Öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich: Begriff und Zweck
Der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich ist das Verfahren, mit dem bei einer Scheidung die während der Ehezeit erworbenen Anwartschaften auf Alters- und Invaliditätsversorgung zwischen den Ehegatten hälftig geteilt werden. Ziel ist eine faire Verteilung der gemeinsam erarbeiteten Versorgungswerte, damit beide Ehegatten im Alter oder bei Erwerbsminderung eine eigenständige Absicherung erhalten. Die Teilung erfolgt in einem gesonderten Abschnitt des Scheidungsverfahrens durch das Familiengericht und wird direkt bei den jeweiligen Versorgungsträgern umgesetzt.
Rechtliche Einordnung und Abgrenzung
Öffentlich-rechtlicher versus schuldrechtlicher Versorgungsausgleich
Der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich wird vom Familiengericht gemeinsam mit der Scheidung festgestellt und unmittelbar durch die Versorgungsträger (z. B. Rentenversicherung, Beamtenversorgung, betriebliche und private Versorgungseinrichtungen) technisch umgesetzt. Die ausgleichsberechtigte Person erhält dadurch eigene, rechtlich selbstständige Anrechte. Davon zu unterscheiden ist der schuldrechtliche Versorgungsausgleich, der erst nach der Scheidung in Betracht kommt, wenn eine sofortige Durchführung nicht möglich war (etwa bei ausländischen Anrechten) und der auf Ausgleichszahlungen gerichtet ist.
Verhältnis zu Zugewinnausgleich und Unterhalt
Der Versorgungsausgleich betrifft ausschließlich Anrechte der Alters‑, Invaliditäts‑ und Hinterbliebenenversorgung. Er ist von der güterrechtlichen Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) und von Unterhaltsfragen getrennt. Dennoch können sich einzelne Wechselwirkungen ergeben, etwa bei späteren Anpassungen, wenn Unterhalt gezahlt wird.
Welche Anrechte werden ausgeglichen?
Ausgeglichen werden grundsätzlich alle Versorgungsanrechte, die der Alterssicherung, der Absicherung bei Erwerbsminderung oder der Hinterbliebenenversorgung dienen und in die Ehezeit fallen. Typische Gruppen sind:
Gesetzliche Rentenversicherung
Beitragszeiten und Entgeltpunkte der gesetzlichen Rentenversicherung, einschließlich Zeiten der Kindererziehung oder Pflege, soweit sie der ausgleichspflichtigen Person gutgeschrieben wurden.
Beamtenversorgung und vergleichbare Systeme
Versorgungsanrechte aus öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen (z. B. Ruhegehalt), einschließlich Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen des öffentlichen Dienstes.
Betriebliche Altersversorgung
Entgeltumwandlungen, arbeitgeberfinanzierte Zusagen, Direktzusagen sowie über Unterstützungskassen, Pensionsfonds, Pensionskassen oder Direktversicherungen organisierte Versorgungen.
Private Altersvorsorge
Privat abgeschlossene, auf Alters- oder Invaliditätsleistungen gerichtete Verträge mit Rentencharakter, darunter kapitalgedeckte Produkte mit lebenslanger Rentenoption.
Typischerweise nicht umfasst
Nicht ausgeglichen werden Vermögenswerte ohne Versorgungszweck (z. B. gewöhnliche Sparguthaben, Wertpapierdepots, Immobilien), reine Risikoabsicherungen ohne Spar- oder Rentenanteil sowie Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Solche Vermögenswerte werden gegebenenfalls im Zugewinnausgleich berücksichtigt.
Grundprinzipien der Durchführung
Ehezeit und Bewertungsstichtag
Maßgeblich ist die Ehezeit: Sie beginnt mit dem Monat des Ehebeginns und endet am letzten Tag des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags. Nur in diesem Zeitraum erworbene Anrechte werden erfasst. Die Versorgungsträger bewerten diese Anrechte nach ihren gesetzlichen und satzungsrechtlichen Regeln.
