Legal Lexikon

Vorvertrag


Definition und rechtliche Einordnung des Vorvertrags

Ein Vorvertrag ist ein Verpflichtungsgeschäft, in dem sich die Parteien rechtlich verbindlich dazu verpflichten, zu einem späteren Zeitpunkt einen Hauptvertrag abzuschließen. Der Vorvertrag gewährleistet dabei, dass beide Parteien zu den vereinbarten Bedingungen zur Vertragsschließung verpflichtet sind. Die rechtliche Behandlung und Bedeutung eines Vorvertrags variiert nach Vertragsart sowie der zugrundeliegenden nationalen Rechtsordnung. In Deutschland beispielsweise richtet sich der Vorvertrag maßgeblich nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).


Rechtsgrundlagen des Vorvertrags

Vorvertrag im deutschen Recht

Im deutschen Recht ergibt sich die Zulässigkeit und Bindungswirkung eines Vorvertrags vorrangig aus den allgemeinen Vorschriften des BGB über Schuldverhältnisse (§§ 311 ff. BGB). Ein Vorvertrag bedarf grundsätzlich der gleichen Form, die für den abzuschließenden Hauptvertrag vorgeschrieben ist (§ 311b BGB für Grundstücksverträge beispielsweise notarielle Beurkundung). Wird diese Form nicht eingehalten, ist der Vorvertrag grundsätzlich nichtig.

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten

Ein Vorvertrag ist vom Letter of Intent (Absichtserklärung), vom Optionsvertrag sowie vom Memorandum of Understanding (MOU) zu unterscheiden. Während ein Vorvertrag verpflichtet, den Hauptvertrag zu den vereinbarten Konditionen abzuschließen, handelt es sich bei den anderen genannten Instrumenten häufig lediglich um rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen oder Verhandlungsgrundlagen.


Voraussetzungen für einen wirksamen Vorvertrag

Wesentliche Vertragsinhalte

Ein wirksamer Vorvertrag muss mindestens die sogenannten essentialia negotii, das heißt, die wesentlichen Vertragsinhalte des späteren Hauptvertrags enthalten. Dazu zählen beispielsweise bei einem Kaufvertrag Angaben zum Kaufgegenstand, zum Kaufpreis und zu den Vertragsparteien. Ohne diese Mindestinhalte bleibt der Vorvertrag zu unbestimmt und ist damit unwirksam.

Formvorschriften

Für bestimmte Hauptverträge sind gesetzlich besondere Formvorschriften vorgesehen. Ein Vorvertrag unterliegt denselben Formanforderungen wie der Hauptvertrag, der durch ihn vorbereitet werden soll. So ist bei Immobilienkaufverträgen die notarielle Beurkundung zwingend erforderlich, andernfalls wäre der Vorvertrag gem. § 125 S. 1 BGB formnichtig.


Rechtsfolgen eines Vorvertrags

Bindungswirkung

Ein abgeschlossener und wirksamer Vorvertrag verpflichtet beide Parteien, den Hauptvertrag zu den vereinbarten Bedingungen abzuschließen. Verweigert eine Partei den Abschluss des Hauptvertrags, kann die andere Partei im Regelfall auf Abschluss des Hauptvertrags klagen (sogenannte Abschlussklage, § 887 ZPO).

Schadensersatzansprüche

Kommt es infolge einer Pflichtverletzung bzw. Nichterfüllung des Vorvertrags zu einem Schaden, kann die geschädigte Partei unter Umständen Schadensersatz gemäß §§ 280 ff. BGB verlangen. Dieser besteht regelmäßig im sogenannten Vertrauensschaden, gegebenenfalls jedoch auch im Erfüllungsinteresse.


Unterschiedliche Anwendungsbereiche des Vorvertrags

Immobilienrecht

Der Vorvertrag spielt im Immobilienrecht eine erhebliche Rolle, insbesondere beim Erwerb oder Verkauf von Grundstücken und Eigentumswohnungen. Er soll den Kaufinteressenten absichern, bevor aufwändige Prüfungen (etwa Finanzierungszusagen, Baugenehmigungen) vorliegen und soll den Verkäufer an den späteren Verkauf zu bestimmten Konditionen binden.

Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht werden Vorverträge manchmal genutzt, um die künftige Begründung eines Arbeitsverhältnisses vorzubereiten – etwa bei noch abzuwartenden Umständen wie behördlichen Genehmigungen. Auch hier gilt: Der Arbeitsvorvertrag muss die wesentlichen Arbeitsbedingungen enthalten, um Bindungswirkung herzustellen.

Gesellschaftsrecht und weitere Bereiche

Auch bei Unternehmensverkäufen, Investitionsprojekten oder der Gründung von Personengesellschaften finden sich Vorverträge, um Vertrauensschutz und Planungssicherheit zu vermitteln.


Durchsetzung und Durchsetzbarkeit des Vorvertrags

Abschlussklage

Weigert sich eine Vertragspartei, den Hauptvertrag wie vereinbart abzuschließen, steht der anderen Partei grundsätzlich der Anspruch auf Abschlussklage zu (§ 894 ZPO). Stellt der Hauptvertrag ein Verfügungsgeschäft dar (z.B. Übereignung eines Grundstücks), kann unter Umständen sogar die Erfüllung „gerichtlich ersetzt“ werden.

Rücktrittsrechte und Anfechtung

Wie jeder andere Vertrag unterliegt auch der Vorvertrag den Vorschriften über Rücktritt und Anfechtung. So kann der Vorvertrag etwa wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung angefochten werden (§§ 119 ff. BGB) oder bei vereinbartem Rücktrittsrecht aufgelöst werden.


Internationales Privatrecht

Im grenzüberschreitenden Kontext ist zu prüfen, welches (nationale) Recht auf den Vorvertrag Anwendung findet. Maßgeblich hierfür sind die einschlägigen Vorschriften des Internationalen Privatrechts, insbesondere die Rom I-Verordnung in der Europäischen Union. Die jeweilige gewählte Rechtsordnung bestimmt Form, Bindungswirkung und Rechtsfolgen des Vorvertrags.


Zusammenfassung und Bedeutung des Vorvertrags

Der Vorvertrag ist ein rechtlich verbindlicher Vertrag, der die Parteien zum Abschluss eines zukünftigen Hauptvertrags verpflichtet. Er ist in zahlreichen Rechtsgebieten von praktischer Bedeutung, insbesondere im Immobilienrecht, Gesellschaftsrecht und Arbeitsrecht. Die Wirksamkeit des Vorvertrags setzt insbesondere die hinreichende Bestimmtheit der Vertragsinhalte und, soweit erforderlich, die Einhaltung gesetzlicher Formerfordernisse voraus. Verstößt eine Partei gegen die Verpflichtungen aus dem Vorvertrag, so kann der Abschluss des Hauptvertrags in der Regel gerichtlich durchgesetzt und gegebenenfalls Schadensersatz verlangt werden. Der Vorvertrag bietet damit einen wichtigen Schutzmechanismus für die Vertragsparteien und gewährleistet Planungssicherheit in komplexen Vertragsverhandlungen.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Zivilprozessordnung (ZPO)
  • Internationale Vertragsrechtsnormen (z. B. Rom I-Verordnung)
  • Kommentarliteratur zum BGB (Palandt, MüKo u. a.)
  • Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Vorverträgen

Hinweis: Eine individuelle rechtliche Bewertung eines konkreten Vorvertrags oder eine Prüfung der Rechtslage im Einzelfall setzt stets eine Analyse der jeweiligen Vereinbarung und der geltenden Gesetzeslage voraus.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für das Zustandekommen eines wirksamen Vorvertrags erfüllt sein?

Für das Zustandekommen eines wirksamen Vorvertrags gelten im deutschen Recht die allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über den Vertragsschluss (§§ 145 ff. BGB). Das bedeutet, dass Angebot und Annahme inhaltlich übereinstimmen müssen und ein übereinstimmender Wille der Parteien bezüglich des künftigen Hauptvertrags besteht. Zusätzlich muss der Vorvertrag alle wesentlichen Punkte (essentialia negotii) des später zu schließenden Vertrags beinhalten. Im Immobilienrecht etwa ist zu beachten, dass ein Vorvertrag, der auf den Abschluss eines Grundstückskaufvertrags gerichtet ist, gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB notariell beurkundet werden muss, andernfalls ist er nichtig. Außerhalb von Grundstücksgeschäften sind grundsätzlich keine besonderen Formvorschriften zu beachten, jedoch empfiehlt sich aus Beweisgründen eine schriftliche Fixierung. Eine rechtliche Bindung entsteht erst, wenn beide Parteien den Vorvertrag unterzeichnet haben; Absichtserklärungen oder „Letter of Intent“ stellen hingegen keine rechtlich bindenden Vorverträge dar.

