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Stagflation


Definition und Ursprung des Begriffs „Stagflation“

Stagflation bezeichnet eine wirtschaftliche Situation, in der stagnierendes oder nur sehr gering wachsendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie eine hohe Arbeitslosigkeit mit gleichzeitig erhöhter Preissteigerungsrate (Inflation) zusammentreffen. Der Begriff ist ein Kunstwort, das aus den englischen Wörtern „stagnation“ (Stagnation) und „inflation“ (Inflation) zusammengesetzt wurde. Die wirtschaftswissenschaftliche Relevanz des Begriffs wurde insbesondere ab den 1970er-Jahren erkannt, als während der Ölkrisen eine solche Konstellation in zahlreichen westlichen Industrieländern beobachtet werden konnte.

Wirtschaftliche und rechtliche Einordnung der Stagflation

Volkswirtschaftlicher Kontext

Stagflation widerspricht traditionellen wirtschaftlichen Annahmen, wonach hohe Inflationsraten und hohe Arbeitslosigkeit selten gleichzeitig auftreten. Insbesondere klassische und keynesianische Modelle gehen von einer inversen Beziehung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit aus. Das Auftreten von Stagflation verdeutlicht die Grenzen dieser Theorien und nötigt auch dem Gesetzgeber eine Neubewertung klassischer wirtschaftspolitischer und rechtlicher Mittel ab.

Rechtliche Rahmenbedingungen in der Wirtschaftspolitik

Im Zusammenhang mit Stagflation ergeben sich für den Staat und seine Institutionen spezifische Herausforderungen. Die Gesetzgebung und die Ausgestaltung wirtschaftsrechtlicher Normen müssen sowohl die Bekämpfung der Inflation als auch die Förderung von Konjunktur und Beschäftigung in Einklang bringen.

Geldrechtliche Aspekte

Die Steuerung der Geldmenge und damit der Inflationsrate ist eine Aufgabe der Zentralbanken. In Deutschland ist hierfür nach Art. 88 GG die Deutsche Bundesbank, im europäischen Kontext die Europäische Zentralbank (EZB), zuständig. Die geldpolitischen Instrumente sind im Wesentlichen im Bundesbankgesetz (BBankG) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, insbesondere Art. 127 ff.) geregelt. In einer stagflationären Phase sind die zentralen Entscheidungsträger mit dem Zielkonflikt konfrontiert, einerseits die Inflation durch restriktive Geldpolitik zu kontrollieren, andererseits aber das Wirtschaftswachstum nicht weiter zu gefährden.

Arbeitsrechtliche Bezüge

Während einer Stagflation ist regelmäßig mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Das Arbeitsförderungsrecht, insbesondere das Dritte Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), sieht hier verschiedene Maßnahmen der Arbeitsförderung vor. Darüber hinaus können tarifliche und gesetzliche Vereinbarungen zum Kündigungsschutz, Kurzarbeitergeld (geregelt in § 95 ff. SGB III) sowie Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung zur Anwendung kommen, um Massenarbeitslosigkeit entgegenzuwirken.

Öffentlich-rechtliche Eingriffe in den Markt

Der Gesetzgeber kann auf eine Stagflation mit besonderen marktregulierenden Eingriffen reagieren, etwa durch Preiskontrollen oder Subventionen. Hierzu zählen insbesondere die rechtlichen Grundlagen für Preisstopps (§§ 1 ff. Preisklauselgesetz) sowie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), mit dem insbesondere Missbrauch marktbeherrschender Stellungen während extremer Preisanstiege verhindert werden soll. Gleichzeitig können Beihilfenrecht und Subventionsrecht im Bereich des Haushaltsrechts relevant werden. Staatliche Hilfen dürfen im Kontext des europäischen Beihilfenrechts (Art. 107 ff. AEUV) die Märkte nicht verzerren, was die Rechtsetzung in der Krise vor komplexe Herausforderungen stellt.

