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Treuepflicht


Begriff und Bedeutung der Treuepflicht

Die Treuepflicht ist ein zentrales Prinzip im deutschen Zivilrecht und beschreibt die rechtliche Verpflichtung eines Rechtssubjekts, in einem bestehenden Rechtsverhältnis auf die berechtigten Interessen der anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen und sie vor Schädigung oder Gefährdung zu bewahren. Sie konkretisiert das allgemein geltende Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) und wirkt als ungeschriebener Bestandteil vieler Schuldverhältnisse. Die Treuepflicht erfasst sämtliche Dauerschuldverhältnisse sowie zahlreiche einzelne Vertragsarten und findet darüber hinaus im Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht und öffentlichen Recht Anwendung.


Rechtsgrundlagen der Treuepflicht

Allgemeines Schuldrecht

Die Treuepflicht wird maßgeblich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitet. § 241 Abs. 2 BGB formuliert zudem die Pflicht jeder Partei eines Schuldverhältnisses, auf die Rechtsgüter, Rechte und Interessen der jeweils anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Die Treuepflicht ergänzt vertraglich vereinbarte Haupt- und Nebenpflichten durch weitergehende Rücksichtnahme- und Schutzpflichten.

Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht besteht eine umfassende wechselseitige Treuepflicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese ergibt sich unter anderem aus dem Arbeitsvertrag und präzisiert sich in verschiedenen Handlungspflichten – beispielsweise Verschwiegenheit, Unterlassung von Wettbewerbstätigkeiten oder Verbot der Schädigung des Arbeitgebers.

Gesellschaftsrecht

Im Gesellschaftsrecht konkretisieren sich Treuepflichten etwa in der Pflicht zur Loyalität und Rücksichtnahme zwischen Gesellschaftern oder zwischen Gesellschaft und Geschäftsführung. Verletzungen können weitreichende rechtliche Konsequenzen haben, bis hin zur Schadensersatzpflicht und Ausschluss eines Gesellschafters.


Ausprägungen und Anwendungsbereiche der Treuepflicht

Vertragliche Schuldverhältnisse

In jedem Vertragsverhältnis besteht die Verpflichtung, die berechtigten Interessen der anderen Partei zu wahren. Beispiele hierfür sind:

  • Die Pflicht zur Vermeidung von Schäden während der Durchführung eines Vertrages
  • Die Aufklärungspflicht vor Vertragsschluss über Umstände, die für die Vertragsdurchführung wesentlich sind
  • Die Pflicht zur Verschwiegenheit über vertrauliche Angelegenheiten

Arbeitsrechtliche Treuepflichten

Arbeitnehmer haben unter anderem folgende Pflichten:

  • Wahrung von Betriebsgeheimnissen
  • Wettbewerbsverbot während des Anstellungsverhältnisses
  • Verbot der Annahme von Geschenken, die die Neutralität beeinträchtigen könnten

Arbeitgeber unterliegen ihrerseits Schutz- und Fürsorgepflichten gegenüber dem Arbeitnehmer, zu denen die Wahrung der Persönlichkeitsrechte, Gleichbehandlung und Schutz der Gesundheit zählen.

Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten

Treuepflichten im Gesellschaftsrecht richten sich an Gesellschafter und Organe, etwa:

  • Informationspflicht und Offenlegung von Interessenkonflikten
  • Unterlassung von Handlungen, die den Interessen der Gesellschaft entgegenstehen
  • Pflicht zu loyalem und unterstützendem Verhalten im Sinne der Gesellschaftszwecke

Mietrecht und weitere Dauerschuldverhältnisse

Auch im Mietrecht besteht eine Treuepflicht zwischen Mieter und Vermieter. Hierzu zählt z.B. der pflegliche Umgang mit der Mietsache sowie das Unterlassen von Störungen des Hausfriedens.


Rechtsfolgen bei Verletzung der Treuepflicht

Die Verletzung einer Treuepflicht kann erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, darunter:

  • Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 BGB
  • Kündigungsrecht, insbesondere bei Arbeits- und Mietverträgen
  • Unterlassungsansprüche
  • Ausschluss aus der Gesellschaft im Gesellschaftsrecht
  • Geltendmachung vertraglicher oder gesetzlicher Sanktionen

Im Arbeitsrecht kann die schuldhafte, schwerwiegende Verletzung der Treuepflicht sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen.


