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Unselbständigkeit


Begriff und rechtliche Einordnung der Unselbständigkeit

Unselbständigkeit ist ein zentraler Begriff des deutschen Rechts, der insbesondere im Arbeits-, Steuer-, Sozialversicherungs- und Gesellschaftsrecht von erheblicher Bedeutung ist. Er bezeichnet den rechtlichen Zustand oder das Verhältnis, in dem eine natürliche oder juristische Person in ihrer Entscheidungsfindung, wirtschaftlichen Betätigung oder rechtlichen Stellung nicht eigenverantwortlich, sondern weisungsgebunden und von einer anderen Person oder Institution abhängig ist. Die Unselbständigkeit steht im Gegensatz zur Selbständigkeit, die durch unternehmerische Selbstbestimmung und wirtschaftliche Unabhängigkeit gekennzeichnet ist.

Unselbständigkeit im Arbeitsrecht

Arbeitnehmerstatus und Weisungsgebundenheit

Im Arbeitsrecht wird Unselbständigkeit maßgeblich zur Abgrenzung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu selbständigen Dienstleistern oder Auftragnehmern herangezogen. Arbeitnehmer gelten als unselbständig tätig, wenn sie nach Weisung, in persönlicher Abhängigkeit und in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingebunden arbeiten. Das bedeutet insbesondere:

  • Weisungsbindung: Arbeitnehmer sind hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Art der Tätigkeit an Weisungen gebunden.
  • Eingliederung: Arbeitnehmer sind in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert und nutzen dessen Betriebsmittel.
  • Keine unternehmerische Entscheidungsfreiheit: Arbeitnehmer tragen kein Unternehmerrisiko und sind nicht für den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg verantwortlich.

Die Feststellung der Unselbständigkeit ist entscheidend für die Anwendung des Arbeitsrechts, beispielsweise für Kündigungsschutz, Urlaubsansprüche, Entgeltfortzahlung und den Zugang zur gesetzlichen Sozialversicherung.

Abgrenzung zur Selbständigkeit

Von unselbständigen Arbeitnehmern abzugrenzen sind sogenannte selbständige Dienstleister oder freie Mitarbeiter, die weisungsfrei, eigenverantwortlich und auf eigene Rechnung tätig werden. Die Rechtsprechung zieht bei der Beurteilung der Abgrenzung verschiedene Indizien heran, wobei die tatsächlichen Umstände der Durchführung des Vertrags ausschlaggebend sind.

Unselbständigkeit im Steuerrecht

Unselbständige Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG)

Auch im Einkommensteuerrecht hat die Unselbständigkeit hohe Relevanz. Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG ist dadurch gekennzeichnet, dass der Steuerpflichtige in einem Dienstverhältnis steht, also in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung im Rahmen eines Arbeitsvertrages erbringt. Daraus ergeben sich steuerrechtliche Besonderheiten wie der Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber und die Sozialversicherungspflicht.

Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen

Unselbständige Tätigkeiten unterliegen der Pflicht zur Sozialversicherung (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung). Die Einordnung als unselbständig ist damit maßgeblich für die Versicherungspflicht und die entsprechende Beitragstragung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Deutsche Rentenversicherung kann im Rahmen des sogenannten Statusfeststellungsverfahrens überprüfen, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

Unselbständigkeit im Gesellschaftsrecht

Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht

Im Gesellschaftsrecht bezieht sich Unselbständigkeit häufig auf die Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht. So handelt zum Beispiel ein Prokurist unselbständig, sofern er nur innerhalb der ihm erteilten Vollmacht für die Gesellschaft tätig werden darf. Auch in Tochtergesellschaften ist die Unselbständigkeit durch eine starke Einflussnahme der Muttergesellschaft (sog. Beherrschungsverträge) gegeben.

Unselbständige Zweigniederlassung

Eine weitere Rechtsform der Unselbständigkeit stellt die unselbständige Zweigniederlassung dar. Hierbei handelt es sich um eine organisatorisch vom Hauptunternehmen abhängige Betriebsstätte, die nach außen zwar regelmäßig tätig wird, aber keine eigenständige Rechtspersönlichkeit besitzt und daher rechtlich vom Hauptunternehmen abhängig bleibt.

Unselbständigkeit im Sozialrecht

Schutzfunktion und Leistungsansprüche

Im Sozialrecht begründet die Unselbständigkeit besonderen Schutz für abhängig Beschäftigte, beispielsweise durch das Arbeitslosenversicherungssystem, Arbeitsschutzgesetze, Mutterschutz und Elternzeitregelungen. Leistungsansprüche gegenüber den Sozialversicherungsträgern sind regelmäßig an das Vorliegen einer unselbständigen Beschäftigung geknüpft.

Scheinselbständigkeit als Rechtsproblem

Eine besondere Problematik stellt die sogenannte Scheinselbständigkeit dar. Dies liegt vor, wenn eine Tätigkeit formell als selbständig ausgegeben wird, tatsächlich jedoch die Merkmale einer unselbständigen Beschäftigung überwiegen. In solchen Fällen werden nachträglich Sozialabgaben und Steuern fällig und arbeitsrechtliche Schutzvorschriften gelten rückwirkend.

