Begriff und Definition der Tagesreise
Der Ausdruck „Tagesreise“ ist ein historischer Begriff, der insbesondere im Rechtswesen Bedeutung besitzt. Er bezeichnet eine Wegstrecke, die innerhalb eines Tages – typischerweise zu Fuß, zu Pferd oder mit anderen gebräuchlichen Fortbewegungsmitteln der jeweiligen Zeit – zurückgelegt werden kann. Die Tagesreise hatte im Rechtskontext große praktische Relevanz, etwa zur Bestimmung von Fristen, Gerichtsorten sowie im Rahmen zivilrechtlicher, strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Regelungen. Die nachfolgende Darstellung gibt einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Aspekte der Tagesreise und deren Anwendung in Vergangenheit und Gegenwart.
Historischer Ursprung und Bedeutung im Recht
Entwicklung des Begriffs
Die Tagesreise als Rechtsbegriff entstammt einer Zeit ohne moderne Verkehrsmittel. Die Entfernung, die als Tagesreise galt, war abhängig von landschaftlichen, klimatischen und technischen Bedingungen und variiert entsprechend. Im deutschsprachigen Raum galt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine Strecke von 20 bis 30 Kilometern als übliche Tagesreise zu Fuß, während zu Pferd bis zu 60 Kilometer zurückgelegt werden konnten.
Rechtsgeschichtliche Bedeutung
In zahlreichen historischen Rechtsquellen, darunter das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR), das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in seiner Ursprungsversion und die Zivilprozessordnungen des 19. Jahrhunderts, findet sich die Tagesreise als Maßeinheit zur Bestimmung von Fristen, Zuständigkeiten und Erreichbarkeiten. Die Auflösung von Fristen etwa wurde häufig unter Zugrundelegung einer Tagesreise vorgenommen, um sicherzustellen, dass eine Partei oder ein Bote in angemessener Zeit zum Gericht gelangen konnte.
Rechtsanwendung der Tagesreise
Zivilrecht
Fristberechnung nach Tagesreisen
Historisch erfolgte die Festlegung gerichtlicher Termine, Ladungsfristen und Rechtsmittelfristen auf Basis der Entfernung des Wohnsitzes zur zuständigen Behörde oder zum Gericht. Waren Parteien, Zeugen oder Boten mehr als eine Tagesreise entfernt, wurde die Frist entsprechend verlängert, um Verzögerungen durch den nötigen Reiseweg zu berücksichtigen.
Beispiel: Die Zivilprozessordnung von 1877 (§ 181 ZPO a.F.) bestimmte, dass Ladungen mindestens so rechtzeitig zu erfolgen hatten, dass die geladene Person bei gewöhnlichem Reiseaufwand eine Tagesreise benötigte und rechtzeitig zum Termin erscheinen konnte.
Bedeutung heute
In der heutigen Rechtsordnung ist die Tagesreise als konkrete Maßeinheit weitgehend obsolet. Die Einführung schnellerer Verkehrsmittel und moderner Kommunikationswege führte zu ihrer Ablösung durch stunden- oder tagesbezogene Fristen. Gleichwohl kann die Tagesreise in historischen Kontexten weiterhin für die Auslegung alter Rechtsnormen sowie bei der Interpretation älterer Urteile relevant sein.
Strafrecht
Zuständigkeit von Gerichten
Bei der Festlegung des Gerichtsortes war insbesondere im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Entfernung des Wohnortes der Parteien zum Gerichtssitz maßgeblich. Ein Gericht, das mehr als eine Tagesreise entfernt lag, konnte seinerzeit als unzumutbar gelten. Das Recht, vor einem nahegelegenen Gericht zu klagen oder sich zu rechtfertigen, ist ein Grundsatz fairer Verfahrensführung, der auf diesen Überlegungen beruht.
Verwaltungsrecht und öffentliches Recht
Auch im Bereich des Verwaltungsrechts taucht die Tagesreise bis ins frühe 20. Jahrhundert als Kriterium für die Zuständigkeit und Erreichbarkeit von Behörden sowie bei Ladungsfristen auf. In manchen älteren Verordnungen war explizit geregelt, ab welcher Entfernung von einer zumutbaren Erreichbarkeit ausgegangen werden konnte.
