Begriff und Definition der Unterversicherung
Unterversicherung bezeichnet einen Zustand im Versicherungsrecht, bei dem die Versicherungssumme einer Sachversicherung (z. B. Hausrat-, Wohngebäude-, oder Inhaltsversicherung) den tatsächlichen Versicherungswert der versicherten Sache nicht vollständig abdeckt. Das bedeutet, dass im Versicherungsfall der Schadenersatz nur anteilig erfolgt. Unterversicherung stellt ein wesentliches Risiko für Versicherungsnehmer dar und kann gravierende finanzielle Folgen haben.
Rechtliche Grundlagen der Unterversicherung
Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
Das deutsche Versicherungsvertragsgesetz (VVG) enthält konkrete Regelungen zur Unterversicherung. Nach § 75 VVG ist die Versicherungsleistung im Schadensfall verhältnismäßig zu kürzen, wenn der Versicherungswert den Betrag übersteigt, für den Versicherungsschutz besteht (Versicherungssumme). Entscheidend ist dabei die sogenannte Unterversicherungsklausel, die in den meisten Policen enthalten ist.
Beispiel VVG § 75:
„Ist die Versicherungssumme erheblich geringer als der Versicherungswert (Unterversicherung), ersetzt der Versicherer den Schaden nur im Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert.“
Obliegenheiten des Versicherungsnehmers
Versicherungsnehmer sind verpflichtet, bei Vertragsschluss den korrekten Versicherungswert anzugeben und regelmäßig zu prüfen, ob eine Anpassung der Versicherungssumme erforderlich ist. Wird diese Obliegenheit verletzt, liegt im Schadensfall eine Unterversicherung vor. Bei grober Fahrlässigkeit kann dies auch zum Verlust des Anspruchs auf Entschädigung führen.
Berechnung und Feststellung der Unterversicherung
Versicherungswert
Der Versicherungswert ist der Geldbetrag, der zur Wiederherstellung oder Neubeschaffung der versicherten Sache im Zeitpunkt des Schadenseintritts aufgewendet werden müsste (Wiederbeschaffungswert oder Zeitwert).
Versicherungssumme
Die Versicherungssumme ist der vertraglich vereinbarte Höchstbetrag, bis zu dem der Versicherer eintrittspflichtig ist. Liegt diese unter dem Versicherungswert, spricht man von einer Unterversicherung.
Verhältnisrechnung bei Leistungskürzung
Im Schadenfall wird gemäß Versicherungsvertragsgesetz eine anteilige Entschädigung geleistet. Dabei gilt folgende Formel:
Entschädigung = (Versicherungssumme / Versicherungswert) x Schadenhöhe
Beispiel:
Ist eine Immobilie mit einem Wert von 500.000 € lediglich mit 250.000 € versichert und entsteht ein Schaden von 100.000 €, so ersetzt der Versicherer nur:
(250.000 / 500.000) x 100.000 = 50.000 €
Die verbleibenden 50.000 € trägt der Versicherungsnehmer selbst.
Formen der Unterversicherung
Absolute Unterversicherung
Hier liegt die vereinbarte Versicherungssumme dauerhaft unter dem tatsächlichen Versicherungswert. Tritt bei allen Schäden die Quotelung ein.
Zeitweilige Unterversicherung
Bei zeitweiligen Wertsteigerungen (z. B. nach Neuanschaffungen) ohne sofortige Anpassung der Versicherungssumme entsteht ebenfalls eine Unterversicherung. Diese kann temporär auftreten, etwa nach Modernisierungen oder Ergänzung des Hausrats.
Teilweise Unterversicherung
Nicht immer sind alle versicherten Gegenstände gleichermaßen unterversichert. Bei bestimmten Objekten kann eine abweichende Deckungslücke bestehen.
Folgen und Rechtsfolgen der Unterversicherung
Leistungskürzung
Im Schadenfall erfolgt eine proportional anteilige Entschädigung entsprechend dem Verhältnis von Versicherungssumme zu Versicherungswert. Dies ist die wesentliche Rechtsfolge der Unterversicherung.
Ausschluss der Unterversicherung
Viele Versicherungsunternehmen bieten sogenannte Klauseln zur Unterversicherungsverzicht an. Wird beispielsweise bei der Hausratversicherung eine pauschale Versicherungssumme nach Quadratmetern Wohnfläche eingesetzt, entfällt bei korrekter Flächenangabe oft die Gefahr einer Unterversicherung.
Gefahrenerhöhung
Eine Unterversicherung kann, sofern sie dem Versicherer verschwiegen wurde, als Gefahrenerhöhung eingestuft werden, was zum Rücktritt oder zur Vertragsanpassung führen kann.
