Verdienstsicherungsklausel: Begriff und Zweck
Eine Verdienstsicherungsklausel ist eine vertragliche Regelung, die das bisherige Einkommen einer beschäftigten Person ganz oder teilweise schützt, wenn es aufgrund betrieblicher oder organisatorischer Änderungen sinken würde. Sie soll Einkommensverluste auffangen, beispielsweise bei einer Versetzung auf eine niedriger bewertete Stelle, einer Umgruppierung, dem Wechsel einer Entgeltordnung oder dem Wegfall von Funktionszulagen. In der Praxis geschieht dies häufig durch eine Ausgleichszulage, einen Garantiebetrag oder einen individuellen Besitzstand, der das frühere Verdienstniveau ganz oder teilweise absichert.
Funktionsweise in Grundzügen
Typisch ist ein Ausgleich zwischen dem bisherigen und dem neuen, niedrigeren Entgelt. Dieser Ausgleich kann als fester Betrag (z. B. Differenz zwischen Alt- und Neuverdienst) oder als prozentualer Schutz (z. B. Sicherung von 80 % des früheren Verdienstes) ausgestaltet sein. Es gibt statische Modelle (feste Summe) und dynamische Modelle (Anpassung an künftige Entgeltentwicklungen). Häufig wird die Sicherung durch Anrechnungsvorbehalte schrittweise abgebaut, etwa indem allgemeine Entgelterhöhungen auf den Ausgleich angerechnet werden, bis der Unterschied aufgezehrt ist.
Typische Anwendungsfälle
- Versetzung oder organisatorische Umstrukturierung mit niedrigerer Stellenbewertung
- Neue oder geänderte Entgeltordnung mit abweichender Eingruppierung
- Wegfall von Funktions-, Erschwernis- oder Leitungszulagen
- Standort- oder Aufgabenwechsel, der zu geringerem Grundentgelt führt
Regelmäßig knüpft die Verdienstsicherung an unveränderte Arbeitszeit an. Wird die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit reduziert, erfolgt die Sicherung häufig anteilig (pro rata). Einzelheiten ergeben sich aus der jeweiligen Klausel.
Rechtliche Einordnung
Regelungsebenen: Vertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag
Verdienstsicherungsklauseln können individuell im Arbeitsvertrag, kollektiv in Betriebsvereinbarungen oder in Tarifverträgen geregelt sein. Treffen mehrere Regelungen zusammen, ist maßgeblich, welche Normen anwendbar sind und in welchem Rangverhältnis sie zueinander stehen. Kollektive Regelungen können individualvertragliche Bestimmungen verdrängen oder begrenzen; umgekehrt kann eine günstigere individualvertragliche Zusage fortgelten, soweit sie nicht wirksam abgelöst wird.
Kontrolle vorformulierter Klauseln
Vorformulierte Vertragsklauseln unterliegen einer gesetzlichen Inhalts- und Transparenzkontrolle. Erforderlich sind klare, verständliche und widerspruchsfreie Regelungen. Intransparente oder überraschende Bestimmungen sowie Regelungen, die das Gleichgewicht der Interessen unangemessen verschieben, können unwirksam sein. Dies betrifft insbesondere komplizierte Berechnungsformeln, unklare Bezugszeiträume und unbestimmte Anrechnungsvorbehalte.
Mitbestimmung und kollektive Vergütungsgrundsätze
Grundsätze der betrieblichen Vergütungsgestaltung unterliegen der Mitbestimmung. Dazu zählen häufig auch Regelungen zur Verdienstsicherung, insbesondere wenn sie Entlohnungsgrundsätze oder Verteilungsfragen betreffen. Betriebsvereinbarungen können Verdienstsicherungen ausgestalten, vereinheitlichen oder an neue Entgeltsysteme anpassen.
Tarifwechsel und Ablösung
Wechsel und Ablösung von Tarifwerken führen oft zu Besitzstands- oder Garantieelementen. Verdienstsicherungsklauseln regeln in solchen Fällen, wie der Übergang erfolgt, welche Beträge gesichert werden und ob sowie wie schnell der Besitzstand durch künftige Erhöhungen abgebaut wird. Zentral sind klare Startwerte, Stichtage und Anrechnungsvorschriften.
