Begriff und rechtliche Einordnung der „Überraschenden Klausel“
Die sogenannte „überraschende Klausel“ ist ein bedeutsames Rechtsinstitut des deutschen Zivilrechts. Sie ist ein Teilbereich des AGB-Rechts (Allgemeine Geschäftsbedingungen) und kommt insbesondere in Verträgen des täglichen Geschäftsverkehrs zum Tragen. Überraschende Klauseln unterliegen speziellen Wirksamkeitsvoraussetzungen und besonderen Prüfkriterien. Rechtsgrundlage für ihre Beurteilung und etwaige Unwirksamkeit bietet insbesondere § 305c Abs. 1 BGB.
Definition und Anwendungsbereich
Eine überraschende Klausel ist eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, mit deren Inhalt der Vertragspartner nach den Umständen des Vertragsschlusses vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Klausel im Kontext des Vertragswerks ungewöhnlich ist oder an einer Stelle verwendet wird, an der der Vertragspartner sie nicht erwarten würde.
gesetzliche Regelung
Die Rechtsgrundlage für die Behandlung überraschender Klauseln findet sich in § 305c Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil, wenn sie nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner mit ihnen nicht zu rechnen braucht.
Voraussetzungen einer überraschenden Klausel
Die Wirksamkeit einer überraschenden Klausel wird an strenge Voraussetzungen geknüpft. Für die Annahme einer solchen Klausel müssen zwei zentrale Kriterien erfüllt sein:
Ungewöhnlichkeit der Klausel
Die betreffende Bestimmung muss inhaltlich oder hinsichtlich ihrer plötzlichen Platzierung im Vertragswerk derart vom sonstigen Vertragsinhalt abweichen, dass der Vertragspartner mit einer derartigen Klausel nicht rechnen musste. Dies kann sich beispielsweise aus folgenden Umständen ergeben:
- Die Klausel behandelt einen Aspekt, der dem Vertragstyp fremd ist.
- Die Klausel steht in deutlichem Widerspruch zu sonst üblichen Regelungen oder dem Vertragspartner gemachten Erwartungen.
- Die Klausel ist besonders belastend oder weicht vom dispositiven Recht ab.
Unerwartete Platzierung
Zudem muss die Klausel so in die Vertragsbedingungen eingefügt sein, dass sie für den Vertragspartner versteckt oder unauffällig erscheint. Wurde eine solche Klausel bewusst an einer ungewöhnlichen Stelle platziert oder in unübersichtlicher Weise in die AGB integriert, verstärkt dies die Annahme einer Überraschungsklausel.
Rechtsfolgen einer überraschenden Klausel
Kommt ein Gericht zu dem Ergebnis, dass eine Vertragsbestimmung überraschend ist, zieht dies weitreichende Konsequenzen nach sich:
Unwirksamkeit der Klausel
Nach § 305c Abs. 1 BGB gilt: Die überraschte Partei ist nicht an die Überraschungsklausel gebunden – die Klausel wird nicht Vertragsbestandteil. Der Vertrag bleibt aber im Übrigen wirksam, sofern er nicht ausnahmsweise ohne die Klausel für die Parteien unzumutbar wäre.
Maßgebliches Verbraucher- und Unternehmerverhältnis
Die Regelung gilt nicht nur für Verbraucherverträge (§ 13 BGB), sondern auch im geschäftlichen Verkehr zwischen Unternehmen (§ 14 BGB), sofern Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet werden.
Vorrang der Individualabrede
Ist die Klausel überraschend und damit unwirksam, gilt stattdessen häufig das dispositive Gesetzesrecht oder eine etwaige Individualvereinbarung zwischen den Vertragsparteien.
Abgrenzung zu anderen Unwirksamkeitsgründen
Abgrenzung zur Inhaltskontrolle (§ 307 ff. BGB)
Während bei überraschenden Klauseln die Ungewöhnlichkeit und fehlende Erwartbarkeit im Vordergrund steht, erfolgt die Inhaltskontrolle nach § 307 ff. BGB auf Grundlage einer Unangemessenheit der Vertragsbestimmung. Beide Unwirksamkeitsgründe können kumulativ anwendbar sein, überschneiden sich aber nicht vollständig.
Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB)
Wird der Klauselinhalt verschleiert oder unklar dargestellt, kommt zusätzlich ein Verstoß gegen das Transparenzgebot in Betracht.
