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Unregelmäßige Verwahrung


Begriff und Einordnung der Unregelmäßigen Verwahrung

Die unregelmäßige Verwahrung ist ein Begriff des Zivilrechts und bezeichnet eine besondere Form der Verwahrung, bei der der Verwahrer anstelle der Rückgabe identisch derselben Sache nur verpflichtet ist, eine Sache gleicher Art, Güte und Menge zurückzugeben. Im Gegensatz zur gewöhnlichen (regulären) Verwahrung (im Sinne der §§ 688 ff. BGB) ist die unregelmäßige Verwahrung nicht auf die individuelle Erhaltung derselben Sache, sondern auf den Ersatz durch ein Surrogat gerichtet. Die unregelmäßige Verwahrung spielt insbesondere eine bedeutende Rolle bei der Überlassung von Geld und vertretbaren Sachen.

Gesetzliche Grundlagen und Abgrenzung

Gesetzliche Normierung

Im deutschen Recht ist die unregelmäßige Verwahrung in § 700 BGB geregelt. Diese Vorschrift modifiziert die Grundsätze der regulären Verwahrung (§§ 688 bis 696 BGB), soweit es sich um vertretbare Sachen handelt und dem Verwahrer gestattet ist, sich dieser Sachen zu bedienen. Grundgedanke ist, dass dem Verwahrer die Verfügungsgewalt an der Sache eingeräumt wird – typischerweise, um sie zu verwenden oder zu vermischen.

Abgrenzung zur einfachen Verwahrung

Bei der einfachen Verwahrung bleibt die verwahrte Sache in ihrem identischen Bestand zu erhalten und zurückzugeben (Identitätsprinzip). Die unregelmäßige Verwahrung durchbricht das Identitätsprinzip; der Verwahrer darf über die Sache verfügen und muss bei Beendigung des Verwahrungsverhältnisses lediglich einen Gegenstand der gleichen Art, Güte und Menge zurückgeben (Gattungsprinzip).

Beispiel: Wird Geld zur Verwahrung übergeben („Geldverwahrung“), so ist typischerweise von unregelmäßiger Verwahrung auszugehen: Der Verwahrer muss nicht exakt dieselben Geldscheine bzw. Münzen zurückgeben, sondern einen entsprechenden Geldbetrag.

Abgrenzung zum Darlehensvertrag

Eine erhebliche dogmatische sowie praktische Bedeutung hat die Grenzziehung zwischen unregelmäßiger Verwahrung und Darlehensvertrag. Während bei der unregelmäßigen Verwahrung der Verwahrer zur jederzeitigen Rückgabe verpflichtet bleibt (§ 695 BGB, analog), verschafft das Darlehen dem Empfänger ein vorübergehendes Nutzungsrecht mit Verlängerung der Rückgabefrist (§ 488 BGB). Der Unterschied kann in der jeweiligen Parteienabrede, dem wirtschaftlichen Zweck und der tatsächlichen Handhabung liegen.

Inhalt und Besonderheiten der Unregelmäßigen Verwahrung

Typische Anwendungsfälle

  • Geldverwahrung: Banken verwahren Kundengelder häufig in Form unregelmäßiger Verwahrung.
  • Lagerung von Massenwaren: Rohstoffe, Getreide, Öl oder andere Stoffe, die vertretbare Sachen gemäß § 91 BGB sind.
  • Schließfachverwahrung: Bei vereinbarter Nutzungsbefugnis kann ein Element unregelmäßiger Verwahrung vorliegen.

Rechtsfolgen und Pflichten

Kommt es zur unregelmäßigen Verwahrung, ändern sich die Rechte und Pflichten der Parteien gegenüber der gewöhnlichen Verwahrung wie folgt:

  1. Rückgabepflicht: Der Verwahrer muss nicht dieselbe Sache herausgeben, sondern eine gleichartige Sache (§ 700 Abs. 1 BGB).
  2. Vermengen und Vermischen: Die vermischten Sachen werden Miteigentum mehrerer, wobei der Verwahrer zur Herausgabe eines entsprechenden Anteils verpflichtet bleibt.
  3. Haftung: Die Haftung wird entsprechend dem Verwahrungsvertrag ausgestaltet; insbesondere für Untergang, Vermischung oder Verbrauch der Sache trifft den Verwahrer keine Pflichtverletzung (anders als bei der regulären Verwahrung).
  4. Vergütung: Sofern vereinbart oder üblich, steht dem Verwahrer eine Vergütung zu (§ 693 BGB).

Rechtsnatur

Die unregelmäßige Verwahrung ist ein typischer Vertrag eigener Art, bei dem Aspekte der Verwahrung mit eigenen Sorgfaltspflichten erhalten bleiben, aber die Rückgabepflicht von einem Identitäts- zu einem Gattungsanspruch wechselt.