Steuerrechtliche Implikationen

In einer stagnierenden Wirtschaftslage mit gleichzeitiger Inflation geraten sowohl Einkommens- als auch Unternehmenssteuern unter Druck. Die sogenannte „kalte Progression“ (Anstieg der Steuerlast trotz gleichbleibender realer Kaufkraft) kann insbesondere im Einkommensteuerrecht negative Auswirkungen auf die Steuerzahler haben. Hier bestehen Möglichkeiten zur gesetzlichen Gegensteuerung etwa durch Anpassung von Steuertarifen, Freibeträgen und Pauschalen.

Insolvenzrechtliche Aspekte

Stagflation führt häufig zu einer Zunahme wirtschaftlicher Schwierigkeiten bei Unternehmen. Insolvenzen nehmen zu, was das Insolvenzrecht stärker in den Fokus rückt. Nach deutschem Recht ist primär die Insolvenzordnung (InsO) einschlägig. Besondere Herausforderungen sind die Bewertung von Sanierungspotenzialen unter erschwerten wirtschaftlichen Gesamtbedingungen sowie die potenzielle Änderung der Insolvenzantragsgründe (§ 17 ff. InsO).

Folgen und Maßnahmen der Gesetzgebung bei Stagflation

Folgen für die Gesetzgebung

Die gleichzeitige Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit stellt für Gesetzgebung und Verwaltung eine komplexe Aufgabe dar. Oft muss die Politik zwischen Preisstabilität- v.a. durch restriktive Geld- und Fiskalpolitik – und Beschäftigungserhalt im Rahmen von Konjunkturprogrammen abwägen. Dabei besteht das Risiko, durch einseitige Fokussierung entweder die Inflation oder die Arbeitslosigkeit weiter zu verschärfen.

Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene

Es können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um den Auswirkungen einer Stagflation rechtlich zu begegnen:

  • Anpassung der Geldpolitik: Gesetzliche Grundlagen ermöglichen Zentralbanken, bei Vorliegen einer Stagflation geldpolitische Maßnahmen anzupassen, um Preisstabilität und angemessenes Wachstum zu gewährleisten.
  • Tarifautonomie und Sozialpartner: Auch Tarifverträge und betriebliche Vereinbarungen, welche als Rechtsquellen des Arbeitsrechts Wirkung entfalten, gewinnen an Bedeutung, um Beschäftigung und Löhne zu sichern.
  • Haushaltsrechtliche Sonderregelungen: Im Rahmen außerordentlicher Notsituationen wie einer Stagflation können nach den Haushaltsgrundsätzen des Grundgesetzes Ausnahmen von der Schuldenbremse (Art. 109, 115 GG) zugelassen werden.
  • Sozial- und arbeitsrechtliche Maßnahmen: Durch Änderungen in den Sozialgesetzbüchern und arbeitsfördernden Programmen kann der Gesetzgeber gezielt auf steigende Arbeitslosigkeit infolge von Stagflation reagieren.
  • Wettbewerbs- und Preisrecht: Die Instrumente des Preisrechts können zeitlich befristet wieder aktiviert werden, um einer drastischen Inflation und Marktverwerfungen entgegenzuwirken.

Stagflation im Kontext des europäischen und internationalen Rechts

Europarechtliche Vorgaben

Die Europäische Union gibt mit dem AEUV und Sekundärrecht den Mitgliedstaaten Rahmenbedingungen für Wirtschafts-, Währungs- und Sozialpolitik vor. Die Einhaltung der Regeln zur Preisstabilität sowie die Beachtung des europäischen Beihilfenrechts stehen dabei im Vordergrund. Entscheidungen auf europäischer Ebene, wie die Festlegung der Leitzinsen durch den Rat der Europäischen Zentralbank, wirken sich direkt auf die nationale Handhabung einer möglichen Stagflation aus.

Völkerrechtliche Bezüge

Auch im internationalen Kontext, etwa im Rahmen von Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) oder im Rahmen internationaler Währungsabkommen, ergeben sich Verpflichtungen und Regelungen, die Einfluss auf die rechtlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Stagflation in einzelnen Ländern nehmen können.

