Legal Lexikon

Verrechnung


Begriff und Rechtsnatur der Verrechnung

Die Verrechnung ist ein zentrales Institut des Zivilrechts, das die Möglichkeit bietet, gegenseitige Forderungen zwischen zwei Parteien durch einseitige Erklärung ganz oder teilweise zum Erlöschen zu bringen. In der Rechtsordnung dient die Verrechnung der Vereinfachung wirtschaftlicher Beziehungen und der Förderung der Rechtsklarheit, insbesondere wenn zwei Personen einander Geld oder gleichartige Leistungen schulden.

Definition und Abgrenzung

Verrechnung ist das wechselseitige Aufrechnen von Forderungen, bei der eine Partei (Verrechnender) erklärt, dass sie eine bestehende Gegenforderung gegen die Hauptforderung des anderen Teils ausgleicht. Dadurch erlöschen beide Forderungen, soweit sie sich decken. Die Verrechnung ist von der Erfüllung, dem Erlass und dem Vergleich abzugrenzen.

Voraussetzungen der Verrechnung

Damit eine Verrechnung zulässig ist, müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den §§ 387 ff. geregelt sind.

Gegenseitigkeit der Forderungen

Ein wesentliches Erfordernis ist die Gegenseitigkeit. Die Parteien müssen einander als Gläubiger und Schuldner gegenüberstehen, sodass jeweils eine Forderung gegen den anderen besteht (z. B. A schuldet B 100 €, B schuldet A 50 €).

Gleichartigkeit der Forderungen

Für die Verrechnung müssen die Forderungen dem Inhalt nach gleichartig sein, in der Regel Geldforderungen oder Forderungen auf andere vertretbare Sachen. Nicht gleichartige Leistungen, etwa eine Geldforderung gegen eine Lieferung von Waren, sind nicht miteinander verrechenbar.

Fälligkeit und Durchsetzbarkeit

Die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), muss zumindest fällig sein. Die Gegenforderung (Verrechnungsforderung) muss durchsetzbar, das heißt einredefrei und fällig, sein (§ 389 BGB).

Rechtsfolgen der Verrechnung

Erlöschen der Forderungen

Mit Zugang der Aufrechnungserklärung und vorbehaltlich der gesetzlichen Voraussetzungen erlöschen die Forderungen gegenseitig, soweit sie sich decken (§ 389 BGB). Übersteigt eine Forderung die andere, bleibt sie in Höhe des Differenzbetrags bestehen.

Wirkung der Verrechnung

Die Verrechnung wirkt, wenn sie erklärt wird, grundsätzlich rückwirkend auf den Zeitpunkt, in dem erstmalig ein Verrechnungszustand bestand (§ 389 BGB). Diese Rückwirkung hat insbesondere Bedeutung für Zins- und Verjährungsfragen.

Einschränkungen und Ausschlüsse der Verrechnung

Vertraglicher Ausschluss

Der Ausschluss oder die Beschränkung der Verrechnung kann vertraglich vereinbart werden. In bestimmten gesetzlich geregelten Fällen ist die Vereinbarung eines Verrechnungsausschlusses jedoch unwirksam, insbesondere im Arbeitsrecht und bei Verbraucherverträgen, soweit sie gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen.

Gesetzlicher Aufrechnungsverbot

Es bestehen gesetzliche Verrechnungsverbote, beispielsweise:

  • § 393 BGB: Aufrechnung gegen Forderungen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ist ausgeschlossen.
  • § 394 BGB: Verzicht auf das Recht zur Aufrechnung gegen unpfändbare Forderungen ist nicht zulässig.
  • Besondere Verrechnungsausschlüsse: Im Insolvenzverfahren und im Arbeitsrecht gelten besondere Restriktionen und Voraussetzungen.

Verrechnung mit beschlagnahmten oder gepfändeten Forderungen

Die Verrechnung gegen gepfändete oder beschlagnahmte Forderungen ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, insbesondere wenn die Verrechnungsforderung vor der Pfändung oder Beschlagnahme begründet wurde.

Verrechnung im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzrecht sind spezielle Bestimmungen zu berücksichtigen. Nach §§ 94-96 Insolvenzordnung (InsO) besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Verrechnung, sofern Forderung und Gegenforderung vor Verfahrenseröffnung begründet wurden. Neu begründete Forderungen unterliegen dagegen spezifischen Einschränkungen. Die Verrechnung dient in der Insolvenz insbesondere dem Schutz des Vertrauens auf die Möglichkeit der Forderungskompensation.

Arten der Verrechnung

Gesetzliche Verrechnung

Die gesetzliche Verrechnung erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 387 ff. BGB) ohne besondere Abrede der Parteien.

