Begriff und Bedeutung des Verfügungsanspruchs
Der Verfügungsanspruch ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilprozessrecht und beschreibt das Recht einer Partei, im Wege eines gerichtlichen Eilverfahrens (insbesondere bei einstweiligen Verfügungen) von einem Gericht das vorläufige Unterlassen, Dulden oder Tun einer Handlung durch den Schuldner verlangen zu können. Der Verfügungsanspruch ist insbesondere im Zusammenhang mit einstweiligen Verfügungen sowie dem vorläufigen Rechtsschutz von Bedeutung und grenzt sich vom Hauptsacheanspruch und anderen prozessualen Ansprüchen ab.
Rechtliche Grundlagen des Verfügungsanspruchs
Zivilprozessordnung (ZPO)
Die rechtliche Grundlage für den Verfügungsanspruch findet sich in mehreren Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), vor allem in den §§ 935 ff. ZPO. Hier werden die Voraussetzungen und das Verfahren für den Erlass einer einstweiligen Verfügung geregelt.
§ 935 ZPO regelt die einstweilige Verfügung zur Sicherung eines Anspruchs auf eine bestimmte Handlung oder Unterlassung.
§ 940 ZPO ermöglicht eine einstweilige Verfügung zur Regelung eines vorläufigen Zustands.
* Die §§ 916 ff. ZPO definieren ergänzend die Rahmenbedingungen für Arrest und einstweilige Verfügung.
Bedeutung im vorläufigen Rechtsschutz
Der Verfügungsanspruch ist ein notwendiges Element für die Bewilligung von vorläufigem Rechtsschutz. Ohne das Bestehen eines Verfügungsanspruchs hat die Antragstellerseite keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, unabhängig davon, ob ein Verfügungsgrund vorliegt.
Die Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs
Abgrenzung zum Verfügungsgrund
Im einstweiligen Verfügungsverfahren müssen zwei zentrale Voraussetzungen kumulativ vorliegen:
- Verfügungsanspruch: Es muss ein materiell-rechtlicher Anspruch bestehen, der im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden könnte. Dabei geht es um den Anspruch, der sich unmittelbar aus dem Recht ergibt, welches die Antragstellerseite im einstweiligen Verfügungsverfahren sichern möchte.
- Verfügungsgrund: Es muss eine besondere Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit bestehen, die die Sicherung oder Regelung dieses Anspruchs erforderlich macht.
Während der Verfügungsanspruch auf den Bestand eines materiell-rechtlichen Anspruchs abstellt, betrifft der Verfügungsgrund allein die Prozesssituation und das Bedürfnis nach vorläufigem Rechtsschutz.
Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs
Im Unterschied zum Hauptsacheverfahren genügt im Eilverfahren die Glaubhaftmachung:
- Die antragstellende Partei muss nicht den Vollbeweis, sondern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im Sinne von § 294 ZPO) für das Bestehen des Verfügungsanspruchs erbringen.
- Dies kann insbesondere durch eidesstattliche Versicherungen, Urkunden, Zeugen oder andere geeignete Beweismittel erfolgen.
Gegenstände des Verfügungsanspruchs
Ein Verfügungsanspruch kann auf verschiedene Unterlassungs-, Duldungs- oder Leistungsgebote gerichtet sein:
- Unterlassungsanspruch: typischerweise im Wettbewerbsrecht, Presserecht oder Markenrecht.
- Duldungsanspruch: etwa im Miet-, Nachbar- oder Sorgerecht.
- Leistungsanspruch: z. B. Herausgabeanspruch, Informationsanspruch.
Abgrenzung zu anderen Ansprüchen und Rechtsinstituten
Hauptsacheanspruch
Der Hauptsacheanspruch ist der Anspruch, der im Klageverfahren endgültig verfolgt wird. Der Verfügungsanspruch sichert oder regelt diesen Anspruch nur vorläufig, bis ein endgültiges Urteil im Hauptsacheverfahren ergeht.
Arrestanspruch
Anders als der Verfügungsanspruch, der auf eine bestimmte Handlung, Unterlassung oder Duldung abzielt, dient der Arrestanspruch der Sicherung von Geldforderungen (vgl. §§ 916 ff. ZPO). Der Arrestanspruch kann aber auch begleitend zum Verfügungsanspruch geltend gemacht werden.
Anwendungsbereiche und praktische Bedeutung des Verfügungsanspruchs
Wettbewerbsrecht
Im Wettbewerbsrecht ist der Verfügungsanspruch von zentraler Bedeutung, da hier in zahlreichen Fällen auf Unterlassung irreführender oder wettbewerbswidriger Handlungen im Wege der einstweiligen Verfügung vorgegangen wird.
Markenrecht und Urheberrecht
Zum Schutze geistigen Eigentums kommt dem Verfügungsanspruch eine zentrale Rolle zu, etwa bei der Abwehr von Markenverletzungen oder der Durchsetzung von Urheberrechten.