Fazit: Rechtliche Herausforderungen der Stagflation

Stagflation stellt in wirtschaftlicher wie rechtlicher Hinsicht einen Ausnahmezustand dar, der klassische Strategien der Politik und Gesetzgebung vor grundlegende Probleme stellt. Die rechtliche Steuerung muss vielfältige Interessen abwägen und sowohl auf nationaler wie europäischer Ebene flexibel auf die jeweiligen Herausforderungen eingehen. Zentrale Rechtsbereiche – von Geld- und Finanzrecht über Arbeitsrecht, Steuerrecht, Sozialrecht bis hin zum Insolvenzrecht – spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der vielschichtigen Folgen der Stagflation. Die fortlaufende Anpassung des Rechtsrahmens ist unverzichtbar, um die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft effektiv zu begrenzen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Handlungsoptionen stehen dem Gesetzgeber bei einer Stagflation zur Verfügung?

Im Falle einer Stagflation, also einer gleichzeitigen Stagnation der Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation, ist der Gesetzgeber mit besonderen rechtlichen Herausforderungen konfrontiert, da klassische Maßnahmen zur Förderung des Wachstums häufig inflationäre Tendenzen verstärken können. Rechtlich kann der Gesetzgeber auf eine Vielzahl wirtschaftspolitischer Instrumente und Gesetze zurückgreifen: So besteht beispielsweise die Möglichkeit, steuerliche Entlastungen gezielt durch Gesetze zur Unternehmens- oder Einkommenssteuer zu regeln (§§ EStG, KStG). Weitere rechtliche Optionen sind Subventionen oder Förderprogramme, die an rechtliche Voraussetzungen und Transparenzanforderungen gebunden sind (etwa nach der De-minimis-Verordnung der EU). Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation, wie etwa die Einführung von Preiskontrollen oder die Anpassung von Sozialleistungen, unterliegen engen verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 GG) und dem Rahmen europäischer Beihilfevorschriften. Gesetzesänderungen müssen grundsätzlich dem Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sowie etwaigen Notstandsgesetzen standhalten.

Wie sind arbeitsrechtliche Maßnahmen im Kontext einer Stagflation einzuordnen?

Im arbeitsrechtlichen Kontext kann eine Stagflation zu betrieblichen Anpassungsmaßnahmen führen. Arbeitgeber können etwa Kurzarbeit (§ 95 SGB III), betriebsbedingte Kündigungen (§ 1 KSchG) oder Änderungskündigungen aussprechen, müssen dabei jedoch die gesetzlichen Regelungen zum Kündigungsschutz, zur Mitbestimmung des Betriebsrats (BetrVG), und ggf. zu Sozialplänen (§ 112 BetrVG) beachten. Eine Änderung der Lohnstrukturen oder Arbeitszeitmodelle bedarf individual- oder kollektivarbeitsrechtlicher Vereinbarungen. Darüber hinaus haben Arbeitnehmer gemäß §§ 611-627 BGB und bestehenden Tarifverträgen Anspruch auf die im Arbeitsvertrag vereinbarten Leistungen. Staatlich verordnete Maßnahmen, wie Ausgleichszahlungen oder Arbeitsmarktprogramme, sind häufig in zeitlich befristeten gesetzlichen Sonderregelungen (z. B. Kurzarbeitergeld nach § 421c SGB III) geregelt.

Welche Auswirkungen kann eine Stagflation auf laufende Verträge und Preisgleitklauseln haben?

Stagflation führt regelmäßig zu Streitigkeiten um die Auslegung laufender Verträge, insbesondere in Bezug auf Preisgleitklauseln. Grundsätzlich gilt Vertragsfreiheit (§§ 145 ff. BGB), jedoch können Wertsicherungsklauseln (sog. Preisgleit- oder Indexklauseln) die Anpassung wiederkehrender Zahlungen an Preisentwicklungen automatisieren. Diese müssen jedoch nach § 307 BGB den Anforderungen an die Transparenz und Angemessenheit entsprechen. In Dauerschuldverhältnissen kann die Möglichkeit zur Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) bestehen, wenn die Preisentwicklung gravierende und nicht vorhersehbare Auswirkungen auf das Gleichgewicht des Vertrags hat. Dabei ist jedoch eine hohe Hürde an das Vorliegen einer schwerwiegenden Störung gesetzt; die bloße wirtschaftliche Unbequemlichkeit reicht rechtlich nicht aus.