Konkurrenz von Regelungen und Günstigkeitsprinzip
Bestehen mehrere einschlägige Regelungen, ist zu klären, welche für die betroffene Person insgesamt günstiger ist. Dieses Abwägen erfolgt normebenenbezogen und bezogen auf das konkrete Regelungsfeld. Pauschale Vergleiche genügen regelmäßig nicht; maßgeblich ist der tatsächliche Vorteil im Einzelfall, etwa durch Höhe und Dauer der Sicherung.
Gestaltungselemente und Varianten
Umfang des gesicherten Verdienstes
Der Begriff „Verdienst“ sollte präzise definiert sein. Er kann umfassen:
- Grundentgelt bzw. Tabellenentgelt
- Funktionale Zulagen, Schicht-, Erschwernis- und Leitungszulagen
- Variable Bestandteile (z. B. Prämien, Provisionen) nach festgelegtem Berechnungsmodus
- Sachbezüge oder sonstige Leistungen, soweit ausdrücklich einbezogen
Zur Ermittlung eines Referenzverdienstes wird oft ein Durchschnitt aus einem bestimmten Zeitraum (z. B. 3, 6 oder 12 Monate) gebildet. Bei variablen Komponenten ist eine transparente Durchschnitts- oder Zielwertbildung üblich.
Dauer, Bedingungen und Beendigung
Verdienstsicherungen können befristet oder unbefristet vereinbart werden. Häufige Beendigungs- oder Anpassungstatbestände sind:
- Wegfall des Sicherungsbedarfs (z. B. Rückkehr zu einer höher bewerteten Tätigkeit)
- Übersteigen des gesicherten Verdienstes durch reguläre Entgeltentwicklungen
- Interne Wechsel, bei denen neue, günstigere Vergütungsbestandteile gewährt werden
- Vereinbarte Degression (stufenweiser Abbau über Zeit)
Anrechnung und Indexierung
Viele Klauseln sehen vor, dass allgemeine Entgelterhöhungen, Höhergruppierungen oder neue Zulagen auf den Sicherungsbetrag angerechnet werden. Dadurch reduziert sich der Ausgleichsbetrag, bis er entfällt. Teilweise werden Anrechnungen durch Mindestgarantien oder Kappungen begrenzt. Eine automatische Indexierung an die Inflation ist unüblich und bedarf ausdrücklicher Regelung.
Arbeitszeitänderungen und Einsatzwechsel
Verdienstsicherung knüpft meist an die bisherige Arbeitszeit an. Bei Teilzeit oder Arbeitszeitreduzierung wird der Sicherungsbetrag häufig anteilig angepasst. Bei Wechsel des Arbeitsbereichs ist maßgeblich, ob der Sicherungstatbestand fortbesteht und wie neue, tätigkeitsbezogene Zulagen einbezogen werden.
Variable Vergütung
Für Provisionen, Boni oder Prämien verwenden Klauseln oft Durchschnittswerte oder Zielgrößen. Üblich sind Referenzzeiträume und Mechanismen zur Bereinigung außergewöhnlicher Ausreißer. Wichtig sind klare Regeln, ob die Sicherung die Zielvergütung, den historischen Durchschnitt oder nur den fixen Anteil absichert.
Nebenleistungen und Altersversorgung
Ob ein Sicherungsbetrag ruhegeldfähig ist oder in betriebliche Versorgungssysteme einfließt, ergibt sich aus den jeweiligen Versorgungsordnungen. Steuer- und sozialversicherungsrechtlich handelt es sich regelmäßig um laufendes Arbeitsentgelt, sofern eine monatliche Ausgleichszulage gezahlt wird.
Abgrenzung zu verwandten Klauseln
- Besitzstandszulage: Sichert einen individuellen historischen Vorteil, häufig als fixer Betrag, der mit der Zeit abgeschmolzen werden kann.
- Ausgleichszulage: Kompensiert konkret den Unterschied zwischen altem und neuem Entgelt; funktional oft Teil der Verdienstsicherung.
- Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt: Betreffen die Gewährung oder Abänderbarkeit von Leistungen; sie ersetzen keine ausdrückliche Verdienstsicherung und können deren Bestand beeinflussen.
- Bonusgarantie: Garantiert variable Vergütung für einen Zeitraum; schützt nicht zwingend den Gesamtverdienst.
