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SE


SE (Societas Europaea) – Die Europäische Aktiengesellschaft im Überblick

Die SE (Societas Europaea) ist eine Rechtsform für Aktiengesellschaften innerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Sie erlaubt es Unternehmen, grenzüberschreitend tätig zu werden und internationale Geschäftsstrukturen zu vereinheitlichen. Die SE ist auf Grundlage gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben geregelt und unterliegt zudem ergänzenden nationalen Vorschriften der jeweiligen Mitgliedstaaten.


Entstehung und Zielsetzung der SE

Mit Einführung der SE durch die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) wurde ein einheitlicher Gesellschaftstyp geschaffen, um Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität und Mobilität europäischer Unternehmen zu fördern. Die SE soll vorrangig die Durchführung von grenzüberschreitenden Unternehmensfusionen, Holding- oder Tochtergesellschaftsgründungen sowie die Verlegung des Satzungssitzes innerhalb der EU erleichtern.


Rechtliche Grundlagen der SE

Europarechtliche Normen

Die SE basiert auf der genannten Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 („SE-Verordnung“), die unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten gilt und zentrale Regelungen zur Gründung, zu Organen und zur Funktionsweise der Gesellschaft enthält. Ergänzend dazu regelt die Richtlinie 2001/86/EG die Beteiligung der Arbeitnehmer an der SE und ist durch nationale Umsetzungsgesetze in die jeweilige Rechtsordnung überführt worden.

Ergänzendes nationales Recht

Für alle Fragen, die nicht durch die SE-Verordnung geregelt werden, kommt gemäß Art. 9 Abs. 1 SE-VO das nationale Recht des Sitzstaates zur Anwendung. Die Grundstruktur entspricht daher einer Aktiengesellschaft nach nationalem Recht (z.B. Aktiengesetz [AktG] in Deutschland), sofern keine europarechtlichen Besonderheiten bestehen.


Gründung einer SE

Gründungsformen

Nach Art. 2 SE-VO ist die Gründung einer SE auf verschiedenen Wegen möglich:

  • Verschmelzung von Aktiengesellschaften aus mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten
  • Bildung einer Holding-SE durch Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben
  • Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE
  • Umwandlung einer nationalen Aktiengesellschaft mit Sitz und Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat in eine SE (sog. „Umwandlung“), sofern seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat besteht

Mindestkapital

Gemäß Art. 4 SE-VO muss das Grundkapital einer SE mindestens 120.000 EUR betragen. Weitergehende Kapitalanforderungen können sich aus nationalem Recht ergeben.

Satzungssitz und Hauptverwaltung

Eine Besonderheit bildet die Bindung von satzungsmäßigem Sitz und Hauptverwaltung im selben EU-Mitgliedstaat. Beide müssen übereinstimmen (§ 5 SE-VO).


Organe und Organisationsstruktur

Auswahlmöglichkeit – Ein- oder Zweistufig

Im Unterschied zu vielen nationalen Gesellschaftsformen bietet die SE die Wahl zwischen einer monistischen (einheitlicher Verwaltungsrat) oder dualistischen (Vorstand und Aufsichtsrat) Organisationsstruktur (Art. 38-45 SE-VO). Die genauen Rechte und Pflichten sowie die Zusammensetzung dieser Organe sind sowohl in der SE-Verordnung geregelt als auch durch nationales Aktienrecht ergänzt.

Bestellung der Organe

Die Bestellung der Mitglieder der Leitungs- und Überwachungsorgane erfolgt nach Maßgabe der Satzung und gegebenenfalls nach nationalem Recht. Arbeitnehmerbeteiligungsrechte müssen bei der Besetzung berücksichtigt werden.


Arbeitnehmerbeteiligung in der SE

Nach Regelung der Richtlinie 2001/86/EG ist bei der Gründung der SE die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicherzustellen. Regelmäßig sind hierzu Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretungen erforderlich. Die Modalitäten folgen dem nationalen Umsetzungsrecht, in Deutschland dem Gesetz zur Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG). Wird keine anderweitige Vereinbarung erzielt, kommen Auffangregelungen zur Anwendung.


