Übersicherung: Begriff und Grundgedanke
Übersicherung bezeichnet die Konstellation, in der der wirtschaftliche Wert einer bestellten Sicherheit die gesicherte Forderung mehr als erforderlich übersteigt. Der Kern des Begriffs liegt im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Sicherheiten dienen der Absicherung eines Ausfallrisikos, nicht der Mehrung von Vorteilen über das Absicherungsbedürfnis hinaus. Der Schutzmechanismus gegen Übersicherung soll verhindern, dass Sicherungsgeber durch übermäßige Bindung von Vermögenswerten unangemessen belastet werden.
Rechtsnatur und Funktionsweise von Sicherheiten
Arten von Sicherheiten
Sicherheiten können unterschiedlich ausgestaltet sein. In der Praxis geläufig sind insbesondere:
- Grundpfandrechte (z. B. Grundschuld) zur Absicherung von Darlehen durch Immobilienwerte
- Sicherungsübereignung beweglicher Sachen (z. B. Maschinen, Fuhrpark, Warenlager)
- Sicherungsabtretung (z. B. Forderungsabtretung, Globalzession, Lohn- und Mietenabtretung)
- Pfandrechte an beweglichen Sachen oder Rechten
- Bürgschaft und Garantie als persönliche Sicherheiten
- Sammelsicherheiten und Kontokorrentabreden zur Absicherung wechselnder Salden
Allen Sicherheiten ist gemeinsam, dass sie dem Gläubiger eine bevorzugte Befriedigungsmöglichkeit eröffnen, falls die gesicherte Forderung nicht ordnungsgemäß erfüllt wird.
Sicherungsabrede und Zweckbestimmung
Die jeweilige Sicherheit wird durch eine Sicherungsabrede einem bestimmten Sicherungszweck zugeordnet. Dieser kann eng (einzelne Forderung) oder weit (alle bestehenden und künftigen Forderungen aus einer Geschäftsbeziehung) gefasst sein. Weite Zweckbestimmungen und Sammelsicherheiten erhöhen das Risiko einer Übersicherung, weil mehrere Forderungen und Werte miteinander verknüpft werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt hier die maßgeblichen Schranken.
Wann liegt Übersicherung vor?
Bewertungsmaßstab
Maßgeblich ist der Vergleich von realistischer Verwertbarkeit der Sicherheit und der gesicherten Forderung. Entscheidend sind:
- der voraussichtlich erzielbare Nettoerlös bei Verwertung (unter Berücksichtigung von Kosten, Zeitfaktor und Marktrisiken),
- die Höhe der gesicherten Forderung einschließlich Nebenpositionen (z. B. Zinsen, Kosten),
- die Dynamik der Forderung (z. B. schwankende Kontokorrentsalden),
- der Charakter der Sicherheit (Marktwert, Beleihungswert, Liquidationswert) sowie angemessene Risikoabschläge.
Übersicherung liegt nahe, wenn der nachhaltig realisierbare Sicherheitenwert die gesicherte Forderung um einen deutlichen, nicht mehr sachlich zu rechtfertigenden Betrag übersteigt. Es geht um eine wertende Gesamtbetrachtung, nicht um eine rein rechnerische Momentaufnahme.
Quantitative Schwellen und Toleranzen
Starre Prozentsätze bestehen nicht. Üblich ist, dass Sicherheitswerte einen Risikopuffer enthalten dürfen, der Verwertungsrisiken, Marktvolatilität und Durchsetzungskosten abbildet. Übersicherung ist anzunehmen, wenn eine erhebliche und voraussichtlich andauernde Überdeckung vorliegt, die den Absicherungszweck erkennbar überschreitet.
Teilübersicherung und Vollübersicherung
Bei Teilübersicherung ist die Sicherheit nur teilweise überhöht; es kommt dann regelmäßig eine anteilige Freigabe oder Reduzierung in Betracht. Von Vollübersicherung spricht man, wenn das Sicherheitengefüge insgesamt deutlich über das legitime Absicherungsbedürfnis hinausgeht. Beide Varianten lösen Korrekturmechanismen aus, die auf Wiederherstellung eines angemessenen Gleichgewichts gerichtet sind.
