Begriff und rechtliche Grundlagen der Vorausabtretung
Die Vorausabtretung ist ein Begriff aus dem deutschen Schuldrecht und beschreibt die vertragliche Übertragung künftiger Forderungen im Voraus. Hierbei verpflichtet sich der Schuldner (Zedent), seinem Gläubiger (Zessionar) Forderungen bereits vor deren Entstehung abzutreten. Die Vorausabtretung zählt zu den wichtigsten Instrumenten im Bereich der Kreditsicherung und ist insbesondere im deutschen Zivilrecht weit verbreitet.
Gesetzliche Regelung
Rechtsgrundlage für die Forderungsabtretung ist § 398 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), welcher die Abtretung von Forderungen grundsätzlich erlaubt. Eine Besonderheit der Vorausabtretung besteht zudem darin, dass auch Forderungen abgetreten werden können, die im Zeitpunkt der Vereinbarung noch nicht bestehen („Forderungen zukünftigen Erwerbs“). Die Zulässigkeit der Abtretung künftiger Forderungen ist durch die Rechtsprechung und die Literatur umfassend anerkannt.
Voraussetzungen und Wirksamkeit der Vorausabtretung
Gegenstand der Vorausabtretung
Abgetreten werden können sowohl gegenwärtige als auch zukünftige, hinreichend bestimmbare Forderungen. Es ist notwendig, dass diese Forderungen zum Zeitpunkt der Entstehung für die Parteien bestimmbar sind. Schlüsselbegriffe hierbei sind die „Bestimmbarkeit“ und „Erkennbarkeit“ der künftigen Forderung.
Form und Wirksamkeit
Das Gesetz sieht für die Abtretung keine besondere Form vor. Die Parteien können die Vorausabtretung daher formlos, d. h. auch mündlich, vereinbaren. Allerdings besteht in Einzelfällen Formbedürftigkeit, wenn die Forderung selbst einer Formvorschrift unterliegt (z. B. bei Grundpfandrechten). Die Vorausabtretung wird mit dem Abschluss des Abtretungsvertrages wirksam; die Durchsetzbarkeit der abgetretenen Forderung hängt jedoch regelmäßig vom späteren Entstehen der Forderung ab.
Bestimmtheitsgrundsatz
Zentrale Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Vorausabtretung ist die eindeutige Bestimmbarkeit der künftigen Forderungen im Vorausabtretungsvertrag. Hier reicht es aus, wenn die Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zweifelsfrei identifizierbar sind. Allgemeine Formulierungen, wie z. B. „alle künftigen Forderungen“, werden in der Praxis häufig verwendet, müssen jedoch ausreichend konkretisiert werden (z. B. Forderungen aus einer bestimmten Geschäftsbeziehung).
Praktische Bedeutung und Anwendungsbereiche
Kreditsicherung
Die Vorausabtretung spielt eine erhebliche Rolle als Sicherungsinstrument: Banken und andere Kreditgeber lassen sich regelmäßig bereits im Vorfeld die künftigen Forderungen ihrer Kreditnehmer abtreten. So kann beispielsweise im Rahmen eines Kontokorrent- oder Lieferantenkredits die Abtretung aller künftigen Forderungen des Schuldners aus Warenlieferungen erfolgen.
Sicherungsabtretung und Globalzession
Ein häufiges Anwendungsfeld ist die sogenannte Globalzession. Dort werden sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen, aus einem bestimmten Geschäftsbetrieb entstehenden Forderungen zur Sicherung eines Darlehens abgetreten. Auch im Rahmen von Factoringgeschäftsmodellen ist die Vorausabtretung bedeutsam: Forderungen, die den Forderungskäufer erst zukünftig entstanden, werden ihm direkt eingeräumt.