Verlegung des Satzungssitzes

Die SE kann ihren Satzungssitz innerhalb der EU unter Beibehaltung ihrer Rechtsform verlegen (Art. 8 SE-VO). Das Verfahren ist in der Verordnung detailliert geregelt; hinzu treten nationale Anforderungen wie Gläubigerschutzmaßnahmen.


Besteuerung der SE

Die SE ist kein steuerliches Einheitssubjekt auf EU-Ebene. Sie unterliegt weiterhin den jeweiligen nationalen Steuergesetzen des Ansässigkeitsstaates. Eine einheitliche steuerliche Behandlung existiert bislang nicht; grenzüberschreitend tätige SEs profitieren allerdings von existierenden Doppelbesteuerungsabkommen und der Mutter-Tochter-Richtlinie der EU.


Insolvenz und Liquidation der SE

Für die Insolvenz und sonstige Beendigung (Liquidation, Auflösung) der SE gelten die nationalen Vorschriften des Sitzstaates (Art. 2 Abs. 3 SE-VO). Es kommen Regeln des jeweiligen nationalen Insolvenzrechts zur Anwendung.


Vorteile und Risiken der SE

Vorteile

  • Erleichterte grenzüberschreitende Mobilität
  • Möglichkeit der einheitlichen Konzernstrukturierung in mehreren Mitgliedstaaten
  • Wahlmöglichkeit zwischen Organstrukturen
  • Attraktivität gegenüber international tätigen Investoren

Risiken

  • Komplexe Mitbestimmungs- und Beteiligungsregelungen für Arbeitnehmer
  • Hoher Gründungsaufwand (speziell bei Verhandlungen zur Arbeitnehmerbeteiligung)
  • Anwendung und Zusammenspiel nationaler und europäischer Rechtsregelungen

Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsformen

Die SE ist von anderen supranationalen Gesellschaftsformen wie der Europäischen Genossenschaft (SCE) oder Societas Privata Europaea (SPE, bislang nicht eingeführt) abzugrenzen. Ihre Besonderheit liegt in den grenzüberschreitenden Gestaltungsoptionen und der Wahlfreiheit der Organe.


Literatur und Quellen


Fazit:
Die SE bietet europäischen Unternehmen eine fortschrittliche, flexible und zugleich komplexe Gesellschaftsform, die insbesondere für grenzüberschreitende unternehmerische Aktivitäten erhebliche rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Die rechtlichen Anforderungen, insbesondere im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung und Organisationsstruktur, erfordern eine sorgfältige Abwägung und fundierte Auseinandersetzung mit europäischen und nationalen Rechtsvorschriften.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Societas Europaea (SE) in Deutschland?

Die Societas Europaea (SE) wird in Deutschland durch eine Vielzahl von Rechtsquellen geregelt. Die zentrale europäische Rechtsgrundlage ist die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 („SE-Verordnung“), die unmittelbar in allen EU-Staaten gilt und die Gründung sowie Kernfragen der SE einheitlich regelt. Daneben gilt die Richtlinie 2001/86/EG („SE-Beteiligungsrichtlinie“), die arbeitsrechtliche Aspekte wie die Beteiligung der Arbeitnehmer ergänzt. Im deutschen Recht werden ergänzend das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) herangezogen. Diese Gesetze regeln nationale Besonderheiten, z.B. im Bereich des Mitbestimmungsrechts und der gerichtlichen Zuständigkeiten. Zudem greifen – falls und soweit europäisches oder nationales SE-Recht keine abschließenden Regelungen vorsieht – ergänzend die Vorgaben des Aktiengesetzes (AktG), insbesondere zur Organisation, Kapitalaufbringung und -erhaltung sowie zur Verantwortung von Organmitgliedern. Zivil- und steuerrechtliche Aspekte werden durch jeweils weitere einschlägige Gesetze, etwa das Umwandlungsgesetz (UmwG) im Falle von Umwandlungen und das Körperschaftsteuergesetz (KStG), mitgestaltet. Somit handelt es sich bei der rechtlichen Einbettung der SE um ein komplexes Zusammenspiel zwischen europäischem und nationalem Recht.

