See-Berufsgenossenschaft – Rechtliche Grundlagen und Aufgaben
Die See-Berufsgenossenschaft (See-BG) ist eine Unfallversicherungsträgerin im Bereich der Seeschifffahrt in Deutschland. Sie war bis zum 31. Dezember 2010 eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts und ist heute als Dienststelle „Prävention und Reedereiaufsicht See“ in die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) eingegliedert. Die See-Berufsgenossenschaft erfüllt zentrale Aufgaben im Bereich des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes auf See und unterliegt dabei einem eigenständigen Rechtsrahmen, der die Besonderheiten der Seeschifffahrt in Deutschland berücksichtigt.
Rechtsstellung und Organisationsstruktur
Rechtliche Einordnung
Die See-Berufsgenossenschaft ist Teil der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die rechtlichen Regelungen bezüglich ihres Zuständigkeitsbereichs, ihrer Aufgaben sowie ihrer Finanzierung ergeben sich vor allem aus dem SGB VII sowie aus spezialgesetzlichen Vorschriften für die Seeschifffahrt, insbesondere dem Seearbeitsgesetz (SeeArbG) und dem Seemannsgesetz (SeeArbG alt).
Integration in die BG Verkehr
Im Zuge der Unfallversicherungsreform wurde die See-Berufsgenossenschaft mit Wirkung zum 1. Januar 2010 in die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (heute BG Verkehr) integriert. Die Aufgaben werden seither von der Abteilung „Prävention und Reedereiaufsicht See“ wahrgenommen. Die eigenständige Rechtsfähigkeit wurde damit aufgehoben, die Zuständigkeiten verblieben jedoch in organisatorisch eigenständiger Form in der BG Verkehr.
Aufgaben und Zuständigkeiten
Unfallversicherungsschutz
Die Hauptaufgabe der See-Berufsgenossenschaft besteht im Unfallversicherungsschutz der in der deutschen Seeschifffahrt tätigen Arbeitnehmer und mitarbeitenden Unternehmer. Versicherte Personen sind insbesondere Seeleute, die auf seegängigen deutschen Schiffen beschäftigt oder tätig sind, sowie deren Hinterbliebene. Der Versicherungsschutz umfasst Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und Berufskrankheiten, die im Zusammenhang mit der seefahrtsbezogenen Tätigkeit auftreten.
Prävention und Gesundheitsförderung
Ein wesentlicher Aufgabenbereich der See-Berufsgenossenschaft liegt im Bereich der Prävention. Dies beinhaltet die Förderung und Überwachung der Arbeitssicherheit an Bord von Seeschiffen, die Entwicklung sicherheitstechnischer und arbeitsmedizinischer Standards sowie die Beratung von Reedern und Schiffsführern. Die See-Berufsgenossenschaft ist berechtigt, verbindliche Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und die Einhaltung dieser Vorschriften in Kontrollen und Inspektionen zu überprüfen.
Leistungen an Versicherte
Im Schadensfall gewährt die See-Berufsgenossenschaft umfassende Leistungen. Dazu zählen unter anderem Heilbehandlungsleistungen, Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation sowie Rentenzahlungen wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder im Todesfall an die Hinterbliebenen. Die Leistungen sind abschließend im SGB VII geregelt und werden durch die besonderen Vorschriften im Seerecht ergänzt.
Reedereiaufsicht und Personalführung
Die See-Berufsgenossenschaft übt die Aufsicht über die sicherheits- und gesundheitsschutzrechtliche Führung der Reedereien aus. Sie prüft, ob die Organisation an Bord den gesetzlichen und untergesetzlichen Anforderungen entspricht, zum Beispiel in Bezug auf die Besatzungsstärke, arbeitsmedizinische Vorsorgeeinrichtungen und Notfallmanagement.
Beiträge und Finanzierung
Beitragsveranlagung
Die Finanzierung der See-Berufsgenossenschaft erfolgt durch Beiträge der Mitgliedsunternehmen, in der Regel Reedereien mit Sitz in Deutschland. Die Beitragshöhe richtet sich nach der Gefahrenklasse und dem Entgeltaufkommen sowie der jeweiligen Unfallhäufigkeit und kann durch den Unfallverlauf der Reederei beeinflusst werden. Die Beiträge werden nach Maßgabe der Satzung und des SGB VII erhoben.
Umlageverfahren
Die Beiträge werden im Umlageverfahren erhoben, das heißt, die während eines Geschäftsjahres entstandenen Kosten werden auf die Mitglieder verteilt. Die Regelungen zum Beitragsverfahren finden sich in den §§ 152-176 SGB VII sowie in den Satzungen der Berufsgenossenschaften.
