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Unterhaltspflicht unter Verwandten


Begriff und Bedeutung: Unterhaltspflicht unter Verwandten

Die Unterhaltspflicht unter Verwandten bezeichnet eine gesetzlich normierte Verpflichtung, nach der Verwandte einander in bestimmten Lebenssituationen zum Unterhalt verpflichtet sind. Der Unterhalt im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) umfasst dabei alle Leistungen, die notwendig sind, um den Lebensbedarf einer unterhaltsberechtigten Person sicherzustellen. Die Unterhaltspflicht ist ein zentrales Element des deutschen Familienrechts und dient in erster Linie der Absicherung existenzieller Bedürfnisse über familiäre Bindungen hinweg.

Gesetzliche Grundlagen der Unterhaltspflicht

Die Unterhaltspflichten unter Verwandten sind in den §§ 1601 ff. BGB geregelt. Sie umfassen sowohl Abkömmlinge in gerader Linie als auch Eltern, Großeltern und weitere Unterhaltsberechtigte nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften.

§ 1601 BGB: Grundsatz der Unterhaltspflicht

§ 1601 BGB legt fest, dass Verwandte in gerader Linie verpflichtet sind, einander Unterhalt zu gewähren. Dies gilt also insbesondere für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie Großeltern und Enkeln.

Rangfolge der Unterhaltspflichten (§ 1609 BGB)

Die Reihenfolge, in der Unterhalt beansprucht werden kann, regelt § 1609 BGB. Danach sind die Verpflichteten in verschiedene Ränge eingeteilt:

  1. Minderjährige und privilegierte volljährige Kinder
  2. Ehegatten und geschiedene Ehegatten
  3. Andere volljährige Kinder
  4. Eltern, Enkel und weitere Verwandte

Diese Rangfolge spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn mehrere Unterhaltsansprüche gleichzeitig im Raum stehen, aber nicht alle erfüllt werden können.

Voraussetzungen der Unterhaltspflicht

Damit eine Unterhaltspflicht besteht, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten

Unterhalt kann nur verlangt werden, wenn der Berechtigte bedürftig ist (§ 1602 BGB). Bedürftigkeit meint, dass die unterhaltsberechtigte Person nicht in der Lage ist, sich selbst angemessen zu unterhalten. Dabei zählt grundsätzlich das eigene Einkommen und Vermögen, soweit dessen Einsatz zumutbar ist.

Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten

Der zur Unterhaltsleistung Verpflichtete muss nach § 1603 BGB leistungsfähig sein. Das heißt, er muss den Unterhalt aus seinem Einkommen und ggf. seinem Vermögen bestreiten können, nachdem sein eigener Lebensbedarf gesichert ist. Dem Verpflichteten steht dabei ein angemessener Selbstbehalt zu.

Subsidiarität und Nachrangigkeit

Der Unterhaltsanspruch gegenüber Verwandten ist stets nachrangig zu eigenen Einkünften und staatlichen Hilfestellungen. Erst wenn aus eigener Kraft und staatlicher Unterstützung keine angemessene Lebensführung sichergestellt werden kann, kommt eine Inanspruchnahme Verwandter in Betracht.

Arten der Unterhaltspflicht unter Verwandten

Die einzelnen Unterhaltsverhältnisse unterscheiden sich nach Art des Anspruchs und nach der Reihenfolge der Anspruchsberechtigten.

Elternunterhalt

Erwachsene Kinder können zur Zahlung von Elternunterhalt verpflichtet werden, wenn die Eltern bedürftig sind. Dies kann insbesondere im Zusammenhang mit Pflegeheimkosten relevant werden, wenn die Eltern ihren Lebensunterhalt und Pflegekosten nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können.

Kindesunterhalt

Eltern sind grundsätzlich verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu gewähren, bis diese eine angemessene Ausbildung abgeschlossen haben und ihren Lebensbedarf selbst bestreiten können. Die Unterhaltspflicht umfasst dabei alle kindbezogenen Lebensbedarfe und reicht vom Kindes- bis ins Jugend- und ggf. junge Erwachsenenalter.

