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Unvertretbare Sache


Unvertretbare Sache im deutschen Zivilrecht

Begriff und Grundbedeutung

Die unvertretbare Sache ist ein zentraler Begriff des deutschen Zivilrechts und spielt vor allem im Sachenrecht sowie im Schuldrecht eine bedeutende Rolle. Im Gegensatz zur vertretbaren Sache handelt es sich bei einer unvertretbaren Sache um einen Gegenstand, der von anderen Gegenständen nicht durch Stückzahl, Maß oder Gewicht ersetzt werden kann, da er individuell ist und einmalige Merkmale aufweist. Typische Beispiele sind Werke der Kunst, bestimmte Immobilien, Einzelstücke, Antiquitäten oder sonstige Unikate.

Gesetzliche Regelungen

Der Begriff der unvertretbaren Sache findet sich vor allem in § 91 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB):

§ 91 BGB – Vertretbare Sachen:

Vertretbare Sachen im Sinne des Gesetzes sind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Maß, Zahl oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen.

Obwohl das Gesetz die vertretbare Sache explizit definiert, wird der Begriff der unvertretbaren Sache lediglich als Gegenteil verstanden. Für eine unvertretbare Sache gilt, dass sie gerade nicht nach den Kriterien der Stückzahl, des Maßes oder des Gewichts im Verkehr bestimmt wird. Ihre Individualität und Einzigartigkeit stehen im Vordergrund.

Abgrenzung zur vertretbaren Sache

Während bei vertretbaren Sachen die Austauschbarkeit im Vordergrund steht-for example, Geldscheine, Standardwaren oder Massenprodukte-handelt es sich bei unvertretbaren Sachen um Gegenstände, die nicht durch eine gleichartige Sache ersetzt werden können, ohne dass der spezifische Gegenstand oder besondere Eigenschaften verloren gehen. Dies gilt insbesondere für individuell angefertigte Produkte, gebrauchte Einzelstücke oder Objekte mit erheblichem Sammler- oder Liebhaberwert.

Beispiele

  • Unvertretbare Sachen: Gemälde eines bestimmten Künstlers, eine gebrauchte Geige mit individuellen Spielspuren, Einzelanfertigungen, Grundstücke
  • Vertretbare Sachen: Neuwagen eines bestimmten Modells, Getreidepartien, Benzin, gängige Bücher einer Neuauflage

Bedeutung im Schuldrecht

Im Schuldrecht spielt die Unterscheidung zwischen unvertretbaren und vertretbaren Sachen insbesondere beim Kaufvertrag (§§ 433 ff. BGB) und im Bereich der Leistungsstörungen eine große Rolle.

Stückschuld und Gattungsschuld

Eine Vertragsleistung, die auf eine unvertretbare Sache gerichtet ist, stellt eine sogenannte Stückschuld dar. Hier schuldet der Schuldner die Lieferung eines konkret bestimmten Gegenstandes (z. B. „der Flügel Beethoven, Baujahr 1832, Seriennummer 12345″). Dagegen liegt bei vertretbaren Sachen meist eine Gattungsschuld vor, bei der lediglich eine Sache mittlerer Art und Güte geschuldet wird (z. B. „1000 Liter Heizöl X“).

Kommt es bei einer Stückschuld hinsichtlich einer unvertretbaren Sache zu einem Untergang des konkreten Gegenstandes, ist die Leistung unmöglich (§ 275 BGB). Bei Gattungsschulden tritt diese Unmöglichkeit hingegen regelmäßig erst dann ein, wenn die gesamte Gattung untergegangen ist (sogenannte Gattungsschuld, § 243 BGB).

Gefahrübergang

Beim Gefahrübergang, d. h. dem Übergang des Risikos für den zufälligen Untergang der Sache, sind ebenfalls Unterschiede zu beachten. Bei unvertretbaren Sachen kann sich der Zeitpunkt des Gefahrübergangs an der konkreten Individualisierung des Gegenstandes orientieren.

Bedeutung im Sachenrecht

Im Sachenrecht betrifft die Unterscheidung ihren praktischen Anwendungsbereich insbesondere bei der Eigentumsübertragung:

Bei der Übereignung beweglicher Sachen nach § 929 BGB sind bei unvertretbaren Sachen häufig Besonderheiten zu beachten, da sie einzeln herausgegeben und individualisiert übertragen werden. Vertretbare Sachen hingegen können meist zusammengefasst und ohne Beachtung individueller Merkmale übertragen werden.

