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Wanderschafherde


Definition und rechtlicher Rahmen der Wanderschafherde

Eine Wanderschafherde ist eine Herde von Schafen, die nicht dauerhaft auf einer festen Weide gehalten wird, sondern saisonal oder periodisch, meist zu Fuß und unter Leitung von Schäferinnen oder Schäfern, über verschiedene Weideflächen geführt wird. Die Wanderschafhaltung (auch Transhumanz genannt) hat im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition und ist sowohl landwirtschaftlich als auch rechtlich von Bedeutung. Neben den tierhaltungsrechtlichen Aspekten spielen dabei insbesondere Regelungen des Grundstücks- und Pachtrechts, des Naturschutzrechts, des Tierseuchenrechts sowie Aspekte der Haftung eine zentrale Rolle.

Begriffsklärung und Abgrenzung

Der Begriff Wanderschafherde grenzt sich von standortgebundenen Schafherden sowie abgeschlossenen Mastbetrieben ab. Bei Wanderschafherden handelt es sich um eine Form der extensiven Weidetierhaltung, bei der die Tiere unter ständiger Begleitung der Leitungsperson – meist einer Schäferin oder eines Schäfers – regelmäßig und über größere Entfernungen zwischen verschiedenen Weidegründen, sogenannten Triebwegen, bewegt werden. Diese kann unterschiedlich organisiert sein (z. B. Sommerweide auf Hochlagen, Winterweide im Tiefland).

Rechtliche Grundlagen der Wanderschafherde

Tierhaltung und Tierschutz

Die Haltung von Wanderschafherden unterliegt allgemeinen Gesetzen zur Nutztierhaltung, insbesondere dem Tierschutzgesetz (TierSchG). Dieses regelt die Anforderungen an artgerechte Unterbringung, Futterversorgung, Zugang zu Wasser und Versorgung erkrankter Tiere. Da Wanderschafherden oft ohne feste Stallungen geführt werden, bestehen besondere Anforderungen an den Witterungsschutz sowie an die Transportbedingungen.

Grundstücksrechtliche Aspekte

Betreten und Nutzung fremder Grundstücke

Für das Beweiden fremder Grundstücke mit einer Wanderschafherde bedarf es in der Regel einer vertraglichen Einigung mit den Grundstückseigentümerinnen oder -eigentümern (Pachtvertrag, Gestattungsvertrag oder Beweidungsvertrag). Das Betreten fremder Flächen ohne Erlaubnis ist grundsätzlich als Besitzstörung oder gar als Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB und zivilrechtlich nach BGB unzulässig. Meist werden Weide- und Triebrechte auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), insbesondere §§ 585 ff. BGB (Landpachtvertrag), geregelt.

Gemeingebrauch und beschränkte Duldungspflichten

Öffentliche Wege und bestimmte Wald- und Feldflächen können im Rahmen des Gemeingebrauchs (§ 14 Bundeswaldgesetz, Landeswaldgesetze, Straßengesetze der Länder) zeitweilig mit Wanderschafherden genutzt werden. Hierfür gelten jedoch Einschränkungen zur Schonung des Verkehrs, Naturschutzes und des Eigentums Dritter.

Haftung

Tierhalterhaftung

Bei Schäden, die durch Wanderschafherden verursacht werden, greifen die Regelungen zur Tierhalterhaftung nach § 833 BGB. Hiernach haftet die verantwortliche Person verschuldensunabhängig für Schäden, die durch die Tiere verursacht werden, es sei denn, der Schaden beruht auf höherer Gewalt oder der Sorgfaltspflicht wurde in vollem Umfang nachgekommen.

Haftung für Umweltschäden

Kommen durch das Führen einer Wanderschafherde geschützte Pflanzen oder Lebensräume zu Schaden, können nach Naturschutzgesetzgebung der Länder sowie nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) Maßnahmen zur Wiederherstellung und gegebenenfalls Schadensersatzforderungen entstehen. Auch das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) kann einschlägig sein, wenn durch die Herde Gewässer beeinträchtigt werden.

Naturschutzrechtliche Regelungen

Wanderschafherden sind oft integraler Bestandteil von Naturschutzkonzepten, insbesondere in Schutzgebieten wie FFH-Gebieten, Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebieten. Dort ist die extensive Weidenutzung vielfach ausdrücklich gewünscht, wird aber an Bedingungen geknüpft. Diese betreffen insbesondere:

  • Vorgaben zu Tierdichte und Beweidungszeiten
  • Wechselwirkungen mit Flora und Fauna
  • Vermeidung von Übernutzung und Trittschäden
  • Einbindung in Managementpläne von Schutzgebieten

Das Beweiden von Schutzgebieten ist meist genehmigungs- oder anzeigepflichtig (§ 34 BNatSchG). Es können Auflagen auferlegt werden, um negative Auswirkungen auf geschützte Arten oder Lebensraumtypen zu vermeiden.

