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Vertragsangebot


Vertragsangebot

Definition und Bedeutung

Das Vertragsangebot bezeichnet im deutschen Zivilrecht die empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die einem anderen der Abschluss eines Vertrages in einer Weise angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrages allein vom Einverständnis des anderen abhängt (§ 145 BGB). Es bildet die Grundlage für das Zustandekommen zweiseitiger Schuldverhältnisse und ist zwingende Voraussetzung für einen wirksamen Vertragsschluss.

Voraussetzungen eines Vertragsangebots

1. Bestimmtheit und Rechtsbindungswille

Ein Vertragsangebot muss so bestimmt oder zumindest so bestimmbar sein, dass durch die Annahme des Angebots der Vertrag mit einem bestimmten Inhalt zustande kommt. Wesentliche Vertragsbestandteile (sogenannte „essentialia negotii“) müssen mindestens enthalten sein. Diese unterscheiden sich je nach Vertragstyp, z. B. beim Kaufvertrag: Vertragsparteien, Kaufgegenstand und Preis.

Auch der Rechtsbindungswille ist unverzichtbar. Ohne das ernsthafte Begehren, rechtliche Bindungen einzugehen, liegt kein Angebot, sondern allenfalls eine „invitatio ad offerendum“ (Aufforderung zur Abgabe eines Angebots) vor.

2. Zugang des Angebots

Das Vertragsangebot wird im Regelfall erst mit Zugang beim Empfänger wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), da es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt. Bis zum Zugang kann der Anbietende sein Angebot frei widerrufen. Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (wie z. B. dem öffentlichen Angebot im Automatenkauf) entfällt dieses Zugangserfordernis.

3. Bindung an das Angebot

Nach § 145 BGB ist der Anbietende an sein Angebot gebunden, sofern er die Bindung nicht ausdrücklich ausgeschlossen oder zeitlich begrenzt hat. Die Bindung endet, wenn das Angebot abgelehnt oder nicht fristgerecht angenommen wird.

Abgrenzung: Invitatio ad offerendum

Im rechtlichen Sinne ist das Vertragsangebot von der „invitatio ad offerendum“ abzugrenzen. Letztere ist lediglich eine rechtlich unverbindliche Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (z. B. Warenpräsentation im Schaufenster oder im Internetshop). Die Annahme hierauf ist erst das Angebot im Rechtssinn; der Präsentierende nimmt dieses Angebot an oder lehnt es ab.

Annahme des Vertragsangebots

Für das Zustandekommen eines Vertrages bedarf es neben dem Angebot zwingend einer Annahme nach § 147 BGB. Die Annahme wiederum muss rechtzeitig und inhaltlich deckungsgleich erfolgen. Geht eine verspätete oder abändernde Annahme beim Anbietenden ein, handelt es sich rechtlich um ein neues Angebot (Gegenangebot).

Annahmefrist und Zugang

Das Gesetz unterscheidet zwischen Anwesenden und Abwesenden. Bei Anwesenden ist die Annahme grundsätzlich sofort zu erklären, während bei Abwesenden eine „unter regelmäßigen Umständen zu erwartende“ Annahmefrist gemäß § 147 Abs. 2 BGB besteht.

Widerruf und Erlöschen des Angebots

Widerruf des Angebots

Bis zum Zugang beim Empfänger kann ein Angebot jederzeit widerrufen werden (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Nach Zugang besteht die Bindung bis zur Annahme oder bis zum Erlöschen des Angebots.

Erlöschen des Angebots

Ein Angebot kann auf verschiedene Weise erlöschen:

  • Ablehnung des Angebots durch den Empfänger (§ 146 Alt. 1 BGB)
  • Nicht rechtzeitige Annahme (§ 146 Alt. 2 BGB)
  • Tod, Geschäftsunfähigkeit oder Insolvenz eines Beteiligten unter bestimmten Umständen (§§ 130, 153 BGB)

Form des Vertragsangebots

Grundsätzlich ist für ein Vertragsangebot keine besondere Form vorgeschrieben, es sei denn, das Gesetz schreibt sie für das betreffende Rechtsgeschäft zwingend vor. Dies kann etwa notarielle Beurkundung bei Grundstückskaufverträgen (§ 311b Abs. 1 BGB) sein oder die Schriftform bei bestimmten Vertragsarten (z. B. Mietvertrag über ein Jahr, § 550 BGB).