- Kurzarbeit: Dient der vorübergehenden Reduktion von Arbeitszeit und Entgelt; staatliche Leistungen und betriebliche Aufstockungen sind von Verdienstsicherungsklauseln zu unterscheiden.
Durchsetzung, Dokumentation und Auslegung
Schriftform und Nachweis
Üblich sind schriftliche Vereinbarungen mit klaren Definitionen zum Referenzverdienst, zum Startzeitpunkt, zur Dauer, zu Anrechnungen und zu Beendigungsgründen. Bei kollektiv geregelten Sicherungen kann eine gesonderte Mitteilung über die individuelle Höhe des Sicherungsbetrags erfolgen.
Auslegung unklarer Klauseln
Unklare oder mehrdeutige Regelungen werden nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen interpretiert. Maßgeblich sind Wortlaut, Systematik, Zweck der Sicherung und die betriebliche Übung. Bei Unklarheiten in vorformulierten Bedingungen können die Zweifel zu Lasten der Verwenderseite gehen.
Ausschlussfristen und Verfall
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können vertraglichen oder kollektiven Ausschlussfristen unterliegen. Solche Fristen sind oft kurz bemessen und erfassen auch Differenzvergütungen aus Verdienstsicherungen. Daneben gelten allgemeine Verjährungsfristen.
Beweisfragen
Für den Nachweis sind regelmäßig relevant: Arbeitsvertrag und Änderungsvereinbarungen, Eingruppierungs- oder Versetzungsmitteilungen, Entgeltabrechnungen, Entgeltordnungen, Betriebsvereinbarungen sowie individuelle Mitteilungen über die Höhe des Sicherungsbetrags.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was umfasst der „Verdienst“ bei einer Verdienstsicherungsklausel?
Der Umfang ergibt sich aus der konkreten Klausel. Er kann nur das Grundentgelt oder zusätzlich Zulagen, Zuschläge und variable Bestandteile einschließen. Häufig wird ein Referenzverdienst aus einem Durchschnittszeitraum festgelegt und ausdrücklich definiert, welche Bestandteile darin enthalten sind.
Gilt eine Verdienstsicherung auch bei Reduzierung der Arbeitszeit?
Viele Regelungen knüpfen an die bisherige Arbeitszeit an. Wird die Arbeitszeit verringert, wird die Sicherung häufig anteilig angepasst. Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus der jeweiligen Vereinbarung und der zugrunde liegenden Systematik.
Dürfen allgemeine Entgelterhöhungen auf den Sicherungsbetrag angerechnet werden?
Häufig sehen Klauseln eine Anrechnung vor, damit sich der Ausgleichsbetrag schrittweise abbaut. Ohne ausdrückliche Anrechnungsregelung bleibt die Sicherung bestehen. Die Details ergeben sich aus der konkreten Anrechnungsbestimmung.
Ist eine Verdienstsicherung zeitlich unbegrenzt?
Es gibt befristete und unbefristete Modelle. Selbst bei unbefristeten Regelungen kann die Sicherung enden, wenn reguläre Entgeltentwicklungen den gesicherten Betrag übersteigen oder definierte Beendigungsgründe eintreten.
Erfasst die Verdienstsicherung variable Vergütung wie Boni oder Provisionen?
Das ist möglich, wenn die Klausel dies vorsieht. Üblich sind Durchschnitts- oder Zielwertregelungen für variable Bestandteile. Ohne ausdrückliche Einbeziehung sind variable Vergütungen häufig nicht Teil der Sicherung.
Wie wirkt sich ein Wechsel der Entgeltordnung auf eine bestehende Sicherung aus?
Bei tariflichen oder betrieblichen Strukturänderungen regeln Übergangs- oder Ablösungsbestimmungen häufig, ob und in welchem Umfang ein Besitzstand erhalten bleibt. Maßgeblich sind Startwerte, Stichtage und vereinbarte Anrechnungen.
Kann eine vereinbarte Verdienstsicherung einseitig geändert oder aufgehoben werden?
Einseitige Änderungen setzen eine entsprechende Änderungsbefugnis oder eine wirksame Ablösung durch eine höher- oder gleichrangige Regelung voraus. Ohne solche Grundlagen bleibt die vereinbarte Sicherung grundsätzlich bestehen.