Begriff und Grundlagen der Steuerüberwälzung
Die Steuerüberwälzung ist ein zentraler Begriff im Steuerrecht und bezeichnet den Vorgang, durch den die wirtschaftliche Last einer Steuer von dem Steuerpflichtigen, der die Steuer schuldet, auf eine andere Person abgewälzt wird. Bei der Steuerüberwälzung handelt es sich um einen Prozess, der sowohl in ökonomischer als auch rechtlicher Hinsicht eine besondere Rolle spielt, da er Auswirkungen auf die tatsächliche Steuerbelastung und die Abwälzungsketten im Wirtschaftsleben hat. In der Regel wird die Steuerüberwälzung im Zusammenhang mit indirekten Steuern, etwa der Umsatzsteuer oder Verbrauchsteuer, erörtert.
Definition und rechtliche Abgrenzung
Unter Steuerüberwälzung versteht man die Weitergabe der Steuerlast vom Steuerschuldner auf einen Dritten durch eine Änderung des Preises für ein Produkt oder eine Dienstleistung. Die rechtliche Verpflichtung zur Zahlung bleibt zwar beim Steuerschuldner, jedoch kann die wirtschaftliche Belastung auf einen anderen Wirtschaftsteilnehmer abgewälzt werden. Steuerüberwälzung ist abzugrenzen von der Steuerübertragung (Übertragung der Steuerschuld auf einen Dritten per Gesetz) und der Steuerumwälzung (strikte gesetzliche Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Steuer bei Dritten).
Im deutschen Steuerrecht ergibt sich die maßgebliche Grundlage für die Steuerüberwälzung insbesondere aus den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) sowie aus speziellen Einzelsteuergesetzen, wie dem Umsatzsteuergesetz (UStG).
Erscheinungsformen der Steuerüberwälzung
Vorwärtsüberwälzung (Forward Shifting)
Die klassische Form der Steuerüberwälzung ist die Vorwärtsüberwälzung. Hier gibt der Unternehmer, der eine Steuer schuldet, die Steuerlast durch Preiserhöhungen an den Endabnehmer oder den nachfolgenden Wirtschaftsstufen weiter. Typisch ist dieses Phänomen bei Umsatz- und Verbrauchsteuern.
Beispiel:
Ein Warenproduzent muss auf seine Erzeugnisse eine Verbrauchsteuer entrichten und erhöht deshalb den Verkaufspreis entsprechend. Der Endkunde trägt somit die wirtschaftliche Last.
Rückwärtsüberwälzung (Backward Shifting)
Auch eine Rückwärtsüberwälzung kann auftreten. In diesem Fall wird die Steuerlast auf Lieferanten oder Arbeiter umgelegt, beispielsweise durch Preisreduzierung oder Lohnkürzungen zur Kompensation der Steuerbelastung.
Beispiel:
Ein Unternehmen sieht sich durch eine neue Steuer belastet und senkt daraufhin die Einkaufspreise oder reduziert Gehälter, um die zusätzliche Steuer auszugleichen.
Mehrfache Überwälzung
In komplexen Lieferketten kann es zu mehrfachen Überwälzungen kommen. Die ursprüngliche Steuerlast wird dabei mehrfach entlang der Wertschöpfungskette weitergegeben, bis sie letztlich beim Endverbraucher verbleibt.
Steuerüberwälzung im Kontext der Steuerschuldnerschaft
Das Steuerrecht unterscheidet strikt zwischen demjenigen, der Schuldner einer Steuer ist (formelle Steuerschuld), und demjenigen, der die wirtschaftliche Steuerlast trägt (wirtschaftliche Steuertraglast). Die Steuerüberwälzung spielt insbesondere bei den sogenannten „indirekten Steuern“ eine bedeutende Rolle.