Großeltern- und Enkelnunterhalt

Großeltern oder Enkel können zur Unterhaltsleistung verpflichtet sein, sofern weder Kinder/Eltern noch Enkel/Großeltern den Unterhalt erbringen können. Dies ist aber nachrangig und praktisch selten relevant.

Umfang und Form des Unterhalts

Art und Umfang des Unterhalts

Der Unterhalt umfasst nach § 1610 BGB den gesamten Lebensbedarf, also Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Versorgung, Bildung und angemessene Freizeitgestaltung. Er kann je nach Lebenssituation und Entwicklungsstand unterschiedlich ausgestaltet sein.

Barunterhalt und Naturalunterhalt

Unterhalt kann sowohl durch Geldleistungen (Barunterhalt) als auch durch Sachleistungen (Naturalunterhalt, z. B. Überlassung von Wohnraum oder Verpflegung) erbracht werden.

Dynamische und statische Unterhaltstitel

Unterhaltspflichten können durch Vereinbarungen, gerichtliche Beschlüsse oder Jugendamtsurkunden geregelt sein. Dynamische Titel passen sich an gesetzliche Änderungen, etwa der Düsseldorfer Tabelle, automatisch an; statische Titel fixieren einen bestimmten Betrag.

Durchsetzung und Vollstreckung von Unterhaltsansprüchen

Geltendmachung

Der Unterhaltsberechtigte muss seine Ansprüche grundsätzlich geltend machen. Geschieht dies nicht, kann der Unterhalt nicht rückwirkend verlangt werden, sondern nur für die Zukunft oder ab dem Zeitpunkt der Inverzugsetzung.

Zwangsvollstreckung

Wird eine titulierte Unterhaltsverpflichtung nicht erfüllt, kann der Anspruch durch Pfändung oder andere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgesetzt werden.

Rückforderung und Regress

In bestimmten Fällen, etwa wenn der Staat im Rahmen einer Sozialleistung für den Unterhalt vorgestreckt hat, kann er im Wege des Regresses Unterhalt von den Verpflichteten fordern (§ 94 SGB XII).

Beendigung und Wegfall der Unterhaltspflicht

Die Unterhaltspflicht kann enden, wenn der Berechtigte nicht mehr bedürftig ist, beispielsweise durch eigenes Einkommen oder Vermögen. Auch mit dem Tod des Berechtigten erlischt der Anspruch. Bei grobem Undank oder schwerwiegenden Pflichtverletzungen kann der Unterhaltsanspruch in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein (§ 1611 BGB).

Sonderregelungen und Besonderheiten

Ausschluss und Beschränkung der Unterhaltspflicht

Die Unterhaltspflicht kann eingeschränkt oder ausgeschlossen sein, wenn eine Inanspruchnahme für den Verpflichteten unzumutbar ist. Dies gilt z. B. bei schwerwiegenden Verfehlungen des Berechtigten gegenüber dem Verpflichteten.

Höhe und Bemessung des Unterhalts

Die Höhe des Unterhalts richtet sich nach dem Bedarf des Berechtigten und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Maßgeblich sind Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Lebensstellung und die geltenden Leitlinien der Oberlandesgerichte, wie etwa der Düsseldorfer Tabelle.

Verjährung von Unterhaltsansprüchen

Unterhaltsforderungen verjähren gemäß § 197 BGB grundsätzlich in drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem sie entstanden sind und der Berechtigte von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat.

Unterhaltspflicht unter Verwandten im internationalen Kontext

Internationale Sachverhalte sind häufig in Zeiten zunehmender Mobilität relevant. Bei grenzüberschreitenden Familienbeziehungen regelt das internationale Familienrecht die Bestimmung des anwendbaren Rechts, insbesondere nach der Europäischen Unterhaltsverordnung und dem Haager Unterhaltsübereinkommen.


Zusammenfassung:
Die Unterhaltspflicht unter Verwandten ist eine gesetzlich verankerte, weitreichende Verantwortung, die auf dem Prinzip der familiären Solidarität beruht und in vielfältigen Konstellationen Anwendung findet. Sie regelt insbesondere das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, kann jedoch auch weitere Verwandte betreffen. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach der Bedürftigkeit des Anspruchsberechtigten sowie der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Das deutsche Recht bietet hierfür detaillierte Regelungen und Mechanismen zur Durchsetzung und Begrenzung dieser Ansprüche.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist im Rahmen der Unterhaltspflicht unter Verwandten vorrangig unterhaltspflichtig?

