Begriff und Einordnung
Vatikanische Konzilien bezeichnen die im Vatikan einberufenen allgemeinen (ökumenischen) Konzilien der römisch-katholischen Kirche. Dazu zählen das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) und das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). Sie sind Versammlungen der Bischöfe der Weltkirche unter dem Vorsitz und der Autorität des Papstes. In ihnen wird die höchste kollegiale Leitungsgewalt der Kirche ausgeübt. Die Konzilien fassen lehrmäßige und disziplinäre Beschlüsse, die nach päpstlicher Bestätigung und Verkündigung für die gesamte Kirche verbindlich werden.
Historischer Rahmen
Erstes Vatikanisches Konzil (1869-1870)
Das Erste Vatikanische Konzil befasste sich vor allem mit dem kirchlichen Lehramt, dem Primat des Papstes und den Bedingungen unfehlbarer Lehrentscheidungen. Der disziplinäre Teil blieb aufgrund der politischen Ereignisse unvollendet. Seine dogmatischen Entscheidungen wurden durch den Papst verkündet und gelten bis heute.
Zweites Vatikanisches Konzil (1962-1965)
Das Zweite Vatikanische Konzil erließ eine Reihe von Konstitutionen, Dekreten und Erklärungen, die Lehre und Ordnung des kirchlichen Lebens betreffen. Es behandelte unter anderem Selbstverständnis und Aufbau der Kirche, Liturgie, Offenbarung, Ökumene, Religionsfreiheit und das Verhältnis zur modernen Welt. Die Dokumente wurden durch den Papst bestätigt und veröffentlicht und prägen das kirchliche Recht und dessen Weiterentwicklung bis heute.
Kirchenrechtliche Stellung
Ein vatikanisches Konzil ist ein allgemeines Konzil der Kirche. Es wird vom Papst einberufen, geleitet, vertagt, verlegt, ausgesetzt oder geschlossen. Beschlüsse eines Konzils erhalten universalkirchliche Verbindlichkeit erst durch päpstliche Bestätigung und ordnungsgemäße Verkündigung. Gegenstand können Fragen des Glaubens und der Sitten sowie disziplinäre und organisationsrechtliche Angelegenheiten der Kirche sein. Das Konzil handelt nie unabhängig vom Papst, sondern mit ihm und unter seiner letztverbindlichen Autorität.
Einberufung und Zusammensetzung
Die Einberufung erfolgt durch einen päpstlichen Akt, der Thema, Ort, Beginn und Verfahrensordnung festlegt. Zur Teilnahme berufen sind die Bischöfe der Weltkirche, die Patriarchen und Oberhäupter der eigenständigen Ostkirchen sowie weitere gemäß päpstlicher Bestimmung. Personen mit Beratungsfunktion (beispielsweise theologische Berater) und Beobachter können hinzugezogen werden. Das Stimmrecht ist in der Verfahrensordnung geregelt; grundsätzlich haben die zur Leitung der Kirche bestellten Bischöfe das entscheidende Stimmrecht. Der Papst kann weiteren Teilnehmergruppen ein Stimmrecht verleihen.
Verfahren und Beschlussfassung
Die Beratungen folgen einer vom Papst genehmigten Geschäftsordnung. Entwürfe (Schemata) werden in Kommissionen vorbereitet, diskutiert und überarbeitet. Für die Annahme von Texten werden festgelegte Mehrheiten benötigt. Abschließend bedürfen die Beschlüsse der päpstlichen Bestätigung; erst mit dieser und der Veröffentlichung erhalten sie ihre Verbindlichkeit. Der authentische, maßgebliche Text ist in der Regel in lateinischer Sprache fixiert.
Arten von Konzilsakten und deren Normcharakter
Konzilien erlassen unterschiedliche Dokumenttypen, darunter Konstitutionen (dogmatisch oder pastoral), Dekrete und Erklärungen. Lehrentscheidungen können unterschiedlichen Grad an Verbindlichkeit besitzen, bis hin zu definitiven Lehrsätzen. Disziplinäre Bestimmungen regeln Handlungen und Strukturen des kirchlichen Lebens. Lehrliche Aussagen binden hinsichtlich Zustimmung und Treue, disziplinäre Normen binden als Recht und können später geändert oder präzisiert werden. Der verbindliche Sinngehalt ergibt sich aus Wortlaut, Kontext, Dokumenttyp und der Form der päpstlichen Bestätigung.
Rechtswirkungen und Umsetzung
Unmittelbare Geltung
Durch päpstliche Bestätigung und Verkündigung entfalten die lehrlichen und disziplinären Beschlüsse eines Konzils universalkirchliche Wirkung. Lehrliche Entscheidungen binden die Gläubigen, zum Teil in definitiver Weise. Disziplinäre Entscheidungen wirken als allgemeines Kirchenrecht und sind von allen betroffenen kirchlichen Personen und Einrichtungen zu beachten.
Verkündung und Inkrafttreten
Die Rechtsverbindlichkeit setzt die ordnungsgemäße Verkündung voraus, üblicherweise durch ein päpstliches Promulgationsakt und die Veröffentlichung in den amtlichen Publikationsorganen des Heiligen Stuhls. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens kann im Promulgationsakt bestimmt sein oder sich aus allgemeinen Regeln ergeben.