Vermeidung und Behandlung der Unterversicherung
Regelmäßige Anpassung
Versicherungsnehmer sollten regelmäßig den aktuellen Versicherungswert ermitteln, etwa nach Anschaffungen, Umbauten oder Wertsteigerungen. Eine Anpassung der Versicherungssumme verhindert das Risiko der Unterversicherung.
Vereinbarung von Klauseln
Mit speziellen Klauseln zur „Unterversicherungsverzicht“ kann das Risiko minimiert werden, wenn vereinbarte Bedingungen (zum Beispiel Versicherungssumme pro Quadratmeter) eingehalten werden.
Nachweise und Schadenermittlung
Im Schadensfall ist der Nachweis des tatsächlichen Versicherungswerts durch Inventarverzeichnisse, Gutachten oder Belege notwendig, um die Schadensregulierung zu gewährleisten.
Rechtsprechung und typische Streitfälle
Die Rechtsprechung hat mehrfach betont, dass der Versicherungsnehmer die Beweislast für den tatsächlichen Wert und Umfang der versicherten Sachen trägt. Typische Streitfälle betreffen fehlerhafte Schätzungen, Wertsteigerungen ohne Anpassung der Versicherungssumme sowie den Auslegungsspielraum bei Unterversicherungsklauseln.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil v. 19.4.2000, IV ZR 263/98: Keine Leistungskürzung bei vereinbartem Unterversicherungsverzicht, sofern die vom Versicherungsnehmer gemachten Angaben vollständig und richtig sind.
- OLG Köln, Urteil v. 18.1.2017, 9 U 89/16: Klärung der Beweislast bei Differenzen zwischen Versicherungssumme und Versicherungswert.
Bedeutung der Unterversicherung im Versicherungsrecht
Unterversicherung ist von erheblicher Bedeutung für das Versicherungsrecht, da sie regelmäßig zu gravierenden Leistungskürzungen führt. Daher sind sowohl die Pflicht zur richtigen Wertfestsetzung als auch die Möglichkeiten zur Vermeidung entscheidend für den umfassenden Schutz des Versicherungsnehmers.
Literaturverzeichnis und weiterführende Informationen
- Prölss/Martin, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
- Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG
- Bruck/Möller, Versicherungsrecht
Hinweis: Die vorliegende Darstellung behandelt alle rechtlichen Aspekte der Unterversicherung, insbesondere auf Basis des deutschen Rechts. Für spezielle Versicherungsarten oder für den internationalen Bereich sind unter Umständen abweichende Regelungen zu berücksichtigen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen im Schadensfall bei einer Unterversicherung?
Im Falle einer Unterversicherung kann der Versicherungsnehmer erhebliche rechtliche Konsequenzen erleiden, sollte es zu einem Schadensfall kommen. Grundsätzlich bedeutet Unterversicherung, dass die vereinbarte Versicherungssumme niedriger ist als der tatsächliche Wert des versicherten Gegenstandes oder Vermögens. Im Schadensfall führt dies dazu, dass der Versicherer in der Regel nur anteilig, dementsprechend dem Verhältnis von Versicherungssumme zum tatsächlichen Wert, leistet (sogenannte Durchschnittsklausel, § 75 VVG). Hat der Versicherungsnehmer beispielsweise einen Hausrat im Wert von 100.000 Euro, aber nur 50.000 Euro versichert, so werden im Schadensfall (beispielsweise bei einem Schaden von 20.000 Euro) nur 50 % des Schadens von der Versicherung übernommen. Die restlichen Schäden bleiben, trotz laufender Beitragszahlung, am Versicherungsnehmer hängen. Rechtlich relevant ist auch, dass dem Versicherungsnehmer eine Erhöhung der Versicherungssumme sowie deren regelmäßige Überprüfung obliegt. Kommt er dieser Pflicht nicht nach und entsteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem Versicherungswert und der Versicherungssumme, kann die Versicherung auch mit Hinweis auf grobe Fahrlässigkeit ihre Leistung weiter kürzen oder ganz verweigern.
Inwiefern trifft den Versicherungsnehmer eine Obliegenheit zur richtigen Wertangabe und welche Folgen drohen bei Verstößen?
Der Versicherungsnehmer hat nach §§ 19 ff. VVG (Versicherungsvertragsgesetz) die Obliegenheit, bei Vertragsschluss sämtliche Angaben vollständig und korrekt zu machen; dazu gehört auch die richtige Angabe von Wertverhältnissen der zu versichernden Gegenstände. Eine falsche oder unvollständige Wertangabe kann als vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung gewertet werden. Die Rechtsfolgen reichen dabei von einer Vertragsanpassung über die Leistungsfreiheit des Versicherers bis zum Rücktritt vom Vertrag. Besonders schwerwiegend ist dies, wenn die fehlerhafte Wertangabe vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt ist. In diesen Fällen ist eine Berufung auf Schutzvorschriften und Leistungspflichten der Versicherung erheblich eingeschränkt, und der Versicherungsnehmer trägt das Risiko, im Schadenfall keinen oder nur einen teilweisen Ersatz zu erhalten.
