Schikaneverbot – Rechtliche Grundlagen und Bedeutung
Das Schikaneverbot ist ein zentrales Rechtsprinzip im deutschen Zivilrecht und dient dem Schutz davor, dass Rechte und Rechtspositionen ausschließlich mit dem Ziel ausgenutzt werden, einem anderen Schaden oder Nachteil zuzufügen. Es stellt eine wichtige Schranke bei der Ausübung subjektiver Rechte dar und genießt im deutschen Rechtssystem herausragende Bedeutung.
Definition und Zweck des Schikaneverbots
Das Schikaneverbot ist in § 226 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Es lautet:
„Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.“
Zweck des Schikaneverbots ist es, Rechtsmissbrauch und rechtsmissbräuchliches Verhalten zu verhindern und damit einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten herzustellen. Es bringt das allgemeine Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zum Ausdruck.
Gesetzliche Verankerung und Anwendungsbereich
§ 226 BGB – Kernnorm des Schikaneverbots
Die maßgebliche Norm, § 226 BGB, verbietet die sogenannte Schikane (lateinisch: vexatio). Voraussetzung ist, dass ein Recht nur deswegen ausgeübt wird, um dem Gegner einen Nachteil zuzufügen, ohne ein eigenes schützenswertes Interesse zu verfolgen.
Verhältnis zu anderen Vorschriften
Das Schikaneverbot ist eng verknüpft mit weiteren Rechtsgrundsätzen wie dem Verbot des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB), dem Prinzip sozialer Bindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) sowie mit spezialgesetzlichen Regelungen, etwa im Mietrecht, Nachbarrecht und Arbeitsrecht.
Voraussetzungen der Schikane im Sinne des § 226 BGB
Ausübung eines bestehenden Rechts
Die Vorschrift setzt voraus, dass jemand ein ihm zustehendes Recht tatsächlich ausübt, beispielsweise ein Wegerecht, ein Vermieter das Kündigungsrecht oder ein Eigentümer Abwehrrechte gegen Dritte.
Ausschließlicher Schädigungszweck
Zentraler Bestandteil ist der Nachweis, dass die Rechtsausübung keinen anderen Zweck verfolgt als die Schädigung einer anderen Person. Es darf dem Ausübenden kein nachvollziehbares eigenes, schutzwürdiges Interesse an der Rechtsausübung zustehen.
Beispiele:
- Ein Nachbar stellt auf seinem Grundstück in direkter Nähe zur Grenze eine unattraktive Mauer auf, um den Ausblick des Nachbarn zu beeinträchtigen, ohne einen eigenen sachlichen Grund.
- Ein Vermieter kündigt einem Mieter mit der einzigen Motivation, diesen persönlich zu ärgern, ohne ein legitimes eigenes Interesse an einer Neuvermietung der Wohnung.
Abgrenzung zum erlaubten Gebrauch von Rechten
Die Verwirklichung eigener berechtigter Interessen, auch wenn sie für andere nachteilig sind, stellt keine Schikane dar. Das Schikaneverbot greift nur, wenn kein schutzwürdiges Eigeninteresse besteht.
Kombination mit anderen Zwecken
Verfolgt der Handelnde neben dem Schädigungszweck auch ein eigenes, sachlich nachvollziehbares Interesse, ist das Schikaneverbot häufig nicht anwendbar. Vielmehr ist eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall erforderlich.
Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Schikaneverbot
Unwirksamkeit von Handlungen
Die Ausübung des Rechts ist im Falle einer Schikane unzulässig und damit rechtlich unwirksam. Der davon Betroffene kann sich gegen die schikanöse Rechtsausübung erfolgreich zur Wehr setzen.
Abwehr- und Unterlassungsansprüche
Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot kann Abwehr- und Unterlassungsansprüche gemäß §§ 1004, 862 BGB oder anderen einschlägigen Vorschriften nach sich ziehen.
Schadensersatz
In bestimmten Fällen kann bei rechtswidriger und schuldhafter Schikane die Zahlung von Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB oder nach sonstigen deliktsrechtlichen Normen in Betracht kommen.
Anwendungsbereiche im Einzelnen
Nachbarrecht
Im Nachbarrecht gilt nach § 226 BGB, dass die Ausübung von Eigentümerbefugnissen, etwa Baumaßnahmen oder die Verwendung von Einfriedungen, nicht mit schikanösem Charakter erfolgen darf. Typische Beispiele sind die bewusste Verunstaltung von Grenzanlagen oder das Aufstellen von Gegenständen, die lediglich der Belästigung dienen.
Mietrecht
Auch im Mietrecht findet das Schikaneverbot Anwendung. So kann etwa eine Kündigung, die ausschließlich dazu dient, einen Mieter zu schädigen, rechtswidrig sein. Ebenso greift das Verbot bei unbegründeten Störungen des Mietgebrauchs durch den Vermieter.
Arbeitsrecht
Im Arbeitsrecht wirkt das Schikaneverbot im Rahmen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Schikanöse Weisungen oder Maßnahmen, die keine sachliche Grundlage haben, sind unzulässig.
Zivilprozessrecht
Selbst im gerichtlichen Verfahren unterliegt die Rechtsausübung dem Schikaneverbot. Beispielsweise kann das gezielte Betreiben von aussichtslosen Klagen ausschließlich zur Belästigung eines Gegners Rechtsmissbrauch und Schikane darstellen.
Abgrenzung zu anderen Rechtsfiguren
Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Das Schikaneverbot ist eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Während § 242 BGB als Auffangnorm für rechtsmissbräuchliches Verhalten dient, regelt § 226 BGB speziell die rechtsmissbräuchliche Schadenszufügung.
Verbot des Rechtsmissbrauchs
Das weitere Verbot des Rechtsmissbrauchs schließt auch Fälle ein, in denen eine Rechtsausübung unzulässig ist, wenn sie treuwidrig erfolgt. Das Schikaneverbot ist damit eine besonders strenge Form des Missbrauchsverbots.
Praktische Bedeutung und Rechtsprechung
Die Gerichte wenden das Schikaneverbot regelmäßig an, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen berechtigter Interessenwahrnehmung und dem Schutz vor übergriffigem Verhalten herzustellen. Es finden sich zahlreiche Urteile insbesondere im Nachbarrecht, Mietrecht und beim Schutz von Minderheitenrechten in Gesellschaften.
Literatur und weiterführende Vorschriften
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 226, § 242, § 823
- Grundgesetz, Art. 14 Abs. 2
- einschlägige Kommentarliteratur zu § 226 BGB
Zusammenfassung
Das Schikaneverbot nach § 226 BGB ist eine zentrale Schutzvorschrift des deutschen Zivilrechts und sichert ein faires Miteinander im Umgang mit subjektiven Rechten. Es verhindert, dass Rechte ausschließlich zum Schaden anderer eingesetzt werden, und trägt maßgeblich zur Wahrung sozialer Gerechtigkeit im Privatrecht bei. Durch die vielfältigen Anwendungsbereiche und die enge Verknüpfung mit allgemeinen Prinzipien wie Treu und Glauben besitzt das Schikaneverbot erhebliche praktische Relevanz.
Häufig gestellte Fragen
Was sind typische Anwendungsbereiche des Schikaneverbots im deutschen Zivilrecht?
Das Schikaneverbot nach § 226 BGB findet insbesondere im Bereich des Nachbarrechts, des Mietrechts sowie des Gesellschaftsrechts Anwendung. Typische Fälle sind etwa Situationen, in denen ein Grundstückseigentümer seine rechtliche Stellung dazu benutzt, einem Nachbarn ohne eigenen Vorteil, aber mit dem Ziel der Beeinträchtigung, die Nutzung seines Eigentums zu erschweren. Im Mietrecht schützt das Schikaneverbot Mieter davor, dass Vermieter ihnen mutwillig und ohne sachlichen Grund Kündigungen aussprechen, Mieterrechte einschränken oder den Mietgebrauch stören. Ebenso kann das Schikaneverbot innerhalb von Gesellschaften greifen, wenn etwa ein Gesellschafter seine Rechte missbraucht, um einem anderen Gesellschafter zu schaden. Auch bei der Durchsetzung von Unterlassungs- und Duldungsansprüchen wird das Verhalten häufig am Maßstab des Schikaneverbots gemessen.
Wann liegt ein Verstoß gegen das Schikaneverbot vor?
Ein Verstoß liegt vor, wenn die Ausübung eines Rechts ausschließlich zum Zwecke der Schädigung eines anderen erfolgt und keinerlei eigenes schutzwürdiges Interesse vorliegt bzw. das eigene Interesse offensichtlich gegenüber der beabsichtigten Schädigung zurücktritt. Das Merkmal der Schikane setzt voraus, dass die Handlung objektiv keine andere Motivation erkennen lässt als die Absicht, einem anderen einen Nachteil zuzufügen. Die Gerichte prüfen in der Regel, ob ein vernünftiger, nachvollziehbarer Grund für das Verhalten vorliegt oder ob das Verhalten willkürlich und bewusst verletzend ist. Maßgeblich ist dabei immer eine Interessenabwägung im Einzelfall sowie das Fehlen eines berechtigten Eigeninteresses.
Wie können Betroffene gegen schikanöses Verhalten vorgehen?
Betroffene können zunächst zivilrechtliche Abwehransprüche geltend machen, wie Unterlassungs-, Beseitigungs- oder gegebenenfalls Schadensersatzansprüche. Sie haben das Recht, bei Gericht eine einstweilige Verfügung oder eine Unterlassungsklage einzureichen, sofern Gefahr im Verzug besteht oder fortlaufend schikanös gehandelt wird. Der Anspruch auf Schadensersatz setzt voraus, dass durch die Schikane ein nachweisbarer Vermögensschaden entstanden ist. Im Zusammenhang mit Vertragsverhältnissen kann eine schikanöse Rechtsausübung zudem zur Unwirksamkeit bestimmter Erklärungen (zum Beispiel Kündigungen, Weisungen) führen. Betroffene sollten sämtliche Vorfälle dokumentieren und – sofern möglich – Zeugen oder andere Beweismittel sichern.
Welche Rolle spielt das subjektive Element der Absicht im Rahmen des Schikaneverbots?
Das subjektive Moment ist für die Annahme einer Schikane, wie sie § 226 BGB voraussetzt, entscheidend. Es bedarf der nachweisbaren Absicht, einem anderen einen Nachteil zuzufügen. Indizien für eine solche Absicht können aus wiederholtem, willkürlichem Handeln, beleidigenden Äußerungen oder der nachvollziehbar fehlenden Sachbezogenheit einer Handlung abgeleitet werden. Die bloße Inkaufnahme eines Nachteils für den anderen reicht in der Regel nicht aus; vielmehr muss die Schädigung das alleinige oder zumindest überwiegende Motiv für die Handlung darstellen. Im Streitfall trägt der Betroffene die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Schädigungsabsicht.
Wie steht das Schikaneverbot im Verhältnis zur Ausübung berechtigter Rechtspositionen?
Das Schikaneverbot schränkt die grundsätzlich bestehende Rechtsausübungsfreiheit ein, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Der Inhaber eines Rechts darf sein Recht nicht missbräuchlich einsetzen, wenn damit ausschließlich der Zweck verfolgt wird, einem anderen zu schaden. Ein berechtigtes eigenes Interesse führt dagegen nicht zur Unanwendbarkeit des Schikaneverbots. Liegt ein sachlicher Grund oder ein schutzwürdiges Eigeninteresse für die Rechtsausübung vor, findet das Schikaneverbot regelmäßig keine Anwendung. Die Abgrenzung erfolgt stets einzelfallorientiert unter Berücksichtigung der Motive, der Umstände sowie der Auswirkungen der Handlung.
In welchem Verhältnis steht das Schikaneverbot zu Treu und Glauben (§ 242 BGB)?
Das Schikaneverbot nach § 226 BGB und der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ergänzen und überschneiden sich teilweise. Während § 242 BGB als allgemeiner Grundsatz jede Rechtsausübung verbietet, die gegen das Gebot von Treu und Glauben verstößt, ist § 226 BGB eine spezielle Ausprägung, die die bewusste, grundlose Schädigung eines anderen untersagt. Beide Normen können kumulativ angewendet werden, jedoch stellt das Schikaneverbot strengere Anforderungen an die nachzuweisende Schädigungsabsicht. In der praxisnahen Anwendung prüfen Gerichte meist zunächst die allgemeine Unzulässigkeit nach § 242 BGB und konkretisieren anschließend, ob zusätzlich eine Schikane im Sinne des § 226 BGB vorliegt.
Können sich auch juristische Personen auf das Schikaneverbot berufen?
Ja, das Schikaneverbot gilt unabhängig von der Rechtsform des Beteiligten und schützt sowohl natürliche als auch juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften. Auch Vereine, Unternehmen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts können Opfer schikanöser Rechtsausübung sein und sich dementsprechend auf § 226 BGB berufen. Ebenso kann eine juristische Person Schikane begehen, etwa durch die Organvertreter, wobei dann die schikanöse Absicht der jeweiligen handelnden Personen zugerechnet wird. In gerichtlichen Verfahren wird individuell geprüft, ob das Verhalten im Einzelfall tatsächlich auf die absichtsvolle Benachteiligung des betroffenen Rechtsträgers abzielt.