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renvoi


Begriff und Bedeutung des Renvoi im internationalen Privatrecht

Der Begriff Renvoi (französisch für „Rückverweisung“ oder „Zurückverweisung“) bezeichnet ein komplexes Rechtsinstitut des internationalen Privatrechts (IPR), das auf die Kollisionsnormen verschiedener Rechtsordnungen Anwendung findet. Der Renvoi tritt insbesondere dann in Erscheinung, wenn nach den IPR-Regeln eines Staates nicht das eigene, sondern das Recht eines anderen Staates für einen bestimmten Sachverhalt zur Anwendung gelangt – und dieses fremde Recht wiederum seinerseits auf die Kollisionsnormen verweist, die entweder zurück auf das Erstgericht (Renvoi im engeren Sinne) oder auf die Rechtsordnung eines dritten Staates (Weiterverweisung) weisen.

Historische Entwicklung und Begriffserklärung

Das Renvoi-Prinzip entstand im 19. Jahrhundert im Zuge der zunehmenden internationalen Beziehungen und der Notwendigkeit, für grenzüberschreitende Sachverhalte einheitliche rechtliche Lösungen zu schaffen. Der Begriff wurde maßgeblich durch die Rechtsprechung in Frankreich (S. Forgo-Entscheidung) und später durch die englische Rechtsprechung geprägt.

Das Renvoi soll Wertungswidersprüche zwischen verschiedenen Rechtsordnungen abschwächen und eine angemessene Konfliktlösung bei Sachverhalten mit Auslandsbezug ermöglichen. Es verfolgt das Ziel, internationale Entscheidungsharmonie zu fördern, Rechtsfindung zu vereinheitlichen und Rechtsmissbrauch vorzubeugen.

Arten des Renvoi

Einfacher Renvoi (Rückverweisung)

Beim einfachen Renvoi verweist die ausländische Rechtsordnung, auf die die Kollisionsnormen des Erststaates verweisen, mit ihren eigenen Kollisionsnormen zurück auf das Recht des Erststaates. In diesem Fall steht das angerufene Gericht vor der Frage, ob es der Rückverweisung folgt und somit das eigene nationale materielle Recht anwendet.

Beispiel

Deutsches IPR verweist bei der Nachlassregelung auf das Recht des Staates, dem der Verstorbene angehörte. Angenommen, dieser Staat verweist seinerseits auf das Recht des Staates, in dem der Nachlass belegen ist (etwa Deutschland), zurück. Die Frage ist nun, ob das Gericht die Rückverweisung akzeptiert und deutsches materielles Recht anwendet.

Doppelter Renvoi (Weiterverweisung)

Beim doppelten Renvoi verweist die ausländische Rechtsordnung mit ihren eigenen Kollisionsnormen nicht auf das Recht des Erststaates, sondern beispielsweise auf das Recht eines dritten Staates. Das Gericht muss entscheiden, ob es dieser Weiterverweisung folgt oder bei der ersten Verweisung bleibt.

Beispiel

Deutsches Recht verweist auf französisches Recht, französisches IPR verweist auf italienisches Recht. Es stellt sich die Frage, ob das deutsche Gericht italienisches Recht anwendet.

Totaler und partieller Renvoi

Der totale Renvoi bezieht sich auf die Übernahme aller Regelungen, einschließlich der Kollisionsnormen und des materiellen Rechts einer fremden Rechtsordnung. Der partielle Renvoi meint die Übernahme nur bestimmter Regeln, etwa ausschließlich der materiellen Normen.

Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich

Kollisionsrechtliche Ausgangslage

Das internationale Privatrecht bestimmt das auf einen Sachverhalt anwendbare Recht, wenn eine Verbindung zu mehr als einer Rechtsordnung besteht. Der Renvoi spielt vor allem im Bereich des Familienrechts (insbesondere Ehe-, Scheidungs- und Abstammungsrecht), Erbrechts und Sachenrechts (insbesondere bei Immobilien) eine Rolle.

Die Anwendbarkeit des Renvoi hängt von der jeweiligen nationalen Kollisionsnorm ab. Viele Staaten haben in ihren internationalen Privatrechtsvorschriften festgelegt, ob und in welchem Umfang Renvoi zu beachten ist.