Inwiefern sind Verbraucherschutzgesetze im Falle einer Stagflation relevant?

Verbraucherschutzgesetze gewinnen in Phasen einer Stagflation an Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf Preiserhöhungen, Lieferverzögerungen oder Vertragskündigungen seitens der Anbieter. Wesentlich sind dabei etwa die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB), das Preisanpassungsrecht (z. B. § 315 BGB), das Recht auf Widerruf von Verträgen (§§ 355 ff. BGB) sowie Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor unangemessenen Benachteiligungen. Auch Preisangabenverordnung (PAngV) und Wettbewerbsrecht (UWG) verpflichten Unternehmer zu transparenter Kommunikation und verhindern irreführende Preisgestaltung. Besonders relevant sind zudem Energiepreisbremsengesetze oder spezielle Regelungen im Mietrecht zur Begrenzung von Mietanpassungen.

Welche Besonderheiten gibt es im Insolvenzrecht bei einer Stagflation?

Eine Stagflation kann zahlreiche Insolvenzen nach sich ziehen. Die zentrale Grundlage für das Insolvenzverfahren ist die Insolvenzordnung (InsO), insbesondere § 17 InsO (Zahlungsunfähigkeit) und § 19 InsO (Überschuldung). Stagflation kann die Voraussetzungen für eine Überschuldung knapper definieren, da sowohl durch Umsatzrückgänge als auch durch Preissteigerungen die Fortführungsprognose erschwert wird. Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften sind nach § 15a InsO zur rechtzeitigen Insolvenzantragsstellung verpflichtet. Zudem können in Krisenzeiten spezielle Insolvenzschutzgesetze oder temporäre Fristenänderungen eingeführt werden, wie dies z. B. während der COVID-19-Pandemie durch das COVInsAG der Fall war. Auch Restrukturierungsinstrumente nach StaRUG können in einer solchen Situation an Bedeutung gewinnen.

Welchen Einfluss hat eine Stagflation auf öffentlich-rechtliche Preisregulierung und Subventionen?

Im öffentlichen Recht ist die Regulierung von Preisen (z. B. für Energie, Mieten, Grundnahrungsmittel) durch spezielle Gesetze und Verordnungen möglich, welche jedoch stets mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und mit dem Grundrechtsschutz (insb. Eigentumsgarantie) abgewogen werden müssen. Preisregulierungen finden sich etwa im Energiewirtschaftsrecht (EnWG), bei Mietpreisbremsen (§ 556d BGB) oder im Bundeskartellgesetz (GWB) zur Bekämpfung von Preismissbrauch durch Marktdominanz. Subventionen zur Stabilisierung bestimmter Wirtschaftszweige müssen rechtskonform zur EU-Beihilferegelung (Art. 107 ff. AEUV) erfolgen und bedürfen meist der vorherigen Anzeige oder Genehmigung durch die Europäische Kommission.

Welche steuerrechtlichen Implikationen sind bei Stagflation zu beachten?

Stagflation wirkt sich auf mehrere steuerrechtliche Bereiche aus: Sie kann fiskalische Maßnahmen erfordern, etwa Anpassungen von Steuertarifen oder die Einführung temporärer Steuererleichterungen (z. B. befristete Senkung der Mehrwertsteuer nach § 28 Abs. 2 UStG). Unternehmen können von Sonderabschreibungen (z. B. § 7g EStG) oder liquiditätsbezogenen Maßnahmen wie Steuerstundungen profitieren. Rechtsgrundlage für diese Anpassungen sind steuerrechtliche Spezialgesetze und entsprechende Verordnungen. Die Finanzverwaltung ist dabei weiterhin an Rechtmäßigkeits- und Gleichheitsgrundsätze (Art. 3 GG) sowie an das Rückwirkungsverbot gebunden, was Anpassungen im Steuerrecht grundsätzlich der Gesetzgebung vorbehalten und damit transparent und demokratisch legitimiert sein müssen.