Wie werden die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in einer SE gesellschaftsrechtlich umgesetzt?

Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in der SE sind nach deutschem Recht insbesondere durch das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) sowie die SE-Beteiligungsrichtlinie auf europäischer Ebene geregelt. Ziel ist es, das bisherige Niveau der Mitbestimmung bei der Umwandlung oder Gründung einer SE zu erhalten („status quo“). Wird eine SE durch Umwandlung oder Verschmelzung gegründet, bleibt in der Regel das im Ursprungsunternehmen bestehende Mitbestimmungsmodell bestehen. Hierzu werden Verhandlungen zwischen den Arbeitnehmervertretern der beteiligten Unternehmen und der Unternehmensleitung aufgenommen, die zu einer sogenannten „Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer“ führen sollen. Wird keine Einigung erzielt, greifen gesetzliche Auffangregeln. Im deutschen Kontext bedeutet dies meist die Anwendung der Drittelbeteiligung oder der paritätischen Mitbestimmung – abhängig von der Größe und Mitbestimmungsstruktur der beteiligten Unternehmen. Darüber hinaus sind die Modalitäten der Arbeitnehmervertretung sowohl auf Unternehmensebene (etwa Sitz und Anzahl der Mitglieder im Aufsichtsrat) als auch auf europäischer Ebene (etwa Einrichtung eines SE-Betriebsrats) detailliert geregelt.

Welche Besonderheiten sind bei der Gründung einer SE nach deutschem Recht zu beachten?

Die Gründung einer SE kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: Verschmelzung, Gründung einer Holding-SE, Gründung einer Tochter-SE oder Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE. Voraussetzung ist in jedem Fall die grenzüberschreitende Komponente – die SE kann nur gegründet werden, wenn Unternehmen aus mindestens zwei EU-Staaten beteiligt sind. Nach deutschem Recht müssen die Gründungsvoraussetzungen gemäß SE-Verordnung und SEAG erfüllt sein: Beispielsweise wird ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestkapital von 120.000 Euro benötigt. Die Anmeldung der SE zur Eintragung ins Handelsregister erfolgt beim zuständigen Registergericht (in Deutschland meist das Amtsgericht am Sitz der Gesellschaft). Bei der Gründung sind darüber hinaus gesellschaftsvertragliche Besonderheiten zu beachten, etwa die genaue Festlegung der Satzung, die auf die Anforderungen der SE-Verordnung, des SEAG und des AktG zugeschnitten sein muss. Zudem muss vor Eintragung der SE eine Vereinbarung zur Arbeitnehmerbeteiligung abgeschlossen oder das gesetzliche Verfahren hierzu nachweislich durchgeführt werden. Erst mit Eintragung wird die SE rechtsfähig und kann unter ihrer neuen europäischen Rechtsform auftreten.

Welche Organe sind in der SE gesetzlich vorgeschrieben, und wie unterscheiden sich diese von rein deutschen Aktiengesellschaften?

Nach der SE-Verordnung kann die SE nach dem sogenannten dualistischen (Vorstand und Aufsichtsrat) oder monistischen System (Verwaltungsrat) organisiert werden. Während das dualistische Modell weitgehend dem deutschen Aktienrecht entspricht, ist das monistische System dem deutschen Recht ursprünglich fremd und wird im SEAG geregelt. Im dualistischen System bestehen ein Vorstand, der die Geschäftsführung innehat, sowie ein Aufsichtsrat, der diese kontrolliert. Im monistischen System gibt es den Verwaltungsrat, der sowohl geschäftsführende als auch kontrollierende Aufgaben wahrnehmen kann. Die genaue Ausgestaltung dieser Organe, etwa Wahl, Abberufung, Aufgabenverteilung und Vergütung, ist zum Teil europarechtlich vorgeschrieben, zum Teil aus dem deutschen AktG übernommen. Darüber hinaus bestehen Besonderheiten im Bereich der Arbeitnehmervertretung in den Organen, die sich nach der Beteiligungsvereinbarung oder nach gesetzlichen Vorschriften richten. Unterschiede zur deutschen AG bestehen vor allem in der möglichen Wahl des Leitungssystems und in einzelnen Details der Organbesetzung und Organstruktur.

