Übernahmeangebot

Übernahmeangebot: Bedeutung, Ablauf und rechtlicher Rahmen

Ein Übernahmeangebot ist ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Aktien oder anderen stimmberechtigten Wertpapieren einer börsennotierten Gesellschaft (Zielgesellschaft). Es richtet sich an alle Inhaber der betroffenen Wertpapiere und verfolgt regelmäßig das Ziel, die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erlangen. Kontrolle meint die Möglichkeit, maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaftsführung auszuüben; in vielen Rechtsordnungen knüpft dies an eine gesetzlich definierte Beteiligungsschwelle an. Übernahmeangebote sind streng reguliert, um Transparenz, Gleichbehandlung der Anleger und geordnete Marktbedingungen zu sichern.

Rechtsnatur und Anwendungsbereich

Beteiligte und ihre Rollen

  • Bieter: Die erwerbende Person oder Gesellschaft, die das Angebot unterbreitet; häufig ein Industrieunternehmen oder eine Beteiligungsgesellschaft.
  • Zielgesellschaft: Die börsennotierte Aktiengesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand des Angebots sind.
  • Aktionärinnen und Aktionäre: Adressaten des Angebots; sie entscheiden individuell über Annahme oder Ablehnung.
  • Aufsichtsbehörden: Zuständige Stellen für die Prüfung und Überwachung der Veröffentlichungspflichten und Verfahrensvorgaben.
  • Börsen und Marktinfrastrukturen: Stellen die technische Abwicklung und Informationsverbreitung sicher.

Arten von Angeboten

  • Freiwilliges Übernahmeangebot: Ein Angebot, das auf Kontrollerwerb zielt, ohne dass zuvor die Kontrollschwelle überschritten wurde.
  • Pflichtangebot: Ein Angebot, das auszulösen ist, wenn der Bieter die gesetzliche Kontrollschwelle bereits erreicht oder überschritten hat; es dient dem Schutz der übrigen Aktionäre.
  • Teilangebot: Angebot zum Erwerb nur eines bestimmten Prozentsatzes der Aktien; je nach Ausgestaltung kann es nicht zwingend auf Kontrollerwerb gerichtet sein.
  • Konkurrierendes Angebot: Ein weiteres Angebot eines anderen Bieters während der laufenden Angebotsfrist.

Grundprinzipien: Gleichbehandlung und Transparenz

Alle Inhaber derselben Wertpapiergattung sind gleich zu behandeln. Informationen zum Angebot müssen rechtzeitig, klar und vollständig veröffentlicht werden. Der Angebotspreis unterliegt Mindestmaßstäben; in der Regel darf er gewisse vorangegangene Erwerbspreise des Bieters nicht unterschreiten. Zudem gilt das Transparenzgebot über Ziele, Finanzierung und Bedingungen des Angebots.

Ablauf eines Übernahmeangebots

Vorbereitung und Ankündigung

Der Bieter bereitet die Transaktion vor, prüft die Zielgesellschaft (soweit zulässig), sichert die Finanzierung und erstellt eine Angebotsunterlage. Vor der Veröffentlichung bestehen strenge Vorgaben zum Umgang mit Insiderinformationen und zur Vermeidung von Marktmissbrauch. Häufig wird das Vorhaben angekündigt, was Publizitätspflichten auslösen kann.

Angebotsunterlage und Inhalt

Die Angebotsunterlage ist das zentrale Dokument. Sie enthält insbesondere:

  • Art und Höhe der Gegenleistung (Barzahlung, Aktientausch oder Kombination),
  • die vom Angebot erfassten Wertpapiere und Gattungen,
  • Ziele des Bieters und beabsichtigte künftige Geschäftspolitik,
  • Finanzierungsnachweis und Angaben zur Sicherstellung der Zahlung,
  • Annahmefrist und etwaige Bedingungen (z. B. Erreichen einer Mindestannahmeschwelle, behördliche Freigaben),
  • Hinweise zu möglichen Auswirkungen auf Beschäftigte, Standorte und Organe der Zielgesellschaft.

