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Scheinurteil (-entscheidung)

Begriff und Einordnung

Ein Scheinurteil (auch: Scheinentscheidung) ist ein Schriftstück, das den äußeren Eindruck einer gerichtlichen Entscheidung vermittelt, rechtlich jedoch nicht als solche existiert. Es fehlt ihm eine grundlegende Voraussetzung für die Entstehung einer wirksamen Entscheidung, etwa weil es nicht von einem zuständigen Gericht stammt, nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form zustande gekommen ist oder als Dokument verfälscht wurde. Ein Scheinurteil entfaltet keine rechtlichen Wirkungen: Es wird nicht rechtskräftig, löst keine Fristen aus und ist nicht vollstreckbar.

Merkmale und Abgrenzung

Wesensmerkmale

Prägend für ein Scheinurteil ist das Fehlen eines unverzichtbaren Elements der Entscheidungshoheit oder -form. Das kann die fehlende Zuständigkeit eines staatlichen Gerichts, ein gravierender Formmangel oder eine Täuschung über die Herkunft sein. Entscheidend ist, dass nicht lediglich ein Fehler vorliegt, sondern ein derart schwerer Mangel, dass die Entscheidung rechtlich gar nicht entstanden ist.

Abgrenzung zum fehlerhaften, aber wirksamen Urteil

Viele Fehler in gerichtlichen Entscheidungen führen nicht zur Nichtigkeit, sondern machen die Entscheidung nur anfechtbar. Dazu zählen etwa inhaltliche Unrichtigkeiten, Begründungsmängel oder einfache Verfahrensfehler. Ein Scheinurteil liegt demgegenüber nur bei besonders schwerwiegenden Mängeln vor, die die Existenz der Entscheidung selbst in Frage stellen.

Entstehungsgründe

Fehlende Entscheidungsbefugnis

Ein Scheinurteil kann entstehen, wenn die Entscheidung nicht von einem staatlichen Gericht oder nicht von dem dafür zuständigen Spruchkörper getroffen worden ist. Darunter fallen etwa Schriftstücke, die von privaten Stellen als „Urteil“ ausgestaltet werden, Entscheidungen nicht bestehender „Gerichte“ oder Handlungen von Bediensteten ohne Entscheidungsbefugnis.

Formmängel von besonderem Gewicht

Gerichtliche Entscheidungen unterliegen bestimmten Formvorgaben. Fehlt ein für die Existenz maßgebliches Formerfordernis vollständig, kann eine Scheinentscheidung vorliegen. Beispiele sind das völlige Fehlen einer erforderlichen Unterzeichnung durch die entscheidenden Personen oder eine unterbliebene Bekanntgabe in der vorgeschriebenen Form, wenn es gerade auf diese Form für das Entstehen der Entscheidung ankommt.

Personelle und organisatorische Mängel

Wird eine Entscheidung von einem nicht vorschriftsmäßig besetzten Gericht getroffen oder von Personen erlassen, die nicht an der Entscheidung mitwirken durften, kann dies – je nach Schwere des Verstoßes – zur Nichtigkeit führen. Maßgeblich ist, ob die rechtliche Identität des entscheidenden Organs verfehlt wurde.

Gefälschte oder manipulierte Dokumente

Urkunden, die den Anschein eines Urteils erwecken, tatsächlich aber verfälscht, nachträglich abgeändert oder vollständig fingiert sind, sind Scheinurteile. Sie besitzen keine Beweiskraft als gerichtliche Entscheidung und können keine Wirkungen im Verfahren entfalten.

Rechtsfolgen

Nichtigkeit und fehlende Rechtskraft

Ein Scheinurteil ist nichtig. Es gilt, als sei es nie erlassen worden. Es erlangt weder formelle noch materielle Rechtskraft und bindet daher weder Parteien noch Gerichte oder Behörden.

Keine Vollstreckbarkeit

Aus einem Scheinurteil kann nicht vollstreckt werden. Bereits eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen, die ausschließlich auf einem solchen Dokument beruhen, sind rechtlich unbeachtlich.

Fristen und Rechtsmittelsystem

Da ein Scheinurteil rechtlich nicht existiert, setzt es keine Fristen in Gang. Die Nichtigkeit wird von Amts wegen berücksichtigt und kann grundsätzlich jederzeit geltend gemacht werden.

Berichtigung und Dokumentation

Wo Scheinentscheidungen in Akten oder Registern aufscheinen, werden sie regelmäßig als nichtig behandelt und entsprechend berichtigt oder aus dem Verkehr gezogen. Gegebenenfalls wird eine wirksame Entscheidung gesondert erlassen.

Prüfung und Feststellung

Erkennbarkeit im Einzelfall

Ob ein Scheinurteil vorliegt, hängt von den Umständen ab. Offensichtlich ist dies etwa bei gefälschten Schriftstücken oder bei Dokumenten nichtstaatlicher Stellen. In anderen Fällen ist die Beurteilung komplexer, insbesondere wenn es um die Frage geht, ob ein Formmangel die Existenz der Entscheidung oder lediglich deren Anfechtbarkeit betrifft.

Rolle von Gerichten, Behörden und Vollstreckungsorganen

Gerichte, Behörden und Vollstreckungsorgane berücksichtigen Nichtigkeit eigenständig. Sie prüfen, ob die vorgelegte Entscheidung überhaupt rechtlich entstanden ist, und verfahren nur auf Grundlage wirksamer Entscheidungen weiter.

Abwandlungen und verwandte Begriffe

Der Ausdruck „Scheinentscheidung“ wird auch für nichtige Beschlüsse verwendet. Verwandt ist der Begriff des „Scheinverwaltungsakts“ im Verwaltungsrecht, der eine vergleichbare Konstellation in der Verwaltungspraxis beschreibt. Schiedssprüche sind keine Urteile staatlicher Gerichte; sie sind eigene Entscheidungsformen mit separaten Wirksamkeits- und Vollstreckungsvoraussetzungen und daher nicht ohne Weiteres als Scheinurteil einzuordnen.

Praxisrelevante Beispiele

  • Ein Dokument mit der Bezeichnung „Urteil“, das von einer privaten Gruppe ohne staatliche Legitimation ausgestellt wurde.
  • Ein Schriftstück, das den Namen eines Gerichts trägt, aber gefälschte Unterschriften enthält.
  • Eine „Entscheidung“, die nicht von dem zuständigen Spruchkörper getroffen wurde, sondern von einer Geschäftsstelle ohne Entscheidungsbefugnis gefertigt wurde.
  • Ein vermeintliches Urteil, das wegen Ausfalls eines unverzichtbaren Formerfordernisses rechtlich nicht zustande gekommen ist.

Missverständnisse und Grenzen des Begriffs

Nicht jede inhaltlich fragwürdige oder formell fehlerhafte Entscheidung ist ein Scheinurteil. Der Begriff ist auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Entscheidung als solche nicht existiert. Unzufriedenheit mit dem Ergebnis, eine als knapp empfundene Begründung oder einfache Verfahrensfehler genügen hierfür nicht.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt ein Scheinurteil vor?

Ein Scheinurteil liegt vor, wenn ein Schriftstück zwar wie eine gerichtliche Entscheidung aussieht, aber wegen besonders schwerwiegender Mängel rechtlich nie entstanden ist. Das kann bei fehlender Entscheidungsbefugnis, gravierenden Formdefiziten oder bei gefälschten Dokumenten der Fall sein.

Ist ein Scheinurteil automatisch nichtig?

Ja. Ein Scheinurteil ist von Anfang an unwirksam. Es entfaltet keine Bindungswirkung, wird nicht rechtskräftig und gilt als rechtlich nicht existent.

Lösen Scheinurteile Fristen aus?

Nein. Weil Scheinurteile keine wirksamen Entscheidungen sind, setzen sie keine Fristen in Gang. Zeitabläufe knüpfen an wirksam erlassene Entscheidungen an.

Kann aus einem Scheinurteil vollstreckt werden?

Nein. Vollstreckung setzt eine wirksame, vollstreckbare Entscheidung voraus. Scheinurteile tragen keine Vollstreckung, bereits eingeleitete Maßnahmen haben keine rechtliche Grundlage.

Wie wird die Nichtigkeit eines Scheinurteils berücksichtigt?

Die Nichtigkeit wird von Amts wegen beachtet. Gerichte, Behörden und Vollstreckungsorgane verfahren so, als existiere die Entscheidung nicht, und korrigieren entsprechende Akten- oder Registereinträge.

Gibt es Scheinurteile in allen Verfahrensarten?

Das Phänomen kann in verschiedenen Verfahrensarten auftreten. Maßgeblich ist stets, ob die grundlegenden Voraussetzungen für das Entstehen einer Entscheidung des zuständigen Organs erfüllt wurden.

Reicht ein Formfehler aus, um ein Scheinurteil anzunehmen?

Nur besonders schwere Formmängel führen zur Nichtigkeit, etwa wenn ein unverzichtbares Formerfordernis vollständig fehlt. Gewöhnliche Form- oder Begründungsmängel machen Entscheidungen in der Regel lediglich anfechtbar.

Ist ein Schiedsspruch ein Scheinurteil?

Nein. Ein Schiedsspruch ist eine eigene Entscheidungsform außerhalb staatlicher Gerichtsbarkeit. Er ist kein Urteil eines staatlichen Gerichts und deshalb kein Scheinurteil; seine Wirksamkeit richtet sich nach eigenständigen Regeln.