Wechselbezügliche (korrespektive) Verfügung
Eine wechselbezügliche, auch korrespektive, Verfügung ist eine inhaltlich miteinander verknüpfte Erklärung zweier Personen von Todes wegen, bei der die Verfügung der einen Person in Abhängigkeit von der Verfügung der anderen steht. Der Kern liegt in der gedanklichen Koppelung: Die eine Anordnung gilt, weil und soweit auch die andere gilt. Diese Bindung entsteht typischerweise in gemeinschaftlichen Testamenten von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern sowie in Erbverträgen.
Wechselbezüglichkeit bewirkt, dass die Beteiligten ihre Verfügungen nicht beliebig unabhängig voneinander abändern oder aufheben können, sobald die Bindung eingreift. Sie dient der Planungssicherheit und soll verhindern, dass die beim Errichten gemeinsamen Vorstellungen durch einseitige spätere Änderungen unterlaufen werden.
Einsatzbereiche
Gemeinschaftliches Testament
Im gemeinschaftlichen Testament erklären zwei Personen – meist Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner – ihren letzten Willen in einer gemeinsamen Urkunde. Wechselbezügliche Verfügungen treten hier besonders häufig auf. Klassisches Beispiel ist das sogenannte „Berliner Testament“: Die Beteiligten setzen sich zunächst gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen für den zweiten Erbfall gemeinsame Schlusserben (oft die Kinder). Die gegenseitige Erbeinsetzung und die Einsetzung der Schlusserben sind regelmäßig miteinander verknüpft.
Erbvertrag
Auch im Erbvertrag sind korrespondierende Anordnungen üblich. Anders als das Testament ist der Erbvertrag auf Bindung angelegt. Treffen die Vertragsparteien wechselseitige Zuwendungen oder Erbeinsetzungen, können diese eine vergleichbare Verknüpfung entfalten. Die Bindungswirkung ergibt sich hier aus der vertraglichen Natur der Abreden und kann – je nach Ausgestaltung – ebenso weit reichen wie beim gemeinschaftlichen Testament.
Einzeltestament
In einem Einzeltestament einer einzelnen Person gibt es keine wechselbezüglichen Verfügungen, da die gedankliche Koppelung zwei Erklärende voraussetzt. Ein Einzeltestament kann allerdings an gemeinsame Vereinbarungen (etwa aus einem Erbvertrag) anknüpfen; die Wechselbezüglichkeit selbst entsteht dadurch nicht, sondern allein durch die korrespondierende Abrede mit der anderen Person.
Abgrenzung und Begriffsverständnis
Wechselbezüglich vs. wechselseitig
Wechselseitig bedeutet lediglich, dass sich zwei Personen gegenseitig bedenken (etwa: Person A setzt Person B, Person B setzt Person A zur Erbin ein). Wechselbezüglich meint darüber hinaus die innere Abhängigkeit: Die Verfügung der einen ist mit der anderen „verkoppelt“, sie soll nicht losgelöst gelten. Somit kann eine wechselseitige Zuwendung wechselbezüglich sein, muss es aber nicht.
„Korrespektiv“ als Synonym
Der Begriff „korrespektiv“ bezeichnet dasselbe Phänomen und betont, dass die Verfügungen einander entsprechen und in Beziehung stehen. Beide Begriffe werden austauschbar verwendet.
Erkennungsmerkmale wechselbezüglicher Verfügungen
Ausdrückliche Erklärung
Am klarsten ist die Wechselbezüglichkeit, wenn sie im Text ausdrücklich festgehalten wird. Formulierungen wie „Diese Verfügung gilt nur, wenn und weil die andere Verfügung getroffen wird“ oder „Diese Anordnungen stehen in gegenseitiger Abhängigkeit“ verdeutlichen den Koppelungswillen.
Auslegung nach Inhalt und Zweck
Fehlt eine ausdrückliche Aussage, wird der Wille durch Auslegung ermittelt. Maßgeblich sind Wortlaut, Systematik, Zweck der Regelung und die erkennbaren gemeinsamen Planungen. Typisch wechselbezüglich sind etwa die gegenseitige Erbeinsetzung der Beteiligten und die gemeinsame Bestimmung derselben Schlusserben. Dagegen sind rein einseitige Zuwendungen ohne erkennbaren inneren Bezug zur Verfügung der anderen Person häufig nicht wechselbezüglich.
Typische Beispiele
Als wechselbezüglich gelten regelmäßig:
– Gegenseitige Erbeinsetzungen
– Gegenseitig abhängige Vermächtnisse (z. B. „Du erhältst X, wenn ich Y erhalte“)
– Schlusserbeneinsetzungen, die auf einem gemeinsamen Gesamtplan beruhen
– Aufeinander abgestimmte Vor- und Nacherbeneinsetzungen
Nicht zwingend wechselbezüglich
Unabhängige Einzelzuwendungen an Dritte ohne ersichtliche inhaltliche Verknüpfung sind häufig nicht wechselbezüglich. Auch Anordnungen, die offenkundig nur von einer Partei gewollt und von der anderen lediglich miterklärt wurden, können außerhalb der Bindung stehen.