Die Tagesreise im internationalen Recht
Vergleich: Tagesreise in anderen Staaten
Auch außerhalb des deutschen Rechtsraums war die Tagesreise ein zentrales Kriterium für Zuständigkeit, Fristberechnung und Zumutbarkeit im Rechtsverkehr. In Frankreich entsprach eine Tagesreise aufgrund der Heterogenität der Landschaft ebenfalls einer Distanz von ungefähr 20 bis 30 Kilometern zu Fuß. Im englischen Common Law finden sich vergleichbare Regelungen zu „day’s journey“ oder „day’s walk“ in historischen Prozessen.
Maßgeblichkeit der Tagesreise in der Gegenwart
Bedeutung in alten Rechtsquellen
Insbesondere bei der Auslegung und Anwendung historischer Rechtsnormen kommt dem Begriff weiterhin Bedeutung zu. In Denkmalpflege, Ahnenforschung, bei der Analyse von Altverträgen oder in wissenschaftlichen Disziplinen wie der Rechtsgeschichte ist die Tagesreise ein wesentlicher Referenzwert für räumliche und zeitliche Distanzen.
Einfluss auf die heutige Rechtssprache
Die Tagesreise wird heute überwiegend als historisch verwendete Maßeinheit betrachtet. Ihre praktische Relevanz beschränkt sich auf die Interpretation alter Rechtslagen. In aktuellen Gesetzestexten oder der heutigen Rechtsprechung wird stattdessen auf konkrete Zeitangaben oder auf die tatsächlichen Erreichbarkeiten infolge fortentwickelter Verkehrsinfrastruktur abgestellt.
Synonyme und verwandte Begriffe
Mit der Tagesreise verwandt sind Begriffe wie „Fußmarsch“, „Marschzeit“, „Gehzeit“, „Strecke einer Postkutsche“ sowie das Konzept der Tagereise im Sinne eines Transportmaßes für Nachrichten und Waren.
Zusammenfassung
Die Tagesreise ist ein historisch gewachsener Rechtsbegriff mit erheblicher Bedeutung für die Entwicklung der Rechtsprechung, insbesondere bei der Fristberechnung und Zuständigkeitsfestlegung. Trotz ihrer weitgehenden Ablösung durch andere Maßeinheiten bleibt ihre Bedeutung für die historische Auslegung von Gesetzen und die rechtshistorische Forschung unbestritten.
Literaturverzeichnis:
- Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR)
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), historische Fassungen
- Zivilprozessordnung von 1877
- Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
- Bohn, R.: Handbuch der Maße, Gewichte und Stücke im deutschen Rechtsverkehr
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Häufig gestellte Fragen
Muss ein Arbeitgeber Tagesreisen im Arbeitsvertrag besonders regeln?
Im arbeitsrechtlichen Kontext ist die Verpflichtung zur Durchführung von Tagesreisen (Dienstreisen ohne Übernachtung) grundsätzlich in den arbeitsvertraglichen Pflichten enthalten, sofern die verrichteten Tätigkeiten diese mit sich bringen. Ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, der Stellenbeschreibung oder der betrieblichen Übung, dass von einem Arbeitnehmer die Bereitschaft zu solchen Reisen verlangt wird, bedarf es keiner gesonderten vertraglichen Regelung. Fehlt jedoch ein ausdrücklicher Hinweis oder steht der gewöhnliche Arbeitsort eindeutig im Vertrag oder Tarifvertrag, ist die Anordnung von Tagesreisen grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers abgedeckt ist und dem Arbeitnehmer zumutbar erscheint. Hierbei müssen die individuellen Interessen des Arbeitnehmers sowie bestehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (etwa nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG) beachtet werden.
Besteht ein Anspruch auf Vergütung der Reisezeiten bei Tagesreisen?
Ob und in welchem Umfang Reisezeiten bei Tagesreisen vergütet werden müssen, ist insbesondere anhand des Arbeitszeitrechts (§ 2 ArbZG) und der arbeits- oder tarifvertraglichen Vereinbarungen zu beurteilen. Grundsätzlich gilt Reisezeit als Arbeitszeit, wenn sie mit arbeitgeberseitigem Auftrag und unter Nutzungsmöglichkeit der Arbeitsmittel verbunden ist (z.B. das Führen eines Fahrzeugs oder Bearbeiten von Unterlagen während der Fahrt). Reine Wegzeiten, bei denen der Arbeitnehmer keine dienstlichen Aufgaben verrichtet, müssen nur bei entsprechender arbeits- oder tarifvertraglicher Zusage (z.B. § 9 TVöD) vergütet werden. Abweichungen können sich aus betrieblichen Vereinbarungen, Richtlinien oder der arbeitsrechtlichen Treuepflicht ergeben. Zudem ist die Einhaltung der maximal zulässigen Arbeitszeit (z.B. gemäß § 3 ArbZG) zu überwachen.