Praxisbeispiele und Rechtsprechung
Beispiele für überraschende Klauseln
- Eine Haftungsbeschränkung für grobe Fahrlässigkeit in Mietverträgen.
- Eine automatische Vertragsverlängerung bei nur einmonatiger Kündigungsfrist, die im Fließtext versteckt ist.
- Ein Gewährleistungsausschluss bei gebrauchten Waren, der ganz am Ende der AGB ohne besondere Hervorhebung steht.
Rechtsprechung
Die Rechtsprechung betont regelmäßig, dass bei der Bewertung, ob eine Klausel überraschend im Sinn von § 305c Abs. 1 BGB ist, das objektive Verständnis eines durchschnittlichen Vertragspartners maßgeblich ist. Hierbei werden insbesondere das äußere Erscheinungsbild, die Gliederung und die sprachliche Verständlichkeit der AGB berücksichtigt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 15. November 2012 – VII ZR 222/12).
Bedeutung für die Vertragsgestaltung
AGB-Verwender sollten vermeiden, Klauseln ungewöhnlicher Art oder mit überraschendem Charakter an versteckten oder wenig beachteten Stellen im Vertragstext unterzubringen. Wesentliche und insbesondere nachteilige Klauseln sollten deutlich hervorgehoben und transparent formuliert werden, um deren Wirksamkeit sicherzustellen.
Literatur und weiterführende Hinweise
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 305c Abs. 1 BGB
- Palandt, BGB-Kommentar, aktueller Stand
- Münchener Kommentar zum BGB, § 305c
- Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 305c BGB
Diese ausführliche Darstellung eröffnet einen umfassenden Einblick in das Rechtsinstitut der überraschenden Klausel, dessen Voraussetzungen, Rechtsfolgen und praktische Bedeutung im deutschen Vertragsrecht.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen hat das Vorliegen einer überraschenden Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)?
Stellt ein Gericht fest, dass es sich bei einer Vertragsbestimmung in AGB um eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB handelt, so hat dies zur Folge, dass die betreffende Klausel nicht Vertragsbestandteil wird. Das bedeutet, dass sie für die Vertragsparteien keine rechtliche Wirkung entfaltet. Maßgeblich ist, dass die Klausel so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihr zu rechnen braucht. In Konsequenz wird der Vertrag im Übrigen wirksam, das heißt, der Rest des Vertrages bleibt bestehen, sofern er ohne die überraschende Klausel sinnvoll aufrechterhalten werden kann. Die gesetzliche Folge schützt damit insbesondere Verbraucher und Vertragspartner vor überraschenden und dadurch regelmäßig nachteiligen Regelungen, die einseitig vom Verwender vorgegeben wurden. Die Beweislast für das Vorliegen einer überraschenden Klausel obliegt grundsätzlich dem Vertragspartner des Verwenders.
Wie wird im Streitfall entschieden, ob eine Klausel überraschend ist?
Ob eine Klausel überraschend ist, entscheidet das Gericht im Rahmen einer Inhaltskontrolle anhand objektiver Maßstäbe. Maßgeblich ist dabei, wie ein durchschnittlicher, verständiger und redlicher Vertragspartner die Klausel bei Vertragsschluss auffassen würde. Das Gericht prüft, ob die Klausel nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihr nicht zu rechnen brauchte. Dabei berücksichtigt das Gericht unter anderem den Gesamteindruck des Vertrages, die Gliederung der AGB, die Position und drucktechnische Gestaltung der Klausel sowie das konkrete Geschäftsumfeld. Auch Erfahrungswerte aus bestehenden Branchenüblichkeiten können berücksichtigt werden. Sofern Zweifel bestehen, geht dies stets zulasten des Verwenders der AGB.
Welche Rolle spielt die drucktechnische Gestaltung bei der Beurteilung einer überraschenden Klausel?
Die drucktechnische Gestaltung ist ein zentrales Kriterium bei der Frage, ob eine Klausel überraschend ist. Klauseln, die im Fließtext „versteckt“ sind, etwa im Kleingedruckten, ohne besondere Hervorhebung, gelten häufiger als überraschend, besonders wenn sie nachteilig für den Vertragspartner sind und nicht mit deren Aufnahme zu rechnen war. Fehlt eine deutliche Kennzeichnung oder sind sie unauffällig angeordnet, wird die Erwartung des Vertragspartners enttäuscht. Umgekehrt spricht eine deutlich sichtbare und hervorgehobene Platzierung (z.B. Fettdruck, Überschriften) dagegen, dass die Regelung überraschend und damit unwirksam ist. Die Gestaltung muss dem durchschnittlichen Leser die Klausel ins Auge springen lassen; andernfalls trägt der Verwender das Risiko, dass die Regelung als überraschend nicht Vertragsbestandteil wird.
