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Verschweigen wichtiger Umstände beim Vertragsschluss


Verschweigen wichtiger Umstände beim Vertragsschluss: Rechtliche Einordnung

Begriffserklärung und Grundsatz

Das Verschweigen wichtiger Umstände beim Vertragsschluss bezeichnet das bewusste oder fahrlässige Zurückhalten von Informationen durch eine Vertragspartei, die für den Vertragspartner im Hinblick auf den Vertragsschluss von erheblicher Bedeutung sind. Dieses Verhalten kann zu verschiedenen rechtlichen Konsequenzen führen, insbesondere zur Anfechtung des Vertrags, zu Schadensersatzansprüchen oder zur Verwirkung von Rechten.

Das Verschweigen betrifft insbesondere Sachverhalte, die, sofern sie offenbart worden wären, den Vertragsschluss, dessen Inhalt oder gar dessen Zustandekommen beeinflusst hätten.


Bedeutung im Allgemeinen Vertragsrecht

Grundsatz der Privatautonomie und Vertragsfreiheit

Im Zivilrecht besteht grundsätzlich keine generelle Offenbarungspflicht sämtlicher Umstände beim Vertragsschluss. Das Vertragsrecht ist vom Prinzip der Privatautonomie und Vertragsfreiheit geprägt, wonach es jedem selbst überlassen bleibt, welche Informationen er preisgibt. Weitgehender besteht keine generelle Pflicht zur selbstständigen Aufklärung des Vertragspartners über alle Umstände.

Grenzen: Aufklärungspflichten und Offenbarungspflichten

Eine Aufklärungspflicht entsteht jedoch ausnahmsweise, wenn eine Partei sogenannte aufklärungspflichtige Umstände kennt, deren Kenntnis für die andere Partei von ausschlaggebender Bedeutung für deren Entschluss zum Vertragsschluss ist und von deren Mitteilung sie nach Treu und Glauben ausgehen kann. Diese Pflicht folgt insbesondere aus § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben).

Beispiele typischer aufklärungspflichtiger Umstände sind:

  • Mängel oder Beschaffenheitsabweichungen bei Kaufobjekten
  • negative wirtschaftliche Entwicklungen, die den Vertragszweck gefährden
  • Bestehen von Vorlasten, Rechten Dritter oder sonstigen rechtlichen Beschränkungen auf dem Vertragsgegenstand

Rechtliche Folgen des Verschweigens

Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Wird eine aufklärungsbedürftige Tatsache absichtlich verschwiegen, kann dies als Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB gewertet werden. Diese Norm eröffnet dem getäuschten Vertragspartner das Recht, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Die Anfechtung hat zur Folge, dass der Vertrag als von Anfang an nichtig gilt (§ 142 Abs. 1 BGB).

Voraussetzungen hierfür sind:

  • Vorsätzliches Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Umstands
  • Kausalität zwischen Täuschung und Vertragsschluss
  • Irrtum des Getäuschten infolge der Täuschungshandlung

Es genügt bereits das sogenannte „Verschweigen wesentlicher Umstände“, wenn eine Rechtspflicht zur Offenbarung besteht.

Schadensersatzansprüche

Neben der Anfechtung kann das Verschweigen wichtiger Umstände zu Schadensersatzansprüchen führen. Gemäß § 280 BGB kann ein Anspruch bestehen, wenn durch das Verschweigen eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt wurde. Ebenfalls ist § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) relevant, wenn das Verhalten besonders verwerflich ist.

Vorvertragliche Haftungstatbestände, insbesondere die culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB), begründen unabhängig vom Vertragsschluss Schutzpflichten, deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann.

Rückabwicklung und weitere Folgen

Kommt es zur Anfechtung oder zu einer wirksamen Rückabwicklung, sind empfangene Leistungen gemäß den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) zurückzugewähren.


Voraussetzungen und Umfang von Offenbarungspflichten

Voraussetzungen

Eine Pflicht zur Offenbarung besteht insbesondere, wenn:

  • nur die eine Vertragspartei die Information besitzt,
  • die andere Vertragspartei nach Treu und Glauben mit deren Mitteilung rechnen darf,
  • die Tatsachen für den Vertragszweck oder die Willensbildung der anderen Partei wesentlich sind.

Keine Offenbarungspflicht besteht demgegenüber bei:

  • allgemein bekannten Tatsachen,
  • Umständen, die der anderen Seite ohne weiteres zugänglich sind,
  • bloßen Meinungsäußerungen oder Werturteilen.