Wie wirkt sich eine Tagesreise auf den Arbeitszeitnachweis aus?
Tagesreisen beeinflussen die Führung von Arbeitszeitnachweisen, da der Arbeitgeber nach § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet ist, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Ist die Tagesreise mit Arbeitszeit gleichzusetzen (aktive Tätigkeiten, Kundenbesuche, etc.), ist diese im Rahmen der gesetzlichen Dokumentationspflicht zu erfassen. Bei reinen Reisezeiten ohne Arbeitsleistung besteht keine generelle Aufzeichnungspflicht, es sei denn, sie wurde durch Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder Individualvereinbarung konkret geregelt. Gerade bei grenzüberschreitenden Tagesreisen sind zudem steuer- und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften bezüglich der Entsendung und der Dokumentationspflichten zu berücksichtigen.
Sind Tagesreisen auf die maximale tägliche Arbeitszeit anzurechnen?
Nach den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), insbesondere § 3 ArbZG, ist die tägliche Arbeitszeit einschließlich der erforderlichen Reisezeiten anzurechnen, sofern diese als Arbeitszeit im Sinne des Gesetzes einzustufen sind. Ist der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers unterwegs und erbringt dabei eine Arbeitsleistung, zählt diese Zeit zur maximal zulässigen Arbeitszeit. Reisezeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit, in denen keine Arbeitsleistung erfolgt, sind hingegen nach aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17) nicht zwingend als Arbeitszeit zu werten. Gleichwohl kann eine tarif- oder arbeitsvertragliche Regelung hierzu abweichende Vorgaben machen.
Können bei Tagesreisen Spesen und Reisekosten steuerfrei ersetzt werden?
Die steuerliche Behandlung von Spesen und Reisekosten bei Tagesreisen richtet sich nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) und den dazugehörigen Lohnsteuer-Richtlinien. Reisekosten wie Fahrt-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten (bei Tagesreisen i.d.R. ohne Übernachtung) dürfen bis zu bestimmten Pauschbeträgen steuerfrei erstattet werden (§ 3 Nr. 13 und 16 EStG; R 9.4 LStR). Für Tagesreisen innerhalb Deutschlands kann eine Verpflegungspauschale nur dann steuerfrei gewährt werden, wenn eine Abwesenheit von mehr als acht Stunden vorliegt (§ 9 Abs. 4a EStG). Liegen die Voraussetzungen nicht vor, handelt es sich bei der Auszahlung um steuer- und ggf. sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt.
Welche Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat bei Tagesreisen?
Der Betriebsrat hat bei der Anordnung und Ausgestaltung von Tagesreisen verschiedene Mitbestimmungsrechte, vor allem gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb) und Nr. 2 BetrVG (Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage). Sollen Regelungen zu Vergütung, Reisezeiten, Reisekostenpauschalen oder besonderen Schutzzonen geschaffen werden, sind diese entweder Bestandteil der Mitbestimmung oder müssen individuell geregelt werden. Außerdem kann der Betriebsrat Regelungen zur Gefahrenverhütung und Arbeitnehmergesundheit anstoßen, etwa wenn Tagesreisen mit besonderen Belastungen einhergehen.
Wie ist der Versicherungsschutz bei Tagesreisen geregelt?
Während einer Tagesreise besteht für den Arbeitnehmer in der Regel gesetzlicher Unfallversicherungsschutz nach den Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), sofern die Reise in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit (Dienstreise) erfolgt. Versicherungsschutz besteht sowohl während der eigentlichen dienstlichen Verrichtung als auch auf sogenannten „versicherten Wegen“ (also Hin- und Rückfahrt zur Reisetätigkeit). Private Umwege oder eigenständige Unterbrechungen sind hingegen nicht gedeckt. Bei Auslandsreisen kann ergänzend ein Abschluss einer Auslandsreisekrankenversicherung notwendig werden. Arbeitgeber sollten neben dem gesetzlichen Schutz auch eventuelle zusätzliche Risiken (bspw. Auslandshaftpflicht, Kfz-Nutzung) prüfen und erforderlichenfalls versichern.