Abgrenzung zu anderen Pflichten

Die Treuepflicht steht neben den vertraglich geregelten Haupt- und Nebenpflichten, geht jedoch häufig darüber hinaus. Sie fungiert als Auffangnorm und stellt insbesondere in Fällen, in denen kein ausdrücklicher Vertragspunkt betroffen ist, ein bewährtes Instrument zur Lösung von Konflikten und zur Durchsetzung von Gerechtigkeit im gegenseitigen Verkehr dar.


Bedeutung der Treuepflicht im internationalen Kontext

Auch in anderen europäischen Rechtssystemen existiert das Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme und Treue, wenn auch unter anderen Begriffen, wie beispielsweise „good faith“ im englischen Recht. Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Pflichten können sich jedoch im Detail unterscheiden.


Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 241, § 242
  • Arbeitsrechtliche Fachliteratur zur betriebsverfassungsrechtlichen Treuepflicht
  • Gesellschaftsrechtliche Kommentare zur Treuepflicht in Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften
  • BGH, Urteile zur Treuepflicht in einzelnen Rechtsverhältnissen

Die Treuepflicht nimmt in allen Bereichen des Wirtschafts- und Privatrechts eine Schlüsselstellung ein und dient dem Ausgleich der Interessen der Beteiligten, der Sicherung von Loyalität und dem Schutz vor Missbrauch entstandener Vertrauensverhältnisse.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verletzung der Treuepflicht im Arbeitsverhältnis?

Die Verletzung der Treuepflicht im Arbeitsverhältnis kann gravierende rechtliche Folgen nach sich ziehen, da die Treuepflicht als Nebenpflicht im bestehenden Arbeitsvertrag verankert ist. Wird etwa gegen die Verschwiegenheitspflicht oder gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßen, können sowohl arbeitsrechtliche als auch gegebenenfalls zivilrechtliche und strafrechtliche Schadensersatzansprüche entstehen. Im Arbeitsrecht besteht die Möglichkeit einer Abmahnung durch den Arbeitgeber, bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen auch einer fristlosen Kündigung gemäß § 626 BGB. Hat der Arbeitgeber dadurch wirtschaftlichen Schaden erlitten (z. B. durch Verrat von Geschäftsgeheimnissen oder Abwerbung von Kunden), kann er Ersatz für den entstandenen Schaden geltend machen. In Fällen, in denen sensible Betriebsgeheimnisse unbefugt weitergegeben wurden, drohen zudem nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) und §§ 17 ff. UWG straf- und bußgeldrechtliche Konsequenzen. Die rechtliche Bewertung orientiert sich stets am jeweiligen Einzelfall, wobei die Art und das Ausmaß der Pflichtverletzung, die Position des Arbeitnehmers sowie das Verschulden maßgeblich sind.

In welchem Umfang besteht die Treuepflicht auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses?

Die Treuepflicht eines Arbeitnehmers endet grundsätzlich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings bestehen in bestimmten Fällen Nachwirkungen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Nach § 17 UWG besteht ein gesetzlich normierter Geheimnisschutz, sodass Arbeitnehmer diese Informationen auch nach dem Ausscheiden nicht unbefugt verwerten oder weitergeben dürfen. Darüber hinaus können im Arbeitsvertrag explizite nachvertragliche Wettbewerbsverbote vereinbart werden (§§ 74 ff. HGB), die den Arbeitnehmer für einen festgelegten Zeitraum zur Unterlassung bestimmter Tätigkeiten verpflichten und für die meist eine Karenzentschädigung gezahlt werden muss. Verstöße gegen diese nachvertraglichen Pflichten können zu Unterlassungsansprüchen, Vertragsstrafen und Schadensersatzforderungen führen.

Welche Handlungen gelten typischerweise als Verletzung der Treuepflicht?

Eine Treuepflichtverletzung kann durch vielfältige Handlungen begangen werden. Oft genannt werden die Weitergabe von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen an Dritte, die Annahme von Schmiergeldern, Schwarzarbeit oder Konkurrenztätigkeit während des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses sowie die Abwerbung von Kunden oder Kollegen. Aber auch die Ausübung von Nebentätigkeiten ohne Genehmigung, sofern diese den Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, und die öffentliche Verunglimpfung des Arbeitgebers (z. B. durch beleidigende Äußerungen in sozialen Medien) fallen darunter. Ebenso zu nennen sind Sabotagehandlungen oder bewusste Schädigungen betrieblichen Eigentums. Jede Handlung, die das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachhaltig stört oder die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, kann eine Verletzung der Treuepflicht darstellen.