Im rechtlichen Rahmen der Unterhaltspflicht spielt die sogenannte „Rangfolge” der Unterhaltspflichtigen eine wesentliche Rolle. Nach deutschem Recht, insbesondere gemäß §§ 1601 ff. BGB, sind zunächst die Verwandten in gerader Linie untereinander zum Unterhalt verpflichtet. Das bedeutet, dass zunächst Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig sind und umgekehrt erwachsene Kinder gegenüber ihren Eltern. Bei mehreren gleich nahen Verwandten (z. B. mehrere Kinder gegenüber einem bedürftigen Elternteil) haften diese anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Sind mehrere potentielle Unterhaltspflichtige vorhanden, so regelt § 1606 BGB, dass der näher Verwandte dem entfernteren vorgeht, bspw. Kinder vor Enkeln. Innerhalb derselben Verwandtschaftslinie haften sie gleichrangig. Kommt es zu konkurrierenden Unterhaltsverpflichtungen, etwa gegenüber minderjährigen und volljährigen Kindern oder zwischen geschiedenen Ehegatten und Kindern, so ist die gesetzlich festgelegte Rangfolge zu beachten, insbesondere wie im § 1609 BGB geregelt.

Welche Voraussetzungen müssen für die Durchsetzung einer Unterhaltspflicht erfüllt sein?

Für die Durchsetzung der Unterhaltspflicht nach BGB müssen drei zentrale Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Erstens muss der Unterhaltsberechtigte bedürftig sein (§ 1602 Abs. 1 BGB), das heißt, er ist nicht in der Lage, seinen Lebensbedarf aus eigenen Mitteln, wie Einkommen oder Vermögen, zu bestreiten. Zweitens muss der potenzielle Unterhaltspflichtige leistungsfähig sein (§ 1603 Abs.1 BGB), d.h., er muss in der Lage sein, Unterhalt zu leisten, ohne seinen eigenen angemessenen Selbstbehalt zu gefährden. Drittens muss ein Verwandtschaftsverhältnis in gerader Linie bestehen (§ 1589 BGB), wie zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Großeltern und Enkeln. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann der Bedürftige seinen Unterhaltsanspruch rechtlich geltend machen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass der Anspruch grundsätzlich auf Zahlung von Geld gerichtet ist, wobei auch Naturalunterhalt – etwa Betreuung und Pflege – eine Rolle spielen kann.

Wie wird der Unterhaltsbedarf und die Leistungsfähigkeit berechnet?

Die Berechnung des konkreten Unterhaltsanspruchs erfolgt in zwei Schritten. Zunächst ist der Unterhaltsbedarf des Berechtigten zu ermitteln. Bei minderjährigen Kindern und volljährigen Kindern, die noch im Haushalt eines Elternteils leben, erfolgt dies meist anhand der Düsseldorfer Tabelle, die einkommensabhängig pauschalierte Unterhaltsbeträge vorgibt. Zusätzlich können individuelle Mehrbedarfe wie z.B. Betreuungskosten berücksichtigt werden. Im zweiten Schritt wird die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen geprüft. Maßgeblich hierfür ist sein bereinigtes Nettoeinkommen, wovon bestimmte berücksichtigungsfähige Belastungen und Selbstbehalte abzuziehen sind. Die Selbstbehaltsätze variieren je nach Unterhaltskonstellation (z.B. gegenüber minderjährigen Kindern, volljährigen Kindern, Eltern) und sollen das Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen sichern. Überschreitet die Summe der Unterhaltsansprüche die Leistungsfähigkeit, erfolgt eine Mangelverteilung.

Was bedeutet der Begriff „Selbstbehalt” und wie wirkt er sich auf die Unterhaltspflicht aus?

