Religionsgesellschaften: Definition, rechtliche Grundlagen und Bedeutung
Religionsgesellschaften sind Zusammenschlüsse von natürlichen Personen, die sich auf der Basis gemeinsamer religiöser Überzeugungen organisieren. Sie verfolgen vorrangig religiöse Zwecke und genießen in vielen Rechtssystemen besondere rechtliche Anerkennung und Schutz. Im deutschen und internationalen Recht haben Religionsgesellschaften eine eigenständige rechtliche Stellung, die sich durch spezifische Rechte und Pflichten auszeichnet. Der folgende Artikel beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, die Anerkennung, die Rechte und Pflichten sowie die Auswirkungen auf Gesellschaft und Staat.
Begriff und Abgrenzung
Definition
Der Begriff der Religionsgesellschaft bezeichnet Organisationen, deren Hauptzweck die Pflege einer bestimmten Religion ist. Unterscheidungskriterien zu anderen Zusammenschlüssen wie philosophischen oder weltanschaulichen Gemeinschaften liegen vor allem in den religiösen Zielsetzungen.
Abgrenzung zu Religionsgemeinschaften
Oft wird zwischen „Religionsgesellschaft“ und „Religionsgemeinschaft“ unterschieden. Während die Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch synonym verwendet werden, erfolgt die juristische Abgrenzung nach der Organisationsform und dem öffentlichen Status. Religionsgesellschaften können Körperschaften, Vereine oder andere rechtsfähige Gebilde sein.
Rechtliche Grundlagen in Deutschland
Verfassungsrechtlicher Status
Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die Religionsfreiheit und damit die Möglichkeit, sich zu Religionsgesellschaften zu organisieren. Die besondere Stellung von Religionsgesellschaften wird in Artikel 140 GG, in Verbindung mit den Artikeln 136 ff. Weimarer Reichsverfassung (WRV), weiter präzisiert:
- Artikel 137 WRV: Gewährt Religionsgesellschaften freie Vereinigungsfreiheit; sie erwerben durch Mitteilung an die zuständige staatliche Behörde die Rechte einer juristischen Person.
- Artikel 140 GG: Integriert unter anderem die einschlägigen Bestimmungen der WRV in das Grundgesetz.
Rechtspersönlichkeit und Körperschaftsstatus
Religionsgesellschaften gelten als Träger eigener Rechte und Pflichten. Sie können als eingetragene Vereine, Stiftungen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sein:
- Eingetragener Verein (§ 21 BGB): Eine mögliche Organisationsform, bei der der Schwerpunkt auf privatrechtlicher Struktur liegt.
- Körperschaft des öffentlichen Rechts: Nach § 137 Abs. 5 WRV und Landesgesetzen können Religionsgesellschaften auf Antrag diesen Status erhalten, wenn sie „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“.
Die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist insbesondere mit steuerlichen Vorteilen, Selbstverwaltungsrechten und besonderer Stellung im staatlichen Gemeinwesen verbunden.
Rechte und Pflichten
Religionsgesellschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, dürfen:
- Steuern auf Grundlage staatlicher Steuerlisten erheben („Kirchensteuer“)
- Religiösen Unterricht an öffentlichen Schulen organisieren (Art. 7 Abs. 3 GG)
- Geistliche Amtsträger nach eigenen Regeln bestellen und entlassen
- Eigenes Arbeitsrecht ausüben („Tendenzschutz“ § 118 BetrVG, § 9 AGG), wobei diese Rechte regelmäßig im Rahmen des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts ausgestaltet werden.
Gleichzeitig unterliegen Religionsgesellschaften den allgemeinen Gesetzen und haben Verwaltungs- sowie Buchführungspflichten. Ihre Privilegien können im Falle von Rechtsverstößen wieder entzogen werden.
Religionsgesellschaften in anderen Rechtsordnungen
Auch außerhalb Deutschlands kennen viele Staaten spezifische Regelungen für Religionsgesellschaften, wenngleich Unterschiede im Detail bestehen. Im österreichischen Religionsrecht werden beispielsweise anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften nach dem „Religionsfondsgesetz“ geführt. In der Schweiz genießen sie je nach Kanton einen unterschiedlichen Rechtsstatus.
Im europäischen und internationalen Kontext sind insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, Art. 9 Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) sowie die UN-Menschenrechtserklärung relevant.
Verhältnis von Staat und Religionsgesellschaften
Trennung von Staat und Religion
Das deutsche Grundgesetz definiert eine klare Trennung von Staat und religiösen Vereinigungen, was sich insbesondere in der Neutralitätspflicht des Staates äußert. Dennoch ist eine enge Kooperation durch den öffentlich-rechtlichen Status einiger Religionsgesellschaften möglich („Kooperative Trennung“).