Rechte und Pflichten der Beteiligten
Gläubiger
Dem Sicherungsnehmer obliegt es, die Angemessenheit des Sicherheitenbestands im Blick zu behalten. Ein dauerhaft überhöhter Sicherheitenbestand ist zu reduzieren. Bei mehreren Sicherheiten sind mildere Mittel zu bevorzugen, etwa die teilweise Freigabe einzelner Sicherheiten anstelle einer umfassenden Verwertung. Der Gläubiger darf aus der Sicherheit keinen ungerechtfertigten Mehrwert ziehen, der über die Deckung des Ausfallrisikos hinausgeht.
Schuldner und Sicherungsgeber
Der Sicherungsgeber hat bei Übersicherung einen Anspruch auf Anpassung des Sicherheitenumfangs. Dies kann in Form einer vollständigen oder teilweisen Freigabe, einer Rückabtretung, einer Rangreduzierung oder eines Sicherheitsaustauschs erfolgen. Er ist gehalten, die relevanten Bewertungsgrundlagen offenzulegen, soweit diese seiner Sphäre entstammen (z. B. Informationen zu abgetretenen Forderungen oder zur Werthaltigkeit übereigneter Gegenstände). Die Darlegungslast verteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls; im Ergebnis sind beide Seiten an einer nachvollziehbaren Wertermittlung zu beteiligen.
Folgen der Übersicherung
Anpassung und Auslegung von Sicherungsabreden
Bei festgestellter Übersicherung werden Sicherungsabreden im Wege der Auslegung und Reduktion auf das zulässige Maß zurückgeführt. Überdehnte Klauseln können insoweit unanwendbar sein, als sie den angemessenen Sicherungszweck überschreiten. Ziel ist die Aufrechterhaltung des Vertrags im rechtlich zulässigen Rahmen und die Beseitigung des Überhangs.
Freigabe, Rückübertragung und Rangfragen
Die Korrektur erfolgt praktisch durch Freigabe oder Rückübertragung der Sicherheit (z. B. Löschung oder Teil-Löschung im Grundbuch, Rückabtretung von Forderungen, Herausgabe von Pfandgegenständen). Bei mehreren Sicherheiten kommt eine abgestufte Reduzierung in Betracht. Rangfragen (insbesondere bei grundbuchlichen Sicherheiten) werden durch entsprechende Eintragungen bereinigt.
Insolvenzrechtliche Aspekte
In der Insolvenz des Schuldners bleibt die Sicherheit grundsätzlich wirksam. Der verwertbare Überschuss aus der Sicherheit steht jedoch nicht dem einzelnen Gläubiger zu, sondern fällt nach der Verwertung der Masse zu. Der Wert der Sicherheit wird unter insolvenzspezifischen Maßstäben ermittelt, die Liquidationsszenarien und Kosten berücksichtigen. Eine bereits vor der Insolvenz bestehende Übersicherung wirkt sich auf die Verteilungsquote aus, da der Überhang nicht dem abgesicherten Gläubiger vorbehalten bleibt.
Besonderheiten in Standardverträgen
Sicherungszweckerklärung und Globalabtretung
Weit gefasste Sicherungszweckerklärungen (z. B. Absicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen) und Globalabtretungen sind gängig, bergen aber ein erhöhtes Risiko der Übersicherung. Die Zulässigkeit hängt von Transparenz, Bestimmbarkeit des Sicherungszwecks und der Wahrung des Gleichgewichts ab. Übersicherung fungiert als Korrektiv, indem überdehnte Bindungen auf ein angemessenes Maß zurückgeführt werden.
Verbraucher- und Unternehmenskredite
Im Verbraucherkontext unterliegen Sicherheiten einer besonders strengen Inhaltskontrolle im Hinblick auf Verständlichkeit, Transparenz und Ausgewogenheit. Bei Unternehmenskrediten ist der Verhandlungsspielraum größer; gleichwohl gelten die Grundregeln der Verhältnismäßigkeit und der Begrenzung auf das legitime Absicherungsinteresse. Konzerninterne Sicherheiten (z. B. Patronatserklärungen, Konzernbürgschaften) werden ebenfalls an diesen Maßstäben gemessen, wobei gruppenweite Cross-Collateral-Strukturen sorgfältig abzugrenzen sind.
Abgrenzungen und verwandte Themen
Übersicherung vs. Unterdeckung
Übersicherung beschreibt den Überhang der Sicherheiten über die Forderung. Demgegenüber liegt Unterdeckung vor, wenn der Sicherheitenwert zur Deckung der Forderung nicht ausreicht. Beide Situationen können sich durch Marktbewegungen, Tilgungen oder Saldenaufbau dynamisch verändern.
