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Vertragsanpassung


Begriff und Wesen der Vertragsanpassung

Die Vertragsanpassung bezeichnet im deutschen Zivilrecht die nachträgliche Modifikation der ursprünglich vereinbarten Vertragsinhalte. Ziel einer Vertragsanpassung ist es, veränderten Umständen, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren, Rechnung zu tragen und das vertragliche Gleichgewicht im Sinne der Parteien wiederherzustellen. Die Anpassung kann entweder auf übereinstimmender Willenserklärung aller Vertragsparteien beruhen oder durch gesetzliche Anordnungen beziehungsweise gerichtliche Entscheidungen erfolgen.

Rechtsgrundlagen der Vertragsanpassung

Privatautonomie und Vertragsbindung

Dem Grundsatz der Privatautonomie folgend, steht es Parteien frei, Verträge zu schließen sowie deren Inhalte einvernehmlich zu ändern (§ 311 Absatz 1 BGB). Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten – kann jedoch durchbrochen werden, wenn das ursprüngliche Gleichgewicht der vertraglichen Leistungen durch unvorhergesehene Umstände empfindlich gestört wird.

Gesetzliche Regelungen

Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)

Die zentrale gesetzliche Grundlage für die Vertragsanpassung ist § 313 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Störung der Geschäftsgrundlage. Hiernach kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, sofern sich wesentliche Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag mit Kenntnis dieser Veränderung nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten. Eine Vertragsanpassung ist ausgeschlossen, wenn dem betroffenen Vertragsteil das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann.

Voraussetzungen einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB
  • Bestand einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage
  • Wegfall oder schwerwiegende Veränderung nach Vertragsschluss
  • Kausalität zur Störung des vertraglichen Gleichgewichts
  • Unzumutbarkeit des ursprünglichen Vertrages für einen Vertragsteil

Kommt eine Anpassung nicht in Betracht, weil diese unzumutbar erscheint, kann im Ausnahmefall ein Rücktritt oder eine Kündigung erfolgen.

Anpassung nach Leistungsstörungen

Auch einige Leistungsstörungen begründen Anpassungsansprüche, etwa wenn eine Unmöglichkeit der Leistung vorliegt (§§ 275, 326 BGB). In solchen Fällen kann eine Reduzierung des Entgelts oder eine Vertragsanpassung in Betracht kommen.

Sonderregelungen in Spezialgesetzen

Weitere Sonderregelungen zur Vertragsanpassung finden sich. Beispielsweise im Miet-, Arbeits- und Gesellschaftsrecht sowie im Handelsrecht:

  • Mietrecht: Anpassung der Miethöhe bei Modernisierung oder Veränderungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen (§§ 558 ff. BGB)
  • Arbeitsrecht: Anpassung der Arbeitsbedingungen durch Änderungskündigung (§ 2 KSchG)
  • Gesellschaftsrecht: Veränderung von Beteiligungsverhältnissen beispielsweise infolge wesentlicher Parameteränderungen im Unternehmen

Formen und Methoden der Vertragsanpassung

Einvernehmliche Vertragsanpassung

Der Regelfall ist die einvernehmliche Änderung durch eine Nachtragsvereinbarung oder Ergänzung zum Vertrag. Hierbei sind Formerfordernisse zu wahren, sofern sie für den Vertrag selbst Gültigkeit besitzen (z. B. notarielle Beurkundung beim Grundstückskauf).

Gerichtliche Vertragsanpassung

Ist eine Einigung der Parteien nicht möglich, kann ein gerichtliches Verfahren zur Anpassung des Vertrages eingeleitet werden. Das Gericht prüft auf Grundlage der gesetzlichen Maßstäbe, ob und wie der Vertrag anzupassen ist.

Anwendungsbereiche der Vertragsanpassung

Wichtige Praxisbeispiele

  • Wohnungsmietverträge bei erheblicher Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
  • Dauerschuldverhältnisse bei langfristigen Liefer- oder Abnahmeverträgen
  • Bauverträge im Falle unvorhergesehener Kostensteigerungen oder Beschaffungsprobleme
  • Veränderung der Geschäftsgrundlage infolge neuer gesetzlicher Regelungen oder außergewöhnlicher Ereignisse (z. B. Pandemie, Krieg)

Abgrenzung zu anderen Rechtsgrundsätzen

Nicht jede Veränderung von Umständen berechtigt zur Vertragsanpassung. Bagatellmäßige oder vorhersehbare Entwicklungen sind nicht erfasst. Die Schwelle zur Anpassung ist hoch und wird in der Rechtsprechung restriktiv gehandhabt.