Kann sich ein Unternehmer ebenso wie ein Verbraucher auf das Vorliegen einer überraschenden Klausel berufen?
Ja, der Schutzmechanismus des § 305c Abs. 1 BGB ist nicht auf Verbraucher beschränkt, sondern gilt auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr. Sowohl Verbraucher als auch Unternehmen können sich auf das Nicht-Einbezogensein einer überraschenden Klausel berufen, wenn sie Vertragspartner von durch einen anderen vorformulierten AGB sind und die Voraussetzungen des § 305c Abs. 1 BGB erfüllt sind. Allerdings wird bei unternehmerischen Vertragspartnern tendenziell eine höhere Erwartung an die Sorgfalt beim Lesen und das Verständnis des Vertragstextes gestellt als bei Verbrauchern. Die Beurteilung, ob etwas überraschend ist, erfolgt jedoch immer anhand objektiver Kriterien.
Welche typischen Klauselbeispiele haben Gerichte bereits als überraschend eingestuft?
Gerichte haben eine Vielzahl von Klauseln als überraschend beurteilt. Typische Beispiele sind Klauseln, die weitreichende Haftungsbeschränkungen zum Nachteil des Vertragspartners enthalten und deren Aufnahme so nicht zu erwarten war. Auch Regelungen, die wesentliche Vertragspflichten stark einschränken oder versteckte Nebenentgelte begründen, können überraschend sein. Ebenfalls als überraschend angesehen wurden etwa die Vereinbarung von Schiedsgerichten an einem weit vom gewöhnlichen Gerichtsstand entfernten Ort, oder vertragliche Bedingungen, die sich im Widerspruch zu dem darstellen, was in der Werbung oder dem Hauptvertrag kommuniziert wurde. In der Rechtsprechung wird stets im Einzelfall geprüft, ob die betreffende Klausel nach ihrer Art und ihrem Inhalt so ungewöhnlich ist, dass ein redlicher Vertragspartner nicht mit ihr zu rechnen brauchte.
Muss der Verwender einer überraschenden Klausel diese besonders kennzeichnen, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten?
Die besondere Kennzeichnung kann helfen, die Überraschungswirkung zu beseitigen, jedoch besteht keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung, jede einzelne Klausel besonders hervorzuheben. Entscheidend ist, dass der Vertragspartner auf die Klausel aufmerksam gemacht wird und sie im Kontext des Gesamtdokuments nicht „untergeht“. Gibt es für eine Klausel objektiv keine Veranlassung, sie an der betreffenden Stelle oder in der Art im Vertrag zu erwarten, kann auch eine deutlich erkennbare Darstellung nicht immer die Überraschung ausschließen, insbesondere wenn sie dem Sinn und Zweck des Vertrages fundamental widerspricht. Dennoch: Je auffälliger die Präsentation, desto geringer das Risiko, dass ein Gericht sie als überraschend und somit unwirksam einstuft.
Gibt es Fristen oder Formerfordernisse, innerhalb derer Einwendungen gegen überraschende Klauseln erhoben werden müssen?
Im Grundsatz muss der Vertragspartner seine Einwendung bezüglich einer überraschenden Klausel nicht sofort bei Vertragsschluss geltend machen; die Unwirksamkeit wirkt automatisch, ohne dass es einer gesonderten Erklärung bedarf. Die Einwendung kann auch im späteren Verlauf, etwa bei Auseinandersetzungen über die Vertragsdurchführung, erhoben werden. Jedoch können unterschiedliche Verjährungsfristen für etwaige Ansprüche bestehen, die sich auf die Anwendung oder Nichtanwendung der Klausel beziehen. Ferner gilt, dass im unternehmerischen Verkehr Treu und Glauben (insbesondere § 242 BGB) eine Rolle spielen und der Vertragspartner seine Einwendungen nicht zu spät geltend machen darf, wenn dies als widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) gewertet werden könnte. Im Verbraucherverhältnis sind die Anforderungen in der Regel weniger streng. Eine bestimmte Form ist für die Rüge nicht erforderlich, sie kann auch formlos erfolgen.