Verfahren und Fristen

Nach Veröffentlichung beginnt die Annahmefrist. Aktionärinnen und Aktionäre können ihre Wertpapiere innerhalb dieser Frist andienen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich die Frist verlängern (z. B. bei Angebotsänderungen oder konkurrierenden Angeboten). Nach Ende der Hauptannahmefrist schließt sich oft eine weitere, kürzere Annahmefrist an, in der verspätete Annahmen zu gleichen Konditionen möglich sind.

Prüfung und Stellungnahmen

Die Angebotsunterlage wird einer behördlichen Prüfung auf Vollständigkeit und Gesetzeskonformität unterzogen. Leitungs- und Aufsichtsorgane der Zielgesellschaft veröffentlichen eine begründete Stellungnahme zum Angebot, einschließlich einer Einschätzung des Angebotspreises und der strategischen Auswirkungen. Beschäftigte werden informiert; deren Belange sind im Rahmen der Darstellung zu berücksichtigen.

Vollzug und Abwicklung

Kommt das Angebot zustande und werden Bedingungen erfüllt, erfolgt die Abwicklung über die Depotbanken: Lieferung der Wertpapiere gegen Zahlung der Gegenleistung. Abhängig von Freigaben (etwa aus dem Kartell- oder Außenwirtschaftsrecht) kann der Vollzug zeitlich versetzt stattfinden.

Preisbildung und Gegenleistung

Gegenleistungsformen

  • Barangebot: Feste Geldzahlung pro Aktie.
  • Aktientausch: Ausgabe eigener oder dritter Aktien als Gegenleistung.
  • Kombinationsangebot: Mischung aus Bar- und Aktienteil.

Bei Aktientauschangeboten sind zusätzliche Angaben zur Bewertungsrelation und zu den Eigenschaften der Tauschpapiere erforderlich.

Mindestpreis- und Höchstpreisregeln

Zur Vermeidung von Benachteiligungen gelten Mindestpreisvorgaben. Üblich ist, dass der Angebotspreis mindestens dem höchsten Preis entspricht, den der Bieter in einem vor dem Angebot liegenden Referenzzeitraum für Wertpapiere derselben Gattung gezahlt hat. Häufig wird zusätzlich ein Börsenkursbezug berücksichtigt. Nach dem Angebot getätigte Zukäufe können Nachbesserungspflichten auslösen, falls sie zu einem höheren Preis erfolgen.

Nebenabreden und Gleichbehandlung

Side-Deals mit einzelnen Aktionären sind nur zulässig, wenn sie keine versteckten Zusatzvorteile gewähren, die den Gleichbehandlungsgrundsatz unterlaufen. Vereinbarungen über Stimmrechtsausübung oder abgestimmtes Verhalten können zu einer Zurechnung von Beteiligungen führen.

Bedingungen und Genehmigungen

Zulässige Vollzugsbedingungen

  • Fusionskontrolle: Freigaben der Kartellbehörden.
  • Investitionskontrolle: Prüfungen nach außenwirtschaftsrechtlichen Vorgaben.
  • Mindestannahmeschwelle: Erreichen eines bestimmten Beteiligungsniveaus, damit die Transaktionsziele realisierbar sind.
  • Keine wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen: Schutz vor zwischenzeitlichen strukturellen Veränderungen in der Zielgesellschaft.

Grenzen für Bedingungen

Bedingungen dürfen nicht willkürlich oder bloß subjektiv gestaltbar sein. Reine Stimmungsklauseln oder unbestimmte Vorbehalte sind unzulässig. Änderungen am Angebot sind nur innerhalb enger gesetzlicher Leitplanken möglich und müssen veröffentlicht werden.

