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Wirtschaftliche Unmöglichkeit


Begriff und Bedeutung der Wirtschaftlichen Unmöglichkeit

Die wirtschaftliche Unmöglichkeit ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilrecht. Sie bezeichnet einen Zustand, in dem die Erfüllung einer vertraglichen Leistung nicht objektiv unmöglich ist, jedoch mit einem derart hohen wirtschaftlichen Aufwand verbunden wäre, dass deren Durchführung dem Schuldner nicht zugemutet werden kann. Wirtschaftliche Unmöglichkeit steht damit im Gegensatz zur sogenannten tatsächlichen oder physischen Unmöglichkeit, bei der die Erfüllung einer Verpflichtung rein objektiv, etwa infolge des Untergangs des Leistungsgegenstandes, nicht mehr möglich ist.

Rechtsgrundlagen

Gesetzliche Verankerung

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt die Unmöglichkeit in den §§ 275 ff. BGB. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Die Vorschrift unterscheidet zwischen objektiver und subjektiver Unmöglichkeit. Die wirtschaftliche Unmöglichkeit wird insbesondere im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB behandelt:

Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit sie einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht.

Damit anerkennt das BGB, dass es neben der tatsächlichen Unmöglichkeit auch eine wirtschaftlich bedingte Leistungsverweigerung geben kann.

Abgrenzung zur faktischen Unmöglichkeit

Während bei der faktischen oder rechtlichen Unmöglichkeit die Leistung objektiv nicht (mehr) erbracht werden kann, ist dies im Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit grundsätzlich noch möglich. Ausschlaggebend ist jedoch das Verhältnis zwischen dem Aufwand für die Leistungserbringung und dem Nutzen für den Gläubiger:

  • Faktische Unmöglichkeit: Erfüllung objektiv ausgeschlossen (z.B. Werk ist zerstört).
  • Wirtschaftliche Unmöglichkeit: Leistung nur mit unzumutbaren, unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich.

Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Der Grundsatz von Treu und Glauben (BGB § 242) spielt bei der Auslegung der wirtschaftlichen Unmöglichkeit eine tragende Rolle. Das Leistungsverweigerungsrecht stützt sich maßgeblich auf die Überlegung, ob es billig und recht wäre, dem Schuldner die mit außerordentlichem Aufwand verbundene Leistung aufzubürden.

Voraussetzungen der Wirtschaftlichen Unmöglichkeit

Unverhältnismäßigkeit des Aufwands

Die zentrale Voraussetzung besteht darin, dass der zur Erfüllung der Pflicht erforderliche Aufwand in einem „groben Missverhältnis“ zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht.

Kriterien der Zumutbarkeitsprüfung

Für die Bestimmung der Zumutbarkeit kommen folgende Faktoren in Betracht:

  • Absoluter und relativer Kostenaufwand: Es ist zu bewerten, wie viel der Schuldner für die Leistung aufbringen müsste und wie dies im Vergleich zum Wert der Gegenleistung steht.
  • Vertragstyp und Risikoverteilung: Je nach Vertragsart (etwa Kauf-, Miet-, Werkvertrag) und nach der besonderen Risikoverantwortlichkeit der Parteien ist die Beurteilung unterschiedlich.
  • Schuldnerverhalten: War eine aufwändige Leistungserbringung für den Schuldner vorhersehbar oder zumutbar?
  • Interessenabwägung: Es ist stets eine Interessenabwägung zwischen Aufwandsrisiko des Schuldners und Erfüllungsinteresse des Gläubigers vorzunehmen.
  • Maßgeblicher Zeitpunkt: Die Beurteilung erfolgt auf Grundlage der bei Fälligkeit herrschenden Umstände.

Beispiele aus der Rechtsprechung

  • Hohe Baukosten, um ein Werk trotz unerwarteter Behinderungen zu vollenden
  • Lieferung eines Gegenstands, bei dem Transport- oder Beschaffungskosten das Doppelte oder Mehrfache des Werts übersteigen
  • Ersatzlieferung einer Sache, die kaum noch beschaffbar ist, nur zu enormen Preisen

Die konkrete Beurteilung ist stets eine Einzelfallentscheidung, die von den Umständen und der Zumutbarkeit abhängt.

Folgen der Wirtschaftlichen Unmöglichkeit

Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners

Wird wirtschaftliche Unmöglichkeit festgestellt, hat der Schuldner ein Recht zur Leistungsverweigerung (§ 275 Abs. 2 BGB). Der Gläubiger kann in diesem Fall die Leistung nicht mehr verlangen.

Entfall der Gegenleistungspflicht

Gemäß § 326 Abs. 1 BGB entfällt bei Unmöglichkeit der Leistung auch die Gegenleistungspflicht. Der Gläubiger verliert also regelmäßig auch seinen Anspruch auf die ursprünglich versprochene Gegenleistung, beispielsweise die Zahlung des vereinbarten Preises.

Schadensersatzansprüche

Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung besteht nach § 280 BGB grundsätzlich nur, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Bei wirtschaftlicher Unmöglichkeit und Fehlen eines Vertretenmüssens entfällt die Schadensersatzpflicht in der Regel.