Regelungen im deutschen Recht

Das deutsche Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) regelt in Art. 4 EGBGB, dass eine Rück- oder Weiterverweisung grundsätzlich zu beachten ist, es sei denn, das Gesetz ordnet abweichendes ausdrücklich an. Beispielsweise wird im Erbrecht (vor Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung) dem Renvoi traditionell Raum gewährt, während im Gesellschaftsrecht oder beim Namensrecht regelmäßig kein Renvoi stattfindet.

Internationale Übereinkommen und europäisches Recht

Mit der zunehmenden Vereinheitlichung internationaler Kollisionsregeln, insbesondere durch EU-Verordnungen (wie der Rom I- und Rom II-Verordnung sowie der Europäischen Erbrechtsverordnung (EU 650/2012)), wurden Rück- und Weiterverweisungen grundsätzlich ausgeschlossen (siehe z. B. Art. 20 Rom I-VO). Die Verordnungen ordnen explizit den Ausschluss des Renvoi an, sofern nicht anders geregelt.

Ausnahmen

Einzelne Staaten (z. B. Großbritannien und einige Common-Law-Länder) haben eine restriktive Handhabung des Renvoi, sie wenden das Renvoi-Prinzip meist auf wenige Rechtsbereiche an oder lehnen es ganz ab.

Zweck, Funktionen und Probleme des Renvoi

Funktion des Renvoi

Das Ziel des Renvoi besteht darin, Wertungswidersprüche zu verhindern, die dadurch entstehen, dass nationale Gerichte materielle Normen fremder Rechtsordnungen anwenden sollen, während die betreffenden Staaten selbst andere Anknüpfungspunkte vorsehen. Der Renvoi trägt dazu bei, widersprüchliche Entscheidungen und sogenannte „Rechtsanomien“ zu vermeiden, die sich aus divergenen Kollisionsnormen ergeben können.

Kritische Würdigung und Probleme

Das Renvoi-Prinzip ist hoch umstritten. Zu den kritisierten Aspekten zählen:

  • Rechtsunsicherheit: Durch die Berücksichtigung fremder Kollisionsnormen steigt die Komplexität und Unvorhersehbarkeit.
  • Unüberschaubarkeit der Rechtsanwendung: In manchen Fällen führt die Anwendung der Renvoi-Regeln zu einer „Endlosschleife“ von Verweisungen.
  • Ungleichbehandlung: Je nach Handhabung können gleiche Fälle in verschiedenen Staaten unterschiedlich entschieden werden.

Zugleich wird Renvoi verteidigt mit dem Argument, dass es internationale Harmonie und den Willen der ausländischen Rechtsordnung respektiere.

Praktische Bedeutung und Anwendungsfälle

Erbrecht

Das Renvoi ist klassischerweise beim internationalen Erbrecht relevant, insbesondere wenn sich Nachlassvermögen in mehreren Ländern befindet. Vor Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung galt beispielsweise nach deutschem Recht im Regelfall das Recht des Staates der Staatsangehörigkeit, während etwa das englische Recht für unbewegliches Vermögen das Belegenheitsprinzip vorsieht. Hier konnte es durch Renvoi zum Rückgriff auf das deutsche Recht kommen.

Familienrecht

Im Bereich des Eherechts und des Kindschaftsrechts kann das Renvoi-Prinzip gerade bei Eheschließung und Scheidung eine Rolle spielen, wobei etwa die Wirksamkeit einer Ehe oder das Abstammungsverhältnis zu prüfen ist.

Sachenrecht und Immobilien

Im internationalen Sachenrecht, insbesondere im Hinblick auf Immobilien, ist der Renvoi relevant, da viele Staaten beim Erwerb und der Übertragung von Grundeigentum auf das Belegenheitsprinzip abstellen.

Fazit

Der Renvoi ist ein zentrales, aber umstrittenes Instrument des internationalen Privatrechts. Er wird heute zunehmend durch international vereinheitlichte Kollisionsnormen und europäische Verordnungen, die den Renvoi regelmäßig ausschließen, zurückgedrängt. Wo er noch relevant ist, hilft er, internationale Entscheidungsharmonie zu ermöglichen und Wertungswidersprüche zu reduzieren. Seine Anwendung bringt jedoch erhebliche Herausforderungen in Bezug auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit mit sich.