Indirekte Steuern
Indirekte Steuern, wie insbesondere die Umsatzsteuer (§§ 1 ff. UStG) oder Verbrauchsteuern (z.B. Mineralölsteuer, Tabaksteuer), sind systematisch darauf angelegt, dass der Steuerpflichtige (z.B. Unternehmer) die Steuerlast auf den Endverbraucher als Konsumenten überträgt.
Direkte Steuern
Bei direkten Steuern (z.B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer) ist eine Überwälzung hingegen nur beschränkt möglich, spielt rechtlich aber unter Umständen durch Anpassung von Gehältern, Pachten oder Mieten eine Rolle.
Rechtsfolgen und rechtliche Bedeutung der Steuerüberwälzung
Kein Einfluss auf die Steuerschuld
Rechtlich betrachtet hat die Überwälzung der Steuer keine Relevanz für das Steuerschuldverhältnis zwischen Steuerpflichtigem und Finanzamt. Dem Finanzamt gegenüber bleibt die inländische Person oder das Unternehmen Steuerschuldner, auch wenn die wirtschaftliche Last auf andere abgewälzt wurde. In der Rechtspraxis wird die Steuerüberwälzung dennoch insbesondere bei Preiskalkulationen und der steuerlichen Belastungsverteilung mitberücksichtigt.
Anspruch auf Steuererstattung
Die Überwälzung kann im Rahmen von Rückforderungsansprüchen (§ 37 Abs. 2 AO) Bedeutung erlangen, wenn Steuern zu Unrecht gezahlt wurden und der Steuerschuldner diese Rückerstattung erbittet. Es besteht hierbei eine Diskussion, ob und inwiefern der ursprünglich Belastete einen Anspruch hat, sofern er die Steuer bereits auf Dritte abgewälzt hat („Durchgangserwerb“ oder „Durchreichungsfall“).
Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht
Steuerüberwälzung tangiert den Verbraucherschutz und das Wettbewerbsrecht, insbesondere wenn falsche Preisauszeichnungen oder Steuerhinweise (z.B. Mehrwertsteuer enthalten) verwendet werden. Rechtsvorschriften zur Preisangabenverordnung (PAngV) verpflichten zur transparenten Ausweisung der Preisbestandteile inklusive abgewälzter Steuern.
Steuerüberwälzung und Europäisches Steuerrecht
Die Thematik der Steuerüberwälzung ist im europäischen Kontext insbesondere für harmonisierte Steuern von Bedeutung. Im Bereich der Umsatzsteuer, die unionsrechtlich harmonisiert ist (vgl. Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG), ist die Überwälzung gesetzlich vorgesehen, indem die Steuer des Unternehmers an den Endkunden weitergereicht wird.
Im Rechtsrahmen der Europäischen Union sind zudem Verbraucherschutz- und Wettbewerbsregeln zu beachten, wenn es um die Transparenz und Überwälzung von Steuern auf den Verbraucher geht.
Steuerüberwälzung in der steuerlichen Betriebsprüfung und Steuerveranlagung
Praktisch relevant ist die Steuerüberwälzung bei steuerlichen Betriebsprüfungen sowie der Gewinnermittlung und Veranlagung. Insbesondere im Rahmen von Kalkulationen, steuerlichen Außenprüfungen oder der Feststellung steuerlicher Mehr- und Minderbelastungen wird die tatsächlich erfolgte Überwälzung von Steuern regelmäßig analysiert.
Zusammenfassung
Die Steuerüberwälzung ist ein komplexer und vielschichtiger Begriff im Steuerrecht. Sie bezeichnet die vertraglich oder faktisch mögliche Verlagerung der wirtschaftlichen Steuerlast von einem formellen Steuerschuldner auf einen Dritten, zumeist den Endverbraucher. Rechtlich beeinflusst die Überwälzung allerdings nicht das Verhältnis zwischen Steuerschuldner und Finanzbehörde, wohl aber wirtschaftliche Kalkulationen, Preisauszeichnungen und Fragen des Verbraucherschutzes. In nationalen und europäischen Zusammenhängen kommt der Steuerüberwälzung daher eine erhebliche praktische Bedeutung zu, sodass sich zahlreiche rechtliche Fragestellungen und Abgrenzungsprobleme ergeben.