Unselbständigkeit im Zivilrecht

Stellvertretung und Vertretungsmacht

Unselbständigkeit kann im Zivilrecht auch durch die Funktionen von Stellvertretern entstehen. So handeln zum Beispiel Angestellte bei der Ausführung von Rechtsgeschäften für ihren Arbeitgeber unselbständig, sofern sie nur im Rahmen ihrer Vertretungsmacht agieren und keinen eigenen Entscheidungsspielraum besitzen.

Unterschied zu Hilfspersonen

Während unselbständige Verrichtungsgehilfen im Sinne des § 831 BGB vollständig weisungsgebunden sind, handelt eine Person dann selbständig, wenn sie ihre Tätigkeit eigenverantwortlich und ohne unmittelbare Bindung an eine andere Person übt.

Bedeutung und Abgrenzung zur Selbständigkeit

Die Einordnung einer Tätigkeit als unselbständig ist von sehr weitreichender rechtlicher Bedeutung und betrifft unter anderem:

  • Den Anwendungsbereich arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften
  • Die Pflicht zur Sozialversicherung
  • Steuerrechtliche Behandlung und Abzug von Lohnsteuer
  • Gesellschaftsrechtliche Vertretungsverhältnisse
  • Zivilrechtliche Haftungskonstellationen

Während Selbständigkeit auf Eigenverantwortung, unternehmerische Entscheidungsfreiheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit abstellt, ist Unselbständigkeit geprägt von Weisungsgebundenheit, Abhängigkeit in der Organisation und fehlender wirtschaftlicher Autonomie.

Rechtsprechung und Praxis

Die Zuweisung des Status „unselbständig“ erfolgt im deutschen Recht nicht allein nach Vertrags- oder Parteivereinbarungen, sondern maßgeblich unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles. Dies ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, des Bundessozialgerichts sowie der maßgeblichen Finanzgerichte. Ausschlaggebend ist stets das tatsächliche Gesamtbild der Arbeits- oder Dienstleistung.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bundesarbeitsgericht, Entscheidungen zur Weisungsgebundenheit von Arbeitnehmern
  • Bundesministerium der Finanzen, Einkommensteuerrichtlinien
  • Deutsche Rentenversicherung, Informationen zum Statusfeststellungsverfahren
  • Kommentarliteratur zu Arbeits-, Steuer- und Gesellschaftsrecht

Zusammenfassung

Unselbständigkeit ist ein vielschichtiger Rechtsbegriff, der in unterschiedlichen Rechtsgebieten zahlreiche und teils weitreichende Konsequenzen nach sich zieht. Seine genaue rechtliche Bewertung ist für die Feststellung arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Pflichten und Rechte unerlässlich und wird maßgeblich an der tatsächlichen Art und Weise der Vertragsdurchführung bemessen. Die Abgrenzung zur Selbständigkeit ist regelmäßig Gegenstand umfassender rechtlicher Überprüfung und Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt im Fall der Unselbständigkeit das Risiko für Fehler oder Schäden, die während der Arbeitsausführung entstehen?

Im rechtlichen Kontext liegt das Haftungsrisiko bei Unselbständigen primär beim Arbeitgeber beziehungsweise Auftraggeber. Unselbständige Arbeitnehmer oder freie Dienstnehmer handeln typischerweise „weisungsgebunden“ und eingebunden in eine betriebliche Organisation. Daraus ergibt sich, dass die Verantwortung für Fehler oder Schäden, die aus der normalen Erfüllung der Arbeitsaufgaben resultieren, grundsätzlich beim Arbeitgeber verbleibt. Dies ist sowohl im Arbeitsrecht als auch im Sozialversicherungsrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz fest verankert. Ausnahmen bestehen nur bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlicher Schädigung seitens des unselbständig Beschäftigten. Der Arbeitgeber haftet sowohl für Sach- als auch Personenschäden, die im Zusammenhang mit den dienstlichen Verrichtungen entstehen. Entsteht dagegen ein Schaden durch eigenmächtige, nicht von Weisungen gedeckte Handlungen des Arbeitnehmers, kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen gesamtschuldnerisch oder anteilig haftbar gemacht werden.

Welche steuerlichen Pflichten bestehen bei Unselbständigkeit?

Bei Unselbständigkeit liegt die steuerliche Melde- und Abfuhrpflicht für Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge und gegebenenfalls Kirchensteuer beim Arbeitgeber. Der unselbständig Beschäftigte erhält sein Arbeitsentgelt in der Regel als Bruttolohn, von dem alle abzuführenden Steuern und Beiträge direkt einbehalten werden. Das deutsche Einkommensteuergesetz (§ 38 EStG) bzw. das österreichische Einkommensteuergesetz (§ 47 EStG) verpflichtet den Arbeitgeber zur ordnungsgemäßen Berechnung, Einbehaltung und Abführung. Der Arbeitnehmer erhält eine Lohnabrechnung sowie am Jahresende die Lohnsteuerbescheinigung beziehungsweise den Lohnzettel. Bei Unselbständigkeit entfällt somit für den Beschäftigten die eigenständige Veranlagung und Abführung der Lohnsteuer auf die laufenden Einkünfte, es sei denn, es liegen zusätzliche steuerpflichtige Einnahmen aus anderen Quellen vor.