Besondere Formen und Anwendungsbereiche

Angebot im elektronischen Geschäftsverkehr

Im Online-Handel gelten besondere Regeln: Die Präsentation von Waren im Internet ist in der Regel eine „invitatio ad offerendum“. Erst die Bestellung durch den Kunden stellt ein Angebot dar, das der Händler annehmen kann (z. B. durch Bestätigungs-E-Mail).

Öffentliche Angebote

Ein Angebot kann sich auch an einen unbestimmten Personenkreis richten (z. B. Auslobung, § 657 BGB). Hier entsteht das Angebot unmittelbar gegenüber jedem, der die Voraussetzungen erfüllt.

Rechtsfolgen eines wirksamen Vertragsangebots

Mit der Annahme eines wirksamen und wirksam zugegangenen Vertragsangebots erlangen die Parteien vertragliche Bindung. Rechte und Pflichten entstehen nach Maßgabe des vereinbarten Inhalts sowie gesetzlicher Vorschriften.

Zusammenfassung

Das Vertragsangebot ist ein zentrales Element im System des deutschen Zivilrechts und unentbehrlich für das Zustandekommen von Verträgen aller Art. Es erfordert Bestimmtheit, Rechtsbindungswillen und den Zugang beim Empfänger. Nach dem Zugang ist der Anbieter innerhalb der gesetzlichen oder vereinbarten Frist gebunden. Die rechtliche Ausgestaltung eines Angebots ist auf die jeweilige Vertragsart, die allgemeinen Vorschriften und gegebenenfalls auf besondere gesetzliche Regelungen abzustimmen. Ein tiefes Verständnis der Voraussetzungen, Wirkungen und Grenzen des Vertragsangebots ist grundlegend für sichere Vertragsabschlüsse und die rechtliche Beurteilung von Willenserklärungen.

Häufig gestellte Fragen

Kann ein Vertragsangebot widerrufen werden, bevor es angenommen wurde?

Ein Vertragsangebot kann grundsätzlich jederzeit widerrufen werden, solange der Widerruf vor oder zumindest gleichzeitig mit dem Zugang des Angebots beim Empfänger eintritt (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Widerruf gilt also nur dann, wenn er den Empfänger vor oder gleichzeitig mit der Angebotsabgabe erreicht, sodass dieser noch nicht darauf vertrauen konnte, dass das Angebot verbindlich ist. Wird der Widerruf nach Zugang des Angebots beim Empfänger erklärt, besteht grundsätzlich bereits die Möglichkeit der Annahme durch den Empfänger und ein Vertrag könnte zustande kommen. Ein Widerruf nach Zugang des Angebots ist nur möglich, wenn der Anbietende sich ein Widerrufsrecht im Angebot ausdrücklich vorbehalten hat. Zu beachten ist zudem, dass für besondere Geschäftszweige (z. B. Fernabsatz, Haustürgeschäfte) kraft Gesetzes spezielle Widerrufsmöglichkeiten bestehen, die hier jedoch nicht erfasst sind.

Wie lange ist ein Vertragsangebot verbindlich?

Die Bindungswirkung eines Angebots richtet sich nach § 145 BGB, sodass der Anbietende an sein Angebot grundsätzlich gebunden ist, bis dieses entweder angenommen oder die Annahmefrist abgelaufen ist. Die Annahme kann innerhalb einer vom Anbietenden gesetzten Frist erfolgen. Ist keine Frist bestimmt, gilt, dass die Annahme nur bis zu dem Zeitpunkt erfolgen kann, in welchem der Anbietende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf (§ 147 BGB). Bei unter Abwesenden gemachten Angeboten bemisst sich diese Frist anhand der Zeit, die für die Übermittlung des Angebots, die Überlegung und die Übermittlung der Annahme benötigt wird. Nach Ablauf der Frist oder bei verspäteter Annahme erlischt die Bindung des Anbietenden.

