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Verteidigungsnotstand

Verteidigungsnotstand: Begriff und Einordnung

Der Verteidigungsnotstand bezeichnet eine rechtliche Ausnahmesituation, in der eine Person eine gegenwärtige Gefahr für sich oder andere abwendet, indem sie in die Rechte desjenigen eingreift, von dem die Gefahr ausgeht. Der Eingriff kann sich auf Sachen, Tiere oder – je nach Lage – auch auf Handlungen des verantwortlichen Menschen beziehen. Unter strengen Voraussetzungen wird ein Verhalten, das für sich genommen rechtswidrig wäre, ausnahmsweise als erlaubt angesehen. Ziel ist der Schutz bedeutsamer Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Eigentum.

Abgrenzung zu verwandten Rechtsinstituten

Der Verteidigungsnotstand ist vom Handeln in Notwehr zu unterscheiden. Notwehr setzt einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff eines Menschen voraus und richtet sich typischerweise gegen den Angreifer. Beim Verteidigungsnotstand geht es dagegen um die Abwehr einer Gefahr, die nicht zwingend auf einem Angriff beruht, sondern auch von Sachen, Tieren oder Zuständen ausgehen kann.

Weiter ist der Verteidigungsnotstand von Konstellationen zu trennen, in denen zur Gefahrenabwehr in die Rechte unbeteiligter Dritter eingegriffen wird. Solche Fälle werden als weiter gefasster Notstand verstanden und unterliegen regelmäßig strengeren Anforderungen, etwa einer besonders sorgfältigen Interessenabwägung und teilweise einer nachträglichen Ausgleichspflicht. Der Verteidigungsnotstand knüpft demgegenüber daran an, dass sich der Eingriff gegen die Quelle der Gefahr oder die hierfür verantwortliche Person richtet.

Voraussetzungen des Verteidigungsnotstands

Gegenwärtige Gefahr

Erforderlich ist eine konkrete, unmittelbar drohende oder bereits bestehende Gefahr für ein schutzwürdiges Interesse. Bloße Befürchtungen, Vermutungen oder langfristige Risiken genügen nicht. Die Gefahr muss so nah bevorstehen oder schon realisiert sein, dass unverzügliches Handeln geboten erscheint.

Schutzwürdiges Ziel

Das Handeln muss auf den Schutz eigener oder fremder bedeutender Rechtsgüter gerichtet sein. Dazu gehören insbesondere Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum sowie andere elementare Interessen. Reine Unannehmlichkeiten oder Bagatellen rechtfertigen keinen Verteidigungsnotstand.

Geeignetheit und Erforderlichkeit

Die gewählte Maßnahme muss zur Abwehr der Gefahr geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Gefahrenabwehr notwendig ist. Milder wirkende, ebenso effektive Mittel sind vorrangig. Typisch ist ein abgestuftes Vorgehen: so wenig Eingriff wie möglich, so viel wie nötig.

Richtung des Eingriffs

Charakteristisch ist, dass sich der Eingriff gegen die Gefahrquelle oder den hierfür Verantwortlichen richtet. Dies kann die Beschädigung oder Beseitigung einer gefährlichen Sache, das Abwehren eines angreifenden Tieres oder das unmittelbare Unterbinden einer von einer Person verursachten Gefahr sein.

Angemessenheit (Interessenabwägung)

Selbst wenn eine Maßnahme geeignet und erforderlich ist, muss sie im Verhältnis zur bedrohten Rechtsposition angemessen sein. Je gewichtiger das bedrohte Interesse, desto intensiver dürfen Abwehrmaßnahmen ausfallen. Die Abwehr besonders schwerer Gefahren kann einen weitergehenden Eingriff rechtfertigen als die Abwehr geringfügiger Beeinträchtigungen.

Rechtsfolgen

Rechtfertigende Wirkung

Sind die Voraussetzungen erfüllt, wird das Abwehrhandeln rechtlich als erlaubt angesehen. Eine ansonsten rechtswidrige Beeinträchtigung – etwa die Beschädigung einer gefährlichen Sache – ist dann ausnahmsweise zulässig. Im Strafrecht entfällt die Rechtswidrigkeit der Tat; im Zivilrecht ist der Eingriff nicht widerrechtlich.

Ausgleichs- und Haftungsfragen

Obwohl der Verteidigungsnotstand grundsätzlich rechtfertigend wirkt, können sich in Grenzfällen Ausgleichsfragen stellen, insbesondere wenn die Maßnahme erkennbar überzogen war oder ein weniger eingriffsintensives, gleich wirksames Mittel bereitstand. Bei Überschreitung der Grenzen können straf- und zivilrechtliche Verantwortlichkeiten entstehen.

Grenzen und Missbrauchsschutz

Keine vorgeschobene Gefahr

Nicht ausreichend sind Unbehagen, Ärger oder rein präventive Erwägungen ohne konkrete Gefahrenlage. Eine Gefahr darf nicht konstruiert oder vorgeschoben werden, um Eingriffe zu rechtfertigen.

Selbstverursachte Gefahren

Wer die Gefahr selbst in vorwerfbarer Weise herbeiführt, kann sich nur eingeschränkt auf den Verteidigungsnotstand berufen. Je näher der eigene Beitrag an der Gefahr liegt, desto enger werden die Handlungsspielräume.

Schutz Unbeteiligter

Eingriffe in Rechte unbeteiligter Dritter werden vom Verteidigungsnotstand nicht erfasst. Wird zur Gefahrenabwehr in fremde, unbeteiligte Rechtspositionen eingegriffen, gelten gesteigerte Anforderungen und gegebenenfalls Ausgleichspflichten.