Cross-Collateralization und Sicherheitenbündel
Werden Sicherheiten für mehrere Forderungen gemeinsam verwendet (Sicherheitenpool, Cross-Collateralization), ist die Verteilung des Sicherheitenwerts auf die einzelnen Forderungen zu klären. Übersicherung kann sich dabei aus der Gesamtschau ergeben, auch wenn einzelne Sicherheiten isoliert betrachtet angemessen erscheinen.
Praxis der Wertermittlung
Markt-, Beleihungs- und Liquidationswert
Für die Beurteilung der Angemessenheit sind unterschiedliche Wertbegriffe relevant. Der Marktwert zeigt den voraussichtlichen Verkaufserlös unter normalen Bedingungen. Der Beleihungswert bildet langfristig realisierbare Werte mit Sicherheitsabschlägen ab. Der Liquidationswert stellt auf den im Verwertungsfall erreichbaren Nettoerlös ab, häufig unter Zeit- und Kostenaspekten. Je nach Sicherheitenart und Verwertungsszenario werden angemessene Abschläge berücksichtigt.
Risikoabschläge und Überwachung
Risikofaktoren wie Marktvolatilität, Rechtsbeständigkeit der Sicherheit, Drittwidersprüche, Verwertungskosten und Zeitfaktor rechtfertigen Puffer. Gleichwohl darf der Puffer nicht in eine strukturelle Überdeckung umschlagen. Bei dynamischen Forderungen (z. B. Kontokorrentkredit) ist eine laufende Überwachung verbreitet, um Unterdeckungen und Übersicherungen zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet Übersicherung?
Übersicherung liegt vor, wenn der realistisch verwertbare Wert einer Sicherheit die gesicherte Forderung um einen deutlich über das Absicherungsinteresse hinausgehenden Betrag übersteigt. Sie dient als rechtliche Schranke gegen eine übermäßige Bindung von Vermögen.
Ab wann gilt eine Sicherheit als überhöht?
Es gibt keine starre Prozentgrenze. Maßgeblich ist eine wertende Betrachtung: Übersicherung wird angenommen, wenn der Überhang erheblich, sachlich nicht mehr begründbar und voraussichtlich nicht nur vorübergehend ist, selbst unter Einbeziehung angemessener Risikoabschläge.
Welche Rechte hat der Sicherungsgeber bei Übersicherung?
Der Sicherungsgeber kann verlangen, dass der Sicherheitenumfang auf ein angemessenes Maß reduziert wird. In Betracht kommen Freigabe, Rückübertragung, Teil-Löschung, Rangreduzierung oder ein Austausch gegen eine gleichwertige, aber geringere Belastung verursachende Sicherheit.
Kann Übersicherung den Kreditvertrag beeinflussen?
Übersicherung berührt vor allem den Sicherheitenumfang, nicht die Hauptschuld. Überdehnte Sicherungsabreden werden auf das zulässige Maß begrenzt. Der Kreditvertrag bleibt im Übrigen bestehen, sofern er nicht von der Sicherheit in untrennbarer Weise abhängig gemacht wurde.
Welche Rolle spielt Übersicherung in der Insolvenz?
In der Insolvenz bleibt die Sicherheit wirksam; der nach Verwertung verbleibende Überschuss fällt jedoch der Masse zu. Eine vorinsolvenzliche Übersicherung wirkt sich auf die Verteilung aus, da nur der angemessene Sicherungswert dem abgesicherten Gläubiger zugutekommt.
Wie wird der Sicherheitenwert bestimmt?
Der Wert basiert auf dem voraussichtlich erzielbaren Nettoerlös unter Berücksichtigung von Verwertungsweg, Kosten, Zeitfaktor und Marktrisiken. Üblich sind Sicherheitsabschläge; je nach Sicherheitenart können Markt-, Beleihungs- oder Liquidationswerte maßgeblich sein.
Worin unterscheidet sich Übersicherung von einer weiten Sicherungszweckerklärung?
Die weite Sicherungszweckerklärung beschreibt den Umfang der abgesicherten Forderungen, während Übersicherung die wirtschaftliche Überdeckung der Sicherheit betrifft. Eine weite Zweckbestimmung kann Übersicherung begünstigen, ist aber nicht mit ihr gleichzusetzen.