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Selbstvornahme


Begriff und rechtliche Einordnung der Selbstvornahme

Die Selbstvornahme stellt im deutschen Zivilrecht ein Gestaltungsrecht des Gläubigers dar, bestimmte geschuldete Leistungen im Falle einer Mängelhaftung oder Leistungsstörung selbst oder durch Dritte vornehmen zu lassen und die hierfür erforderlichen Aufwendungen vom Schuldner zu verlangen. Die Selbstvornahme findet insbesondere im Werkvertragsrecht und Kaufrecht Anwendung. Sie bildet eine zentrale Ausprägung des Grundsatzes „Recht zur Selbsthilfe“ und dient dem Schutz des Gläubigers, der andernfalls auf die Erfüllungsbereitschaft des Schuldners angewiesen wäre.

Rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereiche

Werkvertragsrecht (§ 634 Nr. 2 BGB)

Im Werkvertragsrecht ist die Selbstvornahme insbesondere in § 634 Nr. 2 in Verbindung mit § 637 BGB geregelt. Zeigt sich nach der Abnahme eines Werks ein Mangel, hat der Besteller das Recht, nach erfolgloser Fristsetzung zur Nacherfüllung den Mangel selbst zu beseitigen oder beseitigen zu lassen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zu fordern. Die Norm zielt darauf ab, den Besteller vor unzumutbaren Verzögerungen und wirtschaftlichen Nachteilen zu schützen.

Voraussetzungen der Selbstvornahme nach § 637 Abs. 1 BGB:

  • Es muss ein werkvertraglicher Mangel vorliegen.
  • Der Besteller muss dem Unternehmer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben.
  • Die Frist zur Nacherfüllung ist fruchtlos abgelaufen oder nach den gesetzlichen Ausnahmen (§ 323 Abs. 2 BGB) entbehrlich, etwa wenn der Unternehmer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert oder besondere Umstände die sofortige Selbstvornahme rechtfertigen.

Kaufrecht (§ 439 Abs. 1, 3, 4 BGB)

Im Kaufrecht ist das Selbstvornahmerecht in dieser Form nicht ausdrücklich geregelt. Hier werden vorrangig die Nacherfüllungsrechte analog § 437 Nr. 1, 2 BGB durchgesetzt. Dennoch besteht unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zur Mangelbeseitigung, wenn der Verkäufer die Nacherfüllung verweigert oder nicht rechtzeitig erbracht hat.

Mietrecht und andere Vertragsarten

Im Mietrecht besteht unter engen Voraussetzungen ein Selbstvornahmerecht, etwa bei Mietmängeln (§ 536a Abs. 2 BGB), wonach der Mieter nach erfolgloser Fristsetzung die notwendigen Maßnahmen auf Kosten des Vermieters veranlassen darf.

Im Rahmen von Dienstverträgen und bei sonstigen Schuldverhältnissen können die Grundsätze der Selbstvornahme ebenfalls analog Anwendung finden, sofern das Gesetz dies zulässt oder vertraglich vereinbart wurde.

Rechtsfolgen und Umfang des Selbstvornahmerechts

Ersatzfähigkeit der Aufwendungen

Im Falle einer berechtigten Selbstvornahme kann der Gläubiger Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, die zur ordnungsgemäßen Mangelbeseitigung notwendig waren (§ 637 Abs. 1 BGB). Die Erforderlichkeit richtet sich nach objektiven Maßstäben. Nur die zur Nacherfüllung angemessenen Kosten können geltend gemacht werden. Überhöhte oder nicht notwendige Ausgaben unterliegen nicht der Erstattung.

Vorschussanspruch

Das Gesetz gewährt dem Besteller im Werkvertragsrecht zusätzlich einen Vorschussanspruch (§ 637 Abs. 3 BGB). Der Besteller kann bereits vor Durchführung der Selbstvornahme die zur Mängelbeseitigung voraussichtlich anfallenden Kosten als Vorschuss vom Unternehmer verlangen. Sollte sich nach Durchführung der Arbeiten herausstellen, dass die tatsächlichen Kosten geringer oder höher sind, ist eine Anpassung vorzunehmen.

Rückgriff und Verjährung

Die Aufwendungsersatzansprüche unterliegen der regulären Verjährung der Mängelansprüche (§ 634a BGB). Hat der Besteller die Selbstvornahme unberechtigt ausgeübt (z. B. kein Mangel, keine erfolglose Fristsetzung), besteht kein Ersatzanspruch; dem Unternehmer stehen unter Umständen Rückforderungsansprüche zu.