Regulatorischer Rahmen

Neben dem spezifischen Übernahmerecht greifen Vorschriften des Wertpapierhandels, des Börsenrechts, des Gesellschaftsrechts, der Marktmissbrauchsaufsicht sowie gegebenenfalls der Fusions- und Investitionskontrolle. Zuständige Behörden überwachen die Einhaltung der Veröffentlichungspflichten und Verfahrensregeln.

Rechte und Pflichten der Beteiligten

Pflichten des Bieters

  • Sicherstellung der Finanzierung und Offenlegung einer Finanzierungsbestätigung,
  • vollständige, richtige und nicht irreführende Angebotsunterlage,
  • Einhaltung der Gleichbehandlung und der Mindestpreisvorgaben,
  • laufende Veröffentlichungen während des Verfahrens (z. B. Zwischenergebnisse, Änderungen).

Pflichten der Zielgesellschaft

  • Veröffentlichung einer begründeten Stellungnahme zum Angebot,
  • Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes; Abwehrmaßnahmen bedürfen regelmäßig einer Zustimmung der Hauptversammlung,
  • Informationsweitergabe unter Wahrung von Insiderregelungen und Vertraulichkeit.

Rechte der Aktionärinnen und Aktionäre

  • Individuelle Annahme- oder Ablehnungsentscheidung,
  • Anspruch auf vollständige Information über Angebot und Gegenleistung,
  • Rücktrittsrechte bei Angebotsänderungen oder konkurrierenden Angeboten innerhalb festgelegter Zeiträume,
  • Gleichbehandlung hinsichtlich Preis und Bedingungen.

Belange von Beschäftigten und Gläubigern

Beschäftigte sind über das Angebot und mögliche Folgen zu informieren. Gläubigerinteressen können durch Covenants und Kontrollwechselklauseln berührt sein; darauf ist im Rahmen der Angebotsunterlage einzugehen.

Ergebnis und Folgen eines Übernahmeangebots

Erfolgreiches Angebot

Erreicht der Bieter seine Zielbeteiligung, kann er gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen anstreben (z. B. Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, Eingliederung oder Ausschluss von Minderheitsaktionären bei Erreichen hoher Beteiligungsschwellen). Ein Delisting kann separat erfolgen und folgt eigenen Regeln.

Nicht erfolgreiches oder gescheitertes Angebot

Kommt das Angebot nicht zustande, bleiben die Beteiligungsverhältnisse unverändert. Es können zeitlich begrenzte Beschränkungen für erneute Angebote oder Erwerbe bestehen. Bereits angediente Aktien fallen an die Aktionärinnen und Aktionäre zurück.

Minderheitenschutz

Zum Schutz von Minderheitsaktionären bestehen Vorgaben zur Angemessenheit der Gegenleistung und zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Ausgleichs- und Abfindungsregelungen im Zusammenhang mit nachfolgenden Strukturmaßnahmen.

Informationsregeln und Marktintegrität

Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität

Kenntnisse über ein geplantes Angebot können Insiderinformationen darstellen. Ihr Gebrauch beim Handel ist verboten. Emittentenbezogene Informationen, die kursrelevant sind, müssen unter bestimmten Voraussetzungen unverzüglich veröffentlicht werden; Aufschub ist nur in engen Grenzen möglich.

Marktverhalten und Gerüchte

In Phasen erhöhter Volatilität sind klare, konsistente Veröffentlichungen zentral. Unzutreffende oder irreführende Angaben können aufsichtsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen.

Internationale Bezüge

Harmonisierungsprinzipien

In Europa prägen unionsrechtliche Grundsätze wie Gleichbehandlung, Transparenz und Schutz der Minderheiten das Übernahmerecht. Nationale Regelungen setzen diese Leitlinien mit Besonderheiten im Detail um.

Grenzüberschreitende Angebote

Bei Angeboten über Ländergrenzen hinweg sind oft mehrere Aufsichtsbehörden, Rechtsordnungen und Börsensegmente betroffen. Sprach-, Veröffentlichungs- und Formvorgaben können kumulativ gelten.