Rücktrittsrecht

In entsprechenden Fällen kann dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht vom Vertrag zustehen (§ 323 Abs. 1 BGB), sofern die weitere Vertragserfüllung für ihn sinnlos geworden ist.

Sonderkonstellationen und praktische Anwendungsbereiche

Bau- und Werkverträge

Im Bau- und Werkvertragsrecht treten Fälle wirtschaftlicher Unmöglichkeit besonders häufig auf, etwa wenn unerwartete Schwierigkeiten bei der Leistungserbringung erhebliche Mehrkosten verursachen. Hier ist besonders das Leitbild des Unternehmerrisikos zu berücksichtigen.

Kaufverträge mit Austausch- und Deckungsgeschäften

Bei der Beschaffung vertretbarer Sachen kann eine wirtschaftliche Unmöglichkeit angenommen werden, wenn der Erwerb am Markt zu explodierenden Preisen oder praktisch nicht mehr zu marktüblichen Bedingungen möglich ist.

Dauerverträge und Leistungsstörungen

Bei Dauerschuldverhältnissen, etwa im Miet- oder Dienstvertragsrecht, können erhebliche Preiserhöhungen oder Kostensprünge ebenfalls problematisch werden.

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten

Preisgleitklausel und Störung der Geschäftsgrundlage

Die wirtschaftliche Unmöglichkeit ist abzugrenzen von der „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB). Während wirtschaftliche Unmöglichkeit die Frage der Leistbarkeit betrifft, geht es bei der Störung der Geschäftsgrundlage um eine schwerwiegende Veränderung der Vertragssituation, die Anpassungen (z. B. Vertragsanpassung, Rücktritt) ermöglichen kann.

Höhere Gewalt (Force Majeure)

Höhere Gewalt kann je nach Vertragsgestaltung sowohl eine endgültige Unmöglichkeit begründen als auch lediglich zu einer Leistungsverzögerung führen. Wirtschaftliche Unmöglichkeit liegt dagegen immer dann nahe, wenn die Leistung zwar objektiv möglich, aber nicht mehr zumutbar ist.

Bedeutung in der Praxis und Ausblick

Die wirtschaftliche Unmöglichkeit dient dem Gläubigerschutz und dem Schutz vor unbilliger Inanspruchnahme des Schuldners. Sie gewinnt insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten an Bedeutung, etwa in Phasen stark schwankender Rohstoffpreise oder Transportkosten.

Vertragliche Regelungen, insbesondere Preisgleitklauseln und Sondervereinbarungen, können die Frage der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vorstrukturieren und zur Risikoverteilung beitragen.

Zusammenfassung

Die wirtschaftliche Unmöglichkeit ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilrecht, der dem Schuldner unter engen Voraussetzungen ermöglicht, die Erfüllung seiner Leistung zu verweigern, wenn der Aufwand in einem groben Missverhältnis zum Nutzen für den Gläubiger steht. Die Beurteilung erfolgt stets am Einzelfall, unter Beachtung von Interessenabwägung, Vertragsrisiko und Zumutbarkeit. Ihre praktische Bedeutung kommt insbesondere bei ungewöhnlich hohen Kostensteigerungen und unvorhergesehenen wirtschaftlichen Entwicklungen zum Tragen. Sie ist zu unterscheiden von der physischen Unmöglichkeit, der Störung der Geschäftsgrundlage und Fällen höherer Gewalt, bleibt jedoch ein unerlässlicher Baustein im allgemeinen Leistungsstörungsrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Annahme der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vorliegen?

Für die rechtliche Annahme der wirtschaftlichen Unmöglichkeit im deutschen Zivilrecht müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Maßgeblich ist, dass die Leistung dem Schuldner objektiv möglich bleibt, ihre Erbringung jedoch nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Kosten und Mühen möglich ist, der unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Leistungsinteresses des Gläubigers und des Wertes der Leistung, nicht zumutbar ist (§ 275 Abs. 2 BGB). Die Zumutbarkeitsprüfung erfolgt anhand einer Interessenabwägung. Es ist zu ermitteln, ob die Erfüllung für den Schuldner wirtschaftlich sinnlos ist oder er dadurch in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geriete, ohne dass dies dem allgemeinen Unternehmerrisiko zuzurechnen wäre. Die bloße Unwirtschaftlichkeit reicht nicht aus; vielmehr müssen außergewöhnliche Umstände vorliegen, sodass einem verständigen Dritten die Erfüllung nicht mehr zugemutet werden könnte.

Welche typischen Beispiele für wirtschaftliche Unmöglichkeit gibt es in der Rechtsprechung?