Presserecht
Im Presserecht findet der Verfügungsanspruch Anwendung, um beispielsweise die Verbreitung persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalte im Eilverfahren zu untersagen.
Familienrecht und Gewaltschutz
Auch im Familienrecht kann ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung von Kontaktaufnahmen oder Näherungen nach dem Gewaltschutzgesetz gestützt werden.
Durchsetzung und Verfahren des Verfügungsanspruchs
Antragstellung und Verfahren
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird beim zuständigen Gericht gestellt. Das Verfahren ist beschleunigt, um einen effektiven Rechtsschutz bei drohendem Rechtsverlust zu gewährleisten. Das Gericht prüft, ob sowohl Verfügungsanspruch als auch Verfügungsgrund glaubhaft gemacht wurden.
Vollstreckung
Ist die einstweilige Verfügung erlassen, steht der Antragstellerseite ein vollstreckbarer Titel zur Verfügung (§ 929 ZPO). Die Verfügung ist in der Regel vorläufig und kann durch eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren abgeändert oder aufgehoben werden.
Rechtsbehelfsmöglichkeiten
Gegen den Erlass oder die Ablehnung einer einstweiligen Verfügung können Rechtsbehelfe wie der Widerspruch (§ 924 ZPO) und die sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) eingelegt werden.
Verfügungsanspruch im internationalen und europäischen Kontext
Angesichts globaler Wirtschaftsbeziehungen gewinnt der Verfügungsanspruch auch im europäischen Kontext an Bedeutung. Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EuGVVO) regelt die Anerkennung und Vollstreckung von einstweiligen Maßnahmen innerhalb der Europäischen Union und berührt damit auch den Anwendungsbereich des Verfügungsanspruchs.
Zusammenfassung
Der Verfügungsanspruch ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Zivilprozessrecht und bildet die materielle Grundlage für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Sein Vorliegen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für vorläufigen Rechtsschutz. Das Konzept umfasst eine Vielzahl praktischer Anwendungsbereiche und gewährleistet, dass berechtigte Ansprüche effektiv und zeitnah gesichert oder durchgesetzt werden können, bevor durch Zeitablauf eine endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergeht.
Häufig gestellte Fragen
Wann besteht ein Verfügungsanspruch im einstweiligen Rechtsschutz?
Ein Verfügungsanspruch besteht immer dann, wenn die antragstellende Partei einen materiell-rechtlichen Anspruch glaubhaft machen kann, der zumindest vorläufig im Wege der einstweiligen Verfügung gesichert oder durchgesetzt werden soll. Im Kontext des einstweiligen Rechtsschutzes bedeutet dies, dass das Gericht prüft, ob ein geltend gemachter Anspruch (z.B. aus Besitzrecht, Unterlassungsanspruch, Zahlungsanspruch) nach summarischer Prüfung wahrscheinlich besteht. Die Glaubhaftmachung erfolgt dabei regelmäßig mittels eidesstattlicher Versicherung, Urkunden oder anderen Beweismitteln, da im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine vollständige Beweisaufnahme wie im Hauptsacheverfahren stattfindet. Die Erfolgsaussichten sind maßgeblich von der rechtlichen Grundlage des gewünschten Anspruchs abhängig. Gleichzeitig muss das Vorliegen eines Verfügungsgrundes (etwa Dringlichkeit oder drohende Vereitelung des Rechts) begründet werden. Liegt lediglich ein Verfügungsgrund ohne Verfügungsanspruch vor, scheitert das Begehren; beide Voraussetzungen sind kumulativ notwendig.
Wie unterscheidet sich der Verfügungsanspruch vom Verfügungsgrund?
Der Verfügungsanspruch betrifft den materiell-rechtlichen Anspruch, den die beantragende Partei gegen die Antragsgegnerin geltend macht, beispielsweise einen Unterlassungs-, Herausgabe- oder Zahlungsanspruch. Der Verfügungsgrund hingegen betrifft das sogenannte Rechtsschutzbedürfnis und umfasst die Tatsachen, die die besondere Eilbedürftigkeit einer Regelung durch einstweilige Verfügung begründen (z.B. Gefahr des Rechtsverlusts, drohende Vereitelung der Realisierung des Anspruchs, unzumutbare Nachteile durch Zeitverzug). Beide Elemente – Anspruch und Grund – werden unabhängig voneinander geprüft und sind kumulativ erforderlich. Fehlt einer von beiden, kann der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht erfolgen.
Wie wird der Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht?
Die Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs erfolgt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach den §§ 920, 294 ZPO (§ 86 Abs. 2 VwGO im Verwaltungsrecht) mit abgesenkten Beweisanforderungen. Antragssteller müssen Tatsachen und rechtliche Argumente anführen, die den geltend gemachten Anspruch überwiegend wahrscheinlich machen. Typische Mittel der Glaubhaftmachung sind eidesstattliche Versicherungen, Zeugenaussagen, Urkunden, Fotos, Gutachten und sonstige Dokumente. Dabei reicht es aus, dass das Gericht von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens des Anspruchs überzeugt wird; eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit wie im Hauptsacheverfahren ist nicht erforderlich.