Wirkung und Rechtsfolgen der Vertragsanpassung

Eine Anpassung kann verschiedene Rechtsfolgen haben:

  • Änderung einzelner Vertragsbestimmungen (z. B. Preisanpassung, Leistungsumfang)
  • Vereinbarung neuer Fristen oder Bedingungen
  • In Ausnahmefällen Auflösung oder Teilnichtigkeit des Vertrages

Die Wirkung tritt grundsätzlich ex nunc, das heißt ab dem Zeitpunkt der Anpassung, ein. Rückwirkende Anpassungen sind möglich, jedoch regelmäßig auf gravierende Ausnahmefälle beschränkt.

Verfahrensfragen und Beweislast

Die Partei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage und den Anpassungsbedarf beruft, trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen.

Internationale Bezüge

Vertragsanpassungen sind im internationalen Kontext ebenfalls relevant. So enthält das UN-Kaufrecht (CISG) keine vergleichbare Regelung wie § 313 BGB, jedoch greifen Prinzipien wie die „hardship“-Klausel, die eine Anpassung bei erheblichem Missverhältnis der Leistungen ermöglichen.

Zusammenfassung

Die Vertragsanpassung ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Zivilrechts und dient der Herstellung von Gerechtigkeit in Vertragsverhältnissen bei gravierenden, nachträglichen Veränderungen der Umstände. Sie sichert das Gleichgewicht und den Zweck des Vertrages, indem sie eine angemessene Handhabung unvorhersehbarer Entwicklungen ermöglicht. Die Begriffe Vertragsänderung, Nachtragsvereinbarung und Störung der Geschäftsgrundlage sind eng mit der Thematik verknüpft und bestimmen je nach Konstellation die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen einer Anpassung. Die Sicherstellung der Vertragsgerechtigkeit steht dabei stets im Vordergrund der rechtlichen Betrachtung.

Häufig gestellte Fragen

In welchen Fällen kann eine Vertragsanpassung im rechtlichen Sinne verlangt werden?

Eine Vertragsanpassung kann im rechtlichen Sinne grundsätzlich dann verlangt werden, wenn sich nach Vertragsschluss Umstände schwerwiegend verändert haben, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind und die Parteien den Vertrag – hätte sie die Änderung vorausgesehen – mit anderem Inhalt geschlossen hätten. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet in Deutschland insbesondere § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage). Voraussetzung ist, dass die Veränderung der Umstände nachträglich und unvorhersehbar eingetreten ist, die vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen keine ausreichende Regelung für diesen Umstand enthalten und das Festhalten am unveränderten Vertrag für eine Partei unzumutbar ist. Der Anspruch auf Vertragsanpassung ist vorrangig gegenüber einer Vertragsauflösung (z. B. Rücktritt oder Kündigung): Erst wenn eine Anpassung nicht möglich oder einer Partei nicht zumutbar ist, kann eine Vertragsbeendigung erwogen werden.

Sind bestimmte Vertragsarten von einer Vertragsanpassung ausgenommen?

Grundsätzlich können Vertragsanpassungen bei allen Vertragstypen in Betracht kommen, sofern die oben genannten rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Es gibt jedoch gesetzlich besonders geregelte Vertragstypen, bei denen spezielle Anpassungsmechanismen oder Ausschlussgründe normiert sind, etwa Mietverträge, Arbeitsverträge oder Werkverträge. Insbesondere im Bereich des Mietrechts (§§ 558 ff. BGB) oder Arbeitsrechts (z. B. im Rahmen von Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen) sind in der Praxis häufig abweichende Mechanismen für Änderungen vorgesehen, die einer allgemeinen Vertragsanpassung nach § 313 BGB vorgehen können. Auch kann die Möglichkeit einer Vertragsanpassung durch Individualvereinbarung eingeschränkt oder erweitert werden, spätestens jedoch dort ihre Grenzen finden, wo zwingendes Recht betroffen ist.

Wie läuft das Verfahren zur rechtlichen Vertragsanpassung ab?