Halbteilungsgrundsatz
Das Kernelement ist die hälftige Teilung der in der Ehezeit erworbenen Wertzuwächse. Jeder Ehegatte erhält die Hälfte der Anrechte, die der andere in dieser Zeit erworben hat. Dadurch entstehen auf beiden Seiten eigenständige, voneinander unabhängige Versorgungsansprüche.
Interne und externe Teilung
Die Umsetzung erfolgt in der Regel durch interne Teilung: Beim jeweiligen Versorgungsträger wird für die ausgleichsberechtigte Person ein eigenes Konto oder Recht eingerichtet. Ist eine interne Teilung nicht möglich oder unzweckmäßig, kann eine externe Teilung angeordnet werden. Dabei wird ein Kapitalwert auf einen anderen Versorgungsträger übertragen, den die ausgleichsberechtigte Person nutzt. Versorgungsträger können für die Teilung angemessene Verwaltungskosten erheben.
Ausnahmen, Bagatellgrenzen und kurze Ehe
Von einer Teilung kann abgesehen werden, wenn Anrechte nur in sehr geringem Umfang bestehen oder die Ehe nur sehr kurz gedauert hat. Ferner können Anrechte aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise vom Ausgleich ausgenommen werden, wenn das Ergebnis andernfalls unvertretbar wäre.
Vereinbarungen der Ehegatten und gerichtliche Kontrolle
Ehegatten können Vereinbarungen zum Versorgungsausgleich treffen, etwa eine Modifizierung oder einen Ausschluss. Solche Vereinbarungen bedürfen einer besonderen Form und werden durch das Familiengericht auf Angemessenheit und Ausgewogenheit überprüft. Erst mit gerichtlicher Billigung werden sie wirksam.
Verfahrensablauf vor dem Familiengericht
Einleitung und Ermittlung
Das Familiengericht leitet den Versorgungsausgleich regelmäßig mit dem Scheidungsverfahren ein. Es holt bei allen benannten Versorgungsträgern Auskünfte über die während der Ehezeit erworbenen Anrechte ein. Beide Ehegatten sind zur Mitwirkung verpflichtet und müssen die erforderlichen Informationen bereitstellen.
Bewertung und Entscheidung
Nach Eingang der Auskünfte werden die Anrechte bewertet und gegenübergestellt. Das Gericht entscheidet über die interne oder externe Teilung und legt fest, welche Anrechte in welchem Umfang zu übertragen oder zu begründen sind. Die Entscheidung wird in einem gesonderten Teil der Scheidungsentscheidung dokumentiert.
Rechtskraft, Umsetzung und Kosten
Nach Rechtskraft der Entscheidung setzen die Versorgungsträger die Teilung um und richten die entsprechenden Anrechte ein. Für das Verfahren fallen Gerichts- und Verwaltungsgebühren an; Versorgungsträger können Kosten der Teilung berechnen. Gegen die Entscheidung stehen gesetzlich vorgesehene Rechtsbehelfe zur Verfügung.
Folgen und Anpassungen nach der Scheidung
Wirkung auf künftige Renten
Durch die Teilung vermindern sich die künftigen Versorgungsleistungen der ausgleichspflichtigen Person in dem festgelegten Umfang; die ausgleichsberechtigte Person erhält eigene Anrechte, die nach Maßgabe des jeweiligen Versorgungssystems zu späteren Leistungen führen. Hinterbliebenenrechte richten sich nach den Regeln des jeweiligen Systems.
Anpassungsmöglichkeiten in besonderen Situationen
Das Recht sieht Anpassungen in besonderen Fällen vor. Dazu zählen Konstellationen, in denen weiterhin Unterhalt gezahlt wird, oder wenn die ausgleichsberechtigte Person verstirbt. In solchen Fällen kann die Kürzung bei der ausgleichspflichtigen Person unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise entfallen oder ruhen. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den Regeln des Versorgungssystems und den gesetzlichen Anpassungstatbeständen.