Wie wird das Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Unselbständigkeit rechtlich ausgestaltet?

Das Arbeitsverhältnis bei Unselbständigkeit wird im deutschsprachigen Raum üblicherweise durch einen Arbeitsvertrag begründet, der den Rahmen der Beschäftigung verbindlich regelt. Der Vertrag enthält wesentliche Bestandteile wie Arbeitszeit, Entgelt, Urlaubsanspruch, Kündigungsfristen, Arbeitsort und die wesentlichen Pflichten beider Parteien. Im Gegensatz zu selbständigen Tätigkeiten enthält ein unselbständiges Arbeitsverhältnis immer eine unmittelbare Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit. Ferner gilt das Arbeitnehmerschutzrecht, das zahlreiche Vorschriften zu Arbeitssicherheit, Arbeitszeiten und Arbeitnehmerrechten enthält. Die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen finden sich im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im österreichischen Arbeitsvertragsrecht und im Schweizer Obligationenrecht.

Besteht ein Anspruch auf Sozialversicherungsschutz im Fall der Unselbständigkeit?

Ja, eine unselbständige Tätigkeit begründet in den meisten Ländern der DACH-Region eine umfassende Sozialversicherungspflicht. Dazu gehören insbesondere die Absicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall und das Recht auf Erwerb einer Rente. Die Beiträge zur Sozialversicherung werden paritätisch, also gemeinsam von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen und vom Arbeitgeber direkt an die zuständigen Versicherungsträger abgeführt. Dies ist gesetzlich geregelt, etwa im deutschen Sozialgesetzbuch oder im österreichischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG). Ein unselbständig Beschäftigter profitiert damit vollumfänglich von den Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, ohne eigenständige Beitragsmeldungen abzugeben.

Wie gestalten sich die Kündigungsfristen und der Kündigungsschutz bei Unselbständigkeit?

Bei Unselbständigkeit gelten die gesetzlich vorgeschriebenen oder tarifvertraglich festgelegten Kündigungsfristen. In Deutschland ist dies im § 622 BGB geregelt, in Österreich etwa nach dem Angestelltengesetz (AngG) oder im Schweizer OR Art. 335 ff. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit verlängern sich die Fristen. Darüber hinaus besteht im Regelfall ein besonderer Kündigungsschutz, etwa für Schwangere, Betriebsräte, Schwerbehinderte oder in Zeiten des Krankenstands. Eine ordentliche Kündigung muss den arbeitsrechtlichen Mindeststandards genügen und – sofern tarifvertraglich oder durch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vorgesehen – sozial gerechtfertigt sein. Somit bietet die Unselbständigkeit einen für den Arbeitnehmer erhöhten Schutz vor willkürlicher oder kurzfristiger Entlassung.

Welche Mitbestimmungsrechte stehen unselbständig Beschäftigten zu?

Unselbständig beschäftigte Personen profitieren von umfassenden Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten im Betrieb oder Unternehmen. Diese Rechte sind abhängig von der Größe des Betriebs und in Deutschland im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), in Österreich im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) und in der Schweiz im Mitwirkungsgesetz geregelt. Das Mitbestimmungsrecht umfasst unter anderem die Wahl von Betriebsräten oder Personalvertretungen, das Recht auf Anhörung bei Kündigungen, Beteiligung an sozialen Maßnahmen im Unternehmen und Mitbestimmung bei der Gestaltung von Arbeitszeit- und Entgeltregelungen. Ziel ist es, die Interessen der unselbständig Beschäftigten angemessen gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten und ihre Stellung im rechtlichen Gefüge zu stärken.

Welche arbeitszeitrechtlichen Vorgaben gelten im Rahmen der Unselbständigkeit?

Im Kontext der Unselbständigkeit unterliegen Beschäftigte den jeweiligen arbeitszeitrechtlichen Regelungen, etwa dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) in Deutschland, dem Arbeitszeitgesetz (AZG) in Österreich oder dem Arbeitsgesetz (ArG) in der Schweiz. Diese Gesetze definieren Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen, Wochenarbeitszeiten, Nacht- und Schichtarbeit sowie Sonderregelungen für Jugendliche oder werdende Mütter. Arbeitgeber sind verpflichtet, diese gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der Gesundheit und Betriebssicherheit ihrer Arbeitnehmer einzuhalten. Bei Verstößen drohen arbeitsrechtliche Sanktionen bis hin zu Bußgeldern und Schadensersatzansprüchen. Durch die Unselbständigkeit kommen Beschäftigte folglich in den Genuss eines gesetzlich verbrieften Arbeitszeit- und Gesundheitsschutzes.