Rechtswirkungen
Bindungswirkung und Zeitpunkt
Die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen entfaltet ihre größte Bedeutung, sobald eine der beteiligten Personen verstirbt. Ab diesem Zeitpunkt kann die überlebende Person die verknüpften Anordnungen grundsätzlich nicht mehr einseitig ändern oder aufheben, es sei denn, es wurde zuvor eine Änderungsmöglichkeit vorbehalten oder ergibt sich aus der gewählten Gestaltung. Vor dem ersten Todesfall sind Änderungen möglich, unterliegen aber strengen formellen Anforderungen und wirken regelmäßig erst nach Zugang bei der anderen Person.
Auswirkungen auf die Nachlassplanung
Die Wechselbezüglichkeit schützt den gemeinsam verfolgten Plan, insbesondere die Festlegung, wer nach dem Tod des Längerlebenden erben soll. Zu Lebzeiten der überlebenden Person bleibt diese in der Regel hinsichtlich ihres eigenen Vermögens verfügungsbefugt. Die Bindung betrifft in erster Linie Anordnungen für den eigenen Todesfall; ungewöhnliche Gestaltungen, die erkennbar nur der Umgehung des gemeinsamen Plans dienen, können rechtlich überprüfbar sein.
Pflichtteilsrechte
Pflichtteilsansprüche werden durch wechselbezügliche Verfügungen nicht aufgehoben. Insbesondere im klassischen Modell mit gegenseitiger Erbeinsetzung können pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge nach dem ersten Todesfall Ansprüche geltend machen. Häufig finden sich hierzu abgestimmte Klauseln, die eine Inanspruchnahme ordnen oder sanktionieren sollen. Die konkrete Wirkung hängt von der jeweiligen Formulierung ab.
Widerruf, Änderung und Wegfall
Vor dem ersten Todesfall
Bis zum Tod der ersten beteiligten Person können wechselbezügliche Verfügungen grundsätzlich widerrufen werden. Ein einseitiger Widerruf ist nur in einer besonders strengen Form und erst nach Zugang bei der anderen Person wirksam. Beide Beteiligte können zudem einvernehmlich neu gestalten. Die konkreten Formvorschriften sind streng und dienen der Verlässlichkeit der gemeinsamen Planung.
Nach dem ersten Todesfall
Mit dem Tod einer beteiligten Person tritt regelmäßig eine Bindung ein. Der Überlebende ist dann an die wechselbezüglichen Verfügungen gebunden. Eine Änderung ist nur möglich, wenn dies ausdrücklich vorbehalten wurde oder sich aus der gewählten Gestaltung ergibt. Eine andere Möglichkeit ist die Ausschlagung des Erbes aus dem ersten Erbfall; dadurch entfällt die Bindung, allerdings gehen damit die aus dem ersten Erbfall resultierenden Rechte verloren.
Scheidung, Aufhebung oder endgültige Trennung
Die wechselseitige Bindung in einem gemeinschaftlichen Testament ist regelmäßig auf den Fortbestand der Partnerschaft angelegt. Wird die Ehe oder Lebenspartnerschaft rechtswirksam aufgehoben oder geschieden, werden wechselbezügliche Verfügungen in vielen Konstellationen unwirksam. Bereits anhängige Verfahren können je nach Stadium eine ähnliche Wirkung entfalten. Die Einzelheiten hängen von der jeweiligen rechtlichen Ordnung und der Auslegung der getroffenen Verfügungen ab.
Unwirksamkeit eines Teilakts
Ist eine der korrespondierenden Verfügungen unwirksam (z. B. wegen Formmangels oder Wegfalls des begünstigten Dritten), kann dies die gekoppelte Verfügung der anderen Person mit erfassen. Hintergrund ist die Koppelungslogik: Fällt eine Seite weg, soll die andere regelmäßig nicht isoliert fortgelten. Ob die Bindung mitfällt, bestimmt sich nach Auslegung des gemeinsamen Plans.
Typische Gestaltungen und Klauseln
„Berliner Testament“
Gegenseitige Erbeinsetzung der Beteiligten mit gemeinsamer Schlusserbeneinsetzung für den zweiten Erbfall. Die wesentlichen Elemente sind meist wechselbezüglich ausgestaltet.
Schlusserbeneinsetzung
Bestimmung, wer nach dem Tod des Längerlebenden erben soll. Gerade diese Einsetzung ist häufig an die gegenseitige Erbeinsetzung geknüpft und daher wechselbezüglich.
Vor- und Nacherbschaft
Statt einer Vollerbschaft des Überlebenden kann eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet werden. Hieraus ergeben sich zu Lebzeiten des Vorerben besondere Bindungen und Beschränkungen, die den gemeinsamen Plan absichern.