Relevanz in anderen Rechtsgebieten

Auch im Bereich des Werkvertragsrechts sowie beim Mietrecht kommt der Abgrenzung eine gewisse Bedeutung zu. So ist z. B. die Rückgabe einer unvertretbaren Sache nach erfolgter Miete oder Leihe zwingend, da kein Ersatzgegenstand mit denselben Eigenschaften existiert.

Praxistaugliche Unterscheidungskriterien

Bei der Einordnung, ob eine Sache als unvertretbar anzusehen ist, kommt es stets auf die Verkehrsauffassung sowie auf die Vereinbarungen zwischen den Parteien an. Kriterien sind dabei insbesondere:

  • Subjektive Vereinbarung (etwa bei wachsendem Individualisierungsgrad durch Zeit, Nutzung oder Veränderung)
  • Objektive Eigenschaften der Sache (Einzelstück, Unikatscharakter)
  • Wirtschaftliche Bewertung (z. B. bei Sammlerstücken)

Es ist auch zu beachten, dass vertretbare Sachen durch nachträgliche Entwicklung zu unvertretbaren Sachen werden können, etwa durch Alterung, Gebrauch oder historische Bedeutung.

Zeitliche und sachliche Dynamik der Unvertretbarkeit

Die Einordnung als unvertretbare Sache kann sowohl im Zeitpunkt des Erwerbs als auch später relevant werden. Auch massenhaft produzierte Güter können im Einzelfall durch besondere Umstände zu unvertretbaren Sachen werden, etwa wenn sie individuell verändert oder geprägt wurden.

Zusammenfassung

Die unvertretbare Sache ist ein zentraler Begriff des deutschen Zivilrechts und betrifft maßgeblich die Einordnung von Sachen im Sinne der Individualität und Austauschbarkeit. Ihre Bedeutung zeigt sich insbesondere im Schuld- und Sachenrecht und betrifft unter anderem Fragen der Stückschuld, der Gefahrtragung, der Eigentumsübertragung sowie des Leistungsgegenstands im Vertrag. Die genaue Abgrenzung zu vertretbaren Sachen orientiert sich an den Merkmalen der Individualisierung und Austauschbarkeit im Rechts- und Wirtschaftsverkehr sowie an den getroffenen Absprachen im Einzelfall.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Sachen im deutschen Zivilrecht?

Die Unterscheidung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Sachen ist im deutschen Zivilrecht von zentraler Bedeutung, insbesondere für das Schuld- und Sachenrecht. Sie wirkt sich insbesondere auf die Regelungen zur Stück- und Gattungsschuld (§§ 243 ff. BGB) sowie auf Rechtsgeschäfte wie Kauf-, Miet- und Schenkungsverträge aus. Bei vertretbaren Sachen handelt es sich um Gegenstände, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt werden (§ 91 BGB), wohingegen unvertretbare Sachen nach ihrer Individualität definiert sind. Diese Differenzierung beeinflusst etwa die Art der geschuldeten Leistung im Kaufrecht: Während bei vertretbaren Sachen eine Gattungsschuld vorliegt, bei der der Schuldner beliebige Sachen derselben Art liefern darf, ist die geschuldete Leistung bei unvertretbaren Sachen stets auf ein konkret bestimmtes Einzelstück gerichtet (Stückschuld). Zudem hat diese Unterscheidung auch Auswirkungen auf das Risiko des Untergangs der Sache sowie auf Fragen der Vertretbarkeit bei der Übereignung (§ 929 BGB) und der Möglichkeit von Ersatzlieferungen oder Reparaturen im Gewährleistungsfall.

Unterliegen unvertretbare Sachen besonderen Vorschriften beim Gefahrübergang im Kaufrecht?

Im Rahmen des Gefahrübergangs im Kaufrecht (vgl. §§ 446, 447 BGB) spielt die Unterscheidung eine erhebliche Rolle: Bei der Stückschuld, d. h. bei unvertretbaren Sachen, ist allein das individuell bestimmte Objekt gemeint – geht dieses unter, etwa durch Zerstörung oder Verlust, bevor der Käufer es erhält, so erlischt regelmäßig der Anspruch auf die Lieferung, weil die geschuldete Leistung unmöglich geworden ist (§ 275 BGB). Bei vertretbaren Sachen ist es in der Regel möglich, eine andere Sache derselben Gattung zu liefern, sodass der Schuldner weiterhin zur Leistung verpflichtet bleibt. Das Risiko verlagert sich also bei unvertretbaren Sachen mit Übergabe oder, im Fall des Versendungskaufs, mit Übergabe an die Transportperson. Der Gefahrübergang bei unvertretbaren Sachen ist somit enger gefasst und führt im Fall des Verlustes vor Gefahrübergang zum Untergang des Anspruchs.

