwischen Unternehmern (B2B) als wucherisch eingestuft werden?

Grundsätzlich ist § 138 Abs. 2 BGB nicht auf Verbraucher-Verträge beschränkt; auch Geschäfte zwischen Unternehmern (B2B) unterliegen dieser Norm. Allerdings ist die Anwendung in der Praxis strenger, da Unternehmer regelmäßig als geschäftserfahrener gelten und daher ein Missverhältnis oft schwerer zu begründen ist. Dennoch ist der Wucher auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr möglich, insbesondere wenn eine Seite ihre wirtschaftliche Überlegenheit gezielt gegen eine akut in Not geratene Gegenseite ausnutzt oder erhebliche Willensschwächen beziehungsweise Unerfahrenheiten (zum Beispiel bei Neugründungen) bestehen. Einzelfallentscheidungen sind hier häufig.

Welche Rolle spielen AGB bei wucherischen Rechtsgeschäften?

Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung enthalten oder darauf abzielen, die Schwächesituation eines Vertragspartners auszunutzen, können ebenfalls sittenwidrig und damit nichtig sein. Nach § 307 Abs. 1 BGB unterliegen AGB einer Inhaltskontrolle, wobei insbesondere ungewöhnliche oder überraschende Klauseln, durch die der Vertragspartner unangemessen benachteiligt wird, unwirksam sein können. Besteht zudem ein wucherisches Element im Sinn von § 138 Abs. 2 BGB, ist nicht nur die einzelne Klausel, sondern möglicherweise der gesamte Vertrag nichtig.

Ist ein Verzicht auf die Einrede des Wuchers zulässig?

Ein vorheriger Verzicht auf das Recht, sich auf die Nichtigkeit wegen Wuchers zu berufen, ist unwirksam. Nach allgemeiner Meinung wäre ein solcher Verzicht selbst sittenwidrig (§ 138 BGB), da er den Schutzzweck der Norm unterlaufen würde. Zivilrechtlich kann daher die Nichtigkeit auch nicht durch vertragliche Vereinbarung hinfällig gemacht werden; das Gesetz lässt keine Ausnahme zu. Erst recht ist ein etwaiger Verzicht nach Abschluss des wucherischen Geschäfts, also rückwirkend, unbeachtlich.

Wie verhält sich Wucher im Verhältnis zu anderen Instrumenten des Verbraucherschutzes (z.B. Wucherzins nach § 491 BGB)?

Der Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB ist eine von verschiedenen Vorschriften zum Schutz vor unangemessener Benachteiligung, insbesondere im Verbraucherschutzrecht. Neben dem Wucher existieren Spezialvorschriften wie die Preisangabenverordnung, das Kreditwesengesetz oder §§ 491 ff. BGB betreffend Verbraucherdarlehen. Hierbei kann ein und derselbe Sachverhalt sowohl einen Verstoß gegen § 138 Abs. 2 BGB als auch gegen verbraucherschützende Normen darstellen. Im Bereich des Kreditwesens ist zu beachten, dass besonders hohe Zinssätze nicht nur unwirksam sind, sondern die Darlehensverträge auch rückwirkend rückabgewickelt werden können. Gleichzeitig bleibt die Anwendung der allgemeinen Regeln über wucherische Rechtsgeschäfte auch im Zusammenspiel mit spezielleren Vorschriften stets bestehen und kann ergänzend zur Anwendung gelangen.