Hinweis: Dieser Artikel ist für Einträge in einem Rechtslexikon konzipiert, bietet eine umfangreiche Darstellung und berücksichtigt alle wesentlichen rechtlichen Aspekte rund um die Steuerüberwälzung.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Steuerüberwälzung im deutschen Steuerrecht?
Im deutschen Steuerrecht ist die Steuerüberwälzung insbesondere im Umsatzsteuerrecht von Bedeutung. Die rechtlichen Grundlagen hierfür ergeben sich insbesondere aus dem Umsatzsteuergesetz (UStG), wo geregelt ist, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer als sogenannte „durchlaufende Posten“ behandeln kann und diese auf den Endverbraucher abwälzt (vgl. § 1 und § 13a UStG). Auch im Bereich der Verbrauchsteuern, wie beispielsweise der Energiesteuer oder Tabaksteuer, ist eine Überwälzung auf den Endverbraucher üblich, sie ist jedoch nicht explizit geregelt, sondern ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen Steuerschuldner und wirtschaftlichem Steuerträger. Eine explizite Verpflichtung zur Überwälzung kennt das deutsche Steuerrecht freilich nicht, sie ist typischerweise zivilrechtlich über Preiskalkulation und Vertragsgestaltung umgesetzt, bleibt steuerrechtlich aber relevant im Kontext des Steueraufkommens und der wirtschaftlichen Belastung.
Welche zivilrechtlichen Aspekte sind bei der Steuerüberwälzung zu beachten?
Zivilrechtlich ist zu berücksichtigen, dass eine Überwälzung der Steuerlast regelmäßig durch Preisabsprachen oder entsprechende Vertragsgestaltungen erfolgt. Entscheidend ist, ob im Vertrag ausdrücklich geregelt ist, dass beispielsweise die Umsatzsteuer hinzukommt („zuzüglich MwSt.“) oder ob ein Bruttopreis vereinbart wurde, der die Steuer einschließt. Bei nachträglichen Steueränderungen muss geprüft werden, ob und wie Anpassungsklauseln greifen und ob eine Preisänderung gegenüber dem Vertragspartner durchgesetzt werden kann. Relevant sind zudem die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) sowie etwaige zwingende Verbraucherschutzregeln. Das Zivilrecht legt schließlich fest, wer letztlich die wirtschaftliche Last einer Steuer trägt, unabhängig davon, wer steuerlich als Steuerschuldner bestimmt wurde.
Welche Bedeutung kommt der Steuerüberwälzung im Rahmen der Umsatzsteuer zu?
Im Umsatzsteuerrecht wird die Steuerüberwälzung als systemimmanent angesehen – der Unternehmer tritt als Steuerschuldner auf, trägt die Steuer wirtschaftlich aber nur vorläufig, indem er sie an den Leistungsempfänger weitergibt. Über die sogenannte Vorsteuer kann er die von ihm gezahlte Steuer gegenüber dem Finanzamt geltend machen, sodass die tatsächliche Steuerlast über die verschiedenen Handelsstufen hinweg regelmäßig auf den Endverbraucher fällt. Die rechtliche Ausgestaltung findet insbesondere in §§ 15, 17 und 19 UStG ihren Niederschlag. Die Pflicht zur Ausweisung der Umsatzsteuer in der Rechnung ist ebenfalls ein zentrales Element der Überwälzung, reglementiert durch §§ 14 und 14a UStG.
Wie wird im Steuerrecht zwischen formeller und materieller Steuerüberwälzung unterschieden?