Unregelmäßige Verwahrung im internationalen Vergleich

Auch in anderen Rechtsordnungen ist die unregelmäßige Verwahrung bekannt, etwa im französischen Zivilrecht als „dépôt irrégulier“. Die grundlegende Systematik, dass die Rückgabepflicht auf die Herausgabe von Sachen gleicher Art, Menge und Güte gerichtet ist, findet sich auch in anderen europäischen Zivilgesetzbüchern.

Praxisrelevante Aspekte und Streitfragen

Regelmäßige Problemfelder

  • Abgrenzung zu Sicherungsrechten: Wird die Möglichkeit zur Nutzungsziehung eingeräumt, kann ein Sicherungsvertrag einschlägig sein.
  • Insolvenz des Verwahrers: Die Sache fällt in die Insolvenzmasse; der Verwahrer hat lediglich einen Anspruch auf Herausgabe einer gleichartigen Sache (§ 700 Abs. 1 Satz 2 BGB).
  • Steuerliche Behandlung: Die steuerlichen Konsequenzen werden häufig analog zum Darlehen beurteilt, insbesondere wenn Nutzungsrechte eingeräumt sind.

Auswirkungen bei Drittwirkung und Vermengung

Werden Sachen mehrerer Verwahrkunden vermischt, wie dies etwa bei der Lagerhaltung von Massengütern vorkommt, entstehen Miteigentumsrechte nach Maßgabe der eingebrachten Mengen (§ 948 BGB). Die genaue vertragliche Bestimmung ist dabei für die Durchsetzung von Rechten im Insolvenzfall oder gegenüber Dritten von entscheidender Bedeutung.

Bedeutung und Zusammenfassung

Die unregelmäßige Verwahrung ist ein im Rechtsverkehr häufig vorkommender Vertragstyp, der insbesondere bei vertretbaren Sachen eine Rolle spielt und zahlreiche rechtliche Besonderheiten aufweist. Die korrekte rechtliche Einordnung ist sowohl im Alltagsgeschäft als auch in der rechtlichen Auseinandersetzung (z. B. bei Insolvenz, Streit um Sorgfaltspflichten oder Herausgabeansprüchen) von erheblicher praktischer Bedeutung.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 688-700
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflage, § 700 BGB
  • MüKoBGB, Kommentierung zu §§ 688 ff. BGB

Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich bei einer unregelmäßigen Verwahrung für den Verwahrer?

Bei einer unregelmäßigen Verwahrung (§ 700 BGB) ist der Verwahrer verpflichtet, dem Hinterleger auf dessen Verlangen Sachen gleicher Art, Güte und Menge zurückzugeben, nicht jedoch die ursprünglich hinterlegten Sachen selbst. Rechtlich ist der Verwahrer somit nicht nur zur bloßen Obhut, sondern zur Rückgabe exakt definierter Werte verpflichtet. Kommt der Verwahrer dieser Verpflichtung nicht nach, etwa weil er die Sachen nicht ordnungsgemäß zurückgeben kann, ergeben sich für ihn primär schadensersatzrechtliche Folgen nach §§ 280 ff. BGB. Die Haftung umfasst regelmäßig sowohl den Wertverlust als auch eventuell entstandene Folgeschäden. Darüber hinaus können bei grober Fahrlässigkeit oder sogar vorsätzlicher Zweckentfremdung der hinterlegten Sachen auch deliktsrechtliche Ansprüche (§§ 823 ff. BGB) und strafrechtliche Folgen, etwa wegen Unterschlagung (§ 246 StGB), bestehen. Im Insolvenzfall des Verwahrers gelten die Ansprüche des Hinterlegers als einfache Insolvenzforderungen, da der Rückgabeanspruch kein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO begründet.

Ist eine unregelmäßige Verwahrung auch bei Geld möglich und wie unterscheidet sich diese rechtlich von der regelmäßigen Verwahrung?

Ja, insbesondere bei Geld ist die unregelmäßige Verwahrung die übliche Form, beispielsweise bei Bankguthaben. Rechtlich unterscheidet sich dies grundlegend von der regelmäßigen Verwahrung dahingehend, dass der Verwahrer Eigentümer der übergebenen Sache wird und zur späteren Rückgabe von Sachen gleicher Art, Güte und Menge verpflichtet ist. Gegenteilig ist bei der regelmäßigen Verwahrung der Hinterleger Eigentümer geblieben und hat einen Aussonderungsanspruch. Bei der unregelmäßigen Verwahrung besteht ein schuldrechtlicher Anspruch, der jedoch keine dingliche Wirkung entfaltet. Daher können insbesondere bei Insolvenz des Verwahrers keine Aussonderungsrechte geltend gemacht werden und der Hinterleger ist lediglich auf die Insolvenzquote verwiesen.