Was sind die Folgen, wenn ein Vertragsangebot verspätet angenommen wird?

Erfolgt die Annahme eines Vertragsangebots nach Ablauf der Bindungsfrist, so gilt dies rechtlich als neues Angebot des bisherigen Empfängers (§ 150 Abs. 1 BGB). Der ursprüngliche Anbietende ist nun nicht mehr gebunden und kann frei entscheiden, ob er die verspätete Annahme akzeptiert und auf diese Weise doch einen Vertrag abschließt. Der Vertrag kommt erst zustande, wenn der ursprüngliche Anbietende seinerseits ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten zustimmt.

Kann ein Angebot unter bestimmten Bedingungen oder mit Änderungen angenommen werden?

Wird ein Angebot unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen angenommen, so gilt dies nach § 150 Abs. 2 BGB grundsätzlich als Ablehnung des ursprünglichen Angebots verbunden mit einem neuen Angebot. Die geänderte Annahme ist rechtlich als eigener Antrag zu verstehen, der nun dem ursprünglichen Anbietenden zur Annahme oder Ablehnung offen steht. Erst mit einer ausdrücklichen oder konkludenten Annahme dieses neuen Angebots kommt der Vertrag zustande.

Welche Formvorschriften gelten für ein Vertragsangebot?

Grundsätzlich unterliegt ein Vertragsangebot keiner bestimmten Form, es kann mündlich, schriftlich oder sogar konkludent durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden. Allerdings schreibt das Gesetz für bestimmte Vertragsarten, wie beispielsweise Grundstückskaufverträge (§ 311b BGB) oder Bürgschaften (§ 766 BGB), eine besondere Form vor (z. B. notarielle Beurkundung oder Schriftform). In diesen Fällen muss auch das Angebot in der vorgeschriebenen Form erfolgen, da andernfalls der gesamte Vertrag nichtig wäre. Werden Formvorschriften nicht eingehalten, ist das Angebot (und damit auch ein etwaiger Vertrag) grundsätzlich unwirksam.

Ist ein Angebot gegenüber mehreren Personen gleichzeitig bindend?

Ein Angebot kann an mehrere Personen gleichzeitig gerichtet werden, wobei jeder einzelne Empfänger berechtigt ist, das Angebot anzunehmen. In einem solchen Fall kommt mit jedem Empfänger, der das Angebot rechtzeitig und wirksam annimmt, ein eigenständiger Vertrag zustande. Die Bindungswirkung des Angebots erstreckt sich auf alle Empfänger, solange das Angebot nicht durch Zeitablauf, Widerruf oder Ablehnung erloschen ist. Der Anbietende hat keinen Einfluss darauf, wer von den Angebotsadressaten zuerst oder überhaupt annimmt, es sei denn, er hat das Angebot ausdrücklich auf einzelne Empfänger beschränkt oder eine Mehrfachannahme ausgeschlossen.

Unter welchen Umständen erlischt ein Vertragsangebot?

Ein Vertragsangebot erlischt, wenn es vom Empfänger abgelehnt wird, nach Ablauf der Annahmefrist keine Annahme erfolgt (§ 146 BGB), der Anbietende das Angebot wirksam widerruft oder ein gesetzlicher Erlöschensgrund, wie Geschäftsunfähigkeit oder Tod einer Vertragspartei, eintritt (bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften). Zudem können Angebote durch Zeitablauf erlöschen, wenn keine explizite Frist gesetzt ist, aber aus den Umständen zu entnehmen ist, dass das Angebot nur für einen bestimmten Zeitraum gelten sollte. Das Angebot kann auch durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei erlöschen, sofern die Natur des Geschäfts dies erfordert.