Rechtliche Beschränkungen und Probleme
Abtretungsausschluss und Abtretungsverbot
Nach § 399 BGB ist die Abtretung ausgeschlossen, sofern die Forderung nicht abgetreten werden darf (z. B. durch Vertrag, gesetzliche Vorschriften oder aufgrund der Natur des Rechtsgeschäftes). Insbesondere sind sogenannte „Abtretungsverbote“ in vielen Vertragsverhältnissen anzutreffen. Wird ein solches Abtretungsverbot ignoriert, ist die Abtretung zwar im Innenverhältnis nichtig; im Außenverhältnis kann die Wirksamkeit jedoch erhalten bleiben, sofern der Dritte nicht schutzwürdig ist.
Insolvenzrechtliche Auswirkungen
Ein bedeutsamer Aspekt ist die Vorausabtretung im Insolvenzfall. Die Wirksamkeit der Vorausabtretung steht gemäß § 91 Insolvenzordnung (InsO) unter dem Vorbehalt der Insolvenzanfechtung. Forderungen, die während der sogenannten „Insolvenzreife“ entstehen, können vom Insolvenzverwalter zur Masse gezogen werden. Zudem ist § 114 InsO bedeutsam, wodurch der Insolvenzverwalter den Bestand der Sicherungsabtretung unter bestimmten Umständen anfechten oder beseitigen kann, sofern sie eine Gläubigerbenachteiligung bewirkt.
Verhältnis zur Sicherungsübereignung und sonstigen Sicherungsmitteln
Die Vorausabtretung steht in engem Wettbewerb zu anderen Sicherungsmitteln, wie der Sicherungsübereignung oder dem Eigentumsvorbehalt. Gesetzlich geregelt ist keine Rangfolge der Sicherungsrechte, weshalb die Parteien im Vorfeld klarstellen müssen, welche Sicherung im Konfliktfall Vorrang genießt. In der Praxis ist es möglich, dass mehrfach Vorausabtretungen in Bezug auf bestimmte Forderungen vorgenommen werden (Doppelzession).
Konfliktfälle: Doppelzession, Prioritätsprinzip
Im Fall der mehrfachen Vorausabtretung derselben Forderung an unterschiedliche Zessionare gilt das Prioritätsprinzip: Die zuerst erfolgte wirksame Abtretung hat grundsätzlich Vorrang vor späteren Abtretungen. Eine Ausnahme kann sich nur ergeben, wenn der Schuldner an einen anderen Zessionar leistet, ohne von dessen schlechterer Rechtsposition Kenntnis zu haben (§ 407 BGB).
Offenlegung der Vorausabtretung
Anzeige an den Drittschuldner
Die Vorausabtretung wird gegenüber dem Drittschuldner erst dann wirksam, wenn sie diesem angezeigt wird (§ 409 BGB). Erst nach der Offenlegung darf der Zessionar die abgetretenen Forderungen beim Drittschuldner einziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Schuldner regelmäßig weiterhin zur Leistung an den bisherigen Gläubiger berechtigt.
Schweigen des Drittschuldners
Die Einwendungsmöglichkeiten des Drittschuldners richten sich nach den §§ 404 ff. BGB. Der Drittschuldner kann weiterhin alle Einwendungen geltend machen, die ihm gegen den ursprünglichen Gläubiger bis zur Kenntnis der Abtretung zustehen.
Steuerrechtliche und wirtschaftliche Aspekte
Im Steuerrecht hat die Vorausabtretung Auswirkungen auf die Bilanzierung und die steuerrechtliche Zuordnung von Forderungen, insbesondere im Rahmen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung sowie der Umsatzsteuer.
Im Wirtschaftsleben ist die Vorausabtretung ein gesetzlich anerkanntes und vielfach eingesetztes Sicherungsmittel, das insbesondere für Unternehmen mit regelmäßig hohen Forderungsbeständen relevant ist. Sie erlaubt es, betriebswirtschaftlich Liquiditätsspielräume zu erweitern und Finanzierungskosten zu senken.