Wie kann eine unregelmäßige Verwahrung rechtssicher vereinbart werden?

Rechtssicher entsteht eine unregelmäßige Verwahrung durch eine entsprechende Vereinbarung im Verwahrungsvertrag, die sich ausdrücklich auf Sachen bezieht, bei denen die Rückgabe gleichartiger Stücke möglich und gewollt ist. Klassischerweise wird dies bei vertretbaren Sachen (§ 91 BGB), wie Geld, Getreide oder Wertpapieren, umgesetzt. Der Vertrag muss eindeutig regeln, dass nicht die Rückgabe exakt desselben Objekts, sondern gleichwertiger Objekte vereinbart ist. Eine schriftliche Fixierung ist ratsam, aber nicht zwingend vorgeschrieben; sie dient jedoch der Klarheit über die gegenseitigen Rechte und Pflichten. In Ausnahmefällen kann die Art der Verwahrung auch aus den Umständen des Einzelfalls abgeleitet werden.

Welche Unterschiede ergeben sich bei der Haftung des Verwahrers im Vergleich zur einfachen Verwahrung?

Während der Verwahrer bei der einfachen Verwahrung gemäß §§ 688 ff. BGB grundsätzlich nur für die ordnungsgemäße Aufbewahrung der individuellen Sache haftet und einen potenziellen Schadensersatz leisten muss, falls die Sache beschädigt oder zerstört wird, haftet er bei der unregelmäßigen Verwahrung verschärft: Der Hauptunterschied liegt darin, dass der Verwahrer das Risiko des Untergangs oder Verlusts der spezifisch hinterlegten Sache trägt, da er sie zu verwenden berechtigt ist und lediglich einen Rückgabeanspruch auf gleichartige Sachen schuldet. Das bedeutet, dass er auch bei zufälligem Untergang zur Rückgabe verpflichtet bleibt. Die Verantwortung des Verwahrers ist somit stärker am Ziel der Rückgabe gleichartiger Sachen als am physischen Bestand der konkreten Hinterlegung orientiert.

Welche Rechte stehen dem Hinterleger im Falle von Leistungsstörungen zu?

Kommt es bei der unregelmäßigen Verwahrung zu Leistungsstörungen wie Verzug, Nichtrückgabe oder Rückgabe von Sachen schlechterer Qualität, stehen dem Hinterleger mehrere Rechte zu: Er kann primär auf ordnungsgemäße Rückgabe klagen (§ 700 Abs. 1 BGB). Ist die Rückgabe nicht möglich oder mangelhaft, entstehen Schadensersatzansprüche aus §§ 280, 281 BGB. Wird die Rückgabe verweigert, kann auch Rücktritt vom Vertrag verlangt werden (§§ 323, 326 BGB). Zudem kommen weitergehende Ansprüche bei Verschulden des Verwahrers, vor allem bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, sowie deliktische Ansprüche (§ 823 BGB) in Betracht.

Gibt es spezielle Mitwirkungspflichten des Hinterlegers im Rahmen der unregelmäßigen Verwahrung?

Im Unterschied zur regelmäßigen Verwahrung bestehen für den Hinterleger grundsätzlich keine besonderen Mitwirkungspflichten im Rahmen der unregelmäßigen Verwahrung. Seine Hauptpflicht beschränkt sich auf die Übergabe der vertretbaren Sachen an den Verwahrer und ggf. die Zahlung einer vereinbarten Vergütung. Der gesamte Verantwortungsbereich hinsichtlich der ordnungsgemäßen Verwendung und späteren Rückerstattung liegt beim Verwahrer. Lediglich wenn der Hinterleger die Herausgabe der Sachen verlangt, ist er verpflichtet, den Rückgabeanspruch geltend zu machen; hierbei kann er Mitwirkungshandlungen wie die Entgegennahme der Rückgabeleistung schuldig werden.

Wie wirkt sich die unregelmäßige Verwahrung auf dingliche Rechte aus?

Die unregelmäßige Verwahrung führt mit Übergabe der Sachen zu einem Eigentumsübergang auf den Verwahrer. Damit befinden sich diese Sachen nicht mehr im Vermögen des Hinterlegers, sondern werden Teil des Vermögens des Verwahrers. Der Hinterleger hat lediglich schuldrechtliche Ansprüche. Dingliche Rechte, insbesondere Aussonderungsrechte im Insolvenzfall des Verwahrers, bestehen nicht. Dies ist insbesondere für Gläubiger wie Bankkunden im Fall einer Bankeninsolvenz von Bedeutung, da sie nicht gegenüber anderen Gläubigern privilegiert sind, sondern mit ihrer Forderung an der Insolvenzmasse teilnehmen.