Vertragstypische Besonderheiten

Offenbarungspflichten können je nach Vertragstyp variieren:

  • Beim Kaufvertrag sind Mängel, insbesondere verdeckte Mängel, grundsätzlich aufzudecken.
  • Im Arbeitsrecht bestehen erhöhte Aufklärungspflichten über Umstände, die die Arbeitsleistung betreffen.
  • Im Immobilienrecht sind Belastungen, Grunddienstbarkeiten oder Altlasten offen zu legen.

Verschweigen nicht wesentlicher Umstände

Das Verschweigen von Tatsachen, die nicht offenbarungspflichtig sind, bleibt regelmäßig ohne rechtliche Folgen. Verboten ist lediglich das aktive Täuschen oder das Verschweigen solcher Informationen, bei deren Mitteilung nach Treu und Glauben gerechnet werden kann.


Beweislast

Im Streitfall trägt grundsätzlich derjenige die Beweislast, der sich auf das Verschweigen als Anfechtungs- oder Haftungsgrund beruft. Im Rahmen von § 123 BGB genügt es, dass der Anfechtungsberechtigte den objektiven Tatsachenvorgang belegt und die Täuschungsabsicht glaubhaft macht.


Grenzen des Verschweigens – Ausnahmen

Bestimmte Sachverhalte dürfen auch dann verschwiegen werden, wenn sie für die andere Partei erheblich sind, wenn ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung überwiegt. Dies betrifft etwa gesetzlich geschützte Geheimnisse oder Verteidigungsrechte wie das Zeugnisverweigerungsrecht.


Rechtsfolgen bei Verletzung der Offenbarungspflicht (Zusammenfassung)

  • Anfechtung des geschlossenen Vertrags möglich (§ 123 BGB)
  • Schadensersatzansprüche aus vorvertraglicher Pflichtverletzung oder aus Deliktsrecht
  • Rückabwicklung des Vertrages über Bereicherungsrecht

Zusammenfassung

Das Verschweigen wichtiger Umstände beim Vertragsschluss stellt eine erhebliche Verletzung vorvertraglicher oder vertraglicher Pflichten dar, deren rechtliche Folgen sowohl die Anfechtung als auch Schadensersatzansprüche umfassen können. Ob eine Pflicht zur Offenbarung besteht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und der berechtigten Erwartung der Parteien unter Berücksichtigung von Treu und Glauben. Die genaue Beurteilung erfolgt stets unter Berücksichtigung des jeweiligen Vertragstyps und der vertragsspezifischen Besonderheiten.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen kann das Verschweigen wichtiger Umstände beim Vertragsschluss im deutschen Zivilrecht haben?

Das Verschweigen wesentlicher Umstände beim Vertragsschluss kann im deutschen Zivilrecht gravierende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. So kann es zum Beispiel zur Anfechtbarkeit eines Vertrags nach § 123 BGB führen, wenn eine Partei einen erheblichen Umstand arglistig verschweigt und dadurch den Vertragspartner zur Abgabe seiner Willenserklärung verleitet. Arglistig ist das Verschweigen, wenn dem Verschweigenden bewusst ist, dass der andere Teil im Fall der Offenbarung den Vertrag nicht oder nur zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte. Wird die Anfechtung wirksam erklärt, ist der Vertrag gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig. Daneben besteht die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, insbesondere wenn bereits vorvertragliche Pflichten (culpa in contrahendo) verletzt wurden. In Fällen besonderer Branchenpflichten kann zudem spezialgesetzlich, etwa nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) oder dem Immobilienrecht, eine weitergehende Informationspflicht bestehen, deren Verletzung ebenfalls zum Rücktritt oder zur Vertragsanpassung berechtigt.

Wann muss ein Vertragspartner ungefragt auf wesentliche Umstände hinweisen?

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Vertragspartner immer dann zur ungefragten Offenbarung wesentlicher Umstände verpflichtet, wenn diese für den Vertragsabschluss oder den Vertragsinhalt von ausschlaggebender Bedeutung sind und davon auszugehen ist, dass der andere Teil sie bei Kenntnis vernünftigerweise berücksichtigt hätte. Typische Fälle hierfür sind beispielsweise schwere Sachmängel, bestehende Vorerkrankungen bei Versicherungsverträgen oder erhebliche Überschuldung beim Unternehmenskauf. Die Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo der andere Vertragspartner die Informationen auch selbst ohne Weiteres hätte einholen können (Stichwort: Erkundigungspflicht). Wird eine solche Pflicht verletzt, kann dies die Ansprüche auf Anfechtung, Rücktritt oder Schadensersatz begründen.