Tierseuchenrechtliche Vorschriften

Die Verbringung von Tieren über längere Distanzen unterliegt den Vorschriften des Tierseuchenrechts, insbesondere der Viehverkehrsverordnung sowie den jeweiligen tierseuchenrechtlichen Verordnungen der Bundesländer. Wanderschafherden müssen regelmäßig auf bestimmte Krankheiten untersucht werden (z. B. Maul- und Klauenseuche, Blauzungenkrankheit) und Belege über die Gesundheitskontrollen sind mitzuführen. Außerdem sind Wanderschafherden bei der zuständigen Veterinärbehörde anzumelden.

Kennzeichnungspflichten

Schafe in Wanderschafherden unterliegen der Tierkennzeichnungspflicht gemäß der Viehverkehrsverordnung und der TKG) (Tierkennzeichnungs- und Registrierungsverordnung). Jedes Schaf muss durch Ohrmarken eindeutig identifizierbar sein, und Bestandveränderungen sind dem zuständigen Landeskontrollverband bzw. der HIT-Datenbank zu melden.

Bedeutung der Wanderschafherde im Landwirtschafts- und Umweltrecht

Agrarrechtliche Förderung

Die Beweidung durch Wanderschafherden wird vielfach als umweltschonende Nutzungsform im Rahmen der Agrarförderung (z. B. Gemeinsame Agrarpolitik der EU, KULAP-Programme) gefördert. Hierbei werden Leistungen für Landschaftspflege, Offenhaltung und Biodiversität honoriert, sofern bestimmte Verfahren und Auflagen eingehalten werden.

Rechtliche Bedeutung für Biotopmanagement und Kulturlandschaft

Wanderschafherden leisten einen Beitrag zur Offenhaltung wertvoller Kulturlandschaften und zur Pflege von Mager- oder Trockenrasen sowie Deichen. Die rechtliche Einbindung dieser Herden in Managementpläne für Naturschutzgebiete und Deichverbände ist daher besonders relevant. Die Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen (z. B. Naturparks, Landschaftspflegeverbände) ist oft vertraglich geregelt.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Haltung und Führung einer Wanderschafherde ist rechtlich vielschichtig geregelt. Von tierschutz- und tierseuchenrechtlichen Vorschriften über pacht- und haftungsrechtliche Aspekte bis hin zu komplexen naturschutz- und agrarbezogenen Regelungen sind zahlreiche Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zu beachten. Die Bedeutung dieser Form der Weidetierhaltung liegt sowohl in der ökologischen Wertschöpfung als auch in besonderen agrarrechtlichen und umweltschutzbezogenen Vorschriften, welche der Sicherung nachhaltiger Nutzung, dem Schutz des Eigentums und der Schonung von Naturgütern dienen.

Wanderschafherden stehen somit an der Schnittstelle zwischen traditioneller Landnutzung, moderner Agrarpolitik sowie zeitgemäßem Natur- und Tierschutz und bedürfen einer differenzierten rechtlichen Betrachtung.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen zur Haltung einer Wanderschafherde beachtet werden?

Für die Haltung einer Wanderschafherde sind verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen zu erfüllen. Zunächst muss der Halter als Tierhalter registriert sein und seine Herde bei der zuständigen Veterinärbehörde anmelden, damit im Seuchenfall eine Rückverfolgbarkeit möglich ist. Die Tiere müssen zudem gegen meldepflichtige Tierseuchen wie Maul- und Klauenseuche geimpft und regelmäßig tierärztlich untersucht werden. Gemäß Tierseuchengesetz ist außerdem ein aktuelles Bestandsregister zu führen. Weiterhin ist das Tiertransportrecht relevant: Wanderschafherden, die große Entfernungen überwinden, unterliegen teilweise den Bestimmungen des Tierschutztransportgesetzes und benötigen eventuell einen Befähigungsnachweis nach EU-Verordnung 1/2005 für Tiertransporteure. Schließlich ist zu beachten, dass das Weiden auf fremden Flächen ohne vorherige vertragliche Regelung oder Einverständnis des Eigentümers nicht zulässig ist. Hier sind insbesondere Pacht-, Gestattungs- oder Nutzungsverträge mit Flächeneigentümern erforderlich. Auch art- und tierschutzrechtliche Vorgaben, etwa bezüglich Fütterung, Unterbringung und Schutz vor Witterung, müssen eingehalten werden.

Welche Haftungsregelungen gelten bei Schäden durch Wanderschafherden?

Die Haftung des Halters einer Wanderschafherde richtet sich nach § 833 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) im Rahmen der sogenannten Tierhalterhaftung. Der Halter haftet grundsätzlich verschuldensunabhängig für sämtliche Schäden, die seine Tiere verursachen, beispielsweise an landwirtschaftlichen Kulturen, privaten Grundstücken oder im Straßenverkehr. Die Haftung erstreckt sich auch auf Schäden, die die Herde während ihrer Wanderung auf öffentlichen Wegen oder Straßen verursacht. Es besteht die Möglichkeit, sich durch eine Tierhalterhaftpflichtversicherung abzusichern, was angesichts des erheblichen Haftungsrisikos dringend empfohlen wird. Bei Schäden, die von einer angestellten Hirtin oder einem angestellten Hirten verursacht werden, gilt die Haftung des Tierhalters fort. Eine Einschränkung der Haftung ist nur möglich, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten vorliegt oder besondere Sicherungsmaßnahmen nachweislich getroffen wurden.