Welche Probleme treten im Rahmen der Leistungspflicht bei unvertretbaren Sachen auf?

Bei unvertretbaren Sachen ist die Leistungspflicht des Schuldners sehr strikt auf das konkret individualisierte Objekt beschränkt (Stückschuld). Dies führt dazu, dass der Schuldner im Falle von Untergang, Beschädigung oder Verlust der Sache – sofern diese Ereignisse nicht vom Käufer verursacht wurden oder zu vertreten sind – von seiner Leistungspflicht frei wird, da die geschuldete Leistung objektiv unmöglich geworden ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Anders als bei Gattungsschulden, wo eine Ersatzlieferung möglich ist, kann der Schuldner bei einer Stückschuld keine gleichartige Sache liefern, sondern nur die ursprüngliche, individuell bezeichnete Sache. Dies wirkt sich auch auf die Frage des Rücktritts, der Umsetzung von Schadensersatzansprüchen sowie auf die Verjährung aus, da hier jeweils spezifische Regelungen und Fristen in Bezug auf unvertretbare Sachen greifen.

Wie ist die Übereignung unvertretbarer Sachen im Sachenrecht zu behandeln?

Die Übereignung unvertretbarer Sachen erfolgt nach § 929 Satz 1 BGB durch Einigung und Übergabe. Der Unterschied zu vertretbaren Sachen liegt jedoch im Bestimmtheitsgrundsatz des Sachenrechts: Unvertretbare Sachen müssen eindeutig individualisiert sein, es genügt also nicht, nur eine „Gattungsbezeichnung“ zu verwenden. Das Rechtsgeschäft muss daher nicht nur den Eigentumsübergang regeln, sondern ausdrücklich auf die genau benannte, individualisierte Sache bezogen sein. Dies ist insbesondere bei Kunstwerken, Oldtimern, Immobilien oder anderen Einzelstücken von Bedeutung. Im Gegensatz dazu können vertretbare Sachen häufig als Teil einer größeren Menge übertragen werden. Bei unvertretbaren Sachen ist jedoch die Zuweisung des spezifischen Gegenstandes zwingend erforderlich, damit die dingliche Einigung wirksam ist.

Welche Auswirkungen hat die Unvertretbarkeit der Sache im Rahmen der Gewährleistung?

Im Gewährleistungsrecht wirkt sich die Eigenschaft einer Sache als unvertretbar dahingehend aus, dass bei einem Sachmangel die gesetzlichen Rechtsbehelfe häufig eingeschränkt sind. Während bei vertretbaren Sachen der Käufer im Regelfall Nacherfüllung durch Ersatzlieferung verlangen kann (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB), ist dies bei unvertretbaren Sachen grundsätzlich ausgeschlossen, da kein gleichwertiges Ersatzstück existiert. Hier bleibt als Regelmaßnahme nur die Nachbesserung (Reparatur) der konkreten Sache, soweit dies möglich und zumutbar ist. Scheitert auch die Nachbesserung oder ist diese unmöglich, stehen dem Käufer Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz zu. Diese Beschränkungen ergeben sich unmittelbar aus der Beschaffenheit der unvertretbaren Sache und prägen das Gewährleistungsrisiko erheblich.

Sind auch digitale Güter unvertretbar oder vertretbar im rechtlichen Sinne?

Digitale Güter stellen juristisch eine besondere Herausforderung dar, da sie vielfach beliebig oft kopiert und somit grundsätzlich vertretbar sind. Allerdings kann auch bei digitalen Produkten, etwa bei einzigartigen digitalen Kunstwerken (Non-Fungible Tokens, NFTs) oder individualisierten Softwarelösungen, ausnahmsweise eine Unvertretbarkeit angenommen werden, wenn die betreffende digitale Datei oder der darin verkörperte Inhalt nicht austauschbar ist. Im Regelfall werden jedoch digitale Standardprodukte, Musikdateien oder E-Books als vertretbar qualifiziert. Im deutschen Zivilrecht ist die rechtliche Einordnung digitaler Güter als vertretbare oder unvertretbare Sache derzeit noch nicht abschließend geklärt, hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob das jeweilige Produkt individualisiert, also einzigartig, oder beliebig reproduzierbar ist.