Aufgaben und Mitwirkungsrechte
Religionsgesellschaften nehmen besondere Rollen im öffentlichen Leben ein, beispielsweise bei der Mitgestaltung karitativer und sozialer Einrichtungen, religiösen Unterrichts oder im Rahmen öffentlicher Gedenkfeiern. Sie wirken zudem an staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen („Konkordate“, Staatskirchenverträge) mit.
Rechtsfragen im Zusammenhang mit Religionsgesellschaften
Verfassungsbeschwerde und Rechtsschutz
Religionsgesellschaften können sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen und entsprechenden Rechtsschutz bei Verfahrensverletzungen oder Einschränkungen staatlicherseits beanspruchen.
Arbeitsrechtliche Besonderheiten
Im kirchlichen Arbeitsrecht gelten spezifische Regelungen zum Selbstbestimmungsrecht, etwa hinsichtlich Einstellung, Entlassung oder Loyalitätsanforderungen der Mitarbeitenden.
Pflicht zur Offenlegung und Überprüfung
Gerade im Bereich der Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt eine erhöhte Reportingpflicht hinsichtlich Mitgliederzahlen und Finanzen, um die dauerhafte Erfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen sicherzustellen. Zudem prüfen die Behörden regelmäßig, ob die Religionsgesellschaft weiterhin die gesetzlichen Anforderungen erfüllt.
Steuerrechtliche Behandlung
Gemeinnützigkeit und Abgabenrecht
Religionsgesellschaften gelten im deutschen Steuerrecht in der Regel als gemeinnützig und profitieren von Steuerbefreiungen im Bereich Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer, soweit sie satzungsgemäß tätig werden.
Erhebung von Kirchensteuern
Anerkannte Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts haben das Recht, von ihren Mitgliedern eine sogenannte Kirchensteuer zu erheben, die durch staatliche Finanzbehörden eingezogen werden kann.
Bedeutung und Entwicklung von Religionsgesellschaften
Die Rolle der Religionsgesellschaften befindet sich im ständigen Wandel. Während sich die Gesellschaft weiter pluralisiert, wächst das Spektrum an Religionsgemeinschaften und damit auch die rechtlichen Herausforderungen im Bereich von Anerkennung, Gleichbehandlung, Anti-Diskriminierung und Neutralitätspflichten.
Zusammenfassung
Religionsgesellschaften nehmen als Zusammenschlüsse von Gläubigen eine zentrale Rolle im Staats- und Gesellschaftsrecht ein. Ihre rechtliche Stellung ist durch besondere Rechte, Pflichten und Privilegien geprägt, die durch die Verfassung, Konkordate und spezielle Gesetze geregelt werden. Die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verleiht Religionsgesellschaften einen umfassenden rechtlichen Rahmen, führt aber auch zu besonderen Verwaltungs- und Berichtspflichten im Verhältnis zum Staat. Die Gleichbehandlung aller Religionsgesellschaften ist ein bedeutendes Ziel des modernen Religionsrechts.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen Religionsgesellschaften erfüllen, um in Deutschland anerkannt zu werden?
Um in Deutschland als Religionsgesellschaft anerkannt zu werden, müssen bestimmte rechtliche Anforderungen erfüllt sein. Zunächst bedarf es einer festen organisatorischen Struktur, die eine kontinuierliche Religionsausübung und -gemeinschaft gewährleistet. Das Grundgesetz schützt die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und regelt in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgesellschaften. Für die förmliche Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts – mit besonderen Rechten wie Steuererhebung oder Dienstherrenfähigkeit – müssen Religionsgesellschaften nachweisen, dass sie die Gewähr der Dauer bieten und durch ihre innere Verfassung sowie die Anzahl ihrer Mitglieder in der Lage sind, ihre Aufgaben auf Dauer zu erfüllen. Ferner muss ihre Lehre und Tätigkeit im Einklang mit dem Grundgesetz stehen; insbesondere dürfen sie keine verfassungsfeindlichen oder strafbaren Ziele verfolgen. Der Antrag zur Erlangung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wird in der Regel beim zuständigen Landesministerium gestellt und durchläuft ein Verwaltungsverfahren. Nach positiver Entscheidung werden die Rechte in einem staatlichen Anerkennungsakt verliehen.
Welche Rechte und Pflichten haben anerkannte Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts?
