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Übersicherung


Begriff und rechtliche Einordnung der Übersicherung

Die Übersicherung ist ein Begriff des deutschen Zivilrechts, insbesondere des Kreditsicherungsrechts. Er bezeichnet eine Situation, in der der Wert einer bestellten Sicherheit den Wert der zu sichernden Forderung erheblich übersteigt. Dies führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Sicherungsgebers (z. B. Darlehensnehmer) und des Sicherungsnehmers (z. B. Kreditgeber), das im Rahmen der rechtlichen Bewertung von Übersicherungen vielfältige Konsequenzen entfalten kann. Die Thematik ist insbesondere bei Sicherungsübereignungen, Hypotheken, Grundschulden, Bürgschaften sowie Sicherungsabtretungen von Bedeutung.

Voraussetzungen und Erscheinungsformen der Übersicherung

Abgrenzung zur Unangemessenheit und Doppelbesicherung

Die Übersicherung ist von der unangemessenen Benachteiligung durch Sicherheiten und von der sogenannten Doppelbesicherung (Kumulation mehrerer Sicherheiten für eine Forderung) abzugrenzen. Übersicherung liegt konkret dann vor, wenn das Sicherungsgut den offenen Kapitalbetrag nebst Nebenforderungen im Werte nach deutlich übersteigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bei einer Abweichung von über 110 % des Sicherungswertes vom gesicherten Anspruch regelmäßig von einer Übersicherung ausgegangen.

Exkurs: Zeitlicher Bezugspunkt

Maßgeblich für die Beurteilung einer Übersicherung ist in der Regel der Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung, wobei auch spätere Entwicklungen (Wertsteigerungen oder -minderungen der Sicherheit, Teilerfüllung der Schuld) zu berücksichtigen sind.

Rechtsfolgen der Übersicherung

Anspruch des Sicherungsgebers auf Freigabe

Im Übersicherungsfall kann der Sicherungsgeber nach § 242 BGB (Treu und Glauben) die Freigabe des überschießenden Teils der Sicherheit verlangen. Dieser sogenannte Freigabeanspruch ist von der Rechtsprechung für verschiedene Sicherungsmittel anerkannt (z. B. Grundpfandrechte, Sicherungsabtretungen, Bürgschaften). Die Höhe des Freigabeanspruchs richtet sich nach dem Umfang der Übersicherung (objektiver Verkehrswert abzüglich zu sichernder Forderungen sowie Nebenforderungen).

Einrede der Übersicherung

Sofern der Sicherungsnehmer die Freigabe nicht gewährt, kann der Sicherungsgeber über eine Einrede der Übersicherung die Inanspruchnahme der Sicherheit im Übersicherungsumfang verhindern. Dies stärkt den Schuldnerschutz und hat erhebliche praktische Relevanz im Rahmen von Zwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren.

Auswirkungen im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzverfahren führt eine Übersicherung dazu, dass der Insolvenzverwalter überschießende Sicherheiten gemäß § 166 InsO dem Sicherungsgeber freizugeben hat. Der Gläubiger kann nur im Umfang der noch gesicherten Forderung aus der Sicherheit Befriedigung verlangen.

Grenzen der vertraglichen Gestaltung bei Übersicherung

Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB

Eine besonders gravierende Übersicherung kann zur Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 138 BGB (Sittenwidrigkeit) führen, insbesondere wenn sie die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Sicherungsgebers unverhältnismäßig beschränkt oder dessen Existenz gefährdet. Die Gerichte prüfen in solchen Fällen den Grad der Übersicherung und das Maß der Belastung des Sicherungsgebers.

Kontrolle nach AGB-Recht

Bei formularmäßigen Sicherungsvereinbarungen findet zudem eine Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB statt. Klauseln, die den Gläubiger unangemessen bevorteilen und keine angemessene Begrenzung auf den Sicherungsbedarf vorsehen, sind in der Regel unwirksam (vgl. § 307 BGB).

Besonderheiten der Übersicherung bei verschiedenen Sicherungsmitteln

Übersicherung bei Grundschulden und Hypotheken

Im Bereich der Grundpfandrechte ist die Übersicherung ein häufiger Streitpunkt. Gemäß der Rechtsprechung kann der Schuldner im Übersicherungsfall Freigabe bestimmter Teilflächen verlangen oder die Löschung des nicht mehr benötigten Grundpfandrechts beantragen.

Übersicherung bei Sicherungsabtretung

Auch bei der Sicherungsabtretung von Forderungen hat der Sicherungsgeber Anspruch auf Rückabtretung, sofern die verbleibende Sicherheit zur Deckung der gesicherten Forderung ausreicht.

Übersicherung bei Bürgschaften

Bei Bürgschaften ist etwa dann von Übersicherung auszugehen, wenn eine Bürgschaft zusätzlich zu einer bereits gestellten Sach- oder Personalsicherheit bestellt wird und damit der Sicherungsnehmer kumulativ und unverhältnismäßig abgesichert ist. Auch hier steht dem Bürgen beziehungsweise dem Hauptschuldner ein Freigabeanspruch zu.

Zusammenfassung und praktische Bedeutung

Die Übersicherung stellt ein bedeutendes Instrument zum Schutz des Sicherungsgebers im Kreditsicherungsrecht dar. Sie gewährleistet die verhältnismäßige Absicherung wirtschaftlicher Interessen beider Seiten und schützt insbesondere davor, dass der Sicherungsnehmer seine Sicherungsrechte in missbräuchlicher Weise ausnutzt. Die gesetzlichen und von der Rechtsprechung entwickelten Schranken der Übersicherung leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Interessensausgleich im Schuldrecht. Überdies hat die korrekte Handhabung der Übersicherung erhebliche praktische Bedeutung für die Vertragsgestaltung, die Abwicklung von Sicherheiten und das Insolvenzrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen hat eine Übersicherung für den Sicherungsnehmer?

Im deutschen Recht kann eine Übersicherung für den Sicherungsnehmer gravierende Folgen nach sich ziehen, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis zum Sicherungsgeber. Wird dem Sicherungsnehmer Sicherungsgut in einem Umfang gewährt, der die gesicherte Forderung deutlich überschreitet, besteht die Gefahr einer sogenannten „unangemessenen Benachteiligung“ des Sicherungsgebers gemäß § 307 BGB, sofern die Sicherungsabrede als Allgemeine Geschäftsbedingung erfolgt ist. Dies kann zur Folge haben, dass Sicherungsvereinbarungen – oder zumindest Teile davon – unwirksam sind. Zudem verpflichtet die höchstrichterliche Rechtsprechung (insbesondere BGH) den Sicherungsnehmer zur Freigabe übermäßiger Sicherheiten, sobald das wirtschaftliche Bedürfnis hierfür entfällt (Freigabeanspruch des Sicherungsgebers). Kann oder will der Sicherungsnehmer dem Freigabeverlangen nicht nachkommen, besteht für den Sicherungsgeber mitunter die Möglichkeit, gerichtlich die Freigabe durchzusetzen oder Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Im schlimmsten Fall riskiert der Sicherungsnehmer darüber hinaus Haftung auf Rückübertragung oder Wertausgleich bei Verwertung der Übersicherung.

Wer trägt die Beweislast für das Vorliegen einer Übersicherung im Streitfall?

Die Beweislast für das Vorliegen einer Übersicherung obliegt grundsätzlich dem Sicherungsgeber. Dieser muss substantiiert darlegen und beweisen, dass der Wert der dem Sicherungsnehmer zur Verfügung gestellten Sicherheiten die zu sichernde Forderung übersteigt. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass dem Sicherungsgeber im Regelfall nur eingeschränkte Informationen über den tatsächlichen Wert der Sicherheiten und die Höhe der gesicherten Forderung vorliegen. In Anerkennung dieser Informationsasymmetrie wird dem Sicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast auferlegt: Sobald der Sicherungsgeber Anhaltspunkte für eine Übersicherung vorträgt, ist der Sicherungsnehmer verpflichtet, verständlich und nachvollziehbar die relevanten Bewertungsgrundlagen offen zu legen.

Welche Rolle spielt die Übersicherung bei der Sicherheitenverwertung im Insolvenzfall?

Im Insolvenzfall wird die Frage der Übersicherung vor allem im Rahmen der Sicherheitenverwertung relevant. Steht einem Gläubiger eine Übersicherung zu, darf er nach Insolvenzeröffnung nur diejenige Sicherheitenmenge verwerten, die zur Befriedigung seiner gesicherten Forderung erforderlich ist. Der Insolvenzverwalter hat Anspruch darauf, dass überschießende Sicherungswerte zugunsten der Insolvenzmasse freigegeben werden. Nach § 166 InsO ist im Falle einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter sicherzustellen, dass der Sicherungsnehmer lediglich mit dem der gesicherten Forderung entsprechenden Anteil befriedigt wird, während verbleibende Überschüsse der Insolvenzmasse zufallen. Kommt es zu Streitigkeiten über den Umfang der Übersicherung, kann der Insolvenzverwalter auf Rückübertragung insbesondere bei Sicherungsabtretung oder Sicherungsübereignung klagen.

