Begriff und rechtlicher Kontext von Steering
Definition von Steering
Der Begriff “Steering” (engl. für „Lenkung” oder „Steuerung”) bezeichnet in rechtlichen Zusammenhängen das gezielte Lenken oder Beeinflussen von Entscheidungen durch einen Dritten. Das Steering findet Anwendung in verschiedenen Wirtschaftssektoren und rechtlichen Feldern und umfasst insbesondere Fälle, in denen ein Marktteilnehmer Einfluss auf die Auswahl eines Vertragspartners oder das Zustandekommen eines bestimmten Geschäfts nimmt. Kern des Begriffs ist stets die willensgesteuerte Beeinflussung von Entscheidungsprozessen zu Gunsten eines bestimmten Zweckes oder Dritten.
Anwendungsbereiche des Steering
Versicherungsrecht
Im Versicherungsrecht tritt Steering unter anderem bei der Schadensregulierung auf. Beispielsweise können Versicherer ihren Kunden nach einem Schadensfall bestimmte Werkstätten oder Dienstleister empfehlen oder ausschließen. Dies ist insbesondere in der Kfz-Versicherung relevant, wenn Versicherer versuchen, Versicherungsnehmer zu ausgewählten Vertragspartnern, etwa Partnerwerkstätten, zu lenken. Das Steering kann hierbei sowohl durch vertragliche Regelungen (z.B. Werkstattbindung im Versicherungsvertrag) als auch durch informelle Beeinflussung erfolgen.
Kartellrecht und Wettbewerbsrecht
Im Kartell- und Wettbewerbsrecht ist das Steering von zentraler Bedeutung, soweit durch das gezielte Lenken eine Wettbewerbsverzerrung oder Beschränkung auf dem Markt ausgelöst wird. Besonders kritisch wird Steering betrachtet, wenn marktbeherrschende Unternehmen durch Steuerung von Kundenströmen den Wettbewerb zu Ungunsten kleinerer Marktteilnehmer beeinflussen. Die Europäische Kommission und nationale Kartellbehörden begutachten Steering-Strategien regelmäßig unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV, § 19 GWB).
Zahlungsdienste und Online-Handel
Im Zahlungsverkehr und E-Commerce tritt der Begriff Steering auch im Zusammenhang mit dem Thema Zahlungsarten auf. Online-Händler, Dienstleister und Zahlungsdienstleister üben oftmals Steuerung darauf aus, welche Zahlungsmethoden Verbraucher wählen sollen – teils durch unterschiedliche Gebühren, teils durch die Hervorhebung bestimmter Zahlungsoptionen beim Checkout.
Rechtliche Einordnung
Steuerung als zulässige Einflussnahme
Das Beeinflussen einer Entscheidung durch Dritte stellt nicht per se einen rechtswidrigen Vorgang dar. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob durch das Steering rechtlich schützenswerte Interessen verletzt werden. Im Grundsatz ist eine Empfehlung oder Beeinflussung zulässig, sofern keine gesetzlichen Verbote oder vertraglichen Verpflichtungen entgegenstehen.
Steuerung und Diskriminierungsverbote
Steering kann gegen das Diskriminierungsverbot (§ 19 AGG, § 20 AGG) verstoßen, wenn einzelne Teilnehmer oder Gruppen systematisch benachteiligt werden. In der Versicherungsbranche beispielsweise darf Steering nicht dazu führen, dass Werkstätten oder Kundengruppen diskriminiert werden.
Steering im Lichte der AGB-Kontrolle
Verpflichten sich Versicherungsnehmer im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) zur Nutzung bestimmter Dienstleister oder Werkstätten (z.B. Werkstattbindung), unterliegt diese Klausel der inhaltlichen Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Sie darf nicht unangemessen benachteiligend gestalten sein und muss dem Transparenzgebot entsprechen.
Steuerungsverhalten als Wettbewerbsverstoß
Nach §§ 1, 3, 5 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) kann Steering als wettbewerbswidrig eingeordnet werden, wenn es etwa in irreführender Weise erfolgt oder unlautere Geschäftspraktiken (z.B. aggressive Einflussnahme oder Druckausübung auf Verbraucher) eine Rolle spielen.
Steering und Transparenzgebot
Im Zivilrecht gilt beim Steering das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Insbesondere Vertragspartner, die durch das Steering in ihrer Wahlfreiheit beschränkt werden, müssen ausreichend über die Folgen und Reichweite informiert werden.
Europarechtliche Dimension
Steering-Richtlinien im Zahlungsverkehr
Mit der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 hat der europäische Gesetzgeber Vorgaben für das Steering beim Angebot von Zahlungsdienste geschaffen. So sollen Verbraucher freie Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Zahlungsoptionen erhalten. Insbesondere untersagt Art. 62 Abs. 4 PSD2 Banken und Zahlungsdienstleistern, Entgelte für bestimmte Zahlungsmittel zu erheben, um das Steering im Zahlungsprozess einzuschränken.
