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Stückschuld

Begriff und Einordnung der Stückschuld

Eine Stückschuld liegt vor, wenn der Schuldner eine ganz bestimmte, individuell bestimmte Sache schuldet. Die geschuldete Leistung ist auf ein einzelnes Objekt gerichtet, das durch seine Individualität gekennzeichnet ist, etwa durch eine Seriennummer, besondere Merkmale, eine eindeutige Bezeichnung oder eine konkrete Vereinbarung der Parteien. Der Schuldner kann die Leistung nicht durch Lieferung einer anderen, ähnlichen Sache ersetzen. Typische Beispiele sind der Verkauf eines bestimmten Gemäldes, eines gebrauchten Fahrzeugs mit eindeutiger Fahrzeug-Identifikationsnummer, eines individuellen Prototyps oder eines einzelnen Grundstücks.

Abgrenzung zur Gattungsschuld

Der Gegenbegriff zur Stückschuld ist die Gattungsschuld. Bei der Gattungsschuld wird eine Sache aus einer Gattung geschuldet, also aus einer Vielzahl austauschbarer Sachen mit gleichen Merkmalen (zum Beispiel „100 kg Weizen der Güteklasse XY“). Der Schuldner kann die Leistung innerhalb der vereinbarten Gattung austauschen, solange er eine Sache mittlerer Art und Güte bereitstellt.

Die Abgrenzung erfolgt danach, ob die Parteien die Leistung auf ein bestimmtes, unverwechselbares Einzelstück festgelegt haben (Stückschuld) oder auf einen austauschbaren Typus (Gattungsschuld). Bereits die Benennung einer Seriennummer, die Zuordnung zu einem konkreten Einzelstück oder die Beschreibung eines Unikats spricht für eine Stückschuld.

Konkretisierung: Übergang von der Gattungs- zur Stückschuld

Auch wenn ursprünglich eine Gattung geschuldet ist, kann sich die Schuld im Verlauf der Abwicklung auf ein einzelnes Stück verengen. Dieser Vorgang wird als Konkretisierung bezeichnet. Er setzt voraus, dass der Schuldner die Leistung so vorbereitet und zuordnet, wie es nach der vereinbarten Art der Leistungserbringung erforderlich ist. Ab diesem Zeitpunkt ist nicht mehr die Gattung als solche, sondern das konkret ausgesonderte Stück geschuldet.

Art der Leistungserbringung und Konkretisierung

Je nachdem, wie die Parteien den Leistungsablauf vorgesehen haben, sind unterschiedliche Schritte für die Konkretisierung maßgeblich:

Holschuld

Ist vereinbart, dass der Gläubiger die Sache beim Schuldner abholt, genügt in der Regel die Auswahl und eindeutige Absonderung einer geeigneten Sache sowie das Angebot zur Abholung. Mit dieser Zuordnung verengt sich die Schuld auf das ausgesonderte Stück.

Schickschuld

Bei Versendung an einen anderen Ort führt die ordnungsgemäße Auswahl einer geeigneten Sache, deren sachgemäße Verpackung und Übergabe an eine Transportperson zur Konkretisierung. Die Schuld richtet sich dann auf das abgesandte Stück.

Bringschuld

Ist die Lieferung an den Wohn- oder Geschäftsort des Gläubigers geschuldet, wird die Konkretisierung regelmäßig erst mit Bereitstellung der ausgewählten Sache am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt erreicht.

Leistungsgefahr und Preisgefahr

In der Stückschuld sind Leistungsgefahr und Preisgefahr zu unterscheiden. Die Leistungsgefahr betrifft die Frage, ob der Schuldner weiterhin leisten muss. Die Preisgefahr betrifft die Frage, ob der Gläubiger die Gegenleistung (etwa den Kaufpreis) trotz ausgebliebener Lieferung schuldet.

Geht die individuell geschuldete Sache ohne Verschulden des Schuldners unter, ist die Leistung objektiv unmöglich. Der Schuldner wird von der Pflicht zur Leistung frei. Ob der Gläubiger die Gegenleistung dennoch schuldet oder entfällt, hängt davon ab, ob das Risiko des zufälligen Untergangs bereits übergegangen ist. Der Risikowechsel kann vertraglich festgelegt sein oder sich nach der Art der Leistungsabwicklung und den allgemeinen Grundsätzen richten (etwa Übergabe, ordnungsgemäße Versendung oder Annahmeverzug).