Vertragliche beziehungsweise konkludente Verrechnung

Die Parteien können eine Verrechnung ausdrücklich vereinbaren oder diese durch schlüssiges Verhalten herbeiführen. Die rechtliche Wirkung tritt jedoch auch dann nur ein, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Verrechnung kraft Gesetzes (automatische Verrechnung)

In Ausnahmefällen ordnet das Gesetz eine Verrechnung auch ohne ausdrückliche Erklärung an, etwa im Kontokorrentverhältnis oder im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen, wenn einzelne Forderungen zusammengeführt werden.

Prozessuale Bedeutung der Verrechnung

Im gerichtlichen Verfahren ist die Verrechnung ein wichtiges Verteidigungsmittel. Sie kann nach § 388 BGB bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erstmals geltend gemacht werden. Eine erklärte Verrechnung kann zur vollständigen oder teilweisen Klageabweisung führen, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

Verjährung und Verrechnung

Die Verrechnung bleibt auch bei verjährten Forderungen möglich, wenn die Forderung im Zeitpunkt der Verrechnungsreife noch nicht verjährt war (§ 215 BGB). Gegenüber bereits erfüllten Forderungen ist die Verrechnung verjährter Gegenforderungen jedoch ausgeschlossen.

Verrechnung im Steuerrecht

Im Steuerrecht hat die Verrechnung eine eigenständige Bedeutung. Sie bezeichnet insbesondere die Saldierung gegenseitiger Ansprüche zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung (Aufrechnung im Steuerrecht, vgl. §§ 226 ff. AO). Besondere Normen regeln die Voraussetzungen und Einschränkungen im Bereich der öffentlichen Abgaben.

Verrechnung in weiteren Rechtsgebieten

Handels- und Gesellschaftsrecht

Im Handelsrecht gewinnt die Verrechnung insbesondere im Rahmen des Kontokorrentverkehrs zwischen Kaufleuten sowie im Rahmen von Gesellschaftsverhältnissen an Bedeutung.

Arbeitsrecht

Im Arbeitsverhältnis ist die Verrechnung von Lohnforderungen mit Gegenansprüchen des Arbeitgebers nur eingeschränkt zulässig. Besondere Schutzvorschriften zugunsten des Arbeitnehmers und Bestimmungen zum Pfändungsschutz (§ 394 BGB) sind zu beachten.

Bedeutung und Zweck der Verrechnung

Die Verrechnung trägt zur Reduzierung des Überweisungsaufwands und zur Beseitigung unnötiger Zahlungsvorgänge bei. Sie fördert die Vereinfachung und Sicherheit des Rechtsverkehrs und trägt so zur Vermeidung unnötiger Prozesse und zu einer effektiveren Abwicklung gegenseitiger Schuldverhältnisse bei.


Zusammenfassung:
Die Verrechnung ist ein komplexes und vielseitiges Rechtsinstitut, das zahlreiche Anwendungsfelder in verschiedenen Rechtsgebieten aufweist. Ihre rechtliche Ausgestaltung, die Voraussetzungen und Wirkungen sowie Ausschlüsse sind detailliert geregelt und tragen wesentlich zur Effizienz und Sicherheit im Rechtsverkehr bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Voraussetzungen müssen für eine Verrechnung im deutschen Recht erfüllt sein?

Für die Verrechnung im deutschen Recht sind die Voraussetzungen in den §§ 387 ff. BGB geregelt. Grundsätzlich müssen zunächst zwei wechselseitige Forderungen zwischen denselben Parteien bestehen, wobei beide Forderungen gleichartig sein müssen, z.B. handelt es sich bei Geldforderungen immer um gleichartige Forderungen. Die Verrechnung darf außerdem nicht durch einen vertraglichen Verzicht, gesetzliche Vorschriften oder Vereinbarungen ausgeschlossen worden sein. Die Forderungen müssen ferner beide fällig sein, wobei die Gegenforderung des Aufrechnenden lediglich erfüllbar sein muss. Schließlich darf die Aufrechnung selbst nicht treuwidrig sein und es dürfen keine Aufrechnungsausschlüsse beispielsweise nach § 393 BGB (z.B. bei unpfändbaren Forderungen oder bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung) greifen.

Gibt es gesetzliche Ausschlusstatbestände für die Verrechnung?