Literaturhinweise

  • Münchener Kommentar zum BGB, Internationales Privatrecht
  • Palandt, BGB, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB)
  • Rauscher, Internationales Privatrecht: Kommentar zu EGBGB, EuIPRVO
  • Kropholler/v. Hein, Internationales Privatrecht

Weiterführende Verweise

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt das Renvoi im internationalen Privatrecht?

Das Renvoi (frz. „Rückverweisung“ oder „Weiterverweisung“) ist ein wichtiger Mechanismus innerhalb des internationalen Privatrechts (IPR), insbesondere bei der Anwendung des Kollisionsrechts. Es tritt auf, wenn das Kollisionsrecht eines Staates auf das Recht eines anderen Staates verweist, dieses ausländische Recht jedoch wiederum auf das Recht des erstverweisenden Staates oder eines dritten Staates verweist. Die Rolle des Renvoi besteht darin, Rechtszersplitterungen und unklare Ergebnisse bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu vermeiden; er sorgt dafür, dass nicht widersprüchliche Rechtsfolgen eintreten, wenn mehrere Rechtsordnungen miteinander kollidieren. Durch die Annahme oder Zurückweisung des Renvoi-Mechanismus kann die Angleichung der angewandten Rechtsordnung an die von anderen Ländern vorgenommenen Anknüpfungen erreicht werden. Dies fördert die internationale Einheitlichkeit und Kohärenz juristischer Entscheidungen, wobei einzelne Rechtsordnungen unterschiedlich mit dem Renvoi umgehen: Manche Länder lehnen Renvoi ab, andere erkennen ihn systematisch an.

Wann wird Renvoi im deutschen Recht berücksichtigt?

Im deutschen Recht findet das Renvoi bei bestimmten Sachverhalten Anwendung, insbesondere wenn deutsches Kollisionsrecht auf ausländisches Recht verweist, dieses ausländische IPR jedoch wiederum auf das deutsche Recht zurückverweist (sogenannte Rückverweisung) oder weiter auf das Recht eines Drittstaates verweist (Weiterverweisung). § 4 Absatz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) kodifiziert die Berücksichtigung des Renvoi: Bei Rückverweisung auf das deutsche Recht wird das deutsche materielle Recht anstelle des ausländischen Rechts angewandt. Für die Weiterverweisung wird diese nur berücksichtigt, wenn die Rechtsordnung des Drittstaates ebenfalls Renvoi zulässt und auf das relevante Rechtsgebiet anwendbar ist. Allerdings gilt im deutschen Recht, dass Renvoi primär im Bereich des Sachenrechts und des Erb- und Familienrechts Bedeutung hat, während in anderen Bereichen wie dem Vertragsrecht (§ 3 EGBGB) und im Bereich des internationalen Gesellschaftsrechts der Renvoi grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Welche Arten des Renvoi gibt es und wie unterscheiden sie sich?

Im internationalen Privatrecht unterscheidet man zwischen der einfachen Rückverweisung (single renvoi) und der Weiterverweisung (double renvoi oder ausländische Verweisung). Bei der Rückverweisung verweist das ausländische Kollisionsrecht ausdrücklich auf das Recht des Ursprungsstaates zurück, sodass letztlich das nationale materielle Recht angewendet wird. Bei der Weiterverweisung hingegen verweist das ausländische Kollisionsrecht nicht auf den Ursprungsstaat, sondern weiter auf das Recht eines dritten Staates. Lediglich im Falle der Rückverweisung sieht das deutsche Recht in der Regel deren Annahme vor, während die Weiterverweisung nur in Ausnahmefällen berücksichtigt wird – vorausgesetzt, das Recht des Drittstaates akzeptiert ebenfalls das Renvoi-Prinzip. Die Differenzierung ist von praktischer Bedeutung, da sie beeinflusst, welches materielle Recht letztendlich auf den internationalen Sachverhalt angewendet wird.

Welche internationalen Regelungen existieren zum Umgang mit Renvoi?