Welche Mitwirkungspflichten bestehen konkret hinsichtlich der Offenlegungspflicht?

Die Mitwirkungspflichten bezüglich der Offenlegung wichtiger Umstände ergeben sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Danach hat jeder Vertragspartner dafür Sorge zu tragen, dass der andere nicht durch unvollständige oder unwahre Angaben einen Nachteil erleidet. Die Offenbarungspflicht erstreckt sich auf alle Tatsachen, die für die Entscheidung des Vertragspartners bedeutsam sind und deren Kenntnis vom redlichen Geschäftspartner erwartet werden kann. Diese Pflicht gilt verstärkt bei besonderen Vertrauensverhältnissen, wie etwa im Arbeitsrecht, beim Immobilienverkauf oder bei der Vermittlung von Versicherungen, und kann durch Gesetz, Vertrag oder Treu und Glauben konkretisiert werden.

Wie unterscheidet sich das bloße Verschweigen von der aktiven Täuschung?

Im rechtlichen Kontext unterscheidet man zwischen einer aktiven Täuschung und dem bloßen Verschweigen. Eine aktive Täuschung liegt vor, wenn eine Partei bewusst falsche Informationen gibt oder auf andere Weise einen Irrtum herbeiführt (§ 123 Abs. 1 Variante 1 BGB). Das bloße Verschweigen wird rechtlich der Täuschung gleichgestellt, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsache eine Rechtspflicht zur Offenbarung besteht (§ 123 Abs. 1 Variante 2 BGB). Das bedeutet praktisch, dass nicht jedes Verschweigen automatisch eine Täuschung darstellt; vielmehr muss ein besonderes Informationsinteresse und eine entsprechende Pflicht zur Mitteilung bestehen – etwa, weil andernfalls ein wirtschaftlicher Schaden droht.

Welcher Zeitraum ist für die Geltendmachung von Rechten wegen Verschweigens maßgeblich?

Für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gilt gemäß § 124 Abs. 1 BGB eine Frist von einem Jahr ab Entdeckung der Täuschung. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die allgemeinen Verjährungsfristen gemäß §§ 195, 199 BGB für etwaige Schadensersatzansprüche Anwendung finden, wobei der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von der anspruchsbegründenden Tatsache abgestellt wird. Insbesondere bei Immobilien- oder größeren Verbraucherverträgen sollten betroffene Parteien daher rasch reagieren und ihre Rechte zeitnah geltend machen, um Rechtsverluste aufgrund Zeitablaufs zu vermeiden.

Welche Nachweispflichten bestehen im Streitfall bezüglich des Verschweigens?

Im Prozessfall trägt grundsätzlich die Partei die Darlegungs- und Beweislast, die sich auf die Arglist oder das Verschweigen beruft, also in der Regel der Geschädigte. Dieser muss sowohl das Vorliegen eines aufklärungspflichtigen Umstands als auch die Kenntnis und das vorsätzliche Verschweigen seitens des Vertragspartners darlegen und beweisen. Aufgrund der häufig schwierigen Nachweisbarkeit genügt bereits bedingter Vorsatz (sog. Eventualvorsatz). Gerichte verlangen dabei eine Gesamtwürdigung aller Umstände, wobei Indizien wie widersprüchliche Angaben, unterbliebene Nachfragen oder E-Mail-Korrespondenzen zu berücksichtigen sind.

Gibt es Ausnahmen, bei denen das Verschweigen unbeachtlich bleibt?

Ja, es gibt bestimmte Konstellationen, in denen das Verschweigen rechtlich unbeachtlich ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der andere Vertragspartner die verschwiegenen Tatsachen selbst kannte oder hätte kennen müssen (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis gemäß § 442 BGB im Kaufrecht). Zudem entfällt die Offenbarungspflicht bei erkennbaren Bagatellen oder wenn das Verschweigen keine Auswirkung auf den Vertragswillen des anderen hatte. Auch bei gegenseitigem Unterlassen der Offenlegung trotz beiderseitigen Spezialwissens kann im Einzelfall die Rechtspflicht zur Aufklärung entfallen.