Besonderheiten bei internationalen Sachverhalten
Betreffen die Anrechte ausländische Versorgungssysteme oder wohnen die Ehegatten im Ausland, stellen sich Zuständigkeits- und Durchführungsfragen. Deutsche Gerichte können den Versorgungsausgleich auch dann behandeln, wenn internationale Zuständigkeit besteht. Die praktische Umsetzung kann bei ausländischen Trägern begrenzt sein; in solchen Fällen kommt eine externe Teilung oder ein nachgelagerter schuldrechtlicher Ausgleich in Betracht.
Häufige Missverständnisse
- Der Versorgungsausgleich ist kein Vermögensausgleich, sondern betrifft ausschließlich Alters- und Invaliditätsversorgungen.
- Nur Anrechte aus der Ehezeit werden geteilt; frühere oder spätere Erwerbe bleiben unberührt.
- Die Teilung erfolgt unabhängig davon, ob bereits eine Rente gezahlt wird oder erst künftig anfällt.
- Eigene Kindererziehungszeiten werden grundsätzlich demjenigen zugerechnet, dem sie im System gutgeschrieben sind; sie können ebenfalls dem Ausgleich unterfallen.
- Eine einvernehmliche Abweichung ist möglich, bedarf aber besonderer Form und gerichtlicher Kontrolle.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „Öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich“ konkret?
Es handelt sich um das gerichtliche Verfahren, in dem die während der Ehezeit erworbenen Renten- und Versorgungsanrechte beider Ehegatten hälftig aufgeteilt werden. Die Umsetzung erfolgt durch die Versorgungsträger, sodass die ausgleichsberechtigte Person eigene Anrechte erhält.
Welche Anrechte fallen unter den Versorgungsausgleich?
Erfasst werden Anrechte aus gesetzlicher Rentenversicherung, Beamtenversorgung, betrieblicher Altersversorgung sowie privater Altersvorsorge mit Renten- oder Invaliditätsleistungen. Nicht erfasst sind Vermögenswerte ohne Versorgungszweck, etwa Bankguthaben oder Immobilien.
Wie wird die Ehezeit bestimmt?
Die Ehezeit beginnt mit dem Monat der Eheschließung und endet am letzten Tag des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags. Nur Anrechte, die in diesem Zeitraum entstanden sind, werden ausgeglichen.
Was ist der Unterschied zwischen interner und externer Teilung?
Bei interner Teilung richtet der bisherige Versorgungsträger ein eigenes Anrecht für die ausgleichsberechtigte Person ein. Bei externer Teilung wird ein Kapitalwert an einen anderen Träger übertragen, den die ausgleichsberechtigte Person nutzt. Welche Variante angewandt wird, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung der Vorgaben der Versorgungsträger.
Gibt es Ausnahmen vom Versorgungsausgleich?
Ja. Bei sehr kurzer Ehe oder sehr geringem Ausgleichswert kann der Ausgleich entfallen. Außerdem können Anrechte aus Billigkeitsgründen teilweise oder vollständig ausgenommen werden. Ehegatten können Vereinbarungen treffen, die der gerichtlichen Kontrolle unterliegen.
Was passiert, wenn eine der beteiligten Personen verstirbt?
Verstirbt die ausgleichsberechtigte Person, kommen Anpassungen in Betracht, die eine Kürzung bei der ausgleichspflichtigen Person beenden oder verringern können. Die genauen Voraussetzungen richten sich nach den gesetzlichen Anpassungsregeln und den Bestimmungen des jeweiligen Versorgungssystems.
Wie verhält sich der Versorgungsausgleich zu ausländischen Renten?
Sind ausländische Versorgungsträger beteiligt, kann die Durchführung erschwert sein. Das Gericht kann eine externe Teilung anordnen oder den öffentlich-rechtlichen Ausgleich insoweit ausklammern, sodass ein nachgelagerter schuldrechtlicher Ausgleich in Betracht kommt.