Welche Ansprüche stehen dem Sicherungsgeber bei Feststellung einer Übersicherung zu?

Stellt der Sicherungsgeber eine Übersicherung fest, stehen ihm grundsätzlich Freigabeansprüche zu. Diese können sich aus vertraglichen Nebenpflichten oder aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben. Bestandteil des Sicherungsvertrages ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung stets eine Freigabeklausel, auch wenn diese nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Der Sicherungsgeber kann auf Freigabe derjenigen Sicherheiten klagen, deren Wert das erforderliche Sicherungsbedürfnis des Sicherungsnehmers übersteigt. Im Einzelfall kann der Sicherungsgeber die Auswahl der freizugebenden Sicherheiten dem Sicherungsnehmer überlassen, sofern im Sicherungsvertrag nichts Abweichendes vereinbart wurde. Anspruch auf Schadensersatz besteht zusätzlich, wenn dem Sicherungsgeber durch das Vorenthalten der Freigabe ein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Die Verwertung überschüssiger Sicherheiten durch den Sicherungsnehmer kann unter Umständen sogar zur Haftung für unrechtmäßige Bereicherung führen (§ 812 BGB).

Welche rechtlichen Einschränkungen existieren bei der Vereinbarung von Globalzessionen im Hinblick auf das Übersicherungsverbot?

Im Bereich der Globalzessionen, bei denen ein Schuldner sämtliche gegenwärtigen und künftigen Forderungen zur Sicherung abtritt, ist das Übersicherungsverbot besonders bedeutsam. Die Gerichte verlangen bei solchen Sicherungsverträgen vom Sicherungsnehmer ein aktives Management zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen gesicherter Forderung und abgetretenem Sicherungsgut. Globalzessionen dürfen insbesondere dann nicht zur unbeschränkten Übertragung sämtlicher Kundenforderungen führen, wenn der Wert der abgetretenen Forderungen dauerhaft und erkennbar den Wert der gesicherten Forderung übersteigt. Verstöße gegen das Übersicherungsverbot können zur (teilweisen) Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung und damit zu erheblichen Rechtsnachteilen für den Sicherungsnehmer führen.

Wie erfolgt die Bewertung der Sicherheiten zur Ermittlung einer etwaigen Übersicherung?

Die Bewertung der Sicherheiten zur Ermittlung einer Übersicherung erfolgt unter Zugrundelegung des realisierbaren Wertes zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme bzw. der Geltendmachung des Freigabeanspruchs. Für unterschiedliche Arten von Sicherheiten (z.B. Grundschuld, Forderungsabtretung, Sicherungsübereignung beweglicher Sachen) existieren unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe. Maßgeblich ist stets der sogenannte Sicherungswert (Verkehrswert abzüglich Verwertungskosten und Abschlägen für mögliche Risiken). Die Bewertung kann je nach Sicherungsart substantielle Unterschiede aufweisen, etwa bei schwankenden Marktpreisen oder bei schwer bestimmbaren Aktivwerten. Streitigkeiten über den Wert sind häufig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen; in solchen Fällen kommen regelmäßig externe Gutachter zum Einsatz. Für Banken ist zudem das Kreditwesengesetz (KWG) mit speziellen Vorschriften zur Wertermittlung bei Sicherheiten zu beachten.

Muss der Sicherungsnehmer fortlaufend den Sicherungswert überwachen, um eine Übersicherung zu vermeiden?

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung trifft den Sicherungsnehmer zumindest eine Obliegenheit, den Bestand und Wert der erhaltenen Sicherheiten im Verhältnis zur gesicherten Forderung laufend zu überwachen. Spätestens, sobald ihm auffällt oder auffallen müsste, dass das Übersicherungsverbot verletzt wird – etwa durch Tilgung der Hauptforderung oder Werterhöhung der Sicherheit -, ist er verpflichtet, von sich aus eine Reduzierung der Sicherheiten oder deren Freigabe zu veranlassen. Unterlässt der Sicherungsnehmer diese Überwachung und kommt es infolgedessen zu einer andauernden Übersicherung, kann dies – wie oben ausgeführt – zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede oder zu Schadensersatz- bzw. Rückübertragungsansprüchen führen. Banken und Finanzdienstleister unterliegen darüber hinaus verschärften Organpflichten nach dem KWG und internen Vorgaben zur regelmäßigen Überprüfung der Sicherheitenwerthaltigkeit.