Welche Anforderungen bestehen an die Satzung einer SE nach deutschem Recht?

Die Satzung der SE muss nach den Vorgaben der SE-Verordnung und den ergänzenden Bestimmungen des SEAG sowie des AktG bestimmte Mindestangaben und inhaltliche Vorgaben enthalten. Dazu gehören insbesondere Firmenname, Sitz der Gesellschaft, Unternehmensgegenstand, Höhe des Grundkapitals, Zahl und Nennbetrag der Aktien, Regelungen zur Ausgestaltung der Organe (dualistisch oder monistisch), Anzahl der Organmitglieder, Geschäftsjahr sowie Bestimmungen zur Willensbildung (z.B. Einberufung und Ablauf der Hauptversammlung). Besondere Regelungen betreffen zudem die Modalitäten der Arbeitnehmerbeteiligung, Finanzberichterstattung, Gewinnverwendung und etwaige Besonderheiten aufgrund der europäischen Ausrichtung (wie etwa Sprachregelungen für die Kommunikation in Organen oder gegenüber Behörden). Die Satzung ist vom Gründungsorgan zu beurkunden und anschließend beim Registergericht einzureichen. Auch spätere Satzungsänderungen unterliegen besonderen gesetzlichen Form- und Verfahrensvorgaben.

Wie wird die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE rechtskonform durchgeführt?

Die SE erlaubt als besondere Kapitalgesellschaftsform erstmals innerhalb der EU eine grenzüberschreitende Sitzverlegung unter Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit. Das Verfahren ist in der SE-Verordnung sowie im SEAG geregelt. Voraussetzung für die Sitzverlegung ist die Erstellung eines ausführlichen Sitzverlegungsplans, der von der Hauptversammlung genehmigt werden muss. Es folgt eine Informationspflicht gegenüber Gläubigern, Aktionären und Arbeitnehmern, deren Schutzrechte gewahrt bleiben müssen. Das Registergericht prüft sodann die Einhaltung aller gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere ob alle notwendigen Formalitäten erfüllt und die berechtigten Interessen Dritter respektiert wurden. Nach Abschluss des Verfahrens erfolgt die Löschung im bisherigen Register und die Eintragung im Register des neuen Sitzlandes. Die SE bleibt während des gesamten Verlegungsprozesses fortbestehende Rechtsperson.

Wer ist für die rechtliche Kontrolle und Überwachung der SE in Deutschland zuständig?

Für die rechtliche Kontrolle und Überwachung der in Deutschland ansässigen SE sind im Wesentlichen die ordentlichen Gerichte, genauer die Registergerichte, zuständig. Diese prüfen insbesondere Gründungsvoraussetzungen, Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen und andere registerpflichtige Vorgänge. Verstöße gegen Gesetze oder Satzungsbestimmungen werden durch gerichtliche Beschlüsse oder Verfügungen sanktioniert. Darüber hinaus unterliegt die SE als Publikumsgesellschaft der Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), sofern sie zum regulierten Markt zugelassen ist. Die interne Kontrolle erfolgt – je nach Leitungssystem – über den Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat. Zudem ist die Mitbestimmung und Überwachung der Arbeitnehmergremien rechtlich verankert. Steuerrechtlich ist das Finanzamt zuständig, wettbewerbsrechtlich das Bundeskartellamt. Schließlich können auch Aktionäre und Gläubiger über zivilrechtliche Klagen gegen unrechtmäßige Entscheidungen vorgehen.