Einschränkungen und Ausschluss der Selbstvornahme

Voraussetzungen für die Ausübung

Unverzichtbar für die zulässige Selbstvornahme ist die vorherige, angemessene Nachfristsetzung zur Nacherfüllung. Ausnahmen davon bestehen nur in den gesetzlich geregelten Fällen, zum Beispiel bei ernsthafter und endgültiger Verweigerung der Mangelbeseitigung durch den Unternehmer, bei besonderen Umständen wie Gefahr im Verzug oder wenn dem Gläubiger aus besonderen Gründen das Abwarten der Frist nicht zumutbar ist.

Kein Selbstvornahmerecht bei Gattungsschulden

Die Selbstvornahme findet keine Anwendung bei reinen Gattungsschulden (z. B. Lieferung von Waren nach Kaufvertrag), solange der Vertrag primär auf eine Lieferung gerichtet ist und nicht auf eine (Nacherfüllungs-)Leistung am bereits gelieferten Gegenstand. Hier sind kaufrechtliche Gewährleistungsrechte vorrangig.

Vertragsausschluss und Modifikation

Das Selbstvornahmerecht kann durch vertragliche Vereinbarungen grundsätzlich ausgeschlossen oder modifiziert werden, sofern dadurch der gesetzliche Schutz im Sinne von § 309 Nr. 8 b BGB (bei Verträgen mit Verbrauchern) nicht unangemessen beschränkt wird.

Bedeutung und Zweck der Selbstvornahme

Das Selbstvornahmerecht dient dem Gläubigerschutz, indem es eine effiziente und flexible Möglichkeit der Mängelbeseitigung aus Sicht des Gläubigers schafft. Es fördert die Durchsetzung des Vertragszwecks und schützt vor Verzögerungen und wirtschaftlichen Nachteilen durch unkooperatives Verhalten des Schuldners.

Abgrenzung zur Ersatzvornahme im Verwaltungsrecht

Von der Selbstvornahme im Zivilrecht ist die Ersatzvornahme im Verwaltungsrecht abzugrenzen. Diese bezeichnet die behördliche Ersatzmaßnahme zur zwangsweisen Durchsetzung einer verwaltungsrechtlichen Verpflichtung. Grundlage hierfür bieten die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder und des Bundes.

Rechtsprechung und Praxisbeispiele

Die Rechtsprechung hat die Voraussetzungen, Reichweite und Grenzen des Selbstvornahmerechts in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert. Insbesondere wurde betont, dass dem Besteller kein beliebiges, sondern nur ein sachlich und wirtschaftlich notwendiges Vorgehen zusteht. Die Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen und der angefallenen Kosten ist dabei von erheblicher Bedeutung.

Beispiel: Wird ein Handwerker mit mangelhaften Arbeiten beauftragt und nach angemessener Fristsetzung zur Nachbesserung nicht tätig, kann der Auftraggeber die Mängel von einem anderen Unternehmen beheben lassen und die Kosten gegenüber dem ursprünglichen Unternehmer geltend machen.

Literatur und weiterführende Informationen

Weiterführende Informationen finden sich in den einschlägigen Kommentaren zu den §§ 634, 637 BGB sowie in entsprechenden Fachbüchern zum Werkvertragsrecht und allgemeinen Schuldrecht. Die Auslegung der gesetzlichen Regelungen orientiert sich stets an dem Wunsch, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Gläubiger- und Schuldnerrechten zu gewährleisten.


Dieser Artikel beleuchtet die Selbstvornahme umfassend unter rechtlichen Gesichtspunkten und liefert einen detaillierten Überblick über ihre Bedeutung, Anwendung und die zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist die Selbstvornahme im rechtlichen Sinne zulässig?

Die Selbstvornahme ist rechtlich zulässig, wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Nacherfüllung nach § 635 BGB (beim Werkvertrag) oder § 439 BGB (beim Kaufvertrag) nicht nachkommt, nachdem der Gläubiger ihm erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Erst nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist darf der Gläubiger eigenmächtig Mängelbeseitigungsmaßnahmen ergreifen oder durch Dritte auf eigene Kosten durchführen lassen. In Ausnahmefällen, beispielsweise bei besonderer Eilbedürftigkeit oder Gefahr im Verzug, kann die Fristsetzung entbehrlich sein. Die Voraussetzungen müssen sorgfältig geprüft werden, da bei unberechtigter Selbstvornahme Kostenrisiken für den Gläubiger entstehen.

Muss der Gläubiger dem Schuldner stets eine Frist zur Nacherfüllung setzen?