Unmöglichkeit und ihre Folgen bei der Stückschuld

Da bei der Stückschuld ein bestimmtes Einzelstück geschuldet ist, kann es in der Regel nicht durch eine andere Sache ersetzt werden. Geht dieses Einzelstück endgültig verloren oder wird es zerstört, liegt objektive Unmöglichkeit vor. Der Schuldner muss dann nicht mehr leisten. Ein Anspruch auf Schadensersatz kommt nur in Betracht, wenn der Untergang auf Pflichtverletzungen des Schuldners zurückzuführen ist. Trifft den Schuldner kein Verschulden, bleibt es bei der Befreiung von der Leistungspflicht; die Gegenleistungsfrage richtet sich nach dem Zeitpunkt des Risikowechsels.

Verzug und Mitwirkungspflichten bei der Stückschuld

Leistet der Schuldner nicht rechtzeitig, obwohl die Leistung noch möglich ist, kann er in Verzug geraten. Verzug erhöht das Haftungsrisiko des Schuldners; er haftet dann verschärft für zufällige Verschlechterung oder Untergang, soweit ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Verzug besteht. Verweigert oder unterlässt der Gläubiger die erforderliche Mitwirkung (etwa die Abnahme), kann Annahmeverzug eintreten. In diesem Zustand kann das Risiko für Zufallsschäden auf den Gläubiger übergehen; zugleich verringern sich regelmäßig bestimmte Obhutspflichten des Schuldners.

Leistungsort und Schuldarten: Hol-, Bring- und Schickschuld

Der Leistungsort bestimmt, wo der Schuldner zu leisten hat. Er wirkt sich auf Konkretisierung, Gefahrtragung und Abwicklung aus:

  • Holschuld: Der Gläubiger holt die Sache beim Schuldner ab. Die Gefahr verbleibt bis zur Abholung typischerweise beim Schuldner; nach ordnungsgemäßer Absonderung und Angebot kann sich die Schuld verengen.
  • Schickschuld: Der Schuldner versendet die Sache an den Gläubiger. Mit Übergabe an die Transportperson und ordnungsgemäßer Versendung kann die Schuld konkretisiert werden; der Gefahrenübergang hängt von der konkreten Vereinbarung und den Umständen des Versands ab.
  • Bringschuld: Der Schuldner muss am Wohn- oder Geschäftsort des Gläubigers leisten. Die Gefahr verbleibt bis zur tatsächlichen Übergabe in der Sphäre des Schuldners.

Eigentums- und Gefahrübergang

Die Übertragung des Eigentums an einer Stückschuld und der Übergang der Gefahr müssen unterschieden werden. Eigentum geht in der Regel durch Einigung und Übergabe über, kann aber vertraglich anders ausgestaltet sein. Der Zeitpunkt, zu dem das Risiko des zufälligen Untergangs auf den Gläubiger übergeht, kann von der Eigentumsübertragung abweichen und richtet sich nach der vertraglichen Struktur und der Art der Leistungserbringung. In der Praxis fallen beide Zeitpunkte häufig zusammen, müssen aber nicht deckungsgleich sein.

Vertragliche Gestaltung und Risikoallokation

Bei Stückschulden finden sich häufig klare Festlegungen zur Identität der Sache (z. B. Seriennummer, genaue Beschreibung, Protokolle), zur Art der Lieferung (Abholung, Lieferung, Versendung), zu Verpackung und Transport sowie zu Gefahr- und Eigentumsübergang. Denkbar sind Absprachen zu Ersatz- oder Austauschmöglichkeiten für den Fall, dass das bezeichnete Stück vor Leistungserbringung entfällt, oder Zusicherungen zu Beschaffenheitsmerkmalen. Die genaue Formulierung hat maßgeblichen Einfluss darauf, ob und wann eine Konkretisierung eintritt, wie die Risikoabwägung erfolgt und welche Rechtsfolgen bei Leistungsstörungen eintreten.

Praktische Beispiele

– Verkauf eines bestimmten Oldtimers mit genauem Kennzeichen und Fahrgestellnummer: Stückschuld; Untergang des Fahrzeugs vor Übergabe führt bei fehlendem Verschulden zur Unmöglichkeit, ohne Austauschpflicht.

– Veräußerung eines bestimmten Kunstwerks: Aufgrund der Einzigartigkeit keine Austauschbarkeit; bei Beschädigung nach Annahmeverzug kann das Risiko bereits beim Käufer liegen.