Wie können Arbeitgeber die Einhaltung der Treuepflicht rechtlich absichern?

Arbeitgeber haben mehrere Möglichkeiten, die Einhaltung der Treuepflicht abzusichern. Grundsätzlich ergibt sich die Treuepflicht bereits aus dem Gesetz und dem Arbeitsvertrag als Nebenpflicht; dennoch empfiehlt es sich, konkrete Regelungen zur Verschwiegenheit, zur Nebentätigkeit und zu Wettbewerbsverboten im Arbeitsvertrag oder in Zusatzvereinbarungen detailliert auszugestalten. Betriebsvereinbarungen, Dienstanweisungen und Compliance-Richtlinien können zur Information und Sensibilisierung beitragen. Zur Absicherung des Schutzes von Betriebsgeheimnissen wird oft eine Verschwiegenheitsvereinbarung abgeschlossen. Sobald Verstöße bemerkt werden, sollten Arbeitgeber zeitnah rechtliche Schritte einleiten, wie Abmahnung, Unterlassungsverfügung oder Geltendmachung von Schadensersatz. Bei schwerwiegenden Fällen empfiehlt sich eine fristlose Kündigung, gegebenenfalls strafrechtliche Anzeige und die Einschaltung zuständiger Behörden.

Gilt die Treuepflicht auch während der Arbeitsunfähigkeit oder im Urlaub des Arbeitnehmers?

Die Treuepflicht besteht unabhängig vom aktuellen Arbeitsort oder -zustand des Arbeitnehmers und bleibt somit auch während einer Arbeitsunfähigkeit oder im Urlaub vollumfänglich bestehen. Insbesondere die Pflicht zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen oder zur Unterlassung von rufschädigenden Äußerungen gilt weiterhin. Arbeitnehmer dürfen dem Arbeitgeber während dieser Zeit keinen Schaden zufügen, etwa indem sie gleichzeitig für einen Konkurrenten arbeiten oder sensible Informationen preisgeben. Auch das Unterlassen von Aktivitäten, die der Genesung entgegenstehen oder das Ansehen des Arbeitgebers beeinträchtigen, fällt unter die fortbestehende Treuepflicht.

Welche Rolle spielt die Treuepflicht bei der Nutzung von IT- und Kommunikationsmitteln im Betrieb?

Mit dem zunehmenden Einsatz digitaler Kommunikationsmittel gewinnt die Treuepflicht im Umgang mit IT- und Kommunikationssystemen des Arbeitgebers an Bedeutung. Arbeitnehmer sind verpflichtet, diese ausschließlich im Sinne betrieblicher Interessen zu nutzen und Missbrauch, etwa durch Installation nicht autorisierter Software, private Nutzung entgegen betrieblicher Vorgaben oder Weitergabe sensibler Daten an Dritte, zu unterlassen. Verstöße können sowohl arbeitsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen als auch den Straftatbestand der Datenveruntreuung gemäß § 202a StGB erfüllen. Zudem sind geltende Datenschutzbestimmungen nach DSGVO und BDSG zu beachten. Arbeitgeber sollten verbindliche Nutzungsrichtlinien formulieren, um Pflichten und Konsequenzen klar zu umreißen.

Kann die Treuepflicht durch betriebliche Übung oder betriebsinterne Regelungen erweitert oder beschränkt werden?

Grundsätzlich ist die Treuepflicht gesetzlich normiert und ergibt sich bereits aus dem Arbeitsverhältnis nach § 241 Abs. 2 BGB. Dennoch kann sie durch betriebsinterne Regelungen wie Betriebsvereinbarungen, Dienstanweisungen oder durch eine betriebliche Übung konkretisiert, jedoch nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers beschränkt werden. Erweiterungen – beispielsweise in Bezug auf Meldepflichten oder den Umfang der Verschwiegenheit – sind zulässig, sofern sie transparent kommuniziert und mit dem Arbeitsrecht vereinbar sind. Unzulässig wären jedoch Regelungen, die grundlegende Arbeitnehmerrechte, etwa das Recht auf Ausübung eines Nebenjobs außerhalb betrieblicher Interessen, unverhältnismäßig beschneiden. Eine Erweiterung bedarf stets der gesetzeskonformen Ausgestaltung und gegebenenfalls der Zustimmung des Betriebsrats.