Grundsätzlich ist das Setzen einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung zwingende Voraussetzung für das Recht auf Selbstvornahme. Die Fristsetzung muss so gestaltet sein, dass dem Schuldner eine objektive Möglichkeit zur Beseitigung des Mangels eingeräumt wird. Ausnahmen bestehen gem. § 323 Abs. 2 BGB oder §§ 636, 637 BGB etwa dann, wenn der Schuldner die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert, eine Fristsetzung aus besonderen Gründen (z.B. Unzumutbarkeit, Gefahr im Verzug) entbehrlich ist oder besondere Notlagen vorliegen. Fehlt eine wirksame Fristsetzung ohne Vorliegen der Ausnahmefälle, entfällt der Anspruch auf Ersatz der Selbstvornahmekosten.

Welche Rechte hat der Gläubiger nach erfolgreicher Selbstvornahme?

Ist die Selbstvornahme rechtmäßig erfolgt, hat der Gläubiger einen Anspruch gegen den Schuldner auf Ersatz der erforderlichen und angemessenen Aufwendungen gemäß § 637 Abs. 1 BGB (Werkvertrag) beziehungsweise analog nach den Regeln der §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB (Kaufvertrag). Dazu gehören alle tatsächlich entstandenen und zur Mangelbeseitigung notwendigen Kosten, einschließlich der Kosten für Material, Arbeitslohn von Drittunternehmen und ggf. notwendige Nebenkosten. Ein weitergehender Schadenersatz- oder Vorschussanspruch kann sich in bestimmten Konstellationen ebenfalls ergeben.

Gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Art und Weise der Selbstvornahme?

Ja, der Gläubiger ist im Rahmen der Selbstvornahme auf solche Maßnahmen beschränkt, die zur Mängelbeseitigung erforderlich und wirtschaftlich angemessen sind. Vergoldete Armaturen für einen Wasserhahn, bei dem ursprünglich Standardarmaturen vereinbart waren, wären beispielsweise nicht erstattungsfähig. Zudem muss der Gläubiger nachweisen, dass die Ersatzmaßnahme tatsächlich zur Mängelbeseitigung erforderlich war. Zu weitgehende und luxuriöse Ausführungen bzw. kostenintensive Maßnahmen ohne Notwendigkeit führen zu einer Reduzierung des Erstattungsanspruchs. Das Prinzip der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) findet Anwendung.

Können Vorschüsse für die Selbstvornahme verlangt werden?

Nach § 637 Abs. 3 BGB hat der Gläubiger im Werkvertragsrecht einen Anspruch auf angemessenen Vorschuss für die zu erwartenden Kosten der Selbstvornahme, sobald die Voraussetzungen für die Selbstvornahme vorliegen. Dieser Vorschussanspruch setzt voraus, dass der Werkunternehmer mit der Mangelbeseitigung in Verzug ist oder die Nacherfüllung verweigert. Ein entsprechender Vorschuss kann auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden, wobei die Höhe nach dem voraussichtlichen Aufwand zu bemessen ist.

Was passiert, wenn die Selbstvornahme misslingt oder den Mangel nicht vollständig beseitigt?

Misslingt die Selbstvornahme oder wird der Mangel nicht ordnungsgemäß oder vollständig beseitigt, trägt der Gläubiger grundsätzlich das Risiko für das Gelingen der Maßnahme. Ein Anspruch auf Ersatz der entstandenen Kosten gegen den ursprünglichen Schuldner entfällt oder besteht nur in Höhe einer ordnungsgemäßen, dem Vertrag entsprechenden Mängelbeseitigung. Wurden beispielsweise durch unsachgemäße Nachbesserung weitere Schäden verursacht, kann der Schuldner die Kostenerstattung ablehnen, wenn die Maßnahmen über das Erforderliche hinausgingen oder selbst schadensverursachend waren.

Welche Verjährungsfristen gelten für Ansprüche aus der Selbstvornahme?

Die Ansprüche auf Kostenerstattung aus Selbstvornahme unterliegen grundsätzlich denselben Verjährungsfristen wie die Mängelansprüche selbst. Dies bedeutet regelmäßig eine Verjährung von zwei Jahren (Kaufrecht, § 438 BGB) bzw. fünf Jahren bei Bauwerken (Werkvertragsrecht, § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Frist beginnt grundsätzlich mit der Abnahme des Werkes bzw. bei Lieferung im Kaufrecht mit der Übergabe. Wird die Mängelbeseitigung durch Selbstvornahme durchgeführt, verlängern sich die Fristen nicht erneut. Daher ist eine schnelle Geltendmachung der Ansprüche zu empfehlen.