Zusammenfassung
Die Vorausabtretung ist ein zentrales Sicherungsinstrument im deutschen Schuldrecht, das insbesondere als Mittel zur Sicherung künftiger Forderungen eingesetzt wird. Ihre Wirksamkeit setzt die genaue Bestimmbarkeit der betroffenen Forderungen voraus, sie unterliegt gesetzlichen Beschränkungen (§ 399 BGB, Insolvenzordnung) und ist in zahlreichen wirtschaftlichen Bereichen von großer Relevanz. Die korrekte vertragliche Gestaltung sowie die Berücksichtigung von insolvenzrechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten sind für die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Vorausabtretung maßgeblich.
Häufig gestellte Fragen
Welche Formerfordernisse gelten bei einer Vorausabtretung?
Eine Vorausabtretung (auch antizipierte oder zukünftige Abtretung genannt) unterliegt grundsätzlich den Formvorschriften des § 398 BGB, das heißt, sie kann formfrei erfolgen, sofern das zugrundeliegende Rechtsgeschäft keine besondere Form (zum Beispiel Schriftform gemäß § 311b BGB für Grundstücksgeschäfte) erfordert. In der Praxis empfiehlt sich jedoch die Schriftform, um Rechtssicherheit und Beweisbarkeit zu gewährleisten. Bei der Abtretung künftiger Forderungen besteht die Besonderheit, dass der abgetretene Anspruch im Zeitpunkt der Abtretung bereits bestimmbar sein muss. Die Parteien sollten daher in der Abtretungsvereinbarung die Forderungen so eindeutig wie möglich bezeichnen, beispielsweise durch Nennung der Schuldner, der Höhe der Forderung und des Rechtsgrundes. In speziellen Regelungsbereichen, wie etwa bei der Vorausabtretung von Mietforderungen im Rahmen einer Sicherungsabtretung durch Vermieter, können zusätzliche gesetzliche Bestimmungen oder Zustimmungserfordernisse zu beachten sein.
Wie wirkt sich eine Vorausabtretung auf die Verfügungsmacht des Zedenten aus?
Durch die Vorausabtretung verliert der Zedent (Abtretender) grundsätzlich seine Verfügungsbefugnis hinsichtlich der abgetretenen künftigen Forderung, sobald diese entsteht. Das bedeutet, dass er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wirksam über diese Forderung verfügen kann. Wenn der Zedent dennoch über die bereits abgetretene Forderung verfügt, kommt es zu einem Prioritätenkonflikt zwischen mehreren Zessionaren. Ausschlaggebend ist in einem solchen Fall der Zeitpunkt der jeweiligen Abtretung (Prioritätsprinzip nach § 185 BGB). Ein gutgläubiger Erwerb ist bei der Forderungsabtretung im deutschen Recht grundsätzlich ausgeschlossen, so dass spätere Erwerber das Nachsehen haben. Der Zedent bleibt bis zur Entstehung der Forderung formal Inhaber sowie Schuldner der Hauptforderung, schuldet es jedoch dem Zessionar, alles zu unterlassen, was deren Entstehung verhindern würde.
Welche Grenzen bestehen bei der Vorausabtretung aus rechtlicher Sicht?
Die Vorausabtretung stößt auf mehrere rechtliche Begrenzungen. Grundsätzlich können nur übertragbare Forderungen abgetreten werden, Forderungen, die nicht übertragbar sind, beispielsweise wegen gesetzlicher Abtretungsverbote (§ 399 BGB) oder vertraglicher Abtretungsverbote (z. B. in AGB oder Einzelverträgen), sind ausgenommen. Darüber hinaus muss die künftige Forderung im Zeitpunkt der Abtretung hinreichend bestimmbar sein. Weiterhin ist zu beachten, dass es bei Übersicherung zu Beschränkungen durch das Sicherungszweckprinzip und den Einwand des § 138 BGB (Sittenwidrigkeit) kommen kann. Des Weiteren ist die Vorausabtretung bei der Insolvenz des Zedenten anfechtbar, falls sie den Gläubigern gegenüber als inkongruente Deckung (§ 131 InsO) oder unzulässige Gläubigerbenachteiligung gewertet wird.