Formell bezeichnet die Steuerüberwälzung den Vorgang, dass der Steuerschuldner die gesetzlich geschuldete Steuer im wirtschaftlichen Ergebnis auf einen Dritten, regelmäßig den Kunden, abwälzt. Materiell spricht man von Überwälzung, wenn die wirtschaftliche Belastung, also die Tragung der Steuer, auf eine andere Person als den Steuerschuldner übergeht. Das Steuerrecht nimmt diese Unterscheidung indirekt vor, indem es bestimmt, wer gegenüber der Finanzverwaltung Schuldner ist und ob und wie eine Erstattung bzw. ein Abzug (etwa als Betriebsausgabe oder Vorsteuer) möglich ist. Der materiell wirtschaftliche Steuerträger ist häufig ein anderer als der formelle Steuerschuldner, gerade bei Verkehrssteuern und Abgaben, die im Preis an den Endverbraucher weitergegeben werden.
Gibt es steuerrechtliche Einschränkungen oder Verbote bei der Steuerüberwälzung?
Grundsätzlich gibt es im deutschen Steuerrecht keine ausdrücklichen Verbote für die Überwälzung von Steuern. Jedoch können steuerliche Vorschriften eine Überwälzbarkeit faktisch beschränken, etwa im Bereich der Einkommen- oder Körperschaftsteuer, die regelmäßig sehr wohl auf den Steuerschuldner persönlich zugeschnitten ist und nicht weitergereicht werden kann. Ferner existieren in einzelnen Steuergesetzen Regelungen, die Überwälzung ausschließen, beispielsweise im Bereich der Abzugssteuern (wie Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer), bei denen der Steuerschuldner und der wirtschaftliche Steuerträger identisch sind. Im Übrigen gilt jedoch Vertragsfreiheit, sodass eine Überwälzung zivilrechtlich grundsätzlich verhandelbar ist.
Wie wirken sich steuerrechtliche Änderungen (z. B. Erhöhung eines Steuersatzes) auf bestehende Vertragsverhältnisse aus?
Steuerrechtliche Änderungen wie eine Erhöhung der Umsatzsteuer betreffen bestehende Verträge vielfach dadurch, dass über die Preisgestaltung eine Anpassung erforderlich sein kann. Ob und wie der erhöhte Steuersatz auf den Vertragspartner überwälzt werden kann, richtet sich maßgeblich nach dem Zivilrecht, insbesondere nach dem Inhalt des jeweiligen Vertrags. Ist ein Nettopreis vereinbart, ist die Steuererhöhung regelmäßig auf den Vertragspartner übertragbar; bei Bruttopreisen verbleibt die Mehrbelastung beim Unternehmer, sofern keine Preisanpassungsklausel oder gesetzlichen Anpassungsrechte bestehen. Im steuerrechtlichen Kontext bleibt die Steuerschuld stets beim Unternehmer, was zivilrechtliche Ausgleichsmechanismen aber nicht ausschließt. Bei Dauerschuldverhältnissen können spezielle Anpassungsmechanismen zum Tragen kommen.
Welche Rolle spielt die Steuerüberwälzung im internationalen Steuerrecht?
Im internationalen Kontext tritt die Steuerüberwälzung vor allem bei grenzüberschreitenden Lieferungen und Leistungen auf, beispielsweise bei der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens oder im Rahmen multinationaler Verbrauchsteuern wie der Mehrwertsteuer. Die rechtlichen Vorschriften orientieren sich an den relevanten EU-Richtlinien (insbesondere der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG) sowie an bilateralen Abkommen. Im internationalen Güterverkehr ist die Überwälzung der Einfuhrumsatzsteuer, die regelmäßig vom Importeur geltend gemacht und mit dem Warenpreis verrechnet wird, ein typisches Beispiel. Steuerrechtliche Vorgaben bestimmen hier, wer als Steuerschuldner und wirtschaftlicher Träger fungiert, wobei die praktische Überwälzung stets durch die Vertragsparteien zu koordinieren ist. Im Modell der Steuerüberwälzung spiegeln sich insoweit häufig unterschiedliche nationale Rechtsrahmen und steuerliche Belastungswirkungen wider.