Die Rechtsprechung bezieht sich häufig auf Fälle, in denen etwa aufgrund extremer Preissteigerungen für Rohstoffe, Baumaterialien oder Energieaufwendungen der finanzielle Aufwand zur Vertragserfüllung in keinem Verhältnis mehr zum ursprünglichen Vertragswert steht. Ebenso wurde wirtschaftliche Unmöglichkeit bejaht, wenn ein Schuldner zur Leistungserbringung wirtschaftlich ruinöse Maßnahmen ergreifen müsste (z.B. Verkauf von Betriebsgrundlagen oder Durchführung des Geschäfts mit erheblichem, existenzbedrohendem Verlust). Allerdings muss stets sorgfältig zwischen dem allgemeinen Unternehmer- oder Beschaffungsrisiko und einer rechtlichen Hürde unterschieden werden; bloße Mehrkosten und unerwartete Verluste fallen grundsätzlich nicht hierunter, soweit sie vorhersehbar und zumutbar sind.

Wie grenzt sich die wirtschaftliche Unmöglichkeit von der faktischen und rechtlichen Unmöglichkeit ab?

Während bei der rechtlichen Unmöglichkeit die Leistung wegen eines rechtlichen Hindernisses (z. B. gesetzliches Verbot) unmöglich ist und bei der faktischen Unmöglichkeit die tatsächliche Durchführung der Leistung objektiv ausgeschlossen ist (z.B. Untergang der Sache), betrifft die wirtschaftliche Unmöglichkeit Fälle, in denen die Durchführung der Leistung rechtlich und tatsächlich zwar noch möglich wäre, der Aufwand aber im Verhältnis zum geschuldeten Erfolg in keinem angemessenen Verhältnis mehr steht. Zentral ist dabei der Aspekt, dass rein wirtschaftliche Erwägungen zu einer „Quasi-Unmöglichkeit“ führen, ohne dass eine tatsächliche oder rechtliche Ausführung ausgeschlossen wäre.

Wer trägt das Risiko bei wirtschaftlicher Unmöglichkeit und welche Rechtsfolgen entstehen?

Im Rahmen der wirtschaftlichen Unmöglichkeit trägt grundsätzlich – vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Regelungen – der Gläubiger das Risiko, dass der Schuldner zur Leistung nicht verpflichtet ist, wenn dies nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre. Die rechtliche Folge ist ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners gemäß § 275 Abs. 2 BGB. Der Vertrag bleibt dann insoweit bestehen, als dass die Gegenleistung ebenfalls nicht mehr zu erbringen ist (§ 326 BGB). Dem Gläubiger stehen gegebenenfalls weitere Rechte zu, etwa Rücktritt oder Schadenersatzansprüche unter bestimmten Voraussetzungen.

Wie wird die Zumutbarkeitsgrenze im Einzelfall bestimmt?

Die Festlegung der Zumutbarkeitsgrenze erfolgt durch eine umfassende Interessenabwägung. Zu berücksichtigen sind unter anderem das Verhältnis der Kosten zur vertraglich geschuldeten Leistung, die Bedeutung der Leistung für den Gläubiger, die Schutzwürdigkeit des Schuldners und die Vermeidbarkeit der Mehrkosten. Dabei ziehen Gerichte regelmäßig heran, ob vergleichbare Kostensteigerungen im jeweiligen Wirtschaftszweig üblich sind oder ob außergewöhnliche Marktverhältnisse („Force-Majeure“-Situationen) bestehen. Pauschale Prozentsätze für die Zumutbarkeit existieren nicht; stattdessen erfolgt eine wertende Gesamtbetrachtung des Einzelfalls.

Kann wirtschaftliche Unmöglichkeit auch bei öffentlichen Aufträgen geltend gemacht werden?

Ja, auch bei öffentlichen Aufträgen kann die Berufung auf wirtschaftliche Unmöglichkeit möglich sein, insbesondere wenn es während der Vertragsdurchführung zu unvorhersehbaren Preissteigerungen oder anderen außerordentlichen Aufwendungen kommt. Allerdings ist vor allem in diesen Bereichen zu beachten, dass das Beschaffungsrisiko in vielen Fällen vertraglich beim Auftragnehmer verbleibt und regelmäßig durch Preisgleitklauseln oder Nachtragregelungen abgefedert wird. Öffentliche Auftraggeber behalten sich häufig vertraglich vor, die Unverhältnismäßigkeit der Ausführung einzuwenden. Trotzdem ist die Schwelle zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit aus rechtlicher Sicht auch in diesem Bereich hoch anzusetzen.

Was ist der Unterschied zwischen wirtschaftlicher Unmöglichkeit und Störung der Geschäftsgrundlage?

Die wirtschaftliche Unmöglichkeit befreit den Schuldner unmittelbar von seiner Leistungspflicht; die Voraussetzungen sind jedoch streng und setzen ein gravierendes Missverhältnis von Aufwand und Nutzen voraus. Die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) greift in Fällen ein, in denen sich zentrale, bei Vertragsschluss nicht vorhersehbare Umstände nachträglich geändert haben, ohne dass die Leistung an sich unmöglich geworden ist. Hier kann eine Vertragsanpassung oder im Ausnahmefall eine Aufhebung des Vertrags verlangt werden. Während wirtschaftliche Unmöglichkeit die Undurchführbarkeit der Leistung betrifft, setzt die Störung der Geschäftsgrundlage eine schwerwiegende Änderung der vertraglichen Äquivalenz voraus.