Welche rechtlichen Folgen hat der Abschluss eines Vorvertrags?

Der Abschluss eines Vorvertrags begründet für beide Parteien die Verpflichtung, den im Vorvertrag avisierten Hauptvertrag zu einem späteren Zeitpunkt abzuschließen. Kommt eine Partei dieser Verpflichtung ungerechtfertigt nicht nach, kann die andere Partei den Abschluss des Hauptvertrags grundsätzlich einklagen (sogenannte Klage auf Vertragsschluss nach § 887 ZPO). Voraussetzung für den gerichtlichen Durchsetzungsanspruch ist, dass der Hauptvertrag inhaltlich im Vorvertrag bereits so konkret umrissen wurde, dass er durch richterlichen Urteilsspruch ersetzt werden kann. Daneben können Schadensersatzansprüche bestehen, sollte eine Partei schuldhaft den Abschluss des Hauptvertrags verweigern oder verzögern. Gegebenenfalls besteht daneben ein Anspruch auf Ersatz des sogenannten Vertrauensschadens nach § 249 BGB.

Wie unterscheidet sich der Vorvertrag von einer bloßen Absichtserklärung (Letter of Intent)?

Ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal ist die rechtliche Verbindlichkeit. Ein Vorvertrag verpflichtet die Parteien rechtlich zum Abschluss des Hauptvertrages unter den vereinbarten Bedingungen. Eine Absichtserklärung („Letter of Intent“, „Memorandum of Understanding“) dient allein dem Zweck, den Stand von Verhandlungen und die Ernsthaftigkeit der Absichten der Parteien zu dokumentieren, ohne hierfür einen rechtsverbindlichen Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrages zu vermitteln. Während mit dem Vorvertrag einklagbare Rechte verbunden sind, gelten für Absichtserklärungen allenfalls die Grundsätze des vorvertraglichen Schuldverhältnisses (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, culpa in contrahendo), aus denen sich in Ausnahmefällen Schadensersatzansprüche ergeben können, jedoch kein Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrags.

Unter welchen Umständen ist ein Vorvertrag nichtig oder anfechtbar?

Ein Vorvertrag ist nichtig, wenn zwingende gesetzliche Formvorschriften nicht eingehalten wurden, beispielsweise die notarielle Beurkundung bei Vorverträgen über Grundstückskaufverträge (§ 311b Abs. 1 BGB). Auch widerrechtliche oder sittenwidrige Vereinbarungen (§§ 134, 138 BGB) können zur Nichtigkeit führen. Anfechtbar ist ein Vorvertrag – analog zu sonstigen Verträgen – unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 119 ff. BGB, etwa bei Willensmängeln wie Irrtum, arglistiger Täuschung oder Drohung. Die Anfechtung muss jedoch unverzüglich erfolgen und führt mit Wirkung ex tunc zur Nichtigkeit des Vorvertrags.

Wann verjährt der Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrags aus einem Vorvertrag?

Der Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrags verjährt nach den allgemeinen Regeln über die Verjährung von vertraglichen Ansprüchen (§§ 195, 199 BGB). Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob besondere Verjährungsfristen gelten, zum Beispiel bei Grundstücksgeschäften oder kaufrechtlichen Sonderregeln.

Welche Besonderheiten gelten für Vorverträge im Immobilienrecht?

Im Immobilienrecht verlangt das Gesetz eine notarielle Beurkundung nicht nur für den Hauptvertrag, sondern auch für den Vorvertrag, wenn dieser auf den Abschluss eines Grundstückskaufvertrages gerichtet ist (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB). Fehlt diese Beurkundung, ist der Vorvertrag nichtig und begründet keine Verpflichtung zum Abschluss des Hauptvertrags. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Hauptvertrag tatsächlich notariell beurkundet und vollzogen wird, sodass der Formmangel des Vorvertrags geheilt werden kann (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB). Besonderheiten bestehen weiterhin im Hinblick auf die Eintragung von Auflassungsvormerkungen und auf Nebenabreden, die ebenfalls beurkundungsbedürftig sein können.