Pflichtteilsbezogene Klauseln
Gestaltungen, die das Verhalten pflichtteilsberechtigter Personen berücksichtigen (z. B. Anordnungen für den Fall, dass der Pflichtteil nach dem ersten Erbfall verlangt wird). Deren Reichweite hängt maßgeblich von der Formulierung ab.
Änderungs- und Wiederverheiratungsklauseln
Vorbehalte, die dem Überlebenden eine spätere Anpassung ermöglichen (etwa bei Wiederverheiratung). Solche Klauseln müssen klar formuliert sein, damit Inhalt und Umfang möglicher Änderungen erkennbar sind.
Internationale und formelle Aspekte
Formanforderungen
Die Errichtung und der Widerruf gemeinschaftlicher Testamente und Erbverträge unterliegen strengen Formvorschriften. In einigen Rechtsordnungen sind gemeinschaftliche Testamente zugelassen, in anderen nicht; dort kommen vertragliche Gestaltungen in Betracht. Ob und in welchem Umfang wechselbezügliche Verfügungen möglich sind, richtet sich nach der anwendbaren Rechtsordnung und deren Formerfordernissen.
Grenzüberschreitende Bezüge
Bei internationalen Bezügen (Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Belegenheit von Vermögen im Ausland) kann eine andere Rechtsordnung maßgeblich sein als diejenige des Errichtungsortes. Dies beeinflusst Zulässigkeit, Auslegung, Bindungswirkung und Form der wechselbezüglichen Verfügungen.
Häufig gestellte Fragen
Worin liegt der Unterschied zwischen wechselseitigen und wechselbezüglichen Verfügungen?
Wechselseitig beschreibt lediglich, dass zwei Personen einander bedenken. Wechselbezüglich bedeutet zusätzlich eine innere Abhängigkeit der Verfügungen: Die eine Verfügung soll nur gelten, weil auch die andere gilt. Erst diese Koppelung begründet die spezifische Bindungswirkung.
Gilt die Bindungswirkung automatisch ab Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments?
Die volle Bindungswirkung entfaltet sich typischerweise erst mit dem Tod der ersten beteiligten Person. Vorher sind Änderungen möglich, unterliegen aber strengen Formanforderungen. Ob und in welchem Umfang bereits vor dem ersten Todesfall Bindungen entstehen, richtet sich nach Inhalt und Auslegung der getroffenen Anordnungen.
Kann der Längerlebende die Schlusserben nachträglich ändern?
Nach dem ersten Todesfall ist eine Änderung wechselbezüglich gebundener Schlusserbeneinsetzungen grundsätzlich ausgeschlossen, sofern kein wirksamer Änderungsvorbehalt vorgesehen wurde. Vor dem ersten Todesfall sind Änderungen möglich, wenn die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen eingehalten werden.
Was geschieht mit wechselbezüglichen Verfügungen bei Scheidung oder Aufhebung der Partnerschaft?
Mit der Auflösung der Ehe oder Lebenspartnerschaft werden wechselbezügliche Verfügungen in vielen Konstellationen unwirksam, da sie auf den Fortbestand der Partnerschaft ausgerichtet sind. Ob dies bereits bei anhängiger Scheidung eintritt, hängt von den Umständen und der maßgeblichen Rechtsordnung ab.
Welche Bedeutung haben Pflichtteilsrechte im Zusammenhang mit wechselbezüglichen Verfügungen?
Pflichtteilsrechte bleiben grundsätzlich bestehen. Insbesondere nach dem ersten Todesfall können pflichtteilsberechtigte Personen Ansprüche geltend machen. Die Gestaltung wechselbezüglicher Verfügungen kann Einfluss auf Zeitpunkt und Umfang dieser Ansprüche haben, hebt sie aber nicht auf.
Wie wird festgestellt, ob eine Zuwendung an Dritte wechselbezüglich ist?
Maßgeblich ist die Auslegung: Wortlaut, Systematik und der erkennbare gemeinsame Plan. Sind Zuwendungen erkennbar aufeinander abgestimmt oder in Abhängigkeit formuliert, spricht dies für Wechselbezüglichkeit. Fehlt ein innerer Bezug, liegt sie eher nicht vor.
Kann die überlebende Person die Bindung vermeiden?
Eine Möglichkeit besteht in der Ausschlagung des Erbes aus dem ersten Erbfall. Dadurch entfällt die Bindung, jedoch auch die Rechte aus dem ersten Erbfall. Ob dies im Einzelfall rechtlich zulässig und sinnvoll ist, hängt von der Gesamtkonstellation ab.
Was passiert, wenn eine der verknüpften Verfügungen unwirksam ist?
Fällt eine gekoppelte Verfügung weg, kann die andere aus der Koppelungslogik heraus ebenfalls betroffen sein. Ob beide fallen oder eine isoliert fortbesteht, entscheidet sich nach Auslegung des gemeinsamen Plans und dem Gewicht der Verknüpfung.