Internationale Regelungen zum Renvoi sind hauptsächlich in multilateralen Übereinkommen, einzelnen bilateralen Verträgen und im EU-Recht zu finden. Beispielsweise schließt die Rom I- und Rom II-Verordnung der EU das Renvoi explizit aus, indem sie festschreiben, dass auf das materielle Recht und nicht auf das Kollisionsrecht des betreffenden Staates abzustellen ist (siehe Art. 20 Rom I-VO und Art. 24 Rom II-VO). Im Haager Minderjährigen-Schutzübereinkommen oder dem Haager Erwachsenen-Schutzübereinkommen wird hingegen auf die Anknüpfung nach materiellem Recht Wert gelegt, sodass der Renvoi nur bedingt relevant ist. Die Vielfalt internationaler Regelungen zeigt, dass es weltweit keine einheitliche Handhabung gibt, und nationale Rechtsordnungen mitunter sehr unterschiedlich auf das Prinzip des Renvoi reagieren.

Welche Probleme können bei Anwendung des Renvoi entstehen?

Die Anwendung des Renvoi kann erhebliche praktische und dogmatische Probleme verursachen. Insbesondere ist oft unklar, ob und wie die Rück- oder Weiterverweisung zu berücksichtigen ist. Dies kann zu sogenanntem „Kollisionsrechtsspiralen“ führen, wenn mehrere Staaten in einer Kette jeweils ihr eigenes oder das Kollisionsrecht anderer Staaten anwenden wollen. Dieses „Ping-Pong“-Phänomen erschwert die schnelle, klare Entscheidung und kann die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Darüber hinaus entstehen Auslegungsprobleme, wenn unklar bleibt, ob die ausländische Verweisung tatsächlich eine Rück- oder Weiterverweisung nach deutschem Verständnis darstellt. Schließlich kommt es häufig vor, dass ausländisches Recht kein ausdrückliches Kollisionsrecht kennt oder sich die nationalen Kollisionsnormen nicht direkt aufeinander beziehen – dies erschwert die rechtssichere Anwendung zusätzlich.

In welchen Rechtsgebieten spielt Renvoi in Deutschland eine praktische Rolle?

Praktische Relevanz besitzt das Renvoi-Prinzip in Deutschland insbesondere im Familienrecht, im Erbrecht sowie teilweise im Sachenrecht bei Grundstücksfragen. Ein klassisches Beispiel stellt die Bestimmung des auf die Testamentsform anwendbaren Rechts (§ 27 EGBGB) dar: Verweist etwa das deutsche Kollisionsrecht auf das Heimatrecht eines ausländischen Erblassers, dessen Recht wiederum auf das Domizilrecht verweist, wird geprüft, ob eine Rückverweisung oder Weiterverweisung vorliegt und ob das deutsche Recht die Verweisung akzeptiert. Entsprechendes kann bei internationalen Ehescheidungen oder Adoptionen relevant werden. Im Gegensatz dazu genießt das Renvoi im Schuldrecht, Gesellschaftsrecht und internationalen Handelsrecht in der Regel keine Bedeutung, da das einschlägige Kollisionsrecht häufig ausdrücklich nur auf das materielle Recht verweist und das Renvoi ausdrücklich ausschließt.

Wie wird Renvoi im Rechtsvergleich gehandhabt?

Die Behandlung des Renvoi unterscheidet sich international stark. Während etwa Deutschland und Frankreich das Renvoi-Prinzip in bestimmten Bereichen anerkennen, lehnen es andere Länder wie die USA und England weitgehend ab oder schränken seine Anwendung streng ein. In England etwa wird das Renvoi nur bei bestimmten Angelegenheiten, etwa im Erb- und Familienrecht, anerkannt, während die USA das Prinzip fast ausnahmslos zurückweisen, um Rechtssicherheit zu wahren. In einigen Rechtsordnungen, wie beispielsweise in Spanien oder Italien, ist das Renvoi ebenfalls anerkannt, aber in Umfang und praktischer Anwendung stark limitiert. Die Divergenzen führen dazu, dass bei grenzüberschreitenden Fällen stets eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen kollisionsrechtlichen Vorschriften notwendig ist, um festzustellen, ob und wie eine Rück- oder Weiterverweisung tatsächlich wirkt.