Anerkannte Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts genießen weitreichende Rechte, verfügen aber auch über spezifische Pflichten. Zu den Rechten gehören insbesondere das Recht, Steuern von ihren Mitgliedern zu erheben (Kirchensteuer), das Recht, eigenständig eine Dienstordnung zu erlassen (einschließlich Arbeitsrecht, sog. kirchliches Arbeitsrecht), und das Recht, eigene Verwaltungsakte zu erlassen, die – innerhalb des Rahmens staatlichen Rechts – Rechtswirkung gegenüber externen Dritten entfalten können. Zudem stehen ihnen Privilegien bei der Mitwirkung in öffentlich-rechtlichen Gremien, beispielsweise bei Rundfunkräten, zu. Zu den Pflichten zählt insbesondere, dass die Körperschaft ein geordnetes Geschäftsgebaren nachweisen muss und der staatlichen Rechtsaufsicht unterliegt. Sie müssen ihre Tätigkeit auf dem Boden des Grundgesetzes entfalten und dürfen keine verfassungswidrigen Ziele verfolgen. Bei Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen können Privilegien auch wieder entzogen werden.
Wie ist das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgesellschaften rechtlich ausgestaltet?
Das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgesellschaften in Deutschland ist durch das Prinzip der Trennung (sog. Staatskirchenrecht) und der Kooperation („hinkende Trennung“) gekennzeichnet. Der Staat ist religiös und weltanschaulich neutral, darf jedoch mit Religionsgesellschaften unter bestimmten Bedingungen zusammenarbeiten, soweit dies das öffentliche Leben betrifft. Dies äußert sich beispielsweise in der Erhebung von Kirchensteuern durch staatliche Finanzämter, im Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an Schulen, im Seelsorgedienst in öffentlichen Einrichtungen oder der Mitwirkung in bestimmten öffentlichen Gremien. Religionsgesellschaften sind grundsätzlich autonom, unterstehen aber hinsichtlich ihrer öffentlich-rechtlichen Funktion staatlicher Rechtsaufsicht. Das Grundgesetz und die Landesverfassungen regeln Einzelheiten dieser Beziehungen.
Können Religionsgesellschaften rechtliche Verträge mit dem Staat abschließen und wie werden diese bezeichnet?
Ja, Religionsgesellschaften können mit dem Staat rechtliche Verträge abschließen, die sogenannten „Staatskirchenverträge“ oder Konkordate (bei römisch-katholischer Kirche). Diese Verträge regeln das Verhältnis zwischen der jeweiligen Religionsgesellschaft und dem Staat detailliert und konkretisieren insbesondere Rechte und Pflichten, etwa zu Fragen des Religionsunterrichts, der Seelsorge, des Denkmalschutzes für religiöse Gebäude oder der Finanzierung bestimmter Tätigkeiten. Staatskirchenverträge werden auf Landesebene geschlossen, da das Staatskirchenrecht überwiegend Ländersache ist, und bedürfen meist der Zustimmung des jeweiligen Landesparlaments. Sie schaffen eine verbindliche, formalisierte Rechtsgrundlage, die über einfachgesetzliche Regelungen hinausgeht.
Welche Bedeutung hat die Mitgliedschaft in einer Religionsgesellschaft aus rechtlicher Sicht?
Die Mitgliedschaft in einer Religionsgesellschaft hat verschiedene rechtliche Implikationen. Aus steuerlicher Sicht kann sie zu einer Kirchensteuerpflicht führen, wenn die Religionsgesellschaft Körperschaft des öffentlichen Rechts ist und im jeweiligen Bundesland die Erhebung angeordnet hat. Im Arbeitsrecht kann eine (Nicht-)Mitgliedschaft maßgebliche Bedeutung für Arbeitsverhältnisse bei Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft haben, etwa bei der Einstellung oder Kündigung von Mitarbeitenden. Außerdem können Mitgliedschaftsrechte und -pflichten, etwa das Wahlrecht zu kirchlichen Gremien oder die Teilnahme an Sakramenten und religiösen Handlungen, im Rahmen autonomer Kirchenordnungen geregelt sein. Der Staat schützt die individuelle Religionszugehörigkeit sowohl gegen ungerechtfertigte Diskriminierung als auch gegen unerwünschte Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft (negative Religionsfreiheit).
Wie wird der Status einer Religionsgesellschaft beendet oder aberkannt?
Der Status einer Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann durch einen aktiven Entzug durch die zuständige Landesbehörde beendet werden, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht mehr vorliegen – etwa bei dauerhafter nachhaltiger Missachtung der Rechtsordnung, gravierenden Pflichtverletzungen oder wenn die Zahl der Mitglieder eine dauerhafte geordnete Existenz nicht mehr sichert. Ein entsprechendes Verwaltungsverfahren ist notwendig; die Aberkennung erfolgt durch Verwaltungsakt. Gegen einen solchen Akt kann die Religionsgesellschaft den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten beschreiten. Die Aberkennung führt zum Verlust sämtlicher Körperschaftsrechte wie Steuererhebungsrecht, Dienstherrenfähigkeit oder das Recht, eigene Satzungen mit Außenwirkung zu erlassen. Die Religionsgesellschaft bleibt dann lediglich als privatrechtlicher Verein oder in einer anderen Rechtsform weiterbestehen.