Abgrenzungen und verwandte Begriffe

Öffentliches Erwerbsangebot vs. Übernahmeangebot

Nicht jedes öffentliche Erwerbsangebot zielt auf Kontrollerwerb. Ein reines Erwerbsangebot kann rein investiv motiviert sein. Ein Übernahmeangebot ist demgegenüber typischerweise auf Erlangung der Kontrolle gerichtet.

Pflichtangebot

Das Pflichtangebot dient dem Schutz der übrigen Aktionäre, wenn der Bieter die gesetzliche Kontrollschwelle bereits erreicht hat. Es soll allen eine gleichwertige Ausstiegsmöglichkeit eröffnen.

Delisting-Angebot

Beim Delisting-Angebot geht es um den Rückzug der Zielgesellschaft vom regulierten Markt. Es ist vom Übernahmeangebot zu unterscheiden, hat aber ebenfalls strenge Publizitäts- und Preisvorgaben.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt rechtlich ein Übernahmeangebot vor?

Ein Übernahmeangebot liegt vor, wenn ein öffentliches Erwerbsangebot an alle Inhaber bestimmter Wertpapiere einer börsennotierten Gesellschaft gerichtet ist und auf den Erwerb der Kontrolle angelegt ist. Maßgeblich sind die Veröffentlichung, die Adressierung an alle betroffenen Wertpapierinhaber sowie die Ausrichtung auf Kontrollerlangung.

Worin besteht der Unterschied zwischen freiwilligem Übernahmeangebot und Pflichtangebot?

Das freiwillige Übernahmeangebot erfolgt, bevor die Kontrollschwelle erreicht ist, mit dem Ziel der Kontrollerlangung. Das Pflichtangebot wird ausgelöst, wenn der Bieter bereits die gesetzlich definierte Kontrollschwelle überschritten hat und den übrigen Aktionären eine Ausstiegsmöglichkeit zu einheitlichen Bedingungen anbieten muss.

Wie wird der Angebotspreis bestimmt?

Der Angebotspreis unterliegt Mindestmaßstäben. Üblicherweise darf er den höchsten Preis nicht unterschreiten, den der Bieter in einem vorangegangenen Referenzzeitraum für dieselbe Wertpapiergattung gezahlt hat. Zusätzlich wird häufig ein Börsenkursbezug berücksichtigt, um eine angemessene Gegenleistung sicherzustellen.

Welche Fristen gelten für die Annahme?

Die Annahmefrist beginnt mit der Veröffentlichung des Angebots und läuft über einen gesetzlich vorgegebenen Zeitraum. Unter bestimmten Umständen kann sie verlängert werden, etwa bei Angebotsänderungen oder konkurrierenden Angeboten. Nach Ende der Hauptfrist besteht häufig eine weitere, kürzere Annahmefrist.

Darf ein Übernahmeangebot Bedingungen enthalten?

Ja, zulässig sind objektive Vollzugsbedingungen wie Kartellfreigaben, Investitionskontrollfreigaben oder das Erreichen einer Mindestannahmeschwelle. Unzulässig sind willkürliche oder bloß subjektiv steuerbare Bedingungen. Bedingungen müssen klar und nachvollziehbar formuliert sein.

Welche Pflichten hat die Zielgesellschaft während des Angebots?

Die Zielgesellschaft hat eine begründete Stellungnahme zum Angebot zu veröffentlichen und den Neutralitätsgrundsatz zu beachten. Abwehrmaßnahmen bedürfen regelmäßig der Zustimmung der Hauptversammlung. Informations- und Publizitätspflichten sind einzuhalten, unter Beachtung von Insider- und Vertraulichkeitsregeln.

Was passiert nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot?

Nach erfolgreichem Angebot kann der Bieter gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen anstreben, etwa Verträge zur Unternehmensleitung, Eingliederung oder den Ausschluss von Minderheiten bei Erreichen hoher Beteiligungsschwellen. Ein mögliches Delisting unterliegt eigenen Verfahrens- und Preisvorgaben.