Ja, das Gesetz enthält mehrere Ausschlusstatbestände. Insbesondere § 393 BGB sieht vor, dass gegen Forderungen, die aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung stammen, nicht aufgerechnet werden kann. Weiterhin greift ein Aufrechnungsverbot bei unpfändbaren Forderungen, wie sie z.B. im Arbeitsrecht, Sozialrecht oder Familienrecht vorkommen. Auch vertragliche Ausschlüsse oder gesetzliche Sonderregelungen, beispielsweise in Insolvenzverfahren (§ 96 InsO), können eine Verrechnung verhindern. In bestimmten Bereichen – etwa im Mietrecht (§ 556b Abs. 2 BGB) – besteht ebenfalls ein Aufrechnungsverbot für bestimmte Zeiträume bzw. Forderungen.

Welche Rolle spielt die Fälligkeit der Forderungen für die Verrechnung?

Die Fälligkeit ist eine zentrale Voraussetzung für die Verrechnung: Die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), muss bereits fällig sein, d.h. der Gläubiger kann die Leistung verlangen. Im Gegensatz dazu genügt es für die Gegenforderung, dass sie zumindest erfüllbar ist, was bedeutet, dass der Schuldner zur Leistung bereit und imstande ist. Dieses Erfordernis sorgt dafür, dass eine Aufrechnung nicht bereits im Stadium bloßer künftiger Forderungen möglich ist, sondern eine konkrete Austauschbarkeit im Sinne der Verrechnung gegeben sein muss.

Muss die Aufrechnung dem anderen Vertragspartner erklärt werden und wie erfolgt diese Erklärung?

Eine Aufrechnung wird gemäß § 388 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragspartner bewirkt. Die Erklärung ist empfangsbedürftig, d.h. sie wird erst wirksam, wenn sie dem Erklärungsempfänger zugeht. Aus der Erklärung muss hervorgehen, welche Forderungen gegeneinander verrechnet werden sollen. Eine besondere Form ist für die Aufrechnungserklärung grundsätzlich nicht vorgeschrieben, sie kann also schriftlich, mündlich oder sogar konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erfolgen, solange sie eindeutig ist und dem Vertragspartner zugeht.

Welche Rechtswirkungen treten mit der Aufrechnung ein?

Durch eine wirksame Aufrechnung erlöschen gem. § 389 BGB beide Forderungen, soweit sie sich decken, rückwirkend zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich erstmals zur Aufrechnung geeignet gegenüberstanden. Das bedeutet, dass die Forderungen so behandelt werden, als wären sie zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt worden. Eventuelle Verzugszinsen oder Nebenforderungen werden entsprechend angepasst. Die Verrechnung bewirkt also eine sogenannte Erfüllungssurrogatwirkung: Die Verpflichtungen erlöschen, ohne dass tatsächlich geleistet wird.

Wie wird im Insolvenzfall mit einer Verrechnung umgegangen?

Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gelten Besonderheiten für die Verrechnung (§§ 94 bis 96 InsO). Grundsätzlich bleibt das Recht auf Verrechnung bestehen, wenn dieses bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand. Wurde die Möglichkeit zur Aufrechnung jedoch erst nach dem Insolvenzantrag geschaffen, ist die Verrechnung ausgeschlossen (§ 96 InsO). Dies gilt insbesondere, wenn Forderungen oder Verbindlichkeiten erst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren entstehen oder gezielt zur Herbeiführung einer Verrechnungsposition begründet wurden. Ziel ist es, Benachteiligungen der Insolvenzmasse zu verhindern.

Können Forderungen aus unterschiedlichen Rechtsverhältnissen verrechnet werden?

Prinzipiell ist es für die Verrechnung nicht erforderlich, dass die Forderungen aus demselben Rechtsverhältnis stammen. Sie müssen jedoch zwischen denselben Parteien und gleichartig sein (meistens Geld- oder Gattungsschulden). Es spielt keine Rolle, ob die Forderungen aus Vertrag, unerlaubter Handlung oder anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen resultieren. Allerdings können besonderen gesetzlichen Regelungen – wie z.B. § 393 BGB für unerlaubte Handlungen – ausnahmsweise Einschränkungen oder Aufrechnungsverbote enthalten.

Welchen Einfluss hat ein Streit oder eine Unsicherheit über die Gegenforderung auf die Möglichkeit der Verrechnung?

Eine Verrechnung ist auch möglich, wenn über das Bestehen oder die Höhe der Gegenforderung ein Streit besteht. Voraussetzung ist allerdings, dass die Forderung tatsächlich besteht und erfüllbar ist. Ist die Gegenforderung allerdings rechtskräftig bestritten oder sogar bereits durch Rechtskraft verneint, scheidet eine Verrechnung aus. Die Verrechnungserklärung kann auch im Prozess „hilfsweise” erfolgen, sodass das Gericht zunächst die Gegenforderung prüft und im Falle ihres Bestehens eventuell die Hauptforderung im Wege der Aufrechnung als erloschen ansieht.