Der Selbstbehalt bezeichnet den Betrag, der dem Unterhaltspflichtigen rechtlich garantiert bleibt und der nicht für Unterhaltsleistungen herangezogen werden darf. Dieser dient dazu, das Existenzminimum und die wirtschaftliche Eigenständigkeit des Unterhaltspflichtigen zu sichern. Die Höhe des Selbstbehalts wird regelmäßig vom Gesetzgeber in Zusammenarbeit mit Gerichten und der Düsseldorfer Tabelle festgelegt und unterscheidet sich je nach Art des Anspruchs (für Kinder, Ehegatten, Eltern). Beispielsweise liegt der notwendige Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern und privilegierten volljährigen Kindern (Stand 2024) bei monatlich 1.370 Euro, während gegenüber Eltern ein höherer Selbstbehalt (z. B. 2.000 Euro) gilt. Liegt das verfügbare Einkommen des Pflichtigen lediglich auf Selbstbehaltshöhe, ist eine Unterhaltsverpflichtung praktisch ausgeschlossen.

Welche Rechte und Pflichten bestehen bezüglich Auskunft und Nachweis im Unterhaltsrecht?

Sowohl der Unterhaltsberechtigte als auch der Unterhaltspflichtige sind im Rahmen des Unterhaltsverhältnisses zur gegenseitigen Auskunft verpflichtet. Der Unterhaltsberechtigte muss offenlegen, ob und inwieweit er selbst leistungsfähig ist, insbesondere bezüglich seines Einkommens und Vermögens. Gleichsam ist der Unterhaltspflichtige auf Verlangen verpflichtet, über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vollständige und richtige Auskunft zu erteilen (§ 1605 BGB). Dies umfasst regelmäßig die Vorlage von Gehaltsabrechnungen, Steuerbescheiden, Nachweise über Vermögen sowie zu bestehenden Belastungen. Die Auskunft hat in der Regel in Textform und wahrheitsgemäß zu erfolgen. Kommt eine Partei ihrer Auskunftspflicht nicht nach, kann sie gerichtlich zur Vorlage der relevanten Unterlagen verpflichtet werden, ggf. auch durch Zwangsmittel.

Wie lange besteht die Unterhaltspflicht unter Verwandten in gerader Linie?

Die Unterhaltspflicht unter Verwandten in gerader Linie – insbesondere zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Kindern und Eltern – ist grundsätzlich nicht zeitlich befristet, sondern richtet sich nach der jeweiligen Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Im Falle von Kindern besteht die Unterhaltspflicht in der Regel bis zum Abschluss einer ersten beruflichen Ausbildung einschließlich Studium, sofern dieses zielstrebig verfolgt wird. Im Rahmen des Elternunterhalts sind erwachsene Kinder ihren Eltern grundsätzlich lebenslang unterhaltspflichtig, solange diese bedürftig und die Kinder entsprechend leistungsfähig sind. Die Pflicht kann jedoch durch Wegfall der Bedürftigkeit, Wegfall des Verwandtschaftsverhältnisses (z. B. durch Adoption) oder durch Ausschlussgründe (z. B. grobe Verfehlungen des Berechtigten gegenüber dem Pflichtigen gemäß § 1611 BGB) enden.

Welche Bedeutung hat das Prinzip der Verwandtenpflege im Unterhaltsrecht?

Im Unterhaltsrecht manifestiert sich das Prinzip der Verwandtenpflege in der gesetzlichen Verpflichtung, dass Verwandte in gerader Linie grundsätzlich füreinander einstehen. Dieser soziale Verpflichtungscharakter basiert darauf, dass der Staat die Verantwortung für die Sicherung des Lebensunterhalts primär den Familienangehörigen zuweist, bevor öffentliche Leistungen beansprucht werden können. So ist etwa im Rahmen des Elternunterhalts vorgesehen, dass bevor Sozialleistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) gezahlt werden, mögliche Unterhaltsansprüche gegen die Kinder geprüft und ggf. eingefordert werden. Dieses Prinzip dient dem Schutz der staatlichen Solidargemeinschaft und der Förderung des familiären Zusammenhalts, ist jedoch durch die gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfähigkeit und zum Selbstbehalt sowie durch Ausnahmen (z. B. Härtefälle) begrenzt und konkretisiert.