Welche Rolle spielt der Versicherungsvertrag bei der Feststellung einer Unterversicherung aus juristischer Sicht?
Der Versicherungsvertrag bildet die Rechtsgrundlage für das Versicherungsverhältnis und regelt explizit, in welcher Höhe Versicherungsschutz besteht. Juristisch ist entscheidend, welche Summe im Vertrag als Versicherungssumme vereinbart wurde, und ob diese – im Verhältnis zum tatsächlichen Wert des versicherten Objekts – ausreichend ist. Versicherer fügen oftmals sogenannte „Wertanpassungs- oder Unterversicherungsverzichtsklauseln“ in ihre Verträge ein, die bestimmte Voraussetzungen für die Leistungspflicht beinhalten. In Gerichtsverfahren wird im Zweifelsfall geprüft, ob der Versicherungsnehmer entsprechend der Belehrungspflicht (§ 7 VVG) über die Möglichkeit einer Unterversicherung sowie deren Folgen informiert wurde. Die Beweislast liegt hier meist beim Versicherer – kann er die entsprechende Aufklärung nicht nachweisen, kann dies zugunsten des Versicherungsnehmers ausgelegt werden.
Kann eine Unterversicherung durch nachträgliche Anpassung des Versicherungsvertrags rechtlich rückwirkend ausgeschlossen werden?
Eine nachträgliche Anpassung oder Erhöhung der Versicherungssumme ist rechtlich grundsätzlich möglich, sie wirkt aber in der Regel nicht rückwirkend. Nach § 40 VVG können Änderungen am Versicherungsvertrag erst ab dem Zeitpunkt ihrer vertraglichen Vereinbarung bzw. ab dem Versicherungsbeginn der Anpassung wirksam werden. Schäden, die vor einer solchen Änderung aufgetreten sind, unterliegen weiterhin den ursprünglichen Bedingungen und Versicherungssummen. Eine rückwirkende Deckung muss ausdrücklich und schriftlich mit dem Versicherer vereinbart werden; sie ist jedoch nur selten Gegenstand üblicher Versicherungsbedingungen und muss im Einzelfall juristisch geprüft werden.
Welche Beweisanforderungen bestehen vor Gericht zur Feststellung einer Unterversicherung?
In einem Rechtsstreit, bei dem die Frage einer Unterversicherung erheblich ist, trifft sowohl den Versicherungsnehmer als auch den Versicherer je nach Prozessstand die Darlegungs- und Beweislast. Der Versicherer muss beweisen, dass eine Unterversicherung vorlag und wie groß die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert und der Versicherungssumme war. Hierfür sind oft Sachverständigengutachten erforderlich, die den Wert des betroffenen Objekts am Schadentag festlegen. Der Versicherungsnehmer muss darlegen, dass der versicherte Wert mit der vereinbarten Versicherungssumme übereinstimmt oder dass er vom Versicherer hinreichend beraten wurde. Die Beweisaufnahme konzentriert sich regelmäßig auf die Angaben bei Vertragsabschluss, Wertermittlungsgutachten und mögliche Hinweise des Versicherers zu den Folgen der Unterversicherung.
Gibt es gesetzliche Ausnahmen, bei denen die Unterversicherung im Leistungsfall nicht zu einer Kürzung oder Ablehnung führt?
Ja, das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und einzelne Versicherungsbedingungen sehen Ausnahmen vor. So wird bei bestimmten Versicherungssparten – etwa in der gleitenden Neuwertversicherung oder bei speziellen „Unterversicherungsverzichtsklauseln“ – auf eine anteilige Kürzung verzichtet, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Beispielsweise verzichten viele Hausratversicherer auf die Einrede der Unterversicherung, wenn der Versicherungsnehmer eine pauschale Versicherungssumme ansetzt, die mindestens einen bestimmten Satz (zum Beispiel 650 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche) nicht unterschreitet. Wird diese Mindestversicherungssumme eingehalten, sichert sich der Versicherte so gegen Leistungskürzungen aufgrund von Unterversicherung ab. Auch gesetzliche Vorschriften, die dem Schutz des Verbrauchers dienen, können eine Leistungskürzung im Einzelfall ausschließen, wenn der Versicherer seiner Aufklärungs- und Beratungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist.