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reservatio mentalis


Begriff und Definition von „reservatio mentalis“

Die reservatio mentalis (lateinisch: „geistiger Vorbehalt“) ist ein Begriff aus dem Bereich des Rechts und der Moralphilosophie, der eine intellektuelle Einschränkung oder einen innerlich vorgenommenen Vorbehalt bei einer Willenserklärung beschreibt. Dabei stimmt die geäußerte Erklärung nicht mit dem inneren Willen überein, weil der Erklärende sich im Moment der Willensäußerung einen unausgesprochenen Vorbehalt vorbehält. Dieser Vorbehalt bleibt dem Empfänger der Erklärung verborgen.

Historischer Ursprung und Entwicklung

Die reservatio mentalis stammt ursprünglich aus dem kanonischen Recht des Mittelalters, wo sie im Kontext der Beichtpraxis und der moraltheologischen Reflexion über die Wahrheitspflicht in der Kommunikation diskutiert wurde. Im Zuge der Entwicklung des allgemeinen Vertragsrechts erlangte das Konzept in verschiedenen Rechtssystemen Bedeutung, insbesondere bei der Beurteilung von Erklärungen und Vereinbarungen im Privatrecht.

Rechtliche Einordnung der reservatio mentalis

Bedeutung im Zivilrecht

Im Zivilrecht findet die reservatio mentalis besondere Berücksichtigung im Zusammenhang mit Willenserklärungen, die beispielsweise für das Zustandekommen von Verträgen essenziell sind. Rechtsgrundlage ist im deutschen Recht vor allem das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).

Ungültigkeit der konkludenten reservatio mentalis

Eine reservatio mentalis ist im Privatrecht im Regelfall unbeachtlich, sofern sie dem Erklärungsempfänger verborgen bleibt. Nach § 116 Satz 1 BGB gilt eine empfangsbedürftige Willenserklärung grundsätzlich auch dann, wenn der Erklärende insgeheim einen Vorbehalt fasst, diesen aber nicht offenbart. Das Gesetz schützt somit das berechtigte Vertrauen des Erklärungsempfängers auf den äußeren Erklärungswert der Willensäußerung (Vertrauensprinzip).

Offener und geheimer Vorbehalt

Es ist zu unterscheiden zwischen:

  • Geheimer Vorbehalt (reservatio mentalis): Der Vorbehalt ist nur im Inneren des Erklärenden vorhanden. Die Erklärung ist grundsätzlich wirksam, sofern nicht besondere Umstände hinzukommen.
  • Offener Vorbehalt: Der Erklärungsempfänger erkennt, dass die Erklärung nur mit Vorbehalt abgegeben wird. Dies kann die Wirksamkeit der Erklärung beeinflussen.

Sonderfälle: Arglist und Anfechtung

Liegt durch die reservatio mentalis eine Täuschung im Sinne des § 123 BGB vor, weil der Erklärende absichtlich seine wahre Absicht verschleiert, kann der getäuschte Empfänger die Erklärung anfechten. Der Erklärende macht sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig.

Bedeutung im Strafrecht

Im Strafrecht spielt die reservatio mentalis insbesondere im Zusammenhang mit Tatbeständen der falschen Aussage (z.B. Meineid, falsche Versicherung an Eides statt) und des Betrugs eine Rolle. Eine vorsätzliche Abweichung zwischen geäußerter Willenserklärung und innerem Vorbehalt kann strafrechtlich relevant sein, wenn dadurch andere getäuscht und geschädigt werden.

Falsche eidesstattliche Versicherung und Meineid

Wer mit reservatio mentalis eine eidesstattliche Erklärung abgibt, meint damit nicht das, was tatsächlich ausgesagt wird. Nach herrschender Ansicht kommt es allein auf die objektiv geäußerte Willenserklärung an – der innere Vorbehalt ist unbeachtlich. Gleichwohl kann die entsprechende Tat auch strafrechtlich geahndet werden, da ein Vorsatz zur Täuschung vorliegt.

Bedeutung im öffentlichen Recht

Im öffentlichen Recht wird die reservatio mentalis zumeist im Zusammenhang mit der Abgabe von Willenserklärungen gegenüber Behörden oder bei amtlichen Aussagen betrachtet. Auch hier gilt das Prinzip, dass der innere Vorbehalt einer Erklärung keine Wirkung entfaltet, sofern er nicht offenbart wird.

Verwaltungsrechtliche Auswirkungen

Im Verwaltungsrecht kann eine Erklärung mit reservatio mentalis zur Folge haben, dass die Abgabe einer wirksamen Willenserklärung bejaht wird, die an der Wirksamkeit nach außen nicht durch die reservatio mentalis gehindert wird. Es bleibt im Grundsatz beim Schutz des Vertrauens im Rechtsverkehr.

Moralphilosophische und kanonische Betrachtung

Entwicklung in der Moraltheologie

Die Diskussion um die reservatio mentalis hat ihren Ursprung in der Moralphilosophie und Theologie, insbesondere mit Bezug auf die Pflicht zur Wahrhaftigkeit. In den Diskursen der Scholastik und der katholischen Moraltheologie wurde zwischen erlaubter und unerlaubter reservatio mentalis unterschieden:

  • Enge reservatio mentalis: Ein Teil der Erklärung wird bewusst verschwiegen, ohne Chance für den Empfänger, diesen Teil zu erfragen oder zu erkennen.
  • Weite reservatio mentalis: Es wird vorausgesetzt, dass der Empfänger den Vorbehalt erfragen kann oder erkennbar ist.

Die katholische Kirche lehnte insbesondere die enge reservatio mentalis weitgehend ab, da sie als Täuschung und Lüge angesehen wird. Die moralphilosophische Diskussion stellt die reservatio mentalis bis heute als problematisches Verfahren zur Wahrung der Wahrheitspflicht dar.

Internationale Betrachtung und Rechtsvergleich

Internationale Rechtsordnungen gehen unterschiedlich mit der reservatio mentalis um, auch wenn das Prinzip des Vertrauensschutzes (Willenserklärung nach ihrem objektiven Empfängerhorizont) vielerorts Anwendung findet. Im anglo-amerikanischen Common Law wird beispielsweise die „mental reservation“ als unbeachtlich angesehen, sofern der Erklärungsempfänger von dem Vorbehalt nichts weiß. Das schließt auch mündliche Vereinbarungen und Statements im täglichen Rechtsgeschäft ein.

Zusammenfassung und rechtliche Würdigung

Die reservatio mentalis stellt einen verborgenen Vorbehalt bei der Abgabe von Willenserklärungen dar. Nach deutschem Zivilrecht bleibt sie im Rahmen empfangsbedürftiger Erklärungen grundsätzlich unbeachtlich, solange der Empfänger von dem Vorbehalt keine Kenntnis hat. Sie führt daher im Regelfall weder zur Unwirksamkeit noch zur Nichtigkeit einer Willenserklärung. Ausnahmen bestehen insbesondere bei arglistiger Täuschung oder strafbaren Handlungen. Die reservatio mentalis wird rechtlich im Lichte des Vertrauensschutzes beurteilt, was einen wesentlichen Beitrag zur Rechtssicherheit im Rechtsverkehr leistet.


Dieser Artikel dient der umfassenden Information über den Begriff reservatio mentalis und stellt keine individuelle Rechtsberatung dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen kann die Anwendung der reservatio mentalis im deutschen Vertragsrecht haben?

Im deutschen Vertragsrecht kann die Anwendung der reservatio mentalis, also der heimliche Vorbehalt beim Erklärenden, erhebliche Konsequenzen für die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts haben. Gemäß § 116 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung nicht allein dadurch unwirksam, dass sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Das Gesetz legt den Schwerpunkt also auf den objektiven Empfängerhorizont und schützt damit das Vertrauen des Erklärungsempfängers. Die Willenserklärung gilt grundsätzlich als wirksam, auch wenn der innere Wille nicht mit dem objektiv Erklärten übereinstimmt – solange der Empfänger den Vorbehalt nicht kannte oder kennen musste. Erkennt oder muss der Empfänger jedoch den Vorbehalt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) kennen, ist die Erklärung nichtig (§ 116 Satz 2 BGB). Daraus folgt, dass insbesondere im geschäftlichen Verkehr eine sorgfältige Analyse der Umstände für die Wirksamkeit eines Vertrags unumgänglich ist, falls eine reservatio mentalis vermutet oder behauptet wird.

Wie wird die reservatio mentalis von anderen Willensmängeln abgegrenzt?

Die reservatio mentalis unterscheidet sich maßgeblich von anderen Willensmängeln wie dem Scheingeschäft (§ 117 BGB), der Scherzerklärung (§ 118 BGB) oder der arglistigen Täuschung (§ 123 BGB). Bei der reservatio mentalis liegt ein einseitiger, dem anderen Teil nicht bekannter, geheimer Vorbehalt vor, während das Scheingeschäft von beiden Parteien zum Schein abgeschlossen wird. Die Scherzerklärung setzt voraus, dass dem Erklärenden bewusst ist, dass der Erklärungsempfänger die Nichternstlichkeit der Erklärung erkennt. Bei der arglistigen Täuschung ist eine bewusste Irreführung des Vertragspartners mit dem Ziel, einen Irrtum hervorzurufen, entscheidend. Die reservatio mentalis rückt demgegenüber den subjektiven Vorbehalt des Erklärenden in den Mittelpunkt, der für die Wirksamkeit zentral ist, sofern der Vorbehalt dem Erklärungsempfänger unbekannt bleibt.

Wie kann ein Empfänger die Unwirksamkeit einer Willenserklärung wegen reservatio mentalis nachweisen?

Der Nachweis der Kenntnis oder des Kennenmüssens des Vorbehalts durch den Erklärungsempfänger ist eine komplexe Beweisfrage. Hierzu können objektive Anhaltspunkte aus dem Verhalten des Erklärenden, aber auch aus dem Kontext der Erklärung herangezogen werden. Weist der Empfänger beispielsweise durch Zeugenaussagen, schriftliche Korrespondenz oder erschlossene Umstände nach, dass er vom inneren Vorbehalt Kenntnis hatte, kann er sich gemäß § 116 Satz 2 BGB gegenüber dem Erklärenden auf die Unwirksamkeit der Willenserklärung berufen. In der Praxis muss detailliert dargelegt werden, welche konkreten Umstände vorlagen, aus denen sich die Kenntnis oder das Kennenmüssen ergibt. Die Rechtsprechung verlangt strenge Maßstäbe und setzt voraus, dass Zweifel zulasten desjenigen gehen, der sich auf die reservatio mentalis beruft.

Welche praktische Bedeutung hat die reservatio mentalis im Geschäftsverkehr?

Im modernen Geschäftsverkehr spielt die reservatio mentalis eine geringe Rolle, da die meisten Verträge auf Vertrauen und Offenheit basieren. Dennoch ist sie relevant, wenn Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer Erklärung bestehen oder Parteien befürchten, dass ihr Gegenüber insgeheim Vorbehalte hat. Besonders in Fällen, in denen wirtschaftliche Interessen tangiert werden und große Summen oder strategische Entscheidungen im Raum stehen, kann die Frage eines unverlautbarten inneren Vorbehalts zu Streitigkeiten führen. Die praktische Bedeutung liegt somit vor allem in der Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien und dem Schutz des verkehrstypischen Vertrauens auf die Erklärungen.

Ist eine Anfechtung der Willenserklärung wegen reservatio mentalis möglich?

Eine Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB wegen eines geheimen Vorbehalts ist in der Regel ausgeschlossen. Der Erklärende hat den tatsächlichen Inhalt seiner Erklärung ja gerade gewollt, wenn auch nicht ernst gemeint. Die Anfechtungsgründe der §§ 119 und 120 BGB erfassen nicht Fälle der reservatio mentalis, da kein relevanter Irrtum im Sinne des Gesetzes vorliegt. Nur wenn weitere Willensmängel, wie etwa eine Täuschung oder Drohung, hinzutreten, kann eine Anfechtung erwogen werden. Andernfalls bleibt die reservatio mentalis nach dem klaren Wortlaut des § 116 BGB unbeachtlich, sofern der Vorbehalt dem Empfänger verborgen bleibt.

Kann die reservatio mentalis auch im öffentlichen Recht oder im Strafrecht eine Rolle spielen?

Auch im öffentlichen Recht kann eine reservatio mentalis Bedeutung gewinnen, insbesondere bei der Abgabe von Willenserklärungen durch Beamte oder Behörden. Hier kann ein geheimer Vorbehalt etwa in einem Verwaltungsakt grundsätzlich unbeachtlich sein, solange der Adressat ihn nicht kennt oder kennen muss. Im Strafrecht kommt die reservatio mentalis beispielsweise bei Einwilligungserklärungen in Betracht, etwa wenn eine Einwilligung in eine ärztliche Behandlung unter einem nicht erklärten Vorbehalt steht. Auch hier gilt, dass unbeachtliche Willenserklärungen aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich wirksam sind. Insofern schützt die Rechtsordnung regelmäßig die Erwartungssicherheit und nicht die verdeckten Absichten des Einzelnen.