Rechtliche Besonderheiten der Seeschifffahrt
Internationales Seearbeitsrecht
Die See-Berufsgenossenschaft ist nicht nur national, sondern aufgrund internationaler Abkommen und EU-Richtlinien tätig. Wesentliche rechtliche Grundlagen sind hier das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie entsprechende Regelungen auf europäischer Ebene, die in deutsches Recht transponiert wurden. Sie überwacht die Einhaltung dieser internationalen Mindeststandards für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf deutschen Schiffen weltweit.
Besonderheiten des Arbeitsrechts auf See
Im Gegensatz zur Binnen-Berufsgenossenschaft gelten für Seeleute in bestimmten Fragen angepasste Regelungen. Hierzu zählen insbesondere spezielle Vorschriften für Arbeitszeiten, Ruhezeiten sowie Vorschriften zum Wohlergehen an Bord. Diese gesetzlichen Sonderregelungen sind erforderlich, um den besonderen Belastungen und Gefahren auf See Rechnung zu tragen.
Sozialrechtliche Einbeziehung von Seeleuten
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gehören Seeleute grundsätzlich dem Zuständigkeitsbereich der See-Berufsgenossenschaft an, sofern sie auf unter deutscher Flagge fahrende Seeschiffe tätig sind. Darüber hinaus können auch ausländische Seeleute unter bestimmten Voraussetzungen einbezogen werden. Besondere Regelungen bestehen für Saison-, Zeit- und Gastarbeiter an Bord deutscher Seeschiffe.
Aufsicht, Rechtsmittel und Gerichtsverfahren
Aufsicht durch den Bund
Die See-Berufsgenossenschaft untersteht der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Diese umfasst die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben sowie die Genehmigung von Satzungsänderungen und Unfallverhütungsvorschriften.
Rechtsmittel und Klageweg
Gegen Verwaltungsakte der See-Berufsgenossenschaft, etwa Beitragsbescheide oder Entscheidungen über Versicherungsleistungen, können die Betroffenen nach Maßgabe des Sozialgesetzbuches Widerspruch einlegen. Im weiteren Verlauf ist der Sozialrechtsweg eröffnet, der vor den Sozialgerichten, Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht zu führen ist.
Zusammenfassung und Bedeutung
Die See-Berufsgenossenschaft erfüllt eine zentrale Rolle beim Schutz von Seeleuten und bei der Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten im deutschen Schifffahrtssektor. Als Unfallversicherungsträger nimmt sie eigenständige hoheitliche Aufgaben wahr, verfügt über eigene Satzungen und Unfallverhütungsvorschriften und ist in nationale wie internationale rechtliche Strukturen eingebunden. Mit ihrer Integration in die BG Verkehr wurde die Organisation gestärkt, während ihre besonderen Aufgaben für die Seeschifffahrt weiterhin in speziell zuständigen Abteilungen verbleiben.
Literaturhinweis:
- Gesetzliche Grundlagen: SGB VII, SeeArbG, ILO Maritime Labour Convention
- BG Verkehr: Satzung und Unfallverhütungsvorschriften
- BG Verkehr – Prävention und Reedereiaufsicht See
Diese umfassende Darstellung dient der Einordnung und detaillierten rechtlichen Beschreibung des Terminus „See-Berufsgenossenschaft“ im deutschen Rechtssystem.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Pflichten ergeben sich für Reeder und Schiffseigner aus der Mitgliedschaft in der See-Berufsgenossenschaft?
Reeder und Schiffseigner, die der See-Berufsgenossenschaft (SBG) angehören, unterliegen einer Vielzahl von gesetzlichen Verpflichtungen. Zu ihren Hauptpflichten zählt insbesondere die Anmeldung aller beschäftigten Seeleute, einschließlich der Auszubildenden, Kapitäne und sonstigen an Bord tätigen Personen, zur SBG. Die Anmeldung hat gemäß § 140 SGB VII unverzüglich nach Beschäftigungsbeginn zu erfolgen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, die vorgeschriebenen Beiträge (§ 150 SGB VII) zur gesetzlichen Unfallversicherung fristgerecht an die SBG zu entrichten. Sie müssen sämtliche für die Beitragsberechnung notwendigen Unterlagen wie Lohnabrechnungen und Besatzungslisten vollständig und auf Anforderung zugänglich bereitstellen (§ 166 SGB VII). Ferner besteht eine Meldepflicht bei Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten oder besonderen Vorkommnissen an Bord (§ 193 SGB VII). Verstöße gegen diese Pflichten können nicht nur zu Nachzahlungen und Bußgeldern führen, sondern unter Umständen sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Wie ist die rechtliche Zuständigkeit der See-Berufsgenossenschaft im Verhältnis zu anderen Unfallversicherungsträgern geregelt?