Wann wird die Vorausabtretung rechtlich wirksam und wann erlangt der Zessionar die Sicherungsrechte?
Die Wirkungen einer Vorausabtretung treten grundsätzlich mit dem Abschluss des Abtretungsvertrages ein, jedoch wird sie hinsichtlich der künftigen Forderung erst mit deren Entstehung „vollendet“. Ab diesem Zeitpunkt steht die Forderung nicht mehr dem Zedenten, sondern dem Zessionar zu. Die Sicherungsrechte entstehen somit ipso jure, sobald die Forderung im Vermögen des Zedenten entsteht. Voraussetzung ist, dass der abtretende Zedent im Zeitpunkt des Entstehens der Forderung Forderungsinhaber wird. Solange die Forderung nicht entsteht, bleibt das Abtretungsversprechen schwebend unwirksam gegenüber Dritten.
Wie verhält sich eine Vorausabtretung im Insolvenzfall des Zedenten?
Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Zedenten ist entscheidend, ob die abgetretene Forderung vor dem Insolvenzeröffnungszeitpunkt bereits entstanden ist. Bereits entstandene und wirksam abgetretene Forderungen fallen grundsätzlich nicht in die Insolvenzmasse, sondern stehen dem Zessionar zu (§ 47 InsO, Aussonderungsrechte). Forderungen, die erst nach Insolvenzeröffnung entstehen, können nicht mehr wirksam abgetreten werden, weil der Zedent nach § 80 InsO seine Verfügungsbefugnis an den Insolvenzverwalter verliert. Im Übrigen können bestimmte Vorausabtretungen der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO ausgesetzt sein, insbesondere wenn sie zu einer inkongruenten Deckung führen.
Welche Bedeutung kommt der Anzeige der Vorausabtretung an den Drittschuldner zu?
Die Anzeige der Vorausabtretung an den Drittschuldner (Schuldner der abgetretenen Forderung) ist aus zwei Gründen relevant: Einerseits wirkt sie als sogenannte „Schutzanzeige“ zugunsten des Zessionars (§ 409 BGB). Der Drittschuldner kann nach erfolgter Anzeige eine schuldbefreiende Leistung nur noch an den Zessionar erbringen. Andererseits schützt die Anzeige den Zessionar im Fall einer mehrfachen Abtretung derselben Forderung vor Nachteilen, da er im Rang vorgeht, wenn dem Drittschuldner seine Abtretung als erstes angezeigt wurde (§ 409 Abs. 2 BGB). Die Anzeige ist jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Abtretung selbst, sondern dient ausschließlich dem Schutz vor Leistungsverlust und Konkurrenzrisiken.
Ist eine Vorausabtretung auch im Rahmen von Sicherungsvereinbarungen zulässig?
Ja, die Vorausabtretung wird insbesondere im Rahmen von Sicherungsvereinbarungen, wie etwa bei Kreditgeschäften (Forderungsabtretung zugunsten der kreditgebenden Bank), zur Sicherung bestehender oder künftiger Forderungen angewendet. Hierbei wird häufig die Globalzession oder Mantelzession verwendet, bei der sämtliche gegenwärtigen und künftigen Forderungen des Zedenten aus einem bestimmten Geschäftsbetrieb abgetreten werden. Rechtlich ist hierbei zu beachten, dass die Sicherungsabtretung nicht zu einer unzulässigen Übersicherung führen darf; im Streitfall unterliegt die Zulässigkeit einer gerichtlichen Kontrolle nach dem Sicherungszweck. Bei Übersicherung kann der Sicherungsgeber Freigabe nach § 138 BGB oder entsprechend dem Sicherungsvertrag verlangen.