Wettbewerbsrechtliche Leitlinien auf EU-Ebene
Die Europäische Kommission hat in den Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV die Auswirkungen des Steering auf den Wettbewerb ausgeführt und sieht strenge Maßgaben für marktmächtige Unternehmen vor, um eine Benachteiligung des Wettbewerbs zu verhindern.
Steering im Rechtsvergleich
Internationale Entwicklungen
In den USA ist Steering unter anderem aus dem Bereich der Krankenversicherung (Healthcare Steering) bekannt, wo Anbieter Patienten lenken, bestimmte Organisationen oder Ärzte aufzusuchen. Vergleichbare Lenkungsmechanismen sind auch aus dem anglo-amerikanischen Recht im Bereich Zahlungslösungen und im Kreditwesen verbreitet und werden in der Wettbewerbspolitik regelmäßig überprüft.
Rechtsprechung zum Steering
Zentrale Urteile
- Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Oktober 2005, Az. IV ZR 120/04
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Werkstattbindung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, sofern sie im Versicherungsvertrag transparent geregelt und für den Kunden zumutbar ist.
- EuGH, Urteil vom 5. Juli 2018, C-307/16 (Verein für Konsumenteninformation/WKO)
Der Europäische Gerichtshof hat zur Zulässigkeit von Gebühren bei Zahlungsauswahl und zu Steeringmaßnahmen Klarstellungen getroffen.
- OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 20. Oktober 2020, Az. 11 W 48/20
Das Oberlandesgericht unterstreicht, dass Steeringmaßnahmen im Zahlungsverkehr transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet sein müssen.
Rechtsfolgen unrechtmäßigen Steering
Bei Verstößen gegen Wettbewerbsrecht, Kartellrecht oder Verbraucherschutzvorschriften kann Steering zivil- und ordnungsrechtliche Konsequenzen bis hin zu Unterlassungs-, Schadensersatz- oder Bußgeldansprüchen zur Folge haben. Zudem drohen aufsichtsrechtliche Maßnahmen durch zuständige Behörden.
Zusammenfassung
Steering umfasst sämtliche Formen der gezielten Lenkung von Entscheidungsprozessen durch Dritte und besitzt erhebliche rechtliche Relevanz in unterschiedlichen Rechtsgebieten. Die Zulässigkeit hängt maßgeblich davon ab, ob gesetzliche Vorgaben, Diskriminierungsverbote sowie Transparenz- und Informationspflichten eingehalten werden. Unzulässige Steeringmaßnahmen können zu empfindlichen Rechtsfolgen führen und unterliegen einer strengen Kontrolle durch die Rechtsprechung und Aufsichtsbehörden. Das Thema ist vor allem im Versicherungs-, Wettbewerbs-, Kartell- und Zahlungsdiensterecht sowie in der Digitalwirtschaft von besonderer Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für das sogenannte Steering in der EU?
Das Steering – also die gezielte Lenkung oder Beeinflussung von Verbraucherinnen und Verbrauchern hinsichtlich Zahlungsmethoden auf Webseiten oder in Geschäften – ist in der Europäischen Union insbesondere durch die Zahlungsdiensterichtlinie 2 (PSD2, Richtlinie (EU) 2015/2366) geregelt. Nach Artikel 62 Absatz 4 PSD2 steht es Anbietern grundsätzlich frei, unterschiedliche Entgelte für verschiedene Zahlungsinstrumente zu verlangen (so genanntes „Surcharging” oder „Steering”). Allerdings untersagt die Verordnung (EU) Nr. 2015/751 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsinstrumente (Interchange Fee Regulation, IF-Regulation) das Surcharging für bestimmte Karten (wie z.B. Visa und Mastercard regulierter Verbraucherkarten), wodurch ein direkter finanzieller Anreiz zum Steering eingeschränkt ist. In Deutschland wurde „Steering” zudem durch § 270a BGB reguliert, der Entgeltvereinbarungen für Zahlungen mit bestimmten bargeldlosen Zahlungsmitteln untersagt. Verstöße führen nicht nur zu zivilrechtlichen Rückabwicklungen, sondern gegebenenfalls auch zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen durch BaFin oder entsprechende EU-Aufsichtsbehörden. Zudem ist darauf zu achten, in welchem Verhältnis Steering zu Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht steht (zum Beispiel in Bezug auf Irreführung oder Diskriminierung).
Gibt es besondere Transparenzpflichten beim Steering gegenüber dem Endkunden?
Ja, nach der PSD2 sind Zahlungsdienstleister sowie Händler gesetzlich verpflichtet, Endkunden eindeutig und transparent über sämtliche anfallenden Zusatzkosten und Entgelte (sofern zulässig) sowie über verschiedene Zahlungsmöglichkeiten zu informieren. Diese Informationspflicht ergibt sich sowohl aus Artikel 52 der PSD2 als auch aus der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) und aus dem deutschen EGBGB (§ 312j). Es muss klar und verständlich dargestellt werden, ob und in welcher Höhe ein Entgelt für eine bestimmte Zahlungsmethode zu zahlen ist, bevor der Bezahlvorgang abgeschlossen wird. Bei Verstößen drohen abmahnrechtliche Konsequenzen (z.B. von Verbraucherverbänden), Unterlassungsklagen sowie Bußgelder.