Die rechtliche Zuständigkeit der See-Berufsgenossenschaft ist im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ausdrücklich geregelt. Die SBG ist ausschließlich für die Durchführung der gesetzlichen Unfallversicherung von Personen zuständig, die in der Seeschifffahrt tätig sind (§ 125 SGB VII). Dies schließt Seeleute und andere beschäftigte Personen auf deutschen Seeschiffen ein. Für Arbeitnehmer aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel Hafenarbeiter, die nicht unmittelbar auf Seeschiffen tätig sind, sind hingegen die jeweils regional zuständigen gewerblichen Berufsgenossenschaften zuständig. Im Falle von Unternehmenskonstruktionen, bei denen nicht eindeutig ist, ob eine Tätigkeit der Seeschifffahrt zuzuordnen ist, erfolgt die Zuständigkeitsabwägung auf Grundlage der Arbeitsschwerpunkte und konkreten Einsatzgebiete. Im Streitfall kann eine formale Zuständigkeitsfeststellung durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) zwangweise herbeigeführt werden.
Wer ist rechtlich zur Beitragszahlung an die See-Berufsgenossenschaft verpflichtet und wie erfolgt die rechtliche Ermittlung der Beitragshöhe?
Zur Zahlung der Beiträge an die SBG sind ausschließlich solche Unternehmen rechtlich verpflichtet, die Seeschiffe betreiben und Personen beschäftigen, die unter die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII fallen. Die Beitragsberechnung erfolgt grundsätzlich auf Basis der Lohnsumme und der Gefährdungsklasse, die anhand des Betriebszweigs und der damit verbundenen Risiken festgesetzt wird. Die SBG ist dabei durch das SGB VII ermächtigt, Beitragsbescheide zu erlassen, die als Verwaltungsakte gelten und entsprechend angefochten werden können (§ 168 SGB VII). Die Beiträge sind so bemessen, dass sie den gesamten Aufwand für Versicherungsleistungen, Verwaltung und sonstige gesetzlich vorgeschriebene Ausgaben der SBG abdecken.
Welche rechtlichen Ansprüche haben Seeleute im Falle eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit gegenüber der See-Berufsgenossenschaft?
Bei Eintritt eines Arbeitsunfalls oder dem Nachweis einer Berufskrankheit genießen Seeleute umfassende Schutzrechte. Die SBG ist gemäß SGB VII verpflichtet, alle berechtigten Ansprüche, also insbesondere Heilbehandlung, Verletztengeld, Verletztenrente sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zu gewähren (§§ 26 ff. SGB VII). Ebenso besteht im Todesfall gegenüber den Hinterbliebenen ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente und Überführungskosten (§ 63 SGB VII, § 64 SGB VII). Die Ansprüche gegen die SBG sind unabhängig von einem möglichen Verschulden des Schiffseigners, soweit der Unfall im Zusammenhang mit der Seefahrt steht. Der Rechtsweg gegen Bescheide der SBG ist über das Sozialgericht nach § 51 SGG gegeben.
Welche rechtlichen Möglichkeiten zur Anfechtung von Entscheidungen der See-Berufsgenossenschaft bestehen für Mitglieder oder Versicherte?
Mitglieder oder Versicherte, die mit einer Entscheidung der SBG – beispielsweise einem Beitragsbescheid oder der Ablehnung von Leistungen – nicht einverstanden sind, haben das Recht, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Verwaltungsaktes Widerspruch einzulegen (§ 84 SGG). Die SBG überprüft daraufhin ihre Entscheidung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens. Wird der Widerspruch abgelehnt, kann innerhalb einer Frist von einem Monat Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben werden (§ 87 SGG). Die Klage hat aufschiebende Wirkung, sodass Vollstreckungsmaßnahmen der SBG in der Regel erst nach Abschluss des Rechtsstreits erfolgen dürfen. In Eilfällen ist der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 86b, 123 SGG gegeben.
Welche Überwachungs- und Kontrollrechte stehen der See-Berufsgenossenschaft rechtlich zu?
Die SBG ist gesetzlich berechtigt, im Rahmen ihrer Aufgaben Kontrollen an Bord deutscher Seeschiffe vorzunehmen (§ 17 SGB VII). Dies betrifft sowohl die Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften als auch der Vorschriften zur Unfallverhütung gemäß der Unfallverhütungsvorschriften See (UVV-See). Die SBG kann Vertreter entsenden, die Betriebsstätten besichtigen, Unterlagen prüfen und Auskünfte verlangen. Die betroffenen Unternehmen sind verpflichtet, die erforderliche Unterstützung zu gewähren und Zutritt zu gewähren. Bei Verstößen kann die SBG Anordnungen treffen und Bußgelder verhängen (§ 209 SGB VII).