Kann ein Verfügungsanspruch auch im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen bestehen?
Ja, ein Verfügungsanspruch kann sich auch aus Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen – etwa Miet-, Arbeits- oder Dienstverträgen – ergeben. Beispielhaft ist dies der Fall, wenn ein Mieter im Rahmen einer einstweiligen Verfügung seine weitere Nutzung der Mietsache sichern möchte (z.B. gegen eine unrechtmäßige Kündigung oder Räumung). Auch im Arbeitsrecht können Ansprüche auf Weiterbeschäftigung oder Lohnzahlung Gegenstand eines Verfügungsanspruchs sein, sofern deren Anspruchsvoraussetzungen glaubhaft gemacht werden können und ein Verfügungsgrund (zum Beispiel drohender Einkommensverlust) besteht. In diesen Fällen muss das Gericht stets im Rahmen einer Interessenabwägung die besondere Eilbedürftigkeit und die Schutzwürdigkeit abwägen.
In welchen gerichtlichen Verfahren spielt der Verfügungsanspruch eine zentrale Rolle?
Der Verfügungsanspruch ist insbesondere in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO von Bedeutung. Dies umfasst Zivilverfahren, unter anderem im Wettbewerbsrecht (z.B. Unterlassungsverfügungen nach UWG), Markenrecht, Medienrecht (z.B. Gegendarstellung, Unterlassen von Presseveröffentlichungen) sowie in Besitzschutz- und Nachbarstreitigkeiten. Auch im Arbeitsgerichtlichen Verfahren (§ 62 Abs. 2 ArbGG) sowie im Verwaltungsrechtlichen Eilrechtsschutz (Anordnung der aufschiebenden Wirkung etc.) spielen verfahrensspezifische Verfügungsansprüche eine entscheidende Rolle. In jedem dieser Verfahren ist die genaue Subsumtion des geltend gemachten Rechts unter den zutreffenden materiell-rechtlichen Anspruch erforderlich.
Wie erfolgt die Prüfung des Verfügungsanspruchs bei Anträgen auf einstweilige Verfügung?
Bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung prüft das Gericht zunächst, ob bezüglich des geltend gemachten Rechts ein Verfügungsanspruch besteht und ausreichend glaubhaft gemacht wurde. In einem zweiten Schritt wird der Verfügungsgrund untersucht. Die gerichtliche Prüfung ist eine summarische, das heißt oberflächliche und schnelle Prüfung, da im Eilrechtsschutzverfahren keine ausführliche Hauptsachenerörterung erfolgt. Das Gericht wägt zudem die betroffenen Interessen ab und prüft, ob ein milderes Mittel zum Schutz des Anspruchs ausreichend oder erforderlich sein könnte. Eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache ist in der Regel ausgeschlossen, es sei denn, sie ist zur Abwehr wesentlicher, nicht wiedergutzumachender Nachteile notwendig.
Welche Anforderungen bestehen an den substantiierten Vortrag des Verfügungsanspruchs?
Die Antragsteller müssen den geltend gemachten Anspruch schlüssig und konkret, also substantiiert, darlegen. Dies bedeutet, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen vollständig und widerspruchsfrei vorgetragen werden müssen, und zwar in einer Form, die dem Gericht eine abschließende rechtliche Würdigung – zumindest im Rahmen der summarischen Prüfung – ermöglicht. Allgemeine Behauptungen oder pauschale Ausführungen reichen nicht aus. Die Glaubhaftmachungsmittel müssen geeignet sein, die anspruchsbegründenden Tatsachen zu untermauern. Auch eine detaillierte Darlegung der rechtlichen Grundlage (z.B. welches Schutzgesetz, welcher Vertrag konkret betroffen ist) ist erforderlich, damit das Gericht die Erfolgsaussichten des geltend gemachten Anspruchs beurteilen kann.
Welche Rechtsfolgen hat ein fehlender Verfügungsanspruch trotz bestehenden Verfügungsgrundes?
Liegt zwar ein Verfügungsgrund – also eine dringliche Notwendigkeit für eine gerichtliche Entscheidung im Eilverfahren – vor, fehlt aber der materiell-rechtliche Verfügungsanspruch, so kann eine einstweilige Verfügung nicht ergehen. Das sogenannte „Doppelerfordernis“ verlangt zwingend das Vorliegen beider Voraussetzungen. Ein fehlender Verfügungsanspruch führt zur Ablehnung des Antrags. Das Gericht prüft einen verneinten Verfügungsanspruch auch dann nicht mehr weiter, wenn der Verfügungsgrund eindeutig dargelegt werden konnte. Dies dient dem Schutz des Antragsgegners vor ungerechtfertigten Eingriffen und sichert die Richtigkeit und Verhältnismäßigkeit gerichtlichen Eilrechtsschutzes.