Die Anpassung eines Vertrages aufgrund gestörter Geschäftsgrundlage setzt zunächst eine Verhandlung zwischen den Parteien voraus. Kommt keine einvernehmliche Lösung zustande, besteht die Möglichkeit, die Vertragsanpassung gerichtlich geltend zu machen. Das Verfahren gliedert sich typischerweise in folgende Schritte: Zunächst wird geprüft, ob überhaupt eine relevante Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Daraufhin wird bewertet, ob das Festhalten am ursprünglichen Vertrag unzumutbar ist. Anschließend definiert das Gericht, in welcher Weise und in welchem Umfang der Vertrag anzupassen ist, wobei der mutmaßliche Wille der Parteien bei Kenntnis der veränderten Umstände maßgeblich ist. Wichtig dabei: Die Beweislast für das Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen trägt die anpassungsbegehrende Partei.

Kann eine Vertragspartei eine Anpassung einseitig durchsetzen?

Nein, eine Vertragsanpassung kann grundsätzlich nicht einseitig durch eine Vertragspartei durchgesetzt werden – sie erfordert entweder eine Einigung der Parteien (Vertragsänderung) oder eine gerichtliche Entscheidung. Einseitige Leistungsänderungen sind nur dann zulässig, wenn sie ausdrücklich im Vertrag vorgesehen sind (z. B. Preisanpassungsklauseln oder Leistungsbestimmungsrechte gemäß § 315 BGB). Liegt eine solche Vereinbarung nicht vor, bleibt dem Betroffenen nur der Weg über Verhandlungen oder, falls diese scheitern, über das Gericht.

Welche rechtlichen Folgen hat eine wirksam durchgeführte Vertragsanpassung?

Eine wirksam durchgeführte Vertragsanpassung führt rechtlich dazu, dass der ursprüngliche Vertrag mit verändertem Inhalt fortbesteht – und zwar rückwirkend ab dem Zeitpunkt, zu dem die wesentliche Veränderung der Umstände wirksam wurde. Die angepassten Regelungen sind für beide Parteien verbindlich. Weigert sich eine Partei, den geänderten Vertragsinhalt zu erfüllen, können die allgemeinen Rechtsbehelfe (z. B. Klage auf Erfüllung, Leistungsverweigerungsrechte, Schadensersatzansprüche) geltend gemacht werden. Im Falle einer gerichtlichen Vertragsanpassung wird der Vertrag durch richterlichen Gestaltungsakt modifiziert und ist sodann in seiner neuen Fassung bindend.

Welche Rolle spielt die sog. Unzumutbarkeit beim Anspruch auf Vertragsanpassung?

Die Unzumutbarkeit ist eine zentrale Voraussetzung im Rahmen der Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage. Sie bildet das Kriterium, anhand dessen beurteilt wird, ob das Festhalten am unveränderten Vertrag für eine Partei noch zumutbar ist. Die Unzumutbarkeit wird aus einer Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls abgeleitet – darunter die Schwere der eingetretenen Veränderung, das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung, die Interessen beider Vertragsparteien sowie etwaige Risikoverteilung oder vertragliche Regelungen. Erst wenn das Festhalten am ursprünglichen Vertrag für eine Partei objektiv und unter Berücksichtigung der Vertragsrisikoverteilung schlechthin untragbar erscheint, ist eine Anpassung möglich.

Können gesetzliche oder vertragliche Anpassungsklauseln eine Vertragsanpassung ausschließen?

Ja, vertragliche oder gesetzliche Anpassungsklauseln können den Anwendungsbereich der allgemeinen Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage einschränken oder ausschließen. Vertragsparteien können beispielsweise durch sogenannte „Force-Majeure-Klauseln“, Änderungsvorbehalte oder Risikoverteilungsklauseln ausdrücklich regeln, wie bei bestimmten unvorhergesehenen Ereignissen zu verfahren ist. Enthält ein Vertrag solche Regelungen, gehen sie der allgemeinen Anwendung des § 313 BGB zunächst vor. Eine vollständige Abbedingung der gesetzlichen Vertragsanpassung ist jedoch nicht in jedem Fall wirksam, insbesondere wenn wesentliche Grundsätze des Zivilrechts – wie etwa Treu und Glauben – berührt sind.