Welche Besonderheiten gelten beim Betreten öffentlicher und privater Wege mit der Wanderschafherde?

Das Betreten öffentlicher Wege und Straßen mit einer Wanderschafherde ist im Grundsatz durch das Straßen- und Wegegesetz der jeweiligen Bundesländer geregelt. Eine Nutzung ist grundsätzlich erlaubt, sofern der Verkehrsfluss nicht wesentlich beeinträchtigt wird und die Tiere ordnungsgemäß beaufsichtigt werden. Auf privaten Wegen und Flächen besteht hingegen ohne ausdrückliche Gestattung durch den Eigentümer oder Nutzer kein Recht zum Betreten oder Durchtreiben. Nichtbeachtung kann als Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) oder als unerlaubte Nutzung fremder Grundstücke geahndet werden. Für das Queren von Bahnlinien, Bundesstraßen oder Autobahnen sind unter Umständen spezielle Ausnahmegenehmigungen oder Anmeldungen bei Polizei sowie den zuständigen Straßenverkehrsbehörden erforderlich.

Welche Meldepflichten bestehen für Wanderschafherden im Hinblick auf Tierseuchen?

Für Wanderschafherden gelten umfangreiche Meldepflichten gemäß Tiergesundheitsgesetz (TierGesG) sowie auf Grundlage der Viehverkehrsverordnung. Jede Bewegung der Herde muss spätestens sieben Tage vorab der zuständigen Veterinärbehörde gemeldet werden, insbesondere dann, wenn dabei die Kreis-, Bezirks- oder Bundeslandgrenzen überschritten werden. Zudem sind besondere Ereignisse wie Geburten, Tierverluste (z. B. durch Tod, Diebstahl oder Verkauf) sowie seuchenverdächtige Symptome umgehend zu melden. Für Herden, die mehrere Landkreise durchqueren, ist eine genaue Dokumentation aller Laufwege und Aufenthaltsorte erforderlich. Bei Verdacht auf meldepflichtige Tierseuchen sind unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen nach den Vorgaben der Veterinärämter zu ergreifen.

Inwieweit muss der Tierschutz bei der Führung einer Wanderschafherde beachtet werden?

Der Tierschutz wird durch das Tierschutzgesetz (TierSchG) und ergänzende Verordnungen geregelt und ist auch für Wanderschafherden verbindlich. Grundsätzlich dürfen den Tieren keine vermeidbaren Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, auch nicht während Wanderungen. Konkret bedeutet dies: Die Tiere müssen ausreichend Futter und Wasser erhalten, vor extremen Witterungseinflüssen geschützt werden (z. B. mobile Unterstände) und dürfen nur in einem gesundheitlich vertretbaren Umfang geführt werden. Tiertransporte über längere Strecken sind an strenge Vorgaben gekoppelt. Jungtiere, schwache oder kranke Tiere dürfen nicht ohne angemessene Versorgung und Schutz auf Wanderschaft geführt werden. Die tierschutzrechtliche Überwachung der Herde obliegt den Veterinärämtern, die unangekündigte Kontrollen vornehmen können.

Welche Vorgaben bestehen zur Kennzeichnung und Registrierung von Schafen in Wanderschafherden?

Schafe müssen gemäß Viehverkehrsverordnung und der EU-Verordnung 21/2004 zur Identifizierung und Registrierung von Schafen und Ziegen dauerhaft gekennzeichnet werden. Dies erfolgt in der Regel mittels Ohrmarken. Jedes neugeborene Lamm muss spätestens neun Monate nach der Geburt beziehungsweise vor dem ersten Verlassen des Geburtsbetriebs gekennzeichnet werden. Zusätzlich ist ein Bestandsregister zu führen, in dem sämtliche Zugänge und Abgänge dokumentiert werden. Die Registrierungs- und Kennzeichnungspflicht dient der Rückverfolgbarkeit im Seuchenfall und ist für Wanderschafherden aufgrund häufiger Standortwechsel besonders relevant. Verstöße können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden und zu empfindlichen Geldbußen führen.

Gibt es Besonderheiten beim Abschluss von Haftpflicht- und anderen Versicherungen für Wanderschafherden?

Ja, in der Regel verlangen Versicherer bei Wanderschafherden detaillierte Angaben zur Herdenstärke, genauen Wanderroute und den Sicherungsmaßnahmen gegen ungewolltes Ausbrechen. Neben einer klassischen Tierhalterhaftpflichtversicherung können weitere Policen – etwa für Schäden an Dritten, Umweltschäden (z. B. Gewässerschäden durch Dünger/Exkremente) oder spezielle Transportversicherungen – sinnvoll sein. Es besteht zudem die Möglichkeit, eine Betriebsausfallversicherung abzuschließen, falls die Herde z. B. durch Tierseuchen oder Diebstahl massiv dezimiert wird. Versicherungsbedingungen sehen teilweise erhöhte Anforderungen an Dokumentation und Nachweispflichten vor, etwa bei der Schadensmeldung oder bei der Frage nach Mitverschulden durch Flächeneigentümer.