Auslegung, Weiterentwicklung und Rezeption
Die authentische Auslegung obliegt dem Papst und den von ihm beauftragten Stellen. Spätere päpstliche Lehrschreiben und allgemeine Rechtsnormen konkretisieren, präzisieren oder entwickeln Konzilsinhalte weiter. Die Kodifikationen des kirchlichen Rechts und partikulare Normen der Ostkirchen und Bischofskonferenzen setzen konziliare Vorgaben um, soweit sie ihnen nicht widersprechen. Eine spätere Gesetzgebung kann disziplinäre Konzilsnormen ändern oder aufheben, ohne den lehrlichen Kern zu berühren.
Verhältnis zu Weltkirche und Teilkirchen
Konzilsbeschlüsse gelten für die Universalkirche. Die Teilkirchen (z. B. Diözesen, Ostkirchen eigener Rechtstradition) setzen sie gemäß den jeweiligen Riten und Strukturen um. Bischofskonferenzen können ergänzende Ausführungsbestimmungen erlassen, soweit dies vorgesehen ist. Diese Ergänzungen müssen mit dem universalen Recht übereinstimmen und bedürfen teilweise römischer Bestätigung.
Verhältnis zum staatlichen Recht
Vatikanische Konzilien setzen innerkirchliches Recht. Ihre Beschlüsse entfalten keine unmittelbare Geltung im staatlichen Recht. Indirekte Wirkungen können dort entstehen, wo staatliche Rechtsordnungen kirchlicher Autonomie Raum geben oder Kooperationsabreden bestehen, etwa im Bereich kirchlicher Einrichtungen. Die kirchliche Selbstordnung bleibt grundsätzlich von staatlichen Normen getrennt und wird nur insoweit staatlich relevant, wie das jeweilige Recht dies vorsieht.
Abgrenzungen
Von vatikanischen Konzilien zu unterscheiden sind andere historische Konzilien (z. B. Laterankonzilien), die an anderen Orten tagten, sowie partikulare Konzilien, Synoden von Bischöfen oder diözesane Synoden. Letztere haben regionale oder beratende Funktion und keine universalkirchliche Gesetzgebungskompetenz, sofern ihnen nicht ausdrücklich entsprechende Vollmachten gewährt werden.
Bedeutung im heutigen Recht
Die Dokumente der vatikanischen Konzilien bilden bis heute einen maßgeblichen Bezugspunkt für Lehre, Liturgie, Kirchenverfassung und kirchliche Sendung. Sie wirken in der Auslegung des geltenden Rechts fort, sind in Kodifikationen berücksichtigt und beeinflussen die fortlaufende Normsetzung und Praxis innerhalb der Universalkirche und ihrer Teilkirchen.
Häufig gestellte Fragen zu Vatikanischen Konzilien
Sind vatikanische Konzilien ökumenische Konzilien im Rechtssinn?
Ja. Sie sind allgemeine Konzilien der gesamten Kirche. Ihre Beschlüsse erlangen universale Verbindlichkeit, sobald sie durch den Papst bestätigt und ordnungsgemäß verkündet sind.
Wer hat Stimmrecht auf einem vatikanischen Konzil?
Das entscheidende Stimmrecht steht grundsätzlich den Bischöfen zu, die kraft ihres Amtes an der Leitung der Kirche teilhaben. Der Papst kann weiteren Teilnehmern ein Stimmrecht verleihen. Berater und Beobachter wirken mit, haben jedoch in der Regel kein entscheidendes Stimmrecht.
Wann werden Konzilsbeschlüsse rechtlich verbindlich?
Rechtsverbindlichkeit tritt mit der päpstlichen Bestätigung und der ordnungsgemäßen Verkündigung ein. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens wird im Promulgationsakt bestimmt oder richtet sich nach allgemeinen Regeln.
Welche Normenkategorien erzeugen Konzilsdokumente?
Konzilien erlassen Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen. Lehrliche Entscheidungen binden hinsichtlich Zustimmung und Treue, disziplinäre Bestimmungen wirken als allgemeines Kirchenrecht. Der Grad der Verbindlichkeit ergibt sich aus Dokumenttyp und Form der Bestätigung.
Können Beschlüsse eines Konzils aufgehoben oder geändert werden?
Lehrliche Festlegungen, die endgültig vorgelegt sind, werden nicht aufgehoben. Disziplinäre Normen können durch spätere Allgemeinrechtsetzung geändert, präzisiert oder abrogiert werden.
Welche Rolle spielen Bischofskonferenzen bei der Umsetzung?
Bischofskonferenzen können Ausführungsnormen und Anpassungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit erlassen. Diese müssen mit dem universalen Recht übereinstimmen und bedürfen teilweise römischer Bestätigung.
Haben vatikanische Konzilien unmittelbare Wirkung im staatlichen Recht?
Nein. Konzilsentscheidungen sind innerkirchliche Normen. Sie werden im staatlichen Bereich nur beachtet, soweit das jeweilige staatliche Recht kirchliche Regeln anerkennt oder Kooperationsabreden bestehen.
Wie werden Konzilstexte authentisch ausgelegt?
Die authentische Auslegung obliegt dem Papst und den von ihm beauftragten römischen Stellen. Spätere lehramtliche und rechtliche Akte konkretisieren die Bedeutung und Anwendung der Konzilsdokumente.