– Lieferung eines Laptops aus dem Lagerbestand: Ursprünglich Gattungsschuld; Zuweisung eines konkreten Geräts (Seriennummer) und Übergabe an die Transportperson kann zur Konkretisierung auf dieses Stück führen.

Abwandlungen und Sonderfälle

Serienstücke und Individualisierung

Serienmäßig hergestellte Waren sind grundsätzlich gattungsmäßig. Weist der Schuldner jedoch ein konkretes Serienstück zu (z. B. durch Reservierung einer Seriennummer und ordnungsgemäße Übergabe an den Transporteur), kann sich die Pflicht auf dieses einzelne Stück verengen. Ab diesem Zeitpunkt gelten die Regeln der Stückschuld.

Herstellung eines Einzelstücks

Bei der Herstellung eines individuellen Gegenstands (z. B. maßgefertigtes Möbel) besteht zunächst eine Pflicht zur Herstellung. Erst mit Fertigstellung und eindeutiger Zuordnung entsteht eine Stückschuld an dem hergestellten Einzelstück. Geht dieses anschließend zufällig unter, greifen die Grundsätze zur Unmöglichkeit und zur Preisgefahr nach Maßgabe des Risikowechsels.

Zusammenfassung

Die Stückschuld bezeichnet die Verpflichtung zur Leistung eines individuell bestimmten Einzelstücks. Ihre rechtliche Bedeutung zeigt sich bei Leistungsstörungen: Austausch ist typischerweise ausgeschlossen; der Untergang führt zur Unmöglichkeit, die Gefahr- und Gegenleistungsfragen richten sich nach Konkretisierung, Leistungsort, Annahmeverzug und vertraglichen Absprachen. Die klare Identifikation der Sache und die Bestimmung der Art der Leistungserbringung sind entscheidend für die Risikoverteilung.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist eine Stückschuld?

Eine Stückschuld ist eine Verpflichtung, ein konkret bestimmtes Einzelstück zu leisten. Die geschuldete Sache ist einzigartig oder eindeutig individualisiert, sodass keine andere Sache an ihre Stelle treten kann.

Worin liegt der Unterschied zwischen Stückschuld und Gattungsschuld?

Bei der Stückschuld ist ein bestimmtes Einzelstück geschuldet, bei der Gattungsschuld eine Sache aus einer Menge austauschbarer Sachen gleicher Art. Nur bei der Gattungsschuld ist ein Austausch innerhalb der vereinbarten Merkmale möglich.

Wann wird eine Gattungsschuld zur Stückschuld?

Durch Konkretisierung: Der Schuldner grenzt ein einzelnes Stück aus der Gattung aus und trifft die je nach Art der Leistung erforderlichen Schritte (z. B. ordnungsgemäßes Aussondern und Anbieten, sachgerechte Versendung, Bereitstellung am Erfüllungsort). Ab diesem Zeitpunkt ist genau dieses Stück geschuldet.

Was passiert, wenn die individuell geschuldete Sache untergeht?

Geht das Einzelstück ohne Verschulden des Schuldners unter, wird die Leistung unmöglich und der Schuldner von der Leistungspflicht frei. Ob die Gegenleistung entfällt oder bestehen bleibt, hängt davon ab, ob das Risiko des zufälligen Untergangs bereits auf den Gläubiger übergegangen ist.

Kann die Stückschuld durch Lieferung einer anderen Sache erfüllt werden?

Grundsätzlich nein. Da die Leistung auf ein bestimmtes Einzelstück gerichtet ist, genügt ein anderes Stück normalerweise nicht. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien ausdrücklich eine Austauschmöglichkeit vereinbart haben.

Welche Bedeutung hat Verzug bei der Stückschuld?

Gerät der Schuldner in Verzug, erhöht sich seine Haftung für zufällige Verschlechterungen oder den Untergang, soweit der Schaden im Zusammenhang mit dem Verzug steht. Gerät der Gläubiger in Annahmeverzug, kann das Risiko für zufällige Schäden auf ihn übergehen, und Obhutspflichten des Schuldners können sich verringern.

Wie wirkt sich der Versand auf Gefahr- und Risikotragung aus?

Bei Versendung kann sich die Schuld mit ordnungsgemäßer Auswahl, Verpackung und Übergabe an die Transportperson auf das abgesandte Stück konkretisieren. Der Zeitpunkt des Risikowechsels hängt von der vereinbarten Lieferart und den Umständen des Einzelfalls ab.