Wie verhält sich Steering im Kontext des diskriminierungsfreien Zugangs zu Zahlungsmitteln?
Das Steering darf rechtlich keine Diskriminierung begründen, das heißt, Händler oder Zahlungsdienstleister dürfen Verbraucher nicht unzulässig benachteiligen oder vom Erwerb von Waren oder Dienstleistungen ausschließen, nur weil sie eine bestimmte Zahlungsart bevorzugen oder ablehnen. Das Diskriminierungsverbot findet sich insbesondere im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 312a Abs. 4 BGB), welches die Grundsätze für Fernabsatzverträge enthält und klarstellt, dass beim Angebot von Zahlungsarten kein unzumutbarer Ausschluss oder eine unverhältnismäßige Benachteiligung bestimmter Zahlungsmethoden erfolgen darf. Dabei dürfen Händler zwar alternative Zahlungsmethoden anbieten und bewerben, müssen aber einen wirtschaftlich zumutbaren Standard (wie Überweisung oder Kreditkarte) aufrechterhalten.
Welche Sanktionen drohen bei unzulässigem Steering?
Bei Verstößen gegen die rechtlichen Rahmenbedingungen des Steering drohen unterschiedliche Sanktionen. Zivilrechtlich können betroffene Verbraucher die zu Unrecht erhobenen Entgelte zurückfordern und eine Unterlassung der Praxis verlangen. Wettbewerbsrechtlich sind Abmahnungen und Unterlassungsklagen durch Wettbewerber oder Verbraucherverbände möglich. Je nach Verstoß sind zudem aufsichtsrechtliche Sanktionen durch nationale Finanzaufsichtsbehörden wie die BaFin oder durch Datenschutzbehörden (wenn datenschutzrechtliche Implikationen bestehen) denkbar. Zusätzlich kann das Kreisverwaltungsreferat bzw. Ordnungsamt Bußgelder verhängen. Innerhalb der EU können auch die zuständigen Behörden in anderen Mitgliedstaaten tätig werden, sofern der Händler dort Kunden bedient.
Sind nationale Sonderregelungen zum Steering möglich oder gelten nur EU-weite Regelungen?
Während die maßgeblichen Regelungen zum Steering überwiegend auf EU-Ebene harmonisiert sind, existieren innerhalb der Mitgliedstaaten teilweise ergänzende oder strengere nationale Bestimmungen. In Deutschland beispielweise regelt § 270a BGB, dass für SEPA-Überweisungen, SEPA-Lastschriften und bestimmte Kreditkartenzahlungen keine zusätzlichen Entgelte verlangt werden dürfen, selbst wenn dies auf EU-Ebene nicht explizit verboten wäre. Auch Verbraucher- und Wettbewerbsrecht können in Mitgliedstaaten unterschiedlich detaillierte Regelungen enthalten. Grundsätzlich gilt aber, dass nationale Vorschriften nicht hinter dem Schutzniveau der EU-Vorgaben zurückbleiben dürfen und das Europarecht grundsätzlich Anwendungsvorrang genießt.
Gibt es Ausnahmen, bei denen Steering rechtlich zulässig ist?
Steering ist grundsätzlich in jenen Fällen zulässig, in denen keine expliziten Verbote der EU oder des nationalen Gesetzgebers bestehen. Dies trifft insbesondere auf Zahlungsinstrumente zu, die nicht unter die PSD2 oder die Interbankenentgeltverordnung fallen – beispielsweise Firmenkreditkarten, nicht regulierte Prepaidkarten, Gutscheinsysteme oder innovative Zahlungsarten wie Kryptowährungen. Allerdings müssen auch hier die allgemeinen Transparenz- und Informationspflichten sowie wettbewerbs-, verbraucher- und datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Bestimmte branchenspezifische Ausnahmen, etwa im öffentlichen Verkehr oder steuerlich begünstigten Bereichen, können sich zudem aus Spezialgesetzen ergeben. Händler sollten im Zweifelsfall rechtliche Beratung einholen, bevor sie gezieltes Steering betreiben.
Wie ist Steering aus datenschutzrechtlicher Sicht zu bewerten?
Das Thema Steering hat auch eine datenschutzrechtliche Relevanz, insbesondere wenn die Auswahl oder Lenkung einer Zahlungsmethode auf personenbezogenen Daten basiert. Gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) müssen Händler transparent machen, ob und inwieweit Kundendaten zur Steuerung der Zahlungsmethoden verarbeitet werden. Eine rechtmäßige Verarbeitung bedarf gem. Art. 6 DSGVO einer klaren rechtlichen Grundlage (z.B. Vertragserfüllung oder berechtigtes Interesse). Werden Daten zu Zahlungsgewohnheiten zur gezielten Einflussnahme genutzt, ist zudem eine Datenschutzfolgenabschätzung erforderlich. Unrechtmäßige Datennutzung kann zu empfindlichen Bußgeldern führen; außerdem müssen Betroffene über ihre Rechte, insbesondere Auskunft und Widerspruch, informiert werden.