Typische Fallkonstellationen

Abwehr einer Gefahr durch Sachen

Beispiele sind das Stoppen eines führerlosen, rollenden Fahrzeugs durch Eingriffe an diesem Fahrzeug oder das Unbrauchbarmachen einer defekten Einrichtung, von der ein akutes Risiko ausgeht. Die Abwehr richtet sich jeweils gegen die Gefahrquelle selbst.

Abwehr durch Einwirkung auf Tiere

Greift ein Tier an oder geht von ihm eine unmittelbar drohende Gefahr aus, können angemessene Maßnahmen zur Abwehr zulässig sein. Entscheidend sind Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im konkreten Verlauf.

Unmittelbares Unterbinden gefahrbegründender Handlungen

Verhält sich eine Person so, dass daraus eine akute Gefahr resultiert, kann ein gezielter, erforderlicher und verhältnismäßiger Eingriff rechtfertigungsfähig sein, soweit er sich gegen den Verursachungsbeitrag richtet.

Verhältnis zu Notwehr und weiterem Notstand

Notwehr

Die Notwehr setzt einen rechtswidrigen Angriff voraus und richtet sich gegen den Angreifer. Die Abwägung ist dort anders ausgestaltet, weil der Angreifer die Gefahr durch sein Verhalten gesetzt hat. Beim Verteidigungsnotstand kann die Gefahr auch ohne rechtswidriges Verhalten entstehen (z. B. durch Sachen oder Tiere), weshalb die Prüfung der Angemessenheit besonders bedeutsam ist.

Weiterer Notstand

Wenn zur Rettung bedeutsamer Interessen in Rechte unbeteiligter Dritter eingegriffen wird, spricht man von einem weitergehenden Notstand. Dieser erfordert eine strenge Güterabwägung und kann Ausgleichsansprüche auslösen. Der Verteidigungsnotstand ist hiervon abzugrenzen, weil sich der Eingriff gegen die Gefahrquelle oder den Verantwortlichen richtet.

Irrtümer und Fehleinschätzungen

Wer irrig von einer Gefahr ausgeht oder deren Ausmaß falsch einschätzt, handelt unter Umständen anders zu beurteilen als bei einer korrekt erkannten Lage. Entscheidend sind die tatsächlichen Umstände und die Sichtweise im Zeitpunkt des Handelns. Je stärker eine Fehleinschätzung vermeidbar war, desto eher können rechtliche Nachteile eintreten. Umgekehrt können nicht vermeidbare Irrtümer die Beurteilung zugunsten der handelnden Person beeinflussen.

Beweis- und Darlegungsaspekte

Im Nachhinein werden konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr, deren Unmittelbarkeit sowie die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahme maßgeblich. Dokumentierbare Umstände, Zeugen, Spurenbilder oder objektive Indikatoren können bei der rechtlichen Bewertung eine Rolle spielen. Maßstab ist die Situation im Zeitpunkt der Entscheidung, nicht ein späteres Idealwissen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Verteidigungsnotstand

Was bedeutet Verteidigungsnotstand in einfachen Worten?

Verteidigungsnotstand erlaubt ausnahmsweise Eingriffe, um eine akute Gefahr abzuwehren, wenn sich die Maßnahme gegen die Gefahrquelle oder den Verantwortlichen richtet und geeignet, erforderlich sowie angemessen ist.

Worin liegt der Unterschied zwischen Verteidigungsnotstand und Notwehr?

Notwehr richtet sich gegen einen rechtswidrigen Angriff eines Menschen. Verteidigungsnotstand dient der Abwehr einer Gefahr, die auch ohne Angriff bestehen kann, etwa durch Sachen oder Tiere, und richtet sich gegen die Gefahrquelle.

Darf man im Verteidigungsnotstand fremde Sachen beschädigen?

Ein Eingriff in fremde Sachen kann zulässig sein, wenn er zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist und sich die Maßnahme gegen die Gefahrquelle richtet. Überschreitungen können rechtliche Folgen haben.

Gilt der Verteidigungsnotstand auch gegenüber Tieren?

Ja. Geht von einem Tier eine akute Gefahr aus, können angemessene Abwehrmaßnahmen rechtfertigungsfähig sein. Maßgeblich bleiben Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.

Spielt die Verhältnismäßigkeit immer eine Rolle?

Ja. Die Intensität der Abwehr muss im Verhältnis zur Schwere der drohenden Beeinträchtigung stehen. Schwerwiegende Gefahren rechtfertigen intensivere Eingriffe als geringfügige.

Was passiert, wenn die Grenzen des Verteidigungsnotstands überschritten werden?

Bei Überschreitung können straf- und zivilrechtliche Konsequenzen folgen. Es kommt auf den konkreten Grad der Überschreitung und die Umstände des Einzelfalls an.

Wer muss nachweisen, dass Verteidigungsnotstand vorlag?

In der rechtlichen Prüfung wird die Gefahrenlage und die Erforderlichkeit sowie Angemessenheit der Maßnahme anhand der verfügbaren Anhaltspunkte bewertet. Praktisch ist eine nachvollziehbare Darlegung der Umstände des Handelns bedeutsam.

Besteht eine Pflicht, den entstandenen Schaden zu ersetzen?

Beim zulässigen Verteidigungsnotstand besteht grundsätzlich keine Ersatzpflicht gegenüber der Gefahrquelle. Im Fall von Überschreitungen oder Eingriffen in Rechte Unbeteiligter können jedoch Ausgleichs- oder Haftungsfragen entstehen.