Wechselbezügliche (korrespektive) Verfügung
Definition und Begriffserklärung
Eine wechselbezügliche Verfügung – auch korrespektive Verfügung genannt – ist ein Begriff aus dem deutschen Erbrecht. Er bezeichnet im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags testamentarische Bestimmungen, die in einer rechtlichen Abhängigkeit zueinander stehen. Kennzeichnend ist, dass die Verfügung des einen Beteiligten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Die Verfügungen zweier Personen stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis und können nach dem Tod des Erstversterbenden nur unter besonderen Voraussetzungen widerrufen werden.
Gesetzliche Grundlage
Die rechtliche Verankerung der wechselbezüglichen Verfügung findet sich insbesondere in §§ 2270 bis 2272 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Diese Regelungen betreffen sowohl gemeinschaftliche Testamente (§ 2265 BGB) als auch Erbverträge. Sie bestimmen die Voraussetzungen, Wirkungen und Widerrufsmöglichkeiten solcher Verfügungen.
Formen der wechselbezüglichen Verfügung
Im gemeinschaftlichen Testament
Das gemeinschaftliche Testament ist die häufigste Erscheinungsform der wechselbezüglichen Verfügung. Besonders bekannt ist das sogenannte „Berliner Testament“, bei dem sich Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen und die Kinder zu Schlusserben bestimmen. In diesen Fällen sind die Verfügungen in der Regel wechselbezüglich, da die Einsetzung des einen regelmäßig mit der Einsetzung des anderen steht und fällt.
Im Erbvertrag
Auch in Erbverträgen können wechselbezügliche Verfügungen vereinbart werden. Hierbei können sich die Vertragsparteien gegenseitig begünstigen oder Dritte, wie beispielsweise ihre Kinder, gemeinsam bedenken. Die Wechselbezüglichkeit muss im Vertrag ausdrücklich erklärt oder durch Auslegung ermittelt werden.
Voraussetzungen und Auslegung
Voraussetzungen
Eine wechselbezügliche Verfügung liegt nur vor, wenn zwei oder mehr Personen – meist Ehegatten – Verfügungen von Todes wegen derart treffen, dass davon auszugehen ist, die Verfügung des einen wäre ohne die des anderen nicht erfolgt. Die Motive hierfür sind typischerweise der Wille zur gegenseitigen Absicherung und die gemeinsame Nachlassregelung.
Auslegung der Wechselbezüglichkeit
Gemäß § 2270 Abs. 2 BGB wird im Zweifel angenommen, dass die Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich sind, wenn Ehegatten sich gegenseitig zu Erben einsetzen oder einem Dritten den Nachlass zuwenden. Ist die Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich bestimmt, ist sie im Wege der Auslegung nach §§ 133, 2084 BGB zu ermitteln. Entscheidend ist hierbei der erkennbare Wille der Testierenden zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
Rechtsfolgen der wechselbezüglichen Verfügung
Bindungswirkung
Nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten wird die wechselbezügliche Verfügung für den Überlebenden grundsätzlich bindend. Einseitige Widerrufe oder Änderungen sind dann nicht mehr möglich (§ 2271 Abs. 2 BGB). Die Bindung entsteht also mit dem Eintritt des ersten Erbfalls.
Widerrufsmöglichkeiten
Vor dem Tod des erstversterbenden Ehegatten können wechselbezügliche Verfügungen gemeinschaftlich zu Lebzeiten jederzeit widerrufen werden (§ 2271 Abs. 1 S. 1 BGB). Ein einseitiger Widerruf ist hingegen nur unter besonderen Voraussetzungen und gegenüber dem anderen Testamentsersteller möglich, wobei der Widerruf notariell beurkundet und dem anderen Beteiligten zugehen muss.
Nach dem Ableben des Erstversterbenden ist die Verfügung unwiderruflich, außer in besonderen Fällen eines Anfechtungsrechts, etwa bei Irrtum oder Drohung (§§ 2078 ff. BGB).
Beschränkung der Verfügung über das Vermögen
Der überlebende Ehegatte bleibt trotz Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügung grundsätzlich frei, über sein Vermögen unter Lebenden zu verfügen. Lediglich Verfügungen von Todes wegen (Testamentsänderungen) sind hinsichtlich des gebundenen Teils ausgeschlossen. In Extremfällen (z. B. bei Koppelung mit Vermächtnissen oder Auflagen) können aber auch zu Lebzeiten getroffene Schenkungen als treuwidrig eingestuft werden, wenn sie die Rechte der Schlusserben beeinträchtigen sollen.
Rechtsprechung und Praxis
Die Auslegung und Anwendung wechselbezüglicher Verfügungen unterliegt einer umfangreichen Rechtsprechung. Insbesondere die Feststellung der Wechselbezüglichkeit in nicht ausdrücklich bezeichneten Fällen beschäftigt häufig die Gerichte. Maßgeblich ist stets der mutmaßliche Wille der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
Das bekannte „Berliner Testament“ dient als typisches Beispiel für die Problematik von Bindungswirkungen: Der überlebende Ehegatte kann meist nicht mehr einseitig zulasten der Schlusserben abweichend testieren, was insbesondere dann relevant wird, wenn sich die Lebensverhältnisse nach dem Tod des Erstversterbenden verändern.
Unterschiede zur nicht-wechselbezüglichen Verfügung
Nicht alle Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten oder Erbverträgen sind wechselbezüglich. Einzelverfügungen, die unabhängig voneinander getroffen wurden, können nach § 2270 Abs. 1 BGB auch gesondert von den Beteiligten widerrufen werden. Die Unterscheidung ist für die spätere Änderung und den Widerruf der Verfügung von erheblicher praktischer Bedeutung.
Internationaler Bezug
Die Regelungen zu wechselbezüglichen Verfügungen gelten primär im deutschen Recht. Im Ausland gibt es vergleichbare Konstruktionen, jedoch teilweise abweichende Regelungen hinsichtlich Verbindlichkeit, Widerruf und Bindungswirkung. Die EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) und internationale Nachlassregelungen können im Einzelfall Einfluss haben, etwa bei grenzüberschreitenden Erbfällen mit Bezug zum deutschen Erbrecht.
Zusammenfassung
Die wechselbezügliche Verfügung stellt einen zentralen Begriff im deutschen Erbrecht dar und regelt, unter welchen Voraussetzungen zwei Personen wechselseitig und bindend über ihr Vermögen von Todes wegen verfügen können. Das Charakteristikum ist die gegenseitige Abhängigkeit der Verfügungen und die daraus resultierende Bindungswirkung für den überlebenden Beteiligten. Die genaue Bestimmung der Wechselbezüglichkeit und ihrer Rechtsfolgen erfordert eine sorgfältige Prüfung des jeweiligen Testaments oder Erbvertrages sowie der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften. Die fortlaufende Rechtsprechung sorgt für eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Konkretisierung dieses Rechtsinstituts.
Häufig gestellte Fragen
Welche formalen Anforderungen bestehen für den Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung?
Ein Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung unterliegt besonderen formalen Anforderungen, die im deutschen Erbrecht gesetzlich geregelt sind (§ 2271 BGB für wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament). Ein einseitiger Widerruf während beider Verfügenden Lebens ist grundsätzlich möglich, jedoch nicht formlos: Der Widerruf muss gegenüber dem anderen Testierenden durch notariell beurkundete Erklärung erfolgen. Wichtig ist, dass der Widerruf dem anderen Ehegatten oder Lebenspartner auch tatsächlich zugeht, damit dieser wirksam wird. Nach dem Tod eines Ehegatten ist der Widerruf ausgeschlossen, und die Bindungswirkung tritt ein. Es empfiehlt sich, neben der Beachtung strenger Formvorschriften (Schriftform und notarielle Beurkundung) auch den Zugang rechtssicher zu dokumentieren, um spätere Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Widerrufs zu vermeiden.
Welche Bindungswirkung entfaltet eine wechselbezügliche Verfügung nach dem Tod eines Ehegatten?
Mit dem Ableben eines Ehegatten wird die in der wechselbezüglichen Verfügung festgelegte Bindungswirkung wirksam. Das bedeutet, dass der überlebende Ehegatte seine eigene letztwillige Verfügung, soweit diese im Zusammenhang mit der Verfügung des Erstversterbenden steht (also wechselbezüglich ist), nicht mehr widerrufen oder abändern kann. Die Verfügung ist damit für den Überlebenden in ihrer rechtlichen Wirkung erstarrt. Selbst der Versuch eines Widerrufs bleibt unbeachtlich. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die im Einvernehmen getroffenen Verfügungen nicht einseitig nachträglich geändert werden können und die ursprünglich gemeinsam verfolgten erbrechtlichen Zielsetzungen der Ehegatten Bestand haben. Eine Änderung ist nur in sehr engen Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Vorbehalt eines Änderungsvorbehalts, möglich.
Welche typischen Klauseln sind bei der wechselbezüglichen Verfügung üblich und was ist deren rechtliche Relevanz?
In der Praxis sind insbesondere die sogenannte „Berliner Testament“-Klausel und Bindungsklauseln üblich. Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen in der Regel einheitlich einen Schlusserben (z. B. gemeinsame Kinder). Die rechtliche Relevanz dieser Klauseln liegt darin, dass sie nach dem ersten Erbfall bindende Wechselbezüglichkeit entfalten: Die Einsetzung eines bestimmten Schlusserben kann dann vom Überlebenden nicht mehr ohne weiteres abgeändert werden. Solche Klauseln müssen klar als wechselbezüglich (korrespondierend) ausgestaltet sein, entweder ausdrücklich oder durch Auslegung anhand des Inhalts und Zwecks des Testaments. Fehlt es an einer hinreichenden Abgrenzung zu nicht-wechselbezüglichen Verfügungen, birgt dies erhebliche rechtliche Risiken und kann Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen bieten.
Können wechselbezügliche Verfügungen enterbungsrechtliche Konsequenzen für Nachkommen haben?
Ja, wechselbezügliche Verfügungen, namentlich im Rahmen des Berliner Testaments, führen häufig dazu, dass Nachkommen zunächst vom Erbe ausgeschlossen werden, da der überlebende Ehegatte Alleinerbe wird. Die Nachkommen werden in solchen Testamenten meist als Schlusserben eingesetzt, d. h. sie erben erst nach dem Tod des zweiten Ehegatten. Nach deutschem Recht steht ihnen jedoch nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils dennoch der Pflichtteilsanspruch zu. Diese Pflichtteilsansprüche bestehen trotz eventueller Enterbungen kraft Gesetzes und können nicht durch wechselbezügliche Verfügungen ausgeschlossen werden. Der überlebende Ehegatte sollte sich der möglichen Liquiditätsbelastung durch Pflichtteilsforderungen bewusst sein, da diese unter Umständen aus dem Nachlass oder dem Eigenvermögen zu erfüllen sind.
Welche Folgen hat eine sogenannte Pflichtteilsstrafklausel in einer wechselbezüglichen Verfügung?
Eine Pflichtteilsstrafklausel ist eine typische (aber nicht zwingende) Ergänzung im Berliner Testament oder generell in wechselbezüglichen Verfügungen. Sie regelt, dass ein Kind, welches nach dem ersten Erbfall seinen Pflichtteil verlangt, beim zweiten Erbfall ebenfalls nur den Pflichtteil und nicht den vollen Erbteil erhält. Die rechtliche Wirkung besteht darin, potentielle Pflichtteilsberechtigte davon abzuhalten, unmittelbar nach dem ersten Todesfall den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, um den überlebenden Elternteil finanziell zu schonen. Zwar kann der Pflichtteilsanspruch selbst nicht ausgeschlossen werden, aber die Strafklausel kann als Anreiz zur Geduld dienen, da sonst der Anspruch auf ein Erbe beim zweiten Erbfall verloren geht.
Was passiert mit einer wechselbezüglichen Verfügung, wenn nach Errichtung die Scheidung der Ehe erfolgt?
Bei Eintritt der Scheidung oder Aufhebung der Ehe erlischt, sofern keine besonderen testamentarischen Bestimmungen getroffen wurden, grundsätzlich die Wirksamkeit der wechselbezüglichen Verfügung (§ 2077 BGB). Die Annahme ist, dass mit der Auflösung der Ehe auch das Interesse an der gemeinsamen erbrechtlichen Regelung erlischt. Das gilt auch, wenn der Antrag auf Scheidung bereits gestellt und die Voraussetzungen der Scheidung gegeben waren. Ausnahmen bestehen, wenn im Testament ausdrücklich eine fortbestehende Gültigkeit für den Fall der Scheidung vereinbart wurde. Die Folgen können erheblich sein, insbesondere wenn neue testamentarische Verfügungen versäumt werden.
Wie wirkt sich eine Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft durch den überlebenden Ehepartner auf die wechselbezügliche Verfügung aus?
Nimmt der überlebende Ehegatte die Erbschaft ausdrücklich an, bleibt die Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügung vollumfänglich erhalten. Schlägt der überlebende Ehegatte die Erbschaft hingegen aus, so verliert er nicht nur seinen Anspruch aus dem Testament, sondern auch seine Bindungswirkung an die wechselbezüglichen Verfügungen. Dies bedeutet, dass der Schlusserbe – zumeist die Kinder – unmittelbar zum Zuge kommt und der überlebende Ehegatte selbst im Hinblick auf die Bindungswirkung keine weiteren Rechte und Pflichten aus der wechselbezüglichen Verfügung herleitet. In der Praxis beeinflusst die Ausschlagung häufig auch weitere Regelungen, wie Pflichtteilsstrafklauseln oder